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Von Georg Asmussen.
Der Frühling hat in Angeln seinen Einzug gehalten. In den Gärten stecken die Kartoffeln ihre ersten grünen Blätter aus der grauen Erde, die Erbsen klettern in langen Reihen am Strauchwerk empor, auf den Beeten blühen Herzblumen, Akelei und Tulpen, auf den Wällen Syringen und Goldregen. Was ist das für eine Pracht und für ein Duft! Die Kastanienbäume haben Tausende von rötlich-weißen Kerzen aufgesetzt, und in allen Blüten summen und brummen fleißige Bienen. Auf dem Teiche schwimmen die Enten umher: die Alte mit ihren Küchlein, sie schnabbeln und schnalzen im grünen Entenflott. Der Enterich führt seiner Schar Taucherkunststücke vor; wenn er wieder mit dem Kopf nach oben kommt, macht er einen Heidenlärm. Er freut sich der Kinderschar und des Frühlings; im übrigen handelt er nach dem bekannten, echt menschlichen Spruch: Selber essen macht fett! Sein großer Vetter, Herr »Gander«, nimmt es ernster mit seinen Vaterpflichten, er hat auch besser das Zeug dazu. Während seine gelbwolligen Kinder sich am frischen, jungen Gras am Teichrande laben, späht er argwöhnisch umher. Wehe dem barbeinigen Bübchen, das sich naht! Jetzt reckt er den Hals steifweg nach vorn, zischt in gewaltigem Grimm und geht zum Angriff auf den vermeintlichen Feind vor. »Laat mi gahn, ick doh di nix«, fängt dieser an zu parlamentieren und bleibt stehen. Herr Gander bleibt auch stehen und macht den Hals etwas krummer. Das nennt man Waffenstillstand. Der Junge meint aber, der Friede sei schon gemacht, und schickt sich an, mit vorsichtigen Schritten im weiten Bogen den Wegelagerer zu umgehen. Sofort macht Herr Gander einen Vorstoß, sein wütendes Geschrei ruft nun Frau Goos heran. Sie geht auch mit gesenkten Flügeln auf den Feind los. Das Büblein retiriert schleunigst; die beiden Sieger stecken die Köpfe zusammen, schlagen mit den Flügeln und stoßen ein schmetterndes Triumphgeschrei aus.
Mit gleichmäßigen, schweren Schritten kommt eine alte Frau gegangen. »Gaht los!« sagt sie ärgerlich, als die rotschnäbeligen Raufbolde nach ihrem Rock herauffassen. – »Töw, du Racker!« Damit packt sie mit raschem, festem Griff Herrn Gander am Hals und schmeißt ihn in den Graben. »Jungens möt nich so bangbücksig wäsen,« sagt Mutter Thordsen und geht weiter ihres Weges. Der Junge hört es kaum noch; unter seinen plattbloßen Füßen wirbeln Staubwolken auf, so schnell verschwindet er. Die Gänse stecken wieder die Köpfe zusammen und beschnattern den Fall; Herr Gander beschönigt seine Niederlage; seine Frau ist anfangs sehr entrüstet, beruhigt sich aber bald. Die Kinder piepsen dazwischen und hocken sich dann am Teichrande zu einem gelblichen Knäuel zusammen. Still und friedlich ist es wieder auf der Dorfstraße. –
Von dem weißgestrichenen Heck aus, an der anderen Seite des Weges, hat man einen herrlichen Überblick über die Gegend. Nicht jedem gab der liebe Gott die richtigen Brillengläser, die Wunder zu sehen, die er ausstreut über Felder und Wiesen. Die leichtlebige Jugend pflegt weitsichtig darüber hinweg zu blicken; sie meint, es seien ganz gewöhnliche Dinge, und es sei jedes Jahr dasselbe. Sie sieht Gutes und Nützliches, wie Gras und Korn, Schlechtes oder Unnützliches, wie Disteln, Klint und Quecke; sie glaubt, es müsse alles so sein, wie es nun einmal ist, und etwas besonders Schönes sei nicht zu finden in einem Lande voller Korn und Graskoppeln, Strohdächer und Knicks. Dem Alter aber, dem der Herrgott so manches nimmt, gibt er dafür etwas anderes: er schärft den Blick, er macht das Herz empfänglicher und dankbarer für alle Pracht und Herrlichkeit, die er über Tal und Höhen, über Moor und Heide ausbreitet.
