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Die Polackenzeit und die Predigerqual.

Von Johannes Dose.

Was ist Friede? Zwar hatte der Stadtschreiber von Osnabrück auf der hohen Ratstreppe der atemlos lauschenden Menge endlich die westfälische Friedensbotschaft verlesen. Die cimbrischen Länder waren nicht verschont worden und hatten tief genug aus dem Elendskelche des dreißigjährigen Krieges trinken müssen. Aber erst zehn Jahre später haben sie ihren Kelch bis auf die Hefe geleert.

Die Furie war einmal entfesselt, und der Schwede fachte immer wieder die Fackel an, daß sie nicht gänzlich erlösche. Karl Gustav hielt ihr rotes Geleucht für das Glänzen seines Namens und Ruhmes. Was war ihm Friede? Die tatenlose, tote Ruhe, ein vergitterter Käfig, in dem er nicht zu leben vermochte. Lachend zerriß er die papiernen Traktate von Roeskilde, die er hatte schreiben lassen.

Blitzgleich und skrupellos war immer sein Handeln und unerhört sein Friedensbruch. Nachdem er in Kiel zu einer Lustreise, wie er äußerte, sich eingeschifft hatte, landete er plötzlich mit seinen Truppen auf Seeland und zog gegen Kopenhagen, das er einschloß und belagerte. Seinen Feldherrn, den Pfalzgrafen von Sulzbach, hatte er in Holstein zurückgelassen, um sich den Rücken zu decken. Dänemark schien verloren, aber die sich seine Freunde nannten, rückten in Haufen heran, 13 000 Brandenburger unter ihrem Kurfürsten, 10 000 Kaiserliche unter dem berühmten Montecuculi und 5000 Polen, von dem General Czernecki befehligt. Diese sogenannten alliierten Hilfsvölker erreichten Holstein im Herbst des Jahres 1658.

Gott behüte uns vor unsern Freunden und gebe uns gnädigen Beistand gegen solche Hilfe! Denn ihr Gedächtnis lebt als die böse Polackenzeit, und diese unsere Alliierten, insonderheit die Polen, haben er- und zerschlagen, was der Schwede heil und lebendig gelassen hatte im Lande.

Eleonore von Eisenberg hatte ihren einundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Sie schaute oft aus von den Höhen, welche die Stadt Hadersleben umgeben, mit bänglichem Blick. Stand jetzo das Nordlicht am südlichen Himmel? Denn fast jeden Abend brannte sein Firmament in greller Glut. Eleonore wußte wohl, was es sei, nämlich das Landsknecht- und Schwedenfeuer, das der Sulzbacher anzünden ließ. Die Städte und Dörfer Holsteins gingen in Flammen auf, nachdem die Gegend bis auf das letzte Getreidekorn ausgeplündert war. Man nannte dieses entsetzliche Kriegsmittel mit einem milden Wort: dem Feinde die Subsistenz abschneiden! und man verwandelte das hinter sich liegende Land in eine ausgebrannte Wüste. Nachdem solches geschehen, warf sich der Sulzbacher mit seinem Heere in die Marschen, die er unter Wasser setzen ließ, und die also eine natürliche Feste bildeten.

Des Landes Bundesgenossen und Hilfsvölker kamen, die Kaiserlichen und Kurfürstlichen, die Polacken und Kroaten, und wie die Heuschrecken warfen sie sich über die noch nicht verheerten Ämter Schleswigs. Der Brandenburger nahm sein Winterquartier in Flensburg, die Kaiserlichen blieben um Schleswig herum, und in Hadersleben sah man neue Kriegsgäste, die noch nie zuvor hier gesehen worden waren.

Die Polen waren da, schwarzhaarige und meistens gelblichschmutzige Gesellen mit wüsten Gesichtern und begehrlich funkelnden Augen, die Gemeinen in schlechte Schafpelze gekleidet und von Ungeziefer wimmelnd, die Offiziere aber mit gepicktem Schnurrbart, im stattlichen Schnürenrock und auf dem Haupte die hohe Pelzmütze mit der Agraffe, in der ein Federbusch stak. Es sollen viel schöne Leute unter den Offizieren gewesen sein.

War auch kein unstattlicher Mann, der Polackenobrist, mit dem der Bürgermeister Schröder zuerst Bekanntschaft machte, nannte sich Czernecki wie der General und war ein Vetter desselben. Dieser überbrachte dem Bürgermeister den ersten Gruß des Höchstkommandierenden, und derselbe lautete bündig: es seien alle zehn Tage 10 000 Pfund Fleisch, 18 000 Pfund Brot, 100 Tonnen Bier, 200 Wispel Hafer und 1000 Taler Servisgelder zu liefern.

