Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
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79. Novelle
Der wiedergefundene Esel

Im guten Lande Bourbon, wo man gern gute Werke verrichtet, lebte jüngst ein Arzt, und Gott weiß, was für einer; Hippokrates und Galen übten ihre Kunst niemals so aus wie er, denn anstatt Sirup, Tränkchen, Pulver, Latwergen und hunderttausend andern Dingen, die die Ärzte zur Erhaltung und Wiedererlangung der Gesundheit verordnen, wandte er nur ein Mittel an, nämlich Klistiere. Mochte die Krankheit sein, wie sie wollte, stets ließ er Klistiere geben, und immer glückte es ihm bei seinen Patienten so gut, daß sie alle mit ihm zufrieden waren und er gar manch einen heilte. Sein Ruf wuchs und ward so groß, daß man ihn überall hinrief, zu den Fürsten und Herren wie in die großen Abteien und guten Städte. Und niemals stand weder Aristoteles noch Galen in solchem Ansehen, besonders bei dem gemeinen Volk, wie dieser genannte gute Herr. Und sein Ruhm war so weit verbreitet, daß man sich in jeder Sache an ihn wandte, und er ward mit allen Zungen des Lobes gepriesen.

Wenn eine Frau einen rohen, schlechten und bösen Mann hatte, wandte sie sich um Hilfe an diesen guten Meister. Kurz, unser guter Meister stand im Ruf, für alles mögliche Rat zu wissen. Eines Tages hatte ein guter, einfältiger Bauer seinen Esel verloren, und nachdem er lange nach ihm gesucht, kam er auf den Gedanken, sich an diesen so weisen Meister zu wenden; und wie er zu ihm kam, fand er ihn von so viel Leuten umgeben, daß er nicht wußte, auf wen er zuerst hören sollte. Trotzdem bahnte sich der gute Mann einen Weg durch die Menge und erzählte dem Meister seine Geschichte, obgleich sich dieser mit mehreren andern Leuten unterhielt, nämlich, er habe seinen Esel verloren und bitte ihn um Gottes willen, ihm irgend etwas zu verschreiben, wodurch er ihn wiederfinden könnte. Der Meister hörte mehr auf die andern als auf ihn und wandte sich, als er zu Ende gesprochen, wovon er nichts gehört hatte, zu ihm in der Meinung, er litte an einer Verstopfung, und sagte, um ihn loszuwerden, zu seinen Leuten: »Gebt ihm ein Klistier!« Und danach wandte er sich wieder zu den andern.

Der gute, einfältige Mensch, der seinen Esel verloren und nicht verstanden hatte, was der Meister sagte, ward von den Leuten des Meisters gepackt, die sofort, wie ihnen befohlen, ihm ein Klistier verabreichten, worüber er sehr erstaunt war, da er nicht wußte, was das war. Als er das Klistier empfangen hatte, machte er sich auf und ging davon, ohne weiter den Esel zu suchen, glaubte er doch, durch dies Mittel ihn wiederzufinden. Er war noch nicht weit gekommen, da biß und kniff es ihm im Bauch derart, daß er gezwungen ward, in eine alte, verfallene Hütte zu treten, um dem Klistier freien Lauf zu lassen. Und dabei machte er solch einen Lärm, daß des armen Mannes Esel, der ganz in der Nähe weilte, wohin er zufällig auf seinen Irrwegen gekommen, laut zu schreien begann. Und der gute Mann erhob sich, sang ein Tedeum und kam zu seinem Esel, den er durch das Klistier, das ihm der Meister hatte geben lassen, entdeckt und gefunden zu haben glaubte; und der Ruhm des Meisters stieg jetzt noch mehr ins Ungemessene. Wer irgend etwas verlor, wandte sich an ihn, den in allen Wissenschaften bewanderten Doktor, als den wahren Helfer, und dieser ganze Ruhm schrieb sich von dem einzigen Klistier her. So, wie ihr gehört habt, ward der Esel durch ein Klistier gefunden, was auch sehr wahrscheinlich ist und oft vorkommt.

 


 


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