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Das Hünengrab.

Stimmungsbild vom schleswigschen Heiderücken.

Von Felix Schmeißer.

Oben auf der Heide liegt ein Hünengrab. Hoch und massig winkt es dem Wanderer schon aus der Ferne über Heide und Feld zu. Mannshoch wächst hier ungestört der grüne Ginster und bedeckt jeden Sommer wieder die Höhe des Hügels mit einem Meer von gelben Blüten. Und wenn er ausgeblüht hat und voll schwarzer, schwerer Samenschoten hängt, dann steht ringsum die Heide in ihrer violetten Blüte, und wo der Ginster ihr ein Fleckchen frei ließ, da schimmert auch am Hügel ihre milde Farbe. Und die Lerchen jubeln, die Grillen zirpen, die Bienen summen, und über allem wölbt sich ein blauer Spätsommerhimmel. An einem solchen Tage habe ich dort oben auf dem alten Hügel gelegen. Und in traumverlorener Stunde stieg die Geschichte dieses uralten Grabhügels vor mir auf. Noch im Abendrote habe ich sie niedergeschrieben.

Hier ist sie.

*

Auf den Heiden schlugen die Alten ihre Schlachten. Deshalb blieben dort die mächtigen Gräberhügel, und deshalb geht auch die Sage, daß die Heide einst vor Zeiten weiß geblüht, sich aber durch das viele Blut rot gefärbt habe.

Hier über diese Heide ging die Grenzscheide zweier Völkerschaften, die mehr im Streit als im Frieden miteinander lebten. Und einst schlugen sie auf diesem Plane eine blutige Schlacht; die Speere sausten, die Schwerter und Keulen klirrten gegen die Schilde, und vom nahen Walde hallte Waffengeklirr und Kampfgeschrei wider. Erst da die Sonne tief im Westen stand, begannen die Mannen vom Norden der Heide zu weichen. Die Sieger verfolgten sie, bis sie im Krattbusche nördlich der Heide entschlüpft waren. Da gingen sie mit jubelndem Geschrei zum Kampfplatze zurück. Es war ihnen aber ein teurer Sieg geworden; rings herum im Heidekrauts lagen unter den Verstümmelten und Leichen der Feinde auch die ihrer eigenen Mannen, und unter ihnen auch ihr König. Als nun die Knaben und die Sklaven die Leichname in das Lager am Waldrande schleppten, da jammerten die Weiber laut; doch ein alter Barde sang Ruhmeslieder von dem Heldentod derer, die jetzt bald durch die Lüfte zum Allvater in der Walhalla reiten würden, und die Männer erzählten sich mit gedämpfter Stimme von ihren Taten.

Dann streckten sie sich zum Schlummer. Ein dunkles Abendrot leuchtete noch durch Wald und Dämmerung. Leise erloschen die Feuer. Auf der Heide, wo die weißen Körper der gefallenen Feinde durch die Dämmerung schimmerten, heulten die Wölfe.

*

Auf der Heide, wo sie gefallen waren, sollten der König und seine Mannen ruhen. Fast einen Mond lang hatten die Sklaven unter Bewachung von Freien den Grabhügel aufgeworfen. Die höchste Stelle der Heide war dazu ausgesucht. Vom nahen Walde holten sie schwarze, schwere Erde, da der lockere Heidesand allzu leicht war. Die ganzen langen Spätsommertage arbeiteten sie in ihrem Schweiße. Und wenn sie des Nachts um ihr Feuer ruhten, dann heulten die Wölfe durch die Heide, wo noch die abgenagten Gebeine der gefallenen Feinde lagen.

Hoch und dunkel ragte der gewaltige Hügel in die Dämmerung.

Die Sklaven, welche die letzte Arbeit beendet hatten, standen auf seiner Höhe und sahen, wie der Abendnebel rings über die Heide kroch.

Am anderen Tage kam ein seltsamer Zug über die Heide: Voran vier Lurenbläser, die aus ihren mächtigen, sie überragenden Instrumenten wunderbar klagende, feierliche Töne über die Heide schmetterten, so daß die Lerchen schier verstummten. Hinter ihnen wurden langsamen Schrittes auf einer langen Reihe von Bahren die in Tücher gehüllten Toten getragen. Dann folgte ein langer Zug von Männern und Weibern, deren bronzene Waffen und Zierate wie Gold in der heißen Sonne glänzten. Schon war ein großer, hoher Scheiterhaufen neben dem Hügel aufgerichtet und angezündet. Sein Rauch zitterte bläulich durch die warme Sommerluft. Der Zug machte Halt, die Leichen wurden nebeneinander in die Flammen gelegt, die Luren verstummten und feierlichen Schrittes trat der alte Skalde vor den Scheiterhaufen. Er sang Lieder von den Taten der Gefallenen und unverständliche, geheimnisvolle Weisen. Als endlich die Flammen erloschen, sammelte der Alte die Gebeine, Asche, Waffen und Zierate der Toten in große irdene Krüge. Schweigend wurden diese vom Volke in den Hügel gesenkt, mit Steinen umstellt und mit Erde überschüttet. Einen Augenblick noch blieb man stumm vorm Hügel stehen. Dann setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Wieder schmetterten die Luren. Ferner und ferner. Noch ein letztes Herüberwehen der Lurenklänge; noch ein letztes goldenes Glänzen an der Kimmung; dann waren die Toten allein in ihrem Hügel. Und die Heidelerchen hoben sich wieder hoch in die blaue Luft und jubelten ihre Lieder.

