Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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17. Novelle
Der Rat am Mehlsieb

Unlängst präsidierte zu Paris der Rechnungskammer ein hoher adliger Beamter, der zwar schon ziemlich bei Jahren, aber noch sehr vergnügt und heiter in seiner Lebensführung sowie auch in seinen Gesprächen war, mochte er sie an Männer oder Frauen richten.

Dieser gute Herr hatte eine Frau geheiratet, die schon alt und kränklich war, ihm aber eine schöne Nachkommenschaft geschenkt hatte. Unter den sonstigen Fräulein, Kammerfrauen und Dienerinnen seines Hauses war die von der Natur mit den schönsten Reizen gezierte ein Mädchen, das die gewöhnlichen Wirtschaftsarbeiten besorgte, die Betten machte, Brot backte und anderes dergleichen mehr.

Der Herr, der sich der Liebesspeise nur solange enthielt, als er keine Gelegenheit zum Essen hatte, verbarg nicht lange dem schönen Mädchen sein großes Wohlwollen und hielt ihr eine lange Rede von den verliebten Stürmen, die ihm fortwährend die Liebe schickte, verfolgte ständig seine Absicht, versprach ihr alle Güter der Welt und erbot sich, wie es in seiner Macht liege, ihr in der und der und der Beziehung sehr förderlich zu sein. Und wer den Ritter hörte, hätte gemeint, dem Mädchen würde nie so viel Glück erblühen, als wenn es seinem Liebesverlangen nachgäbe.

Das schöne, gute, kluge Mädchen war nicht so dumm, auf die freundlichen Worte seines Herrn eine Antwort, die dem eigenen Vorteil zuwidergelaufen wäre, zu geben, sondern entschuldigte sich so liebenswürdig, daß der Herr sie loben mußte, obwohl er lieber gesehen, wenn sie einen andern Weg eingeschlagen hätte. Als der Herr bemerkte, daß er mit Güte nichts erreichte, sprach er streng zu ihr, doch das gute Mädchen wollte lieber sterben als seine Ehre verlieren, ließ sich nicht dadurch in Schrecken jagen, sondern antwortete ihm keck, er könne sagen und tun, was ihm beliebe, doch nie werde der Tag kommen, da es in seine Wünsche willigen werde.

Als der Herr sie hartnäckig auf ihrem Willen beharren sah, unterließ er es, ich weiß nicht wieviel Tage, sie mit verliebten Worten zu bestürmen, doch warf er ihr Blicke zu und machte ihr sonstige kleine Zeichen, die dem Mädchen recht lästig waren. Und da es Unfrieden zwischen dem Herrn und Madame zu stiften fürchtete, wollte es ihr die Untreue des Herrn verheimlichen und beschloß, ihr alles erst so spät wie möglich aufzudecken.

Die Andacht des Herrn für die Heiligtümer seines Mädchens wuchs von Tag zu Tag, und ihm genügte es nicht, es nur in seinem Herzen zu lieben und ihm zu dienen, sondern er wollte es sich wie vorher durch Bitten geneigt machen. Daher kam er zu ihm und begann abermals wie früher mit seinen Reden und bekräftigte durch hunderttausend Eide und ebenso viele Versprechen seine Worte.

Um es kurz zu machen: nichts nützte es ihm, es gelang ihm nicht, ein einziges Wort und noch weniger einen Schatten von Hoffnung, daß er je zu seinem Ziele kommen würde, zu erhalten. Und damit mußte er es verlassen, doch vergaß er nicht, ihm zu sagen, wenn er ihm an einem gelegenen Ort begegne, müsse es ihm zu Willen sein oder es würde ihm schlimm gehen. Das Mädchen ließ sich dadurch nicht angst machen, sondern ging, ohne sich weiter darüber Gedanken zu machen, seinen Arbeiten in der Küche oder sonstwo nach.

An einem Montagmorgen, ich weiß nicht, wieviel Tage später, siebte das schöne Mädchen Mehl, um Kuchen zu backen. Nun müßt ihr wissen, das Zimmer, in dem das geschah, lag nicht weit von dem des Herrn, und er hörte ganz gut das Geräusch und den Lärm, der dabei verursacht wurde, und wußte ebenfalls recht wohl, daß sein Kammermädchen da das Sieb handhabte. Daher kam ihm der Gedanke, es solle nicht allein diese Mühe haben, sondern er wolle ihm dabei helfen und außerdem sein Versprechen erfüllen, denn eine bessere Gelegenheit konnte er nicht finden. Er sagte auch zu sich: Wenn sie mich auch durch ihre Worte zurückgewiesen hat, so will ich ihrer doch wohl Herr werden und sie nach meinem Wunsch behandeln.

Er sah, daß es noch sehr früh und Madame noch nicht erwacht war, worüber er sich recht freute, und stieg, um sie nicht aufzuwecken, ganz sacht aus seinem Bett mit seiner Mütze, nahm sein langes Gewand und seine Stiefel und verließ vorsichtig das Zimmer und war ebenso heimlich in der Kammer, wo das Mädchen siebte, das nicht eher seiner gewahr wurde, als bis es ihn bei sich sah.

