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Wenn man mir freundlich Gehör schenken will, möchte ich eine hübsche Geschichte erzählen, die sich im guten, anmutigen Lande Hennegau zugetragen hat. In einem großen Dorf des eben genannten Landes lebte eine schmucke, verheiratete Frau, die weit mehr als ihren Mann den Sakristan oder Küster der Parochialkirche, der sie gehörte, liebte; um sich mit ihrem Küster zusammenzufinden, schützte sie bei ihrem Mann eine Wallfahrt vor, zu irgendeinem Heiligen unfern des Dorfes, ungefähr eine Meile weit, die sie in Kindesnöten gelobt hätte, und bat ihn um seine Einwilligung, dorthin an einem Tag, den sie ihm nannte, mit einer ihrer Nachbarinnen, die zur selben Zeit nach diesem Ort aufbrach, gehen zu dürfen.
Der gute, einfältige Mann, der keinen Argwohn schöpfte, war mit dieser Wallfahrt einverstanden, doch wünschte er, sie sollte am selben Tage, an dem sie aufbrach, wieder zurückkommen.
»Vielleicht kann ich«, erklärte sie, »zum Mittagessen zurückkommen, wenn es die Zeit erlauben wird, doch vorher muß ich«, sagte sie, »noch ein paar Schuhe haben.«
Alles ward ihr bereitwillig zugestanden, und da der Mann allein blieb, sagte er ihr, sie möge für sein Mittagessen und Nachtmahl sorgen, ehe sie aufbräche, sonst müsse er in der Schenke essen. Sie tat nach seinem Wunsch, erhob sich am Tage ihrer Reise ganz früh, ging in die Fleischerei, besorgte ein gutes Küchlein und ein Stück Hammelfleisch und ließ dann den Schuhmacher holen, der ihr ihre Schuhe anprobierte.
Als ihre Vorbereitungen getroffen waren, sagte sie, es sei alles bereit und sie werde Weihwasser holen gehen, um dann aufzubrechen. Sie trat in die Kirche, und der erste Mensch, den sie fand, war der, den sie suchte, nämlich ihr Küster, dem sie erzählte, wie sie Abschied genommen habe, um auf die Wallfahrt zu gehen, usw., und den ganzen Tag ausbleiben könne. »Doch es gibt dabei noch etwas zu überlegen«, erklärte sie, »ich weiß genau, er wird, sobald er merkt, daß ich fort bin, in die Schenke gehen und erst spätabends zurückkommen, ich kenne ihn schon. Deshalb möchte ich lieber so lange zu Hause bleiben, bis er dort ist, und noch nicht fortgehen. Deshalb sollt Ihr Euch eine halbe Stunde in der Nähe unseres Hauses aufhalten, damit ich Euch durch die Hintertür einlassen kann, wenn mein Mann nicht mehr daheim ist. Und wenn er dort ist, wollen wir unsere Wallfahrt machen.«
Sie kam nach Hause, fand ihren Mann noch daheim und war sehr vergnügt darüber.
»Weshalb seid Ihr noch hier?« fragte er sie.
»Ich will jetzt meine Schuhe holen gehen«, sagte sie, »und dann gleich aufbrechen.«
Sie ging zum Schuhmacher, und während sie sich die Schuhe anziehen ließ, ging ihr Mann mit einem Nachbarn, der gewöhnlich in der Schenke einzukehren pflegte, vor dem Hause des Schuhmachers vorüber. Und obwohl sie, als sie ihn in der Begleitung dieses Nachbarn sah, annahm, er ginge ins Wirtshaus, hatte er doch nicht im mindesten diese Absicht, sondern wandte sich nach dem Markt, um noch einen oder zwei Genossen zu finden und sie mit sich zum Mittagessen zu nehmen, das er bereits hatte fertig machen lassen, nämlich das Küchlein und das Hammelfleisch.
Nun wollen wir unsern Mann seine Gesellschaft suchen lassen und zu der zurückkehren, die ihre Schuhe anprobierte und, sobald sie saßen, so schnell sie konnte, nach Hause ging, wo sie den schmucken Küster fand, der in der Nähe feierlich wie in Prozession ging; sie sagte ihm: »Lieber Freund, wir sind die glücklichsten Leute von der Welt, denn ich habe meinen Mann zur Schenke gehen sehen. Ich weiß es ganz genau, denn er hat an seinem Arm einen Zechbruder gehabt, der ihn nicht so schnell nach Haus lassen wird, und so können wir uns bis zur Nacht nach Herzenslust unterhalten. Ich habe ein schönes Küchlein und ein hübsches Stück Hammelfleisch hergerichtet, woran wir uns gütlich tun wollen.« Und ohne noch ein Wort weiter zu sagen, ließ sie ihn ein und die Tür vorn halb offen, damit die Nachbarn keinen Verdacht schöpften.
Nun kehren wir zu unserm Mann zurück, der zwei Genossen außer dem ersten, von dem ich sprach, gefunden hat und sie mit sich führt, um das Küchlein bei gutem Wein aus Beaune oder noch besserem, wenn er ihn auftreiben könnte, zu verspeisen. Als er an sein Haus kam, trat er zuerst ein und bemerkte sofort unsere beiden Liebenden, die ein wenig an die Arbeit gegangen waren. Und als er seine Frau mit erhobenen Beinen sah, sagte er ihr, sie solle nur keine Angst haben, die Schuhe zu benützen, sonst hätte sie ja, wenn sie ihre Wallfahrt in dieser Weise machen wollte, der Schuhmacher umsonst gearbeitet.
Er rief seine Genossen herbei und sagte: »Seht, ihr Herren, wie meine Frau auf meinen Nutzen bedacht ist! Aus Furcht, ihre schönen neuen Schuhe abzunutzen, reitet sie auf ihrem Rücken.« Damit nahm er ein kleines Stück von dem Küchlein, das übriggeblieben war, und sagte ihr, sie solle ihre Wallfahrt nur vollenden. Dann schloß er die Tür und ließ sie, ohne ihr etwas anderes zu sagen, bei ihrem Küster und ging nach der Schenke. Als er heimkam, ward er nicht gescholten, ebensowenig wie die andern Male, die er dorthin ging, weil er nichts oder wenig über die Pilgerfahrt sagte, die seine Frau daheim gemacht hatte.