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15

»Du kannst steuern, ich werde umherspähen«, sagte Williams, als er einige Minuten später in den Wagen stieg. »Reicht das Benzin?«

»Der Tank ist beinahe voll«, stellte Ringe fest und brachte den Wagen in Gang. »Die Zentralgarage war also die erste Adresse?«

Nach einigen Minuten bremste Ringe den Wagen vor der Zentralgarage am Vanadisweg, und Williams stieg aus.

»Wenn du Lust hast, kannst du gern mitkommen, Ringe«, sagte er und ging voraus.

Ringe folgte ihm, nachdem er den Motor abgestellt und die Handbremse ausgeschaltet hatte.

»Ist der Garagenmeister da?« fragte Williams einen Wagenwäscher, der damit beschäftigt war, ein stark bespritztes Auto reinzuduschen.

»Ja, er wird irgendwo dahinten bei den Boxen sein«, antwortete der Mann, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.

Der Garagenmeister war bald entdeckt. Als er Williams erblickte, nahm er die Mütze ab.

»Guten Tag, Herr Advokat«, sagte er. »Handelt es sich um den Wagen, den wir vom Blockhauskap holten?«

»Ja, ich würde gern einmal einen Blick auf ihn werfen, Herr Smedberg. Es hat ihn wohl niemand angerührt, seitdem er hier steht?«

»Sie können ganz beruhigt sein, Herr Advokat. Er steht dahinten in der Box genau in demselben Zustand, wie er war, als ich ihn abschleppte«, antwortete der Garagenmeister. »Das kann ich beschwören. Und den Schlüssel zur Box habe ich an meinem Bund. Diesen Weg, bitte.«

Der Garagenmeister, gefolgt von Williams und Ringe, ging zu einer der Boxen. Er schloß die Tür auf und öffnete sie zuvorkommend für Williams, der zögerte einzutreten.

»Nun wollen wir Sie nicht mehr bemühen, Herr Smedberg«, sagte er. »Vielen Dank für Ihre Hilfe. Wenn wir wieder fort sind, können Sie den Wagen in Ordnung bringen lassen. Ich hoffe, daß der Motor nicht allzu großen Schaden genommen hat, weil er nicht sofort repariert wurde.«

Der Garagenmeister entfernte sich, und Williams trat in die Box.

»Jetzt, Ringe, wollen wir sehen, ob meine Annahme richtig ist«, sagte er und zog ein Paket aus der Tasche. Vorsichtig entfernte er den Umschlag. In der Hand hielt er den kleinen dreikantigen Glassplitter, den er bei der ersten hastigen Untersuchung des Wagens an der Unglücksstelle hatte verschwinden lassen.

»Willst du das Stück Glas einen Augenblick halten, während ich mir den Rest der Autoscheibe etwas näher besehe.«

Ringe nahm das Glasstückchen in Empfang.

Williams untersuchte den Rest der Scheibe, der noch am unteren Teil des Rahmens festsaß. Dann zog er ein kleines Etui aus der Tasche und öffnete es.

»Nun wollen wir mal sehen, was unsere Mikrometerschraube sagt, mein Lieber«, fuhr er fort und begann, den Durchmesser der Glasreste zu messen. Er nahm einige Proben und las die Ziffern von der Schraube ab.

»Diese Scheibe hier scheint 2,7 Millimeter stark zu sein. Das Mikrometer weist überall auf diese Ziffer. Jetzt kommt das Glasstückchen an die Reihe, das du in der Hand hast.«

Ringe gehorchte, und Williams begann, das Glasstückchen zu messen und den Mikrometerzeiger zu kontrollieren.

