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Nachdem ich mehrere Jahre unter den Kri-Indianern in Norway-Haus gearbeitet hatte, wurde beschlossen, daß ich auf ein neues Missionsgebiet an dem Beren-Flusse übersiedeln und dort die Arbeit unter den Saulteaux-Indianern beginnen sollte. Dieselben leben teils am Beren-Flusse, teils in zerstreuten Ansiedelungen am Winnipeg-See und landeinwärts meist in bitterer Armut und großem Aberglauben. Einige von ihnen waren mit christlichen Indianern aus anderen Stämmen zusammengekommen und verspürten ein Verlangen nach Licht und Wahrheit.
Ich mußte noch in Norway-Haus bleiben, bis mein Nachfolger dort angelangt war, sah mich aber genötigt, meine Frau mit unsern drei Kindern Eddie, Lilian und Nelly voraus zu senden, da sich für sie nur eine einzige Gelegenheit fand, zu Boot nach dem Red-River zu gelangen. Ich wollte ihnen später folgen, um mit ihnen einige Zeit in der alten Heimat in Canada zu verweilen.
Sandy Harte, ein von uns angenommener junger Indianer, und ich geleiteten sie noch ein Stück Weges und kehrten dann in unser ödes Heim zurück. Mein geliebtes Töchterchen Nelly habe ich nie wiedergesehen. Die Hitze in dem elenden, kleinen Boot, dem besten, welches wir bekommen konnten, war so groß, daß das Kind an Gehirnentzündung erkrankte und starb.
Durch Gottes Güte wurden der armen, selber auch erkrankten Mutter bald darauf edle christliche Freunde zugeführt, die ihr mit tröstendem Zuspruch und liebender Hilfe zur Seite standen.
Ich blieb also vorläufig in Norway-Haus bis zur Ankunft von Missionar Ruttau und seiner jungen Frau, die mit Lust und Liebe ihre Arbeit unter meinen geliebten Indianern in Norway-Haus begannen. Dann trat ich meine Reise nach dem Beren-Flusse an. Sandy Harte begleitete mich eine Tagereise weit und brachte die erste Nacht bei mir zu. Wir hatten einander so viel zu sagen und dem Herrn im Gebet so viel vorzutragen, daß es lange dauerte, bis mir einschliefen. Als wir am folgenden Morgen erwachten, sahen wir zu unserer Überraschung eine Menge Indianer um uns versammelt. Sie waren viele Meilen weit hergekommen, um ihrem Missionar noch einmal die Hand zu drücken und ihm Lebewohl zu sagen.
Nach einem schnell eingenommenen Frühstück hielten wir miteinander die Morgenandacht, dann kam der schwere Abschied. Es war mir unendlich schmerzlich, von ihnen zu scheiden, und manches Auge, das ich noch nie weinen gesehen, war jetzt feucht. Der letzte, von dem ich Abschied nahm, war mein treuer Sandy, dem zu Mute war, als wolle sein Herz brechen, und mir ging es auch nicht viel anders. Mit einem letzten »Behüt euch Gott« sprang ich in den Kahn, und die Reise nach dem Lande der Saulteaux begann. Als ich den Beren-Fluß erreichte, wurde ich von den dortigen Indianern aufs wärmste begrüßt. Ein Mann, welcher mir schon früher gesagt hatte, seine Augen seien trübe geworden, weil er so lange nach mir habe ausschauen müssen, meinte, jetzt seien ihre Augen getrübt durch Freudentränen, denn nun sei endlich ihr »eigener« Missionar bei ihnen, um bei ihnen zu bleiben und sie in der Wahrheit zu unterweisen.
So schlug ich denn mein Zelt in ihrer Mitte auf und machte mich an die Arbeit. Ich hielt an jedem Wochentag einmal, am Sonntag dreimal Gottesdienst, und es wurde auch regelmäßig Schule gehalten. Außerdem galt es, tüchtig die Äxte zu schwingen, um die Bäume auszuroden und den Platz zu bereiten, wo nachher unser Missionshaus und die Häuser der christlichen Indianer stehen sollten. So ging es einige Wochen fort. Aber dann war es höchste Zeit für mich, die beabsichtigte Reise nach der Heimat anzutreten und mit den Meinigen dort zusammenzutreffen. Martin Papanekis, einer meiner treuen Freunde aus Norway-Haus, blieb als mein zeitweiliger Stellvertreter bei den Saulteaux zurück, und ich fuhr mit dem »großen Tom« als Bootsmann im Kahne nach dem Red-River. Auf dieser Fahrt brachten uns einige Irrlichter in Gefahr. Dieselben waren so leuchtend, daß selbst meine erfahrenen Bootsleute meinten, es seien Feuerzeichen, welche feindliche Indianer angesteckt hätten, um uns zu verwirren. Trotz dieser und anderer Gefahren gelangten wir glücklich nach dem Red-River, wo wir unser teures verstorbenes Kind auf dem stillen Friedhof der Missions-Station zur Ruhe betteten. Dieses kleine Grab ist ein neues, festes Band, welches uns an jenes Land im fernen Norden fesselt.