Wie ein großer Garten liegt im Frühling und im Sommer das Land Angeln vor uns. Kreuz und quer durchschneiden buschbewachsene Knicks das Gelände. Eigenartige Gärtner müssen es gewesen sein, die einst dies alles anlegten. Jedenfalls sind heute die Gründe nicht mehr erkennbar, die unsere Voreltern veranlaßten, hier im schwungvollen Bogen und dort im Zickzack den Wall um die dunkelgrünen Roggenkoppeln zu führen. Sie wollten uns wohl etwas zu raten aufgeben. – Alle diese Hasel- und Weiden-, die Hainbuchen-, Erlen- und Kreuzdornhecken laufen kreuz und quer durcheinander, und was sie einschließen, sind unregelmäßige Figuren mit spitzen und stumpfen Winkeln, mit Kurven und Kreisbogen. Jede aber von ihnen präsentiert sich in besonderen Farben. Rot und grün gesprenkelt liegt das Kleefeld, umrahmt von blühendem Weißdorn; rötlich-weiß steht der Buchweizen; grün, mit einem Schimmer von Gold, das Sommerkorn. Wenn der Bauer das sieht, wird er mißvergnügt, denn der Ackersenf nimmt seinem Hafer die beste Kraft und trotzt allen Angriffen. Es ist, als wenn »der böse Feind« ihn über Nacht gesät hätte. Wie lacht er aber übers ganze Gesicht, wenn sein Blick auf das Rapsaatfeld fällt, das in goldigem Glanze weithin leuchtet! Wenn der Raps in die Säcke kommt, und wenn die Preise bis dahin nicht fallen, dann füllt sich die Schublade der alten Schatulle mit preußischen Talern! – Und der schmale Streifen Flachs leuchtet so blau wie der Himmel da droben; die Bauerfrau läßt seine zarten Stengel durch die Finger gleiten, und ihre Augen leuchten auf, wenn er hübsch dicht steht und recht lang ist. Wie eben und fein wird sie ihn im Winter ausspinnen, wenn sie ihn erst auf dem Wocken hat!
Wenn man endlich von all dem Sehen müde wird, dann legt man sich am Grabenrand ins hohe, weiche Gras und blickt hinauf in das grüne Dach des Knicks und in die weißen Wolken, die zwischen den Blättern hervorleuchten. Wie liegt man da schön! Der Hänfling, der im dichten Schwarzdorn sein Nest hat, singt sein schönstes Liebeslied, ein ganz altes ist es, aber kein moderner Erotiker kann's besser. Die Goldammer hat in dieser Zeit den schönsten gelben Brustlatz vorgebunden, und sie ruft so ganz anders ihr »leck, leck schie!«, als wenn sie im Winterschnee scheu den Hühnern die Körner stehlen muß. Jetzt ist der Tisch ihr überall gedeckt.
In den Lüften summt und surrt und klingt es, als wenn in der Ferne oder im hohen Himmel Streichmusik gemacht würde; das sind die Bienen und Hummeln, die über uns hinweg mit leichtem Flug ins Feld ziehen und schwer beladen heimkehren. Sieh, da setzt sich eine auf die Brombeerblüte am Wall; sie ist müde, aber die dicken, gelben Höschen, die sie aus der Rapsaatkoppel holte, sind noch nicht schwer genug! Sie nascht hier vom Löwenzahn und von der Taubnessel, sie setzt sich dort auf den nickenden Kelch des Hahnenfuß – fort ist sie wieder!
Hoch über uns in der blauen Luft wirbeln schwarze Pünktchen hin und her, sie tummeln sich im Kreise und tanzen in der Sonne. Eine Schwalbe schießt in pfeilschnellem Fluge durch die lustige Gesellschaft und hascht spielend ihre Beute: »Kwiwitt! Kwiwitt!« Noch eine und noch eine. Sie macht gute Geschäfte.
Der Maisebber am Buchenbusch fürchtet die Schwalben nicht; die Sonne scheint ihm so warm aufs braune Rückendach, daß auch er Lust zum Auffliegen bekommt, obgleich er gestern abend bis Mitternacht in lauer Luft geschwärmt und geliebt hat. Er pumpt und pumpt mit den Flügeldecken eine ganze Weile, er spreizt die Fächer an seinen Fühlern, so weit er kann. – Burr – nun geht er ab und sucht sich eine andere Frau. – Ganze Schwärme von Kohlweißlingen und Pfauenaugen tummeln sich auf den Schafgarben und den roten Distelköpfen am Wege, sie hängen oben an den leuchtenden Kelchen der wilden Rosen, die zwischen den Haselsträuchern hervorlugen, sie gaukeln und schweben so leicht und lustig in den Lüften! – Unsere Blicke und Wünsche und Gedanken folgen ihnen ins Weite, ins Blaue, in die Unendlichkeit.
Aus: Georg Asmussen, Stürme. (Dresden, Carl Reißner.)