»Die Sache ist klar, Ringe«, sagte er und sah zufrieden seinen Freund an. »Meine Annahme war richtig. Jetzt fahren wir in den Tiergarten, und unterwegs will ich dir erzählen, welch große Rolle zwei Zehntel Millimeter in einem komplizierten Kriminalfall spielen können. Ich werde den Garagenmeister nur noch bitten, den Rest der Scheibe zu verwahren, wenn er den Wagen in Ordnung bringen läßt.«

Als das Auto sich in Bewegung gesetzt hatte, begann Williams zu sprechen:

 

»Als ich das Glasstückchen auf dem Führersitz fand, nachdem das Auto Rantens aus dem Wasser gezogen worden war, steckte ich es in die Tasche, ohne zu ahnen, daß es dazu beitragen würde, einen verwickelten Mordfall aufzuklären. Zu Anfang glaubte ich einfach an einen Selbstmord. Alles deutete ja daraufhin, daß Ranten sich aus irgendeinem unerklärlichen Grunde selbst das Leben genommen hatte. Daß der Wagen durch einen Unglücksfall ins Wasser geraten ist, ist vollkommen ausgeschlossen. Als ich den Drohbrief fand, wurde ich in meiner Auffassung, daß Ranten Selbstmord begangen habe, noch mehr bestärkt. Erst bei der Untersuchung der Gummimatte kam es mir in den Sinn, daß doch nicht alles klar war, wie ich zuerst glaubte. Später kam dann der eine oder andere Umstand hinzu, und jetzt bin ich fest davon überzeugt, daß Ranten ermordet worden ist. Seine Mörder – es müssen nämlich mehrere sein – haben auf eine ganz raffinierte Art und Weise versucht, Rantens Tod den Anschein von Selbstmord zu geben. Es sollte so aussehen, als ob Ranten den Wagen ins Wasser gesteuert, im Augenblick des Todes das aber bereut und versucht hatte, aus dem Wagen zu entkommen, indem er eine der Scheiben einschlug, da es ihm nicht gelang, die Tür zu öffnen.

Wenn die Betreffenden sich damit begnügt haben würden, hätte ich mich vielleicht täuschen lassen. Aber anscheinend wollten sie ihre Sache besonders gut machen. Das geronnene Blut auf der Gummimatte bewies ja, daß die Handverletzungen unmöglich erst im Augenblick der Katastrophe entstanden sein konnten. Sie müssen Ranten mindestens ein paar Stunden früher zugefügt worden sein, denn sonst wäre es unmöglich gewesen, die Blutspuren auf der Gummimatte noch zu finden. Aber die Uhr des Toten zeigte auf elf Uhr vierzig. Und um halb elf hat Ranten noch mit seinem Whisky in der Bibliothek gesessen. Jemand muß also seine Uhr um einige Stunden zurückgestellt haben.

Aber ich will mich kurz fassen. Ich war also der Ansicht, die Schlußfolgerung ziehen zu dürfen, daß Ranten die Verletzungen an den Händen mindestens ein paar Stunden bevor der Wagen in die Bucht geriet, zugefügt worden waren. Nachdem keine Glassplitter im Wagen zu finden waren und die Taucheruntersuchung auch keine zutage förderte, lag es ja auf der Hand, daß die Scheibe bei offenstehender Tür an einem anderen Platz zertrümmert wurde. Aber da dies anscheinend erst längere Zeit nach Entstehung der Handverletzungen geschehen ist, kann man annehmen, daß die Glasscherbe, die ich im Auto fand, zu diesem Zwecke benutzt wurde. Das zu beweisen, wird schwer sein. Aber wenn man feststellen könnte, daß das Glasstückchen nicht von der Autoscheibe herstammt, wäre viel gewonnen.

