Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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20. Novelle
Der Mann als Arzt

Es ist nichts Neues, daß es in der Grafschaft Champagne stets Leute von schwachem Begriffsvermögen gegeben hat, obwohl es vielen Leuten recht merkwürdig scheinen muß, da die Champagnarden doch so enge Nachbarn der in allen argen Listen Erprobten sind. Man könnte genug und übergenug Geschichten erzählen, welche die Einfalt der Champagnarden bestätigen, doch gegenwärtig dürfte die folgende genügen.

In der genannten Grafschaft lebte ein junger Mann, eine Waise, der nach dem Tode seines Vaters und seiner Mutter sehr reich und angesehen zurückgeblieben war. Obwohl er plump, sehr wenig klug und außerdem noch unangenehm war, wußte er doch sorgsam sein Gut zu hüten und seinem Handel vorzustehen. Und aus diesem Grund hätten ihm viele Leute, sogar solche aus gutem Stande, gern ihre Töchter zur Frau gegeben.

Eine unter ihnen gefiel den Verwandten und Freunden unseres Champagnarden ausnehmend wegen ihrer Schönheit, Güte, ihres Geldes, und so weiter. Und sie sagten ihm, es sei Zeit zum Heiraten für ihn und er könne fürderhin nicht gut so weiterleben. »Ihr seid auch schon«, meinten sie, »vierundzwanzig Jahre alt, daher also im besten Alter dazu. Und wenn Ihr Euch dazu verstehen würdet, so haben wir für Euch ein hübsches, gutes Mädchen gefunden und gewählt, das uns sehr gut für Euch zu passen scheint. Es ist die und die, Ihr kennt sie wohl!« Darauf nannten sie ihm ihren Namen. Und unser Mann, dem es ganz gleich war, ob er verheiratet war oder nicht, wenn es ihn nur kein Geld kostete, erklärte, er werde nach ihrem Wunsch handeln: »Da es euch mein Vorteil zu sein scheint, führt nur die Sache zum besten Ende. Ich will nach eurem Rat und Wunsch tun!«

»Ihr sprecht wohl«, versetzten die guten Leute, »wir werden darauf Bedacht nehmen und darüber nachdenken, als täten wir es für uns oder eins unserer Kinder!«

Um es kurz zu machen, eine gewisse Zeit nachher war unser Champagnarde mit Gottes Hilfe verheiratet. Soweit war alles gut, doch als er in der ersten Nacht neben seiner Frau lag, wandte er ihr, da er noch niemals das Tier mit den zwei Rücken gespielt hatte, gleich den Rücken zu, nachdem er ihr ein paar einfache Küsse und sonst nichts gegeben hatte. Wer darüber unzufrieden war, das war unsere junge Frau, wenn sie sich's auch nicht anmerken ließ. Diese verwünschte Art und Weise hielt länger als zehn Tage an und hätte wohl noch kein Ende, wenn die gute Mutter der Neuvermählten dagegen nicht ein Mittel gefunden hätte.

Ich darf euch nicht verbergen, daß unser Mann, ein Neuling in besagtem Geschäft und in der Ehe, zu Lebzeiten seines seligen Vaters und seiner seligen Mutter sehr kurz gehalten worden war. Und vor allen Dingen war und ward ihm das Tier mit den zwei Rücken zu spielen verboten, da man fürchtete, wenn er sich dabei vergnügte, würde er dafür all sein Gut verschwenden; denn sie meinten mit gutem Grund, er sei nicht ein Mensch, den man wegen seiner schönen Augen lieben könne. Er wollte um nichts in der Welt Vater und Mutter erzürnen, auch stand sein Topf nicht auf zu heißem Feuer, und so hatte er stets seine Jungfrauschaft bewahrt, die seine Frau ihm gern, hätte sie nur gewußt wie, auf gute Manier geraubt hätte.