*

Die Heide verblühte, braun und düster lag sie im grauen Herbstnebel. Dann fiel weißer, weicher Schnee auf sie und das Hünengrab. Klingender Frost kam hinzu und in den Nächten, wenn der Vollmond auf die beschneite Heide schien, brachen die ausgehungerten Wölfe, die noch immer nicht den Fraß des Sommers vergessen konnten, heulend aus Kratt und Wald. Doch das Hünengrab ragte stumm und schweigend in die Winternacht. Und als der Schnee schmolz, da grünte das erste Gras, der erste Ginster und das erste Heidekraut auf der Decke des Hügels. Dann stand es in gelber Ginster- und darauf in roter Heideblüte. Und wieder ging der Sommer, kamen und gingen ein Herbst und ein Winter; und höher wurde der Ginster, dichter das Heidekraut.

Und es kamen und gingen Jahrtausende.

Andere Zeiten waren hereingebrochen; man betete zu einem anderen Gott und redete in einer anderen Zunge. Nur die Heidelerchen sangen noch immer die alten Lieder, die sie vor Jahrtausenden sangen. Auch jene beiden Völker, die einst auf dieser Heide bluteten, lebten noch. Lange hatten sie miteinander in Frieden gelebt, doch allmählich war der alte Haß wieder erwacht, und wieder lagen sie miteinander im Kampfe. Und noch einmal sollte diese Heide von ihrem Blute sich röten. Seit einigen Tagen lag die schleswig-holsteinische Armee hier, den Feind vom Norden erwartend.

*

Ein junger Soldat in blauer Infanterieuniform erkletterte das Hünengrab. Mit wehmütigem Genießen schweifte sein Auge von hier über das weite, stille Land. Ringsherum Heide und Moor, noch in grünem Kraute, hier und dort ein Flecken rosablühender Edelheide, weißen Wollgrases und blauen Enzianes. Weiterhin gelbe Haferfelder, magere Koppeln, einzelne einsame Katen und hohe Wälder. Ein feiner, süßer Duft der blühenden Pfefferminzen lag in der Luft. Still und feierlich war es. Horch, aus Nordwesten klingt eine Dorfkirchenglocke halbverweht herüber. Es ist ja Sonntag heute ... Der Tag des Herrn ... Und vielleicht der letzte für den, der auf dem Hünengrabe träumt. Wie so voll und feierlich klingen doch die Glocken der Vaterstadt; und wie dünn und bang zittern diese ... Ach, daß er auch an diesem schönen Sonntagmorgen die Todesahnung nicht vergessen kann! Immer und immer kommt sie wieder.

In wenigen Tagen vielleicht würde er im kalten Moor liegen.

Ja, die Alten einst, die hatten ihren Toten bessere Gräber gegeben in diesem Hügel mit seinem weiten Blicke über Heide, Feld und Wald.

Ein Gedanke durchzuckte ihn; wenn er dann fallen sollte, so wollte er hier begraben liegen; hier oben, hoch über dem feuchten Moor, wo dicht über seinem Haupte die Sonne scheinen und die Lerchen singen würden. – Ach, es würde schwer fallen, aber er wollte doch seinem besten Kameraden, der drüben im Holze mit bei der Feldwache lag, seinen Wunsch ans Herz legen; auf den konnte er bauen.

Er setzte sich in eine Vertiefung zwischen dem Ginster und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Aber plötzlich riß er sich los, stieg vom Hügel und ging über die Heide nach dem Holze zu.

*

Nach wenigen Tagen ging es wie ein Lauffeuer von Kamerad zu Kamerad, daß der Feind vorrücke. An einem schwülen Vormittage, da ringsumher am Himmel schwere, schwarze Gewitterwolkenstanden, kam es zum ersten Treffen. Eine Kolonne stürmte auf der Landstraße vor, lange Ketten schwärmten ringsumher über Heide und Feld. Die Hörner schmetterten, die Trommeln wirbelten, die Schüsse donnerten und brüllten. Und hier und da stand das ausgedörrte Heidekraut in roten Flammen. So kämpften sie den ganzen Tag. Doch in der Dämmerung hielten Freund und Feind wie auf Verabredung inne. Dunkle Kolonnen zogen sich hüben und drüben zurück. Dann begann ein feiner Regen zu tröpfeln, und auf den dies- und jenseitigen Höhen hoben sich die Gestalten der Posten dunkel von der Dämmerung ab. Nirgends loderte ein Feuer, und die gedämpften Stimmen der Soldaten verhallten auf kurze Entfernung. Nur weiter zurück, auf der Landstraße, hörte man hin und wieder den Hufschlag eines Ordonnanzpferdes oder das Rollen eines Trainwagens.

Oben auf dem Hünengrabe gruben drei Soldaten ein Grab für einen Kameraden, der mit zerrissener blutiger Stirn im hohen Ginster lag. Dabei stießen sie auf einige graue Urnen. Achtlos warfen sie die beiseite. Und als sie ihren Kameraden sanft und behutsam ins Grab gebettet hatten, da schaufelten sie die Scherben mit ins Grab zurück.

Tränenden Auges blieben sie noch eine Weile neben dem Grabe stehen. Ringsum am Himmel zuckten Blitze, der Nachtwind rauschte durch den Ginster, und der Regen wurde strömend.

*

Da der Tag graute, begann die Schlacht von neuem. Die Kolonnen wallten durch Nebel und Regen, trüb flammten hier und da Fanale auf, und Wald und Heide erbebten im Donner der Geschütze. Mitten in der brausenden Schlacht lag das Hünengrab – in Nebel und Pulverdampf gehüllt – stumm und schweigend.

*

Auch über dem neuen Grabe dort oben blühen Heide und Ginster schon viele Sommer lang. Und an heißen Sommertagen jubeln hoch darüber die Lerchen ihre Lieder wie vor Jahrtausenden.


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