Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Im Königreich England haben sich viele stolze und mühselige Abenteuer zugetragen und sind zu Ende geführt worden; die Wiedererzählung der meisten würde nicht in den Rahmen dieser Sammlung passen, doch diese Geschichte hier soll den Plan weiterführen und die Zahl dieser Erzählungen vermehren und Erwähnung tun, wie ein großer Herr des Königreichs England, hochgeboren, reich, mächtig und stolz, vollkommenes Vertrauen, Zuneigung und Liebe einem jungen, freundlichen, schmucken Mann, der zu den Dienern seines Hauses gehörte, aus vielen Gründen, so wegen seiner Treue, seines Eifers, seines Scharfsinns und seiner Klugheit, schenkte. Und wegen der guten Eigenschaften, die er an ihm gefunden hatte, verheimlichte er ihm nichts von seinen Liebschaften, und in der Folge spielte der schmucke Mann, um sich noch besser in der Gunst seines Herrn zu behaupten, bei den meisten Liebeshändeln den Vermittler, solange sein Herr noch unverheiratet war.
Eine gewisse Zeit nachher geschah's, daß auf den Rat vieler seiner Verwandten, Freunde und Gönner hin der gnädige Herr sich mit einer sehr schönen, guten und reichen Dame vermählte, worüber viele Leute sehr erfreut waren; und unter andern war auch unser schmucker Mann, der wohl sich seinen Liebling nennen konnte, nicht wenig erfreut; sagte er sich doch, es sei zum Vorteil und zur Ehre seines Herrn und werde diesen nun von vielen kleinen, törichten Streichen abhalten, worauf er allzu große Hoffnungen setzte.
So erklärte er eines Tags dem gnädigen Herrn, er sei sehr froh darüber, daß er eine so schöne und gute Dame geheiratet habe, denn nun werde er nicht mehr bald hier, bald da für ihn wie sonst den Vermittler zu spielen brauchen. Darauf erwiderte der gnädige Herr, daß er trotzdem nicht von seinen Liebschaften zu lassen beabsichtige, und wenn er auch verheiratet sei, so sei er doch nicht der freundlichen Vermittlerrolle bei seinen Liebschaften enthoben, im Gegenteil, er wolle sich seiner Dienste noch in höherem Grade bedienen.
Sein Liebling, nicht mit diesem Wunsch zufrieden, antwortete ihm, daß sein Dienst in Liebesangelegenheiten wohl beendet sein müsse, da ihn seine Liebeshändel von der unvergleichlichen, schönsten, klügsten, treuesten, besten Frau abziehen würden. »Tut«, erklärte er, »gnädiger Herr, alles, was Euch beliebt, denn ich meinerseits werde keiner andern Frau jemals zum Schaden meiner Herrin Botschaft bringen!«
»Ich weiß nicht, welchen Schaden Ihr meint«, erwiderte der Herr, »doch müßt Ihr Euch sehr wohl wieder auf den Weg machen und zu der und der und jener gehen, um die ich mich allzu lange nicht gekümmert habe. Und denkt nicht, daß ich mich weniger um sie kümmere, als da ich Euch das erstemal davon sprach!«
»Ach, Teufel, gnädiger Herr«, sagte der Liebling, »ich kann mich nicht genug über Euer Vorhaben wundern; man muß sagen, daß es Euch Vergnügen macht, Frauen zu betrügen, was meiner Seel nicht wohlgetan ist, denn Ihr wißt besser als jeder andere, daß alle, die ihr mir genannt habt, weder an Schönheit noch sonst mit Madame zu vergleichen sind, der Ihr tödlichen Kummer bereiten würdet, wenn sie von Eurem zuchtlosen Gelüst erführe. Und außerdem, müßt Ihr wissen, schädigt Ihr dadurch Eure Seele.«
»Hör auf mit deiner Predigt!« rief der gnädige Herr, »und richte aus, was ich dir befehle!«
»Verzeiht mir, gnädiger Herr«, erwiderte der Liebling, »kurz gesagt, ich wollte lieber sterben, als daß durch mich Kummer oder Zank zwischen Madame und Euch entstünde und Ihr den ewigen Tod davon hättet. Daher bitte ich, laßt mich in Frieden, denn ich werde nichts mehr dergleichen tun!«
Als der gnädige Herr seinen Liebling eigensinnig auf seiner Meinung bestehen sah, drang er für diesmal nicht mehr in ihn. Doch nach drei oder vier Tagen fragte er, ohne der voraufgegangenen Worte Erwähnung zu tun, unter anderm seinen Liebling, welche Speise er am liebsten habe. Und er antwortete ihm, er esse nichts so gern wie Aalpasteten.