Eines Tages fand sich die Mutter bei ihrer neuvermählten Tochter ein und fragte sie nach ihrem Mann, ihrem Befinden, ihren Lebensverhältnissen, ihrer Ehe und hunderttausend Dingen, die Frauen zu fragen wissen.

Auf alle Fragen gab unsere Neuvermählte ihrer Mutter Antwort und erklärte, ihr Mann sei ein sehr guter Mensch und sie zweifle nicht, daß sie mit ihm gut auskommen werde. Hierüber freute sich die Mutter sehr, doch da sie aus eigener Erfahrung recht wohl wußte, daß es in der Ehe mit Trinken und Essen nicht getan sei, sagte sie zu ihrer Tochter: »Nun komm her und sag mir aufrichtig: wie steht's mit jenen Sachen, für welche die Nacht gut ist?«

Als das arme Mädchen von den nächtlichen Geschichten sprechen hörte, wäre es fast in Ohnmacht gefallen, so betrübt und bekümmert war es, und was ihr Mund nicht zu antworten wagte, das zeigten ihre Augen, aus denen Tränen in großer Menge flossen. Die Mutter verstand sofort, was ihre Tränen sagen wollten, und sagte: »Liebe Tochter, weine nicht mehr! Sag's mir nur ruhig, ich bin deine Mutter, der du nichts zu verheimlichen brauchst und vor der du dich nicht schämen darfst. Hat er dir noch nichts gemacht?«

Das arme Mädchen erholte sich von seiner Ohnmacht, beruhigte sich ein wenig und hemmte unter den Trostworten seiner Mutter die große Tränenflut, doch hatte es noch nicht Kraft und Stärke genug zur Antwort. Daher fragte die Mutter abermals und sprach zu ihm: »Sag's mir nur ruhig, und laß deine Tränen! Hat er dir nichts gemacht?«

Mit leiser und von Tränen unterbrochener Stimme antwortete die Tochter: »Wahrhaftig, Mutter, er hat mich noch niemals angerührt; doch sonst ist er ein guter und freundlicher Mensch, bei meiner Seele, so ist's.«

»Nun sag mir«, fuhr die Mutter fort, »weißt du nicht, ob er alle seine Glieder hat? Sag's nur ruhig, ob du's weißt.«

»Bei Sankt Johann, recht gern«, versetzte sie, »ich habe mehrmals, als ich mich in unserm Bett von einer Seite auf die andere warf, wenn ich nicht schlafen konnte, zufällig sein Gewaffen gefühlt!«

»Das genügt«, meinte die Mutter, »das übrige laß mich nur machen. Paß auf, was du tun sollst. Morgen früh mußt du dich sehr krank stellen und scheinbar so von dem Übel bedrängt werden, als ob du sterben müßtest. Dein Mann wird zu mir kommen oder mich holen lassen, das ist ganz sicher, und ich werde meine Rolle so gut spielen, daß du bald wissen sollst, woran du bist, denn ich werde deinen Urin einem Arzt bringen, der den Rat, den ich wünsche, geben soll!«

Wie gesagt, so getan. Am nächsten Tag, sobald es hell wurde, begann unser Weibchen, das neben seinem Mann lag, zu klagen und trefflich die Kranke zu spielen, ein beständiges Fieber schien ihm Leib und Seele zu verzehren. Unser Freund, sein Mann, war sehr erstaunt und bekümmert und wußte nicht, was er sagen und tun sollte. Daher schickte er gleich nach seiner Schwiegermutter, die nicht lange auf sich warten ließ.

Sobald er sie sah, rief er: »Ach, Mutter, Eure Tochter stirbt!«

»Meine Tochter«, entgegnete sie, »und was fehlt ihr?« Und während sie miteinander sprachen, gingen sie ins Zimmer der Patientin. Sobald die Mutter ihre Tochter erblickte, fragte sie, wie es ihr gehe.