Ich habe nun tatsächlich soeben festgestellt, daß die Glasscherbe nicht zu dem Fensterglas des Wagens gehört. Ihr Durchmesser ist nämlich zwei Zehntel Millimeter geringer als der der Scheibe. Der Betreffende, der Ranten die Handverletzungen zugefügt hat, hat ein Glasstückchen benutzt, das ebenfalls von einer Autoscheibe stammt. Daß dessen Durchmesser eine Kleinigkeit weniger betragen könnte als der der zerbrochenen Scheibe, hat er vergessen mit in Betracht zu ziehen; denn hätte er das getan, hätte er das Glasstückchen bestimmt nicht im Auto liegen lassen. Die Absicht war natürlich, den Anschein zu erwecken, das Glasstückchen gehöre zu der Autoscheibe, die Ranten in seinem verzweifelten Todeskampf zertrümmert hat. Nun ist dieses kleine, unbedeutende Glasstückchen ein Beweis dafür, daß ein Verbrechen vorliegt. Wir müssen die Stelle finden, wo die Scheibe zerschlagen wurde. Wir müssen nämlich davon ausgehen, daß das nicht in Rantens Garage geschah, denn das hätte zuviel Aufsehen erregt.«

Während Williams' Erzählung hatten sie den Tiergarten erreicht.

»Wo sollen wir anfangen zu suchen?« fragte Ringe, als sie das Nordische Museum passiert hatten.

 

»Fahr zuerst bis zu dem Weg, der nach Bellmansruh abzweigt, wir werden ihn als Ausgangspunkt nehmen«, antwortete Williams. »Wir müssen aufs Geratewohl alle erdenklichen Wege absuchen. Man kann indessen davon ausgehen, daß die Scheibe an einer Stelle zerschlagen wurde, die etwas abseits liegt, d. h. in nicht bewohnter Gegend.«

Als der Wagen den Querweg erreicht hatte, sagte Williams:

»Schalte jetzt den ersten Gang ein und lasse den Wagen langsam fahren, während ich meine Augen auf die linke Wegseite richten werde. Wenn wir in die Nähe von Villen kommen, kannst du ein wenig schneller fahren, denn da haben wir kaum Aussicht, etwas zu finden.«

Der elegante Lasalle kroch langsam vorwärts, und Williams saß da, die Augen unentwegt auf den Wegrand gerichtet. Hie und da stieg er aus und untersuchte den Grabenrand genauer. Gelegentlich fand er kleinere Glassplitter, die er verärgert wieder fortwarf. Ein einziger Blick genügte, um festzustellen, daß sie nicht von der zertrümmerten Autoscheibe herstammten.

»Das ist eine langweilige Beschäftigung, Ringe«, sagte Williams, als er den Wagen zum zwanzigsten Mal halten ließ.

Ringe hatte sich nämlich das Vergnügen gemacht und gezählt, wie oft Williams ausgestiegen war. Und jedesmal hatte er mit lauter Stimme die Zahl bekanntgegeben.

»Ja, bei diesem ewigen Aus- und Einsteigen wirst du bald deine Unaussprechlichen abgenutzt haben«, sagte er lachend. »Aber jetzt schlage ich vor, daß wir eine Zigarettenpause machen, ehe wir unsere Kriecherei fortsetzen. Es ermüdet viel mehr, so langsam zu fahren, als mit neunzig Kilometer Geschwindigkeit dahinzusausen. Man kann gerade nicht von einem Genuß der Fahrt sprechen, wenn man mit den Schnecken im Wettbewerb steht.«

»Das können wir tun«, antwortete Williams. »Ob das hier fünf Minuten länger dauert oder nicht, spielt gar keine Rolle, denn es wird sowieso eine Tagesarbeit. Wie lange fahren wir eigentlich schon?«

»Zwei Stunden und dreiunddreißig Minuten«, antwortete Ringe, indem er aus dem Wagen kletterte. »Ach, es ist richtig schön, sich ein wenig strecken zu können.«

Die beiden Freunde ließen sich auf dem Tritt des Wagens nieder und zündeten ihre Zigaretten an. Eine lange Zeit rauchten sie stillschweigend.

Ringes Gedanken wanderten zu Annie Ranten, von der er seit mehreren Tagen nichts gehört hatte. Er hatte immer vorgehabt, sie anzurufen, es war aber niemals etwas daraus geworden. Er hatte sie auch so kurz nach der Beisetzung nicht stören wollen. Aber er nahm sich bestimmt vor, sich morgen mit ihr in Verbindung zu setzen und zu hören, wie es ihr ginge. Daß Williams überhaupt nur einen Augenblick hatte glauben können, daß Annie sich mit Smith auf der »Gamba« getroffen hatte! Es war doch gut, daß er das Gegenteil beweisen konnte. Aber wenn sie nun doch Zigaretten rauchte und einen Lippenstift benutzte?