»Sankt Johann, das ist ein gutes Essen«, erklärte der gnädige Herr, »Ihr habt nicht schlecht gewählt!«
Danach zieht sich der gnädige Herr zurück, läßt seine Haushofmeister zu sich kommen und befiehlt ihnen nachdrücklich, seinem Liebling nichts anderes als Aalpasteten vorzusetzen, was er auch sage. Und sie antworteten durch das Versprechen, seinen Befehl zu erfüllen, was sie auch sehr wohl taten; denn wie der Liebling sich an den Tisch setzte, um in seinem Zimmer zu essen, am selben Tage, da der Herr es befohlen hatte, brachten ihm seine Leute eine reichliche Portion schöner und großer Aalpasteten, die man ihnen in der Küche übergeben hatte. Er war darüber sehr erfreut und aß davon, soviel er Lust hatte. Am nächsten Tag war es ebenso, und die nächsten fünf oder sechs Tage kamen immer wieder diese Pasteten auf den Tisch. Er war darüber schon ganz ärgerlich, daher fragte er seine Leute, ob man drinnen nur Pasteten esse.
»Meiner Treu, gnädiger Herr«, erwiderten sie, »man gibt Euch nichts anderes, wir sehen sehr wohl im Saal und sonst andere Speisen auftragen, doch für Euch gibt's nur Pasteten.« Der kluge, vorsichtige Liebling, der nie ohne schwerwiegenden Grund aus seinem Mund eine Klage äußerte, ließ noch mehrere Tage verstreichen und aß diese schrecklichen Pasteten, womit er nicht sehr zufrieden war.
Da kam ihm eines Tages der Einfall, mit den Haushofmeistern essen zu gehen, doch sie ließen wie vorher Aalpasteten auftragen. Und als er das sah, konnte er sich nicht enthalten, nach dem Grund zu fragen, warum man ihm mehr Aalpasteten als den andern vorsetze und ob er genudelt werden solle. »Bei Gottes Tod«, rief er, »ich bin ihrer schon von ganzem Herzen überdrüssig. Ich glaube nur noch Pasteten zu sehen. Ich will es euch nur sagen, es ist nicht recht, ihr habt mir's schon allzu lange getrieben. Schon länger als einen Monat spielt ihr mir diesen Streich, und ich bin schon so mager, daß ich keine Kraft noch Stärke mehr habe, und kann wahrlich nicht mit dieser Behandlung zufrieden sein!«
Die Haushofmeister erklärten ihm, daß sie wahrhaftig nur täten, was der gnädige Herr befohlen habe und daß sie keine Schuld daran trügen.
Unser mit Pasteten vollgestopfter Liebling trug seinen Gedanken nicht lange mit sich herum, ohne ihn dem gnädigen Herrn zu entdecken, und fragte ihn, weshalb er ihm so lange hätte Aalpasteten vorsetzen lassen und verboten, wie die Haushofmeister sagten, ihm irgend etwas anderes aufzutragen.
Und der gnädige Herr sagte ihm als Antwort: »Hast du mir nicht erklärt, daß die Speise, die du in dieser Welt am liebsten hast, Aalpasteten sind?«
»Bei Sankt Johann, ja, gnädiger Herr!« erwiderte der Liebling.
»Worüber beklagst du dich denn?« fragte der gnädige Herr, »ich habe dir das, was du gern hast, geben lassen.«
»O weh, die Sache ist so«, meinte der Liebling. »Ich habe wirklich Aalpasteten sehr gern, einmal, zweimal, dreimal oder von Zeit zu Zeit, und ziehe ihnen keine Speise vor. Aber sagen, ich wollte sie immer haben, ohne etwas andres zu essen, bei der Mutter Gottes, das würde ich nicht tun. Es gibt keinen Menschen, dem das nicht zuwider wäre. Mein Magen ist ihrer bereits so überdrüssig, daß er, sobald er sie merkt, schon genug davon hat. Um Gottes willen, gnädiger Herr, befehlt, man soll mir andere Speisen geben, damit mein Appetit wiederkommt, sonst bin ich ein verlorener Mann!«
»Ah Teufel!« sagte der gnädige Herr, »und ich soll's nicht sein, meinst du; du willst ja, ich soll mir's am Fleisch meiner Frau genug sein lassen, du kannst meiner Seel dir doch denken, daß ich davon ebenso genug habe wie du von den Pasteten und daß ich mich ebenso mit einer andern gern auffrischen würde, obwohl ich nichts so sehr wie sie liebe, wie du nach anderer Speise verlangst, obwohl du Pasteten so gern ißt. Und um es kurz zu machen, du sollst nicht eher etwas anderes zu essen bekommen, als bis du mir wie sonst dienst und mir die eine und andere besorgst, um mich aufzufrischen, wie du mit den Speisen wechseln willst!«
Als der gute Liebling das Geheimnis enthüllt sah und den scharfsinnigen Vergleich seines Herrn hörte, war er ganz verwirrt, ergab sich und versprach seinem Herrn, alles nach seinem Wunsch zu besorgen, um nur der Pasteten enthoben zu sein. Und so verbrachte der gnädige Herr der Abwechslung wegen und um Madame zu schonen, durch die Vermittlung des Lieblings die Zeit wie sonst mit schönen, guten Mädchen, und unser guter Liebling war von den Pasteten befreit und wieder zu seinem ersten Amt zurückgeführt.