Und wohlunterrichtet antwortete sie nicht gleich, sondern sagte erst ein Weilchen später: »Mutter, ich sterbe!«

»Das sollst du nicht, Tochter, wenn's Gott gefällt! Faß nur Mut! Doch woher kam dir so schnell dies Leiden?«

»Ich weiß nicht«, versetzte die Tochter, »ich weiß nicht, wenn ich spreche, habe ich große Schmerzen!«

Ihre Mutter nahm ihre Hand, fühlte ihr den Puls, betastete Leib und Kopf und sagte dann zum Schwiegersohn: »Wahrhaftig, Ihr könnt's glauben, sie ist krank, sie ist heiß wie Feuer, man muß sich nach einem Mittel umtun. Habt Ihr nicht ihren Urin?«

»Ja, den von Mitternacht«, antwortete eins der Mädchen.

»Gebt ihn mir!« erwiderte sie. Sobald sie diesen Urin hatte, ließ sie nach einem Uringlas suchen, füllte ihn hinein und erklärte ihrem Schwiegersohn, er solle ihn zu dem und dem Arzt bringen, damit man wisse, was man für ihre Tochter tun und ob man ihr helfen könne. »Bei Gott, wir wollen's an nichts fehlen lassen«, sagte sie. »Ich habe noch Geld genug und lieb es nicht so wie meine Tochter!«

»Fehlen lassen!« rief unser Freund, »glaubt Ihr etwa, wenn man ihr für Geld helfen könnte, würde ich es dran fehlen lassen?«

»Nun beeilt Euch!« entgegnete sie, »und während sie ein wenig ruht, will ich nach meiner Wirtschaft sehen, doch komme ich sofort wieder, wenn man meiner bedarf!«

Nun müßt ihr wissen, daß unsere gute Mutter tags zuvor, als sie ihre Tochter verließ, den Arzt sich eingefangen und ihn von der Antwort, die er geben sollte, wohl unterrichtet hatte. Seht, da kommt unser armer Schelm mit dem Urin seiner Frau zu dem Arzt! Und als er ihm den gebührenden Gruß geboten hatte, erzählte er ihm, wie schwach und äußerst krank seine Frau sei: »Und das ist ihr Urin, den ich Euch bringe, damit Ihr Euch über ihren Zustand noch besser unterrichtet und mir um so sicherer raten könnt!«

Der Arzt nimmt das Uringlas, hält es gegen das Licht, dreht es hin und her und sagt darauf: »Eure Frau ist von der hitzigen Krankheit heftig angegriffen und in Todesgefahr, wenn ihr nicht schnell geholfen wird; da - ihr Urin zeigt es!«

»Ach, Herr, sagt mir doch um Gottes willen, ich will's Euch auch gut bezahlen, was man machen kann, daß sie ihre Gesundheit wiederbekommt, und ob Ihr wirklich glaubt, daß sie sterben muß?«

»Das muß sie nicht, wenn Ihr nach meinen Worten handelt«, erklärte der Arzt, »doch wenn Ihr zögert, kann alles Gold der Welt sie nicht vorm Tode retten!«

»Sagt's nur, um Gottes willen«, rief der andere, »und es wird geschehen.«

»Sie muß«, versetzte der Arzt, »mit einem Mann zu tun haben, oder sie stirbt.«

»Mit einem Mann zu tun haben?« entgegnete der andere, »was soll das heißen?«

»Das heißt«, erwiderte der Arzt, »Ihr müßt auf sie steigen und sie ganz schnell drei bis viermal gehörig einreiben. Und je kräftiger Ihr's beim erstenmal macht, um so besser wird's sein, sonst schwindet die große Hitze nicht, die sie ausdörrt und ins Grab zieht!«

»Und wäre das wirklich von Nutzen?« fragte er.

»Sie stirbt, und es gibt für sie keine Frist«, sagte der Arzt, »wenn Ihr nicht so tut, und zwar bald!«

»Bei Sankt Johann! ich will's so gut machen, wie ich nur kann«, entgegnete der andere.