Ringe warf den Rest der Zigarette fort und erhob sich.

»Es ist wohl am besten, wir fangen an weiterzukriechen«, sagte er und stieg wieder in den Wagen.

»Du kannst fahren, ich werde ein wenig nebenher laufen«, antwortete Williams. »Der Weg, den wir vor uns haben, ist einer der einsamsten von allen Tiergartenwegen.«

Er ging langsam voran.

Der Weg hatte eine leichte Steigung. Zur Rechten befand sich ein offenes Feld mit einem bewaldeten Hügel im Hintergrunde. Links reichte der Wald bis an den Weg heran.

Plötzlich blieb Williams stehen und beugte sich nieder. Dicht am Rande des Grabens hatte er etwas in der Sonne flimmern sehen. Es war ein Glassplitter, ein winziges kleines Stückchen Glas von etwa zwei Quadratzentimeter Größe. Rasch nahm Williams seine Millimeterschraube zur Hand. Nachdem er den Durchschnitt des Glasstückchens gemessen hatte, stieß er einen Freudenruf aus.

Ringe stoppte sofort und sprang hinaus. Mit hastigen Schritten eilte er zurück und rief interessiert:

»Hast du etwas gefunden?«

»2,7 Millimeter!« antwortete Williams und hielt triumphierend das kleine Glasstückchen zwischen Daumen und Zeigefinger in die Höhe. »Hier wollen wir weiter suchen.«

Einige Meter von dem Platz entfernt, an dem er das erste Glasstückchen gefunden hatte, fand er noch einige Scherben. Da der Durchmesser der gleiche war wie bei dem zuerst gefundenen Glasscherben, gehörten auch diese zur Autoscheibe.

Aber wie sehr Williams auch im Graben suchte, er konnte keine weiteren Glassplitter entdecken.

 

»Wenn die Glasscheibe wirklich hier an dieser Stelle zerschlagen wurde«, sagte er zu Ringe, »dann macht es den Eindruck, als ob der Täter entweder die Trümmer an sich genommen oder sie aufgesammelt und an einem anderen Platz versteckt hat. Diese kleinen Splitter hier hat er anscheinend übersehen. Das einzige, was wir tun können, ist, hier in der Nähe im Walde zu suchen.«

Williams und Ringe machten sich auf die Suche. Jeder bekam einen bestimmten Streifen des Terrains. Sie gingen ganz planmäßig zu Werke und ließen nicht einen Fleck des Bodens aus. Besonders das Unterholz durchsuchten sie gründlich.

»Hallo, Williams, hier!« rief Ringe plötzlich. »Hier sind ganze Glasberge.«

Williams eilte zu der Stelle.

Ringe hielt ein geöffnetes Paket aus Zeitungspapier in seinen Händen. Es enthielt eine Menge größere und kleinere Glasstückchen. Aber in dem Paket lag auch noch etwas anderes, das Williams interessiert betrachtete. Schnell zog er sich Handschuhe an und nahm den Gegenstand vorsichtig aus dem Paket heraus.

Es war ein Hammer mit einem ungefähr dreißig Zentimeter langen Schaft. Der Kopf war mit weißem Tuch umwickelt. Auf dem Tuch befanden sich dunkle Flecke.

Williams machte sich an eine genaue Untersuchung.

»Kannst du mir sagen, welches Datum die Zeitung hat? Ist es nicht eine Ausgabe der Morgonnyheter?«

»Ja, vom dreißigsten Mai«, antwortete Ringe.

»Der Tag, an dem Ranten ermordet wurde«, sagte Williams langsam. Ernst sah er seinen Freund an und fuhr dann fort:

»Am Hammer befindet sich Blut.«


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