Schröder verstand kein Wort Polnisch und schüttelte den Kopf. Aber der Befehl wurde ihm mit der lebhaft fuchtelnden Karbatsche verdeutscht und verdeutlicht.

Weil er aber in so schwerwiegender Sache nicht aus eigener Verantwortung handeln wollte, ließ er die kleine Glocke am Rathause ziehen, deren Schläge nach altem Herkommen die Ratsleute zusammenrief. Doch die Polen haben das Glockenzeichen mißverstanden und es für ein Sturmläuten gehalten, dadurch die Bürger zu den Waffen gerufen würden.

Der Oberst Czernecki stand sogleich vor dem Bürgermeister und schwang nicht mehr die Karbatsche sondern die blanke Klinge über seinem entsetzten Haupte. Zwar klärte das Mißverständnis sich auf. Aber die in ihren Quartieren alarmierten Polen waren wie ein aufgestörter Bienenschwarm, der nicht mehr zur Ruhe kommt. Aufgeregt schwärmten sie in kleinen Trupps durch die Straßen, steckten ihre Rüssel durch Haustüren, hinter denen sie Schätze witterten, und stachen auch unbesehens nach Leuten, die ihnen just in den Weg kamen.

Ein Haufe umstrich die hohe Marienkirche mit gierigem Gelüst und begann die Pforte zu zerschmettern. Solches sah in seinem Häuschen Hans Totengräber, der Alte, der auch Glöckner war, und sogleich kam er mit dem Schlüssel über den Kirchhof gerannt. Er tat es um der schöngeschnitzten Pforte willen. Sie öffneten und stießen ihn vor sich her. Nur das schlechte, zinnerne Gerät war auf dem Altare zurückgelassen worden, auch in der Gruft nur Moder und Totengebein und nichts, das ihrer Gier gefallen hätte.

An dem Greise ließen sie ihre Bosheit und Tücke aus und traktierten ihn übel mit Schaft und Spitze ihrer Piken, daß er floh – aber weil der Ausgang versperrt war – die Treppe zum Turme hinauf. Der engbrüstige Glöckner keuchte die vielen Stiegen empor, und die Verfolger waren ihm auf den Fersen.

Droben sah er in die Tiefe und über die Dächer der Stadt und taumelte. Aber die grinsenden Teufel wiesen mit dem Finger hinunter und sprachen: »Springe, springe!« Und er fühlte einen Stoß.

Sein Leib lag zerschmettert auf dem Kirchhofe, und der Sohn des Toten hob ihn auf und begrub ihn. Das war sein erstes Grab, nachdem er das Amt seines Vaters angetreten hatte, und er sprach einen knirschenden Fluch über dasselbe. Das Herabstürzen des Glöckners vom Turm ist der erste Mord, den die Polacken in Hadersleben begangen haben – aber nicht der letzte.

Im Pharmakopol Apotheke. lag ein Offizier im Quartier, der sich von Tetzki nannte aber ein besseres Deutsch sprach als der Konrektor Schriever. Er war ein schöner Mann, sehr dunkel von Haar und Augen mit festgeschnittenen Lippen, die unnötige Worte nicht zu lieben schienen. Sein Auftreten war gemessen wie eines hohen Herrn fast, und zum Apotheker sagte er mit kurzem Geheiß, was er wünsche für sich und seine Leute.

Eleonore kam mit der Magd, um den Tisch zu setzen. Er sah auf – dann erhob er sich unwillkürlich und verneigte sich. Sie klagte: »Wir haben kaum Raum mehr in der Küche vor den hungrig sich drängenden Gästen, und die Mägde fürchten sich vor den fremden Männern.« Er blieb ernst und inquirierte nach diesem und jenem. Dann erteilte er die Weisung, daß die Gemeinen in dem Hinterhause, wo eine Waschküche war, untergebracht würden.

Am Nachmittage, als Tetzki in seinem Zimmer ruhte, drang ein wilder Schwarm ins Haus und sogleich ins Pharmakopol, wo sie in die Büchsen die Nasen steckten, die Schubläden aufrissen und eine verschlossene Truhe erbrachen. Wie leblos sah Eisenberg diesem Unfuge zu und rührte nicht Fuß noch Mund. Ein Geselle griff nach der bauchigen Flasche im Fenster, die mit gefärbtem Wasser gefüllt war, zerschlug den Hals und tat einen sehr tiefen Zug. Es mochte ihm schlecht bekommen sein; denn er spie aus und fing mit erbarmungslosen Fäusten an, den Rücken des Apothekers zu bearbeiten. Dieser schrie gellend um Hilfe.