Er verläßt ihn und kommt nach Haus und findet seine Frau in Klagen und heftigen Schmerzen. »Wie geht's, liebe Freundin?« fragt er.

»Ich sterbe, mein Freund«, antwortet sie.

»Das sollt Ihr nicht, so's Gott gefällt«, versetzte er, »ich habe mit dem Arzt gesprochen, der hat mir ein Mittel gesagt, durch das Ihr geheilt werden sollt!« Und während dieser Reden zieht er sich aus und legt sich neben seine Frau. Und als er zu ihr rückt, um den Rat des Arztes ganz wie ein Tölpel zu befolgen, fragt sie: »Was macht Ihr? Ihr wollt mich doch nicht töten?«

»Nein, aber heilen will ich Euch«, erwiderte er, »der Arzt hat mir's gesagt!« Und so machte er's, wie die Natur es ihm zeigte, und mit Hilfe der Patientin besorgte er es ihr zwei- bis dreimal trefflich. Und als er sich ganz erstaunt von dem, was ihm begegnet war, ausruhte, fragte er seine Frau, wie es ihr gehe.

»Ein wenig besser als vorher«, erklärt sie.

»Gelobt sei Gott«, sagt er, »ich hoffe, daß Ihr gerettet werdet und der Arzt die Wahrheit gesagt hat!« Darauf beginnt er von neuem.

Um es kurz zu machen, er machte es so oft und gut, daß seine Frau in wenigen Tagen gesund wurde, worüber er sehr froh war, ebenso die Mutter, als sie es erfuhr.

Nach den obenerwähnten Waffentaten benahm sich unser Champagnarde nicht mehr so ungeschickt wie vorher, und nachdem seine Frau wieder gesund geworden war, hatte er den Wunsch, eines Tags zum Mittagessen ihre Verwandten und Freunde und ihren Vater und ihre Mutter einzuladen. Sie kamen auch, und er sprach mit ihnen in seinem Patois, und es ging bei diesem Mahl sehr hoch und recht vergnügt zu. Man trank ihm zu, er trank den andern zu, und es war wunderbar, was er für ein netter Gesell war.

Nun hört, was ihn ankam: Am Ende dieses trefflichen Mittagsmahls begann er plötzlich und heftig zu weinen, als wären alle seine Freunde, ja die ganze Welt gestorben, so daß jedermann am Tisch sich außerordentlich darüber verwunderte, woher diese plötzlichen Tränen kämen. Man fragte ihn, was er habe, doch kaum konnte und wußte er zu antworten, so toll liefen ihm die Tränen herab. Endlich sagte er: »Ich habe wohl Grund zum Weinen!«

»Ihr habt ihn wahrhaftig nicht!« versetzte seine Schwiegermutter. »Was fehlt Euch denn? Ihr seid reich, angesehen, habt ein schönes Haus, habt gute Freunde, und, was nicht zu vergessen ist, Ihr habt eine schöne, gute Frau, die Gott Euch jüngst, obwohl sie am Rande des Grabes war, wieder gesund gemacht hat. Daher müßt Ihr, meine ich, heiter und froh sein!«

»Ach, ich kann's nicht«, erwiderte er. »An mir liegt die Schuld, daß mein Vater und meine Mutter, die mich so sehr liebten und mir soviel Güter gesammelt und hinterlassen haben, nicht mehr am Leben sind, denn alle beide sind sie nur an der heißen Krankheit gestorben. Und hätte ich sie ebenfalls, als sie krank waren, so gut wie meine Frau eingerieben, so wären sie jetzt noch auf den Beinen!«

Es war niemand am Tisch, der nach diesen Worten nicht beinahe losgeplatzt wäre, doch nahm sich jeder nach Kräften zusammen. Die Tische wurden beiseite gerückt, jeder ging heim, und der gute Champagnarde blieb mit seiner Frau zurück, die, damit sie gesund bliebe, oftmals von ihm eingerieben wurde.

 


 


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