Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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92. Novelle
Ein Dirnenstreit

In der guten Stadt Metz in Lothringen lebte vor einiger Zeit eine verheiratete Bürgerin, die ein eifriges Mitglied des Ordens der gefälligen Frauen war und nichts lieber hatte als den hübschen, jedermann bekannten Zeitvertreib. Und wo sie sich in einen Waffengang einlassen konnte, zeigte sie sich tapfer und wenig ängstlich vor Stoß und Puff.

Nun hört, was ihr bei der Ausübung ihres Handwerks begegnete. Sie war sehr in einen dicken Kanonikus verliebt, der mehr Geld hatte als ein alter Hund Flöhe; doch da er an einer Stelle wohnte wo die Leute zu allen Stunden verkehrten, an einer Straßenkreuzung oder einem öffentlichen Platz, wußte sie nicht, wie sie sich mit ihrem Kanonikus zusammenfinden konnte. Sie dachte und grübelte so lange nach, bis sie auf den Einfall kam, sich einer ihrer Nachbarinnen zu entdecken, einer Waffenschwester und einem ebenfalls rührigen Mitglied ihres Ordens; von ihrer Nachbarin begleitet, glaubte sie zu ihrem Kanonikus gehen zu können, ohne daß man dabei Argwohn und Verdacht schöpfte. Sie führte auch ihre Absicht aus, und so ehrbar und würdig, als hätte sie eine gewichtige Sache bei dem Herrn Kanonikus zu erledigen, schritt sie in der obenerwähnten Begleitung dahin.

Um es kurz zu machen: sobald unsere Bürgerinnen angekommen waren und die Begrüßung stattgefunden hatte, kam die Hauptsache, und sie schloß sich mit ihrem Liebhaber, dem Kanonikus, ein und ließ sich von ihm nach besten Kräften beladen. Da die Nachbarin die andere bei dem Herrn des Hauses geneigtes Gehör finden sah, kam sie der Neid an, und es ärgerte sie, daß man ihr nicht so wie der andern tat. Beim Verlassen des Zimmers sagte die, die eben ihre Portion erhalten hatte: »Nun, Nachbarin, wollen wir gehen?«

»Wie?« rief die andere. »Soll ich von hier gehen? Wenn man mir nicht in derselben Weise wie Euch begegnet, werde ich weiß Gott Euren Handel verraten. Ich bin doch nicht hergekommen, um nur zuzusehen, wie andere Leute gute Sachen bekommen.«

Als man ihren guten Willen sah, bot man ihr den Sakristan dieses Kanonikus an, einen strammen, kräftigen Burschen, der sie wohl hätte versorgen können. Doch ließ sie sich nicht darauf ein, wies es nachdrücklich ab und erklärte, sie wolle ebenso wie die andere den Herrn haben, sonst würde sie sich nicht zufriedengeben.

Um seinen guten Ruf zu retten, ward der Kanonikus gezwungen, in ihr Begehr zu willigen. Als das geschehen war, wollte sie Lebewohl sagen und gehen. Doch nun wollte die andere nicht, sondern erklärte ganz erregt, daß sie, die sie hergeführt und um derentwillen doch die Zusammenkunft veranstaltet war, mehr als die andere haben müßte und auf keinen Fall, ehe sie nicht noch eine Metze erhalten habe, weggehen werde. Der Kanonikus war sehr erstaunt, als er die Neuigkeit hörte, und obwohl er die, die die Zugabe haben wollte, bat, sie ihm zu erlassen, wollte sie sich doch nicht damit zufriedengeben.

»Nun wohl!« erklärte er, »da es einmal, bei Gott, so ist, bin ich's zufrieden, doch noch einmal dürft ihr mir um den Preis nicht herkommen.«

Als der Waffengang beendet war, sagte die Dame mit der Zugabe beim Abschied zu ihrem Kanonikus, er möge ihnen doch etwas Hübsches zum Andenken schenken. Ohne sich durch dieses Ansuchen belästigt und ärgerlich zu zeigen und um sie loszuwerden, gab er ihnen einen Rest Mützentuch, und die Heldin nahm das Geschenk; sie bedankten sich und sagten Lebewohl.