Eleonore erschien in der Tür, besann sich kaum sondern stürzte über den Flur und in Tetzkis Zimmer. »Herr Offizier! Helft! Marodeure plündern das Haus und spielen meinem Vater übel mit.«

Tetzki sprang empor, riß aus der Scheide, die an der Wand lehnte, den Säbel und fuhr unbeschuht und zornrot hinaus und unter den Haufen im Pharmakopol. Dem, der den Profoßen spielte, gab er ein Denkzeichen mit der flachen Klinge. Die anderen duckten sich und stoben wie ein verjagter Fliegenschwarm zur Tür hinaus.

Der Apotheker krümmte den wunden Rücken und dankte wehmütig und mit weinerlichen Worten: »Herr Hauptmann, Herr Hauptmann!«

»Ich bin kein Hauptmann,« kam es barsch.

»Ach, verleihet uns Euren gnädigen Schutz in diesen bösen Tagen! Die Marodeure und Mordsleute werden wiederkehren.«

Tetzki besann sich: »Ja, es könnte wohl geschehen, denn der Laden lockt ... sagt mir, Mann ... habt Ihr Geld?«

Noch mehr krümmte sich der Rücken: »Geld? Ich habe mir etliche Taler erspart, es sind nicht viele ... aber ich will Euch sie geben bis auf den letzten Heller, wenn Ihr mir Schutz geloben wollt.«

Ein verächtlich-hochmütiger Zug saß um den Mund, welcher antwortete: »Ich will nicht Euer Silber. Aber kauft Euch eine Salveguardie von dem General Czernecki und heftet den Schutzbrief an Eure Tür, dann werdet Ihr unbelästigt bleiben!«

Der Apotheker fragte vorsichtig: »Werden die Soldaten ein Papier an der Tür auch respektieren?«

Die Antwort lautete: »Das Gehängtwerden steht darauf! Diese Kerle fürchten zwar nichts, aber vor dem Gehängtwerden haben sie noch am meisten Respekt.«

Eisenberg befolgte den Rat und erkaufte sich um schweres Geld eine sogenannte Salveguardie mit des Generals Siegel und Unterschrift, die, an die Tür geschlagen, vor Plünderung schützte.

Für die Stadt Hadersleben waren die schwersten Zeiten ihrer Geschichte gekommen. Ein Schrecken war auf die Bewohner gefallen, und manche verkrochen sich in Backöfen und in die unglaublichsten Verstecke. Der Konrektor Schriever lag unter seiner Bettstatt drei Tage und drei Nächte wie ein Toter. Hab und Gut ließ man gern fahren, und wo es bei Stößen und Striemen blieb, murrte man nicht. Zuweilen griffen auch menschlich gesinnte Offiziere ein und hinderten das Ärgste; denn der gemeine Pole stand auf so niedriger Menschheitsstufe, daß er zur Bestie nicht weit hatte. Wehe den einsam gelegenen Wohnungen und insonderheit den Weibern, die sie aufgegriffen und in ihre Quartiere mitgeschleppt haben sollen.

Am äußersten Westende der Stadt lag einsam auf dem Felde die Pastorei des Althaderslebener Kirchspiels. Der verständige Pastor Hoyer hatte rechtzeitig seine beste Habe in der Erde versteckt, wohin keines Spürers Hand noch Verstand zu reichen vermochte.

Schon dämmerte der Oktobertag. Er saß mit seinen Kindern in der großen Stube und las laut aus der Heiligen Schrift. Ihnen war noch keiner ins Quartier gekommen, als sei das von Bäumen dicht umschlossene Gehöft nicht gesehen worden.

Aber mitten im Worte brach der Pastor ab und sprang auf die Füße – »Sie kommen!« – und sogleich hörte man Zischlaute einer Sprache, die man nicht verstand. Stracks lief Elisabeth, wie vorher verabredet worden war, nach hinten hinaus und kroch durch ein in die Mauer gebrochenes Loch, das nur bei genauer Untersuchung gefunden werden konnte, in den Backofen hinein, dessen Eingang der Bruder mit Sand und Steinen angefüllt hatte, als wäre er verschüttet.

