Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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97. Novelle
Der übergelaufene Topf

Jüngst hatte sich eine Gesellschaft guter Genossen zusammengefunden, die sich's in der Schenke wohl sein ließen und tapfer zechten, und als sie getrunken und gegessen hatten, daß die meisten trunken waren, sagten die einen, nachdem sie ihre Zeche zusammengerechnet und bezahlt hatten: »Wie werden uns unsere Frauen festlich empfangen, wenn wir nach Hause kommen! Gott weiß, ob wir nicht exkommuniziert werden, wir werden allerhand zu hören bekommen!«

»Ich habe Angst, bei der Mutter Gottes«, erklärte der eine, »nach Haus zu gehen.«

»So wahr mir Gott helfe«, meinte der andre, »ich auch. Ich weiß ganz genau, daß ich die ganze Leidensgeschichte zu hören kriege. Wollte Gott, meine Frau wäre stumm. Da würde ich viel wackerer zechen als jetzt.«

So sprachen sie allesamt, nur einer von ihnen, ein guter Geselle, meinte: »Wie, ihr lieben Herrn, ihr seid so unglücklich und habt Frauen, die euch schelten, wenn ihr in die Schenke geht, und so unglücklich darüber sind, daß ihr trinkt? Meiner Seel, die meine ist, Gott sei Dank, nicht so. Ihr könnt mir's glauben, daß sie über mein Trinken nicht ein Wörtchen verliert. Ja, selbst wenn ich zehn-, meinetwegen hundertmal am Tag trinken würde, hätte sie nichts dagegen, kurz, ich trinke nicht die Hälfte von dem, was sie mir gönnt. Denn wenn ich aus der Schenke komme, wünscht sie mir immer den Rest der Tonne in den Bauch und die Tonne dazu. Das beweist doch deutlich genug, daß ich nach ihrem Geschmack nicht genug trinke.«

Als seine Gefährten diese Schlußfolgerung hörten, lachten sie und lobten höchlichst seine Anschauung, und dann brachen sie alle auf, um heimzugehen. Unser guter Gesell, der eben gesprochen hatte, kam heim und fand seine wenig friedfertige Ehehälfte vollkommen gerüstet, ihn zu schmähen. Von weitem schon, sobald sie seiner nur ansichtig ward, begann sie mit ihrer gewöhnlichen Predigt, und zum Schluß wünschte sie ihm wie gewöhnlich den Rest des Weins in der Tonne in den Bauch. »Dank Euch, liebe Freundin«, versetzte er, »Ihr benehmt Euch doch besser als die andern Frauen in dieser Stadt. Die geraten darüber, daß ihre Männer wacker zechen, in Wut, Ihr aber, was Gott Euch vergelte, wünscht, ich soll immer und ewig trinken.«

»Ich weiß nicht«, entgegnete sie, »was ich wünschte, wenn nicht, daß ich Gott bitte, Ihr solltet eines Tages so viel trinken, daß Ihr platzt.«

Während sie so freundlich, wie ihr hört, miteinander sprachen, begann die Suppe im Topf, der auf dem Feuer stand, ob der allzu großen Hitze überzulaufen. Als der gute Mann sah, daß seine Frau den Topf nicht fortnahm, fragte er: »Seht Ihr denn nicht, Frau, daß die Suppe überläuft?«

Sie hatte sich noch nicht beruhigt und erwiderte. »Gewiß, Herr, ich sehe es sehr wohl!«

»Nun, dann nehmt ihn doch, zum Teufel, hoch.« [Das Wortspiel mit hausser, das hochnehmen und (bei Preisen) erhöhen heißt, läßt sich nur unvollkommen wiedergeben.]

»Das will ich«, versetzte sie, »ich werde ihn hochnehmen, und zwar auf zwölf Pfennige!«

»Ist das die Antwort, Dame?« fragte er. »Nehmt den Topf hoch, bei Gott!«

»Nun schön, dann will ich ihn noch höher nehmen,er kostet sieben Sous, ist das hoch genug?«

»Wie? Was?« rief er. »Bei Sankt Johann, dieser Handel soll nicht ohne drei Stockschläge abgehen!« Und er nahm einen dicken Stock und hieb aus aller Kraft auf den Rücken der Demoiselle ein mit den Worten: »Dieser Handel soll Euch schon vergehen.« Und sie begann Lärm zu schlagen, daß alle Nachbarn herbeiliefen und fragten, was es gäbe. Und der gute Mann erzählte, wie die Geschichte gewesen war, und sie lachten herzlich über diejenige, welcher der Handel vergehen sollte.

 


 


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