Wer da recht erschrak, das war das arme Kammermädchen, das fast vor Angst zitterte und fürchtete, der Herr werde ihm nehmen, was es ihm niemals sonst gegeben hätte. Als der Herr es voller Furcht sah, sprang er es, ohne ein Wort zu sagen, kräftig an und machte sich so heftig ans Werk, daß er, hätte er nicht zu unterhandeln sich herbeigelassen, in kurzer Zeit den Platz erobert haben würde.

Nun sagt ihm das Mädchen: »Ach, Herr, ich bitte Euch um Gnade, ich will mich Euch ergeben, mein Leben und meine Ehre sind in Eurer Hand, habt Mitleid mit mir!«

»Ich weiß nicht, was für Ehre«, erwidert der Herr, ganz erhitzt und verliebt, »Ihr werdet schon darüber wegkommen!« Und damit erneuert er noch kräftiger als vorher den Ansturm.

Als das Mädchen sah, daß es ihm nicht würde entschlüpfen können, kam ihm ein guter Einfall, und es sagte: »Herr, ich wollte Euch lieber meinen Platz aus Liebe als durch Gewalt einräumen, bitte hört doch mit Eurem heftigen Anstürmen auf, und ich will alles nach Eurem Wunsche tun!«

»Ich bin's zufrieden«, entgegnete der Herr, »doch glaubt mir nicht irgendwie entschlüpfen zu können!«

»Um eins bitte ich Euch«, sagte nun das Mädchen, »ich fürchte sehr, Herr, Madame hört Euch. Und käme sie zufällig und träfe uns hier gerade, so wäre ich verloren und entehrt, denn sie würde mich wenigstens schlagen oder töten lassen!«

»Sie denkt nicht dran, zu kommen«, erwiderte der Herr, »sie schläft ganz fest!«

»Ach, Herr, ich zweifle so lange, bis ich es ganz sicher weiß, daher bitte und beschwöre ich Euch um des Friedens meines Herzens willen, und damit wir uns in größerer Sicherheit unserm Werk widmen können, laßt mich gehen und sehen, ob sie schläft oder was sie macht!«

»Bei unsrer lieben Frau, dann würdest du wohl nicht mehr wiederkommen«, sagte der Herr.

»Doch, bei meinem Eide«, entgegnete sie, »sogleich!«

»Nun, dann will ich's erlauben!« versetzte er, »mach schnell!«

»Ach, Herr«, sagte sie, »wenn Ihr mir einen Gefallen tun wollt, so nehmt das Sieb und tut meine Arbeit, damit, wenn Madame zufällig erwacht, sie den Lärm hört, wie vor Tagesanbruch, da ich begann.«

»Nun dann zeig's her, ich will deine Arbeit tun, und bleib nicht lange weg!«

»Nein, nein, Herr, setzt Euch auch diese Haube auf den Kopf, dann seht Ihr ganz und gar wie eine Frau aus.«

»Nun, her damit, bei Gott, her damit!« antwortete er.

Er setzte sich die Haube auf und begann dann das Sieb zu schütteln, und hübsch anzusehen war er in diesem Aufzug. Und das Kammermädchen stieg indes in das Zimmer hinauf, weckte Madame und erzählte ihr, wie der Herr sie vormals um ihre Liebesgunst gebeten und sie zu dieser Stunde, da sie das Mehl siebte, angesprungen habe: »Und wenn's Euch beliebt zu sehen, wie ich ihm entwischt bin und was er jetzt macht, so kommt herunter, dann werdet Ihr es sehen!«

Madame erhob sich sofort, nahm ihr Nachtkleid und stand alsbald vor der Tür des Zimmers, wo der Herr fleißig siebte. Und wie sie ihn so mit der Haube sah, sagte sie zu ihm: »Ach, Herr, was soll das bedeuten? Wo sind Eure Wissenschaft, Eure hohen Ehren, Eure Bücher und Eure Klugheit?«

Als der Herr sich getäuscht sah, antwortete er sofort: »In der Spitze meines Kleinen, Frau, dort habe ich heute alles aufgehäuft!« Darauf legte er, sehr betrübt und auf das Mädchen wütend, das Sieb und die Haube weg und ging in sein Zimmer zurück, und Madame folgte ihm und hob abermals mit ihrer Predigt an, woran sich der Herr nicht viel kehrte.

Als er bereit war, ließ er sein Maultier holen und ritt zum Palast, wo er sein Abenteuer vielen Biedermännern erzählte, die darüber von ganzem Herzen lachten. Und mir erzählte man später, anfangs sei der Herr über sein schönes Mädchen ärgerlich gewesen, später aber habe er ihm durch seinen Einfluß und sein Geld zu einer Heirat verholfen.

 


 


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