»Immer fein stille das Blut und die Zunge!« ermahnte der Vater den Sohn.

Ein Dutzend Männer, wahre Galgengesichter, füllten die Stube. Sogleich erbrachen sie alle Gelasse und fanden wenig. Einer zog das im Wandschranke hängende Predigergewand unter wieherndem Gelächter der anderen an, dann schnitt er die untere Hälfte mit dem Messer fort und behielt die obere als zweites Wams.

Nach einigen eingestreuten Rippenstößen drangen sie mit zornigem Kauderwelsch auf den Pastor ein. Man machte Zeichen und wies eine blaßrote Münze.

Hoyer antwortete durch Kopfschütteln, daß er kein Silber habe.

Der Greuel begann, und sie ergriffen den wehrlosen Mann. Des Sohnes Sinn wallte auf, und er sprang zu Hilfe. Aber flugs faßten sie ihn, schnürten ihm die Hände mit Stricken zusammen und hängten ihn an einem Krahne des Deckbalkens auf, also daß seine Zehen kaum den Fußboden berührten. In dieser qualvollen Stellung verharrte er und war Zeuge, wie sein Vater tortiert wurde.

Man gab diesem das erste Stück, den sogenannten Schwedentrunk von ekelhafter Jauche. Er ertrug es standhaft und auch die zweite, schlimmere Marter: spitze Holzpflöcke trieben sie ihm zwischen Nägel und Fleisch der Finger. Da sank sein Haupt, und Ohnmacht umfing ihn.

Die Unmenschen holten einen Genossen von draußen, ein gelbliches Männchen mit häßlich stechenden Augen unter dem breitkrempigen Hut – und um seinen Leib schlotterte eine schwarze Soutane. Offenbar ein Polenpriester oder Pater.

Hans Hoyer schrie: »Ihr, der Ihr ein Diener des Barmherzigen seid, werdet meinen Vater aus diesen Mörderhänden erlösen!«

Der in der Soutane aber war als Dolmetscher gerufen worden; denn er trat vor den Pastor Hoyer hin, der die Augen aufschlug, und verhörte ihn in lateinischer Sprache. Ob er Schmerzen habe? Ob er von der Tortur frei sein wolle?

Hoyer sah ihn an mit den flehenden Augen der gepeinigten Kreatur. Lauernd kam die dritte Frage: Ubi est pecunia tua? Wo er sein Geld versteckt habe. Er habe keins, und was er habe, gehöre dem Kirchspiel, war die Antwort. Das gelbliche Gesicht verzerrte sich, und der Priester sprudelte immer heftiger lateinische Rede und polnische Verwünschungen hervor. Aber Hoyher war ein harter Mann in dem, was seine Pflicht ihm gebot.

Da wußte der Priester sich nicht mehr vor Wut zu lassen und kreischte mit höllisch stechenden Augen: »Bluthund, Bluthund! Du widerborstiger Ketzer! Warte, wir wollen dir die letzte Ölung geben!«

Die Bluthunde und Mörder fielen über den mißhandelten Mann her, und unter den Streichen ihrer Partisanen gab er seinen Geist auf.

Der Sohn riß an seinen Stricken, daß sie wie Messer in sein Fleisch schnitten und das Blut hervorsprang.

O, was mußten seine Augen sehen! Und was sie schauten, kann keine Zunge sagen. Die Bestie war entfesselt, und die Polen trieben ihr Gespött und verstümmelten den Toten.

Als Hans Hoyer die Schändung der Leiche seines Vaters sah, kam es über ihn wie Berserkergrimm und -gewalt. In der Stärke Simsons zerriß er die Fesseln. Dem nächsten entriß er die Partisane, zwei stürzten unter seinen Hieben, auch den in der Soutane durchstach er von hinten bis vorne, ließ die Waffe in ihm stecken und floh. Schreiend rannten sie ihm nach. Er aber war flinker und kannte das Feld. Im Schilf des Landsees, der sich hinter der Stadt erstreckt, verbarg er sich und stand bis an die Hüften in dem kalten Wasser, bis die Sterne und der Nachtfrost und die Mitternacht kam.

In der ganzen Stadt und Umgebung fahndeten sie auf ihn. Er verließ sein Versteck und umschlich behutsam das Haus. Alles still und grausig! Der Tote lag noch, wo sie ihn erschlagen hatten. Auf den schmerzenden Armen trug er ihn in den Garten hinab und grub ein Grab, darein er seinen Vater bettete. Seine Lippen murmelten ein Gebet – und dann einen Racheschwur.