»Ich kann Euch für jetzt nur das schenken«, erklärte er, »nehmt es, bitte, freundlich auf!«

Sie waren noch nicht weit gegangen, da sagte auf offener Straße die Nachbarin, die keine Zugabe erhalten hatte, sie wolle ihren Teil vom Geschenk haben.

»Gut«, versetzte die andere, »mir ist's recht. Wieviel wollt Ihr denn haben?«

»Bedarf's da einer Frage?« meinte sie. »Ich bekomme die Hälfte und Ihr auch.«

»Wie könnt Ihr nur mehr verlangen, als Ihr verdient habt«, fragte die andere, »schämt Ihr Euch denn nicht? Ihr wißt doch, daß Ihr nur einmal mit dem Kanonikus zusammengewesen seid, ich aber zweimal. Bei Gott, es ist nicht recht, daß Ihr etwas vor mir voraushaben wollt.«

»Bei Gott, ich will soviel wie Ihr haben«, versetzte die andere. »Habe ich nicht auch meine Pflicht so gut wie Ihr getan?«

»Wie könnt Ihr das nur sagen?«

»Ist nicht einmal soviel wie zweimal? Wir wollen uns nicht mit leeren Worten aufhalten. Ich habe Euch meinen Willen erklärt und rate Euch, gebt mir mein Teil, und zwar genau die Hälfte, oder Ihr sollt gleich etwas zu hören bekommen. Wollt Ihr etwa so mit mir umspringen?«

»Zum Teufel!« sagte ihre Genossin. »Wißt Ihr denn nicht mehr, wie es gewesen ist? Bei Gottes Geburt, Ihr sollt nur so viel haben, wie billig ist, nämlich von drei Teilen einen, und ich behalte das übrige. Habe ich nicht mehr Arbeit als Ihr gehabt?«

Nun holt die andere aus und schlägt ihrer Nachbarin kräftig ins Gesicht, die sich nicht lange bedenkt und ihr's zurückgibt, und sie schimpfen einander Dirne. Kurz, sie prügelten so kräftig und derb aufeinander ein, daß sie sich beinah totgeschlagen hätten, und eine schimpfte die andere Dirne.

Als die Leute in der Straße die Schlacht zwischen diesen beiden Gefährtinnen, die kurz vorher so freundschaftlich zusammen durdi die Straße gegangen waren, sahen, waren sie alle erstaunt, kamen herbei, um sie festzuhalten und eine von der andern wegzuziehen. Dann wurden ihre Männer gerufen, die gleich kamen und beide ihre Frauen nach der Ursache ihres Streites fragten. Jede erzählte nun so, daß sie sich möglichst herausstrich und ohne die wahre Ursache des Zwistes zu berühren, und sie wußten durch ihre falsche Schilderung die Männer derart gegeneinander aufzubringen, daß sie sich gegenseitig niedergeschlagen hätten, wären nicht die Polizeidiener gekommen, die alle beide zur Abkühlung ins Gefängnis brachten.

Das Gericht ward von ihren Freunden eifrig wegen ihrer Freilassung angegangen, doch da der Zwist durch den Wortwechsel der Frauen entstanden war, wollte der Rat erst wissen, was dem Streit zwischen den beiden Frauen zugrunde lag; man ließ sie holen, und sie wurden gezwungen einzugestehen, daß der Streit sich wegen der Teilung eines Stücks Mützentuch entsponnen hätte, und so weiter. Da die guten und klugen Ratsleute sahen, daß der Fall vor den Dirnenkönig gehöre, sowohl wegen des Anlasses des Streits als auch weil die Frauen zu seinen Untertaninnen gehörten, verwiesen sie die Sache an ihn. Und während des Prozesses blieben die Männer in Haft und warteten auf den endgültigen Spruch, der nach dem Urteil der Untertanen des Königs gefällt werden sollte; doch der Rechtsstreit blieb wegen ihrer großen Menge in der Schwebe.

 


 


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