Im Backhause legte er sein Ohr an die Öffnung und rief leise: »Elisabeth!« Sie kam hervor, mehr tot als lebendig, und sank in seine Arme. Er verschwieg ihr den Tod des Vaters und führte sie hinweg. Der Garten stieß an den See, und auf dem Wasser lag ein Kahn, den sie bestiegen. Mit unhörbaren Ruderschlägen trieb er ihn bis an die Süderbrücke, wo See und Föhrde zusammenstoßen.

Durch die Straßen wagten sie nicht, ihren Weg zu nehmen. Darum spähte er am jenseitigen Wasserrande entlang, bis er ein Boot fand. Am Garten des Eisenbergschen Hauses landeten sie und gelangten in den Hof. Zum Glück schliefen die Polen im Hinterhaus, aber zum Unglück war die Haustür verschlossen. Elisabeth aber kannte das Fenster im Oberstock, der Bruder holte Kies aus dem Garten und schleuderte mehrere Handvoll gegen die Scheiben.

Endlich öffnete sich ein Fensterspalt: »Was ist?« Das war Eleonores Stimme. Ein kurzes Flüstern ging hinauf und hinunter, dann ward der Riegel zurückgeschoben, und Eleonore zog sie ins Haus und weiter in den dunklen Flur hinein. Sie war noch im Nachtgewande und solches der Grund, warum sie kein Licht angezündet hatte.

Hans Hoyer schnitt ihre Frage ab: »Wollt Ihr ein gutes Werk tun und meine Schwester beherbergen? ... sie ist krank und bedarf der Ruhe.«

Sogleich legte Eleonore die Arme um Lieschens zitternde Gestalt, führte sie in ihre Kammer und bettete sie in ihrem eigenen Bette.

Nach einer Weile kehrte sie zurück, angekleidet und mit einem Licht in der Hand. Als sie in das Gesicht des Mannes blickte, der an der Wand lehnte, schrie sie: »Hans Hoyer, ich lese ein Schrecknis in Euren Zügen ...«

Er erzählte es mit fliegendem Atem, und in der Erregung wurden ihre Stimmen lauter. »Noch in dieser Nacht will ich fliehen und im Schwedenheere Dienste nehmen ... Fluch den Polen! Ich will sie mit Lust erschlagen wie die Wölfe und des Waldes Raubgesindel.«

»Nein, Hans!« erwiderte sie, »nicht diese Nacht und nicht morgen noch übermorgen! Alle Wege und Dörfer bis in Jütland hinein sind voll von ihren Truppen. Ihr seid ein großer und leicht kenntlicher Mann; man fahndet auf Euch, weil Ihr einen Polenpriester erschlagen habt, und Ihr werdet in ihre Hände fallen.«

Er widersprach. Eleonore von Eisenberg aber faßte ihn am Arme: »Ihr sollt nicht Rad und Galgen leiden, Hans! Dessen seid Ihr zu wert, und ich will es nicht. Folget mir! In unserm Keller ist ein Raum, den nur vier Augen gesehen haben. Dort seid Ihr sicher, und den Ort werdet Ihr nicht verlassen, ehe denn das Polackenvolk sich verzogen hat. Ich will Euch Decken und Speise bringen. Folget mir!«

Da ließ er sich von ihrer Hand hinwegführen wie ein Kind. In den Keller stiegen sie selbander. Am Verschluß der Mauer drückte sie, die Wand bewegte sich, und der unterirdische Gang tat sich auf. Hier lagen noch die Weinfässer und Vorräte aufgespeichert. Zwischen ihnen bereitete sie ihm ein Lager. Dann holte sie aus der Küche einen Zinnteller mit Fleisch und Brot und zeigte auf ein Faß, darin ein Zapfen stak.

Hans brachte nur ein Wort über die Lippen, das lautete: »Eleonore!« Und er sah zu ihr empor mit dem dankerfüllten Blicke eines Menschen, der hinaufschaut zu dem Gotte, der Engel sendet und sichtbar werden läßt. Als sie gegangen war und er das Licht gelöscht hatte, saß er in der düstern Gruft und konnte nicht schlafen; denn er dachte an den, der unter der Erde lag. Wehevoll war sein Herz, und er weinte. Aber der Gedanke an Eleonore umfing ihn wie ein sanfter Trost.

Aus: Johannes Dose, Frau Treue.
(Schwerin, Friedr. Bahn.)


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