Dann ging meine Reise weiter in die geliebte Heimat nach Toronto, wo ich die Freude hatte, mit meinen Lieben und manchen teuren Missionsfreunden zusammen zu sein. Ich durfte vielen Missionsfesten und Versammlungen beiwohnen und erhob meine Stimme, um die Herzen der Christen Kanadas für das Werk unter den Indianern zu erwärmen. Wir durften es erfahren, daß der Herr unsere Worte segnete und unsere Zuhörer von der Zeit an ernster und eifriger in der Mithilfe am großen Missionswerk wurden.
Dazwischen verlebte ich mit den Meinigen köstliche Tage der Ruhe und Erholung im Hause lieber Missionsfreunde. Als die Zeit der Missionsfeste zu Ende war, kehrte ich wieder auf mein entlegenes Arbeitsfeld zurück. Von der Provinz Ontario bis zum Beren-Flusse mußte ich dreiundzwanzig Tage lang unausgesetzt reisen, wurde mehrmals durch Schneestürme aufgehalten und in Gefahr gebracht, aber die Erfahrungen, welche ich auf meinen vielen Winterreisen gemacht hatte, kamen mir hier gut zu statten. Ich konnte ganz gut schlafen, wenn auch mehrere Zoll Schnee auf mir lagen, was bei den leicht gebauten Blockhäusern, wo der Schnee oft durch die Ritzen hereindringt, nicht selten der Fall war.
Die Indianer warteten mit meinen Hunden bereits in Winnipeg auf mich, wie wir es vorher verabredet hatten. Meine Reise, die im eleganten Eisenbahnwagen in Toronto begann, endete mit einer Fahrt im Hundeschlitten durch die wilden Wälder des Nordens. Gar bald gewöhnte ich mich wieder an dieses anstrengende Leben. Vor wenig Wochen hatte ich in gefüllten Sälen die Sache der armen Indianer meinen Landsleuten ans Herz gelegt, nun war ich wieder mitten unter ihnen und freute mich, meine Arbeit wieder aufnehmen zu können.
Die Saulteaux empfingen mich aufs herzlichste, und ich sah zu meiner Freude, daß mein Stellvertreter treu und im Segen gearbeitet hatte. Ich zog nun vorläufig in ein kleines Blockhaus (12 Fuß breit und 24 Fuß lang), und dort hauste ich monatelang mit meinen Hunden Jack und Kuffy und war glücklich und sehr beschäftigt. Mit dem großen Tom, Martin Papanekis und einigen anderen Indianern fällte ich das nötige Holz zum Bau für Kirche, Schulhaus und Missionshaus. Das war eine sehr harte Arbeit, denn wir mußten uns oft meilenweit den Weg durch den tiefen Schnee bahnen und dann die schweren Stämme heimschleppen. Dabei waren uns unsere starken Hunde eine große Hilfe; sie wurden vor die gefällten Stämme gespannt und zogen sie mit unglaublicher Leichtigkeit und Schnelligkeit fort. Wir arbeiteten auf diese Weise mit zweiunddreißig Hunden, und unser Vorrat an Balken wuchs schnell.
An den Sonntagen versammelten sich zahlreiche Indianer aus der Umgegend, und wir hatten schöne, gesegnete Gottesdienste miteinander. Obgleich ich Ende April nach dem Beren-Flusse zurückgekehrt war, so war doch noch wochenlang nichts vom Frühling zu bemerken, nur daß die Tage zunahmen und die Sonne immer heller schien. Die Luft war köstlich klar ohne Nebel, Wolken und Dunst.
Beinahe jeden Morgen sahen wir wunderbare Luftspiegelungen. Inseln und Halbinseln, die meilenweit entfernt waren, hoben sich plötzlich mit größter Klarheit vom Himmel ab. Noch schöner waren die Nächte, wenn die funkelnden Nordlichter über dem großen See den ganzen. Himmel bestrahlten. Manchmal bildeten sie eine leuchtende Krone, von deren Zacken blendende Strahlen in den verschiedensten Farben ausgingen und die Seeufer mit geheimnisvollem Lichte erhellten. Oft glitt eine kleine, helle Wolke über diese Strahlen hin, gerade wie eine Hand, welche über die Saiten einer schönen Harfe streicht. Unwillkürlich horchte man auf den Klang, den manche Nordpol-Reisende behaupten gehört zu haben. Manchmal hielt ich bei meinen nächtlichem Reisen Leute und Hunde an, um zu lauschen, ob nicht doch ein Ton der himmlischen Harmonien an mein Ohr dringen würde, aber alles blieb in der wilden Schneewüste still, und nie habe ich jene Klänge vernommen.
Als endlich der Frühling anbrach und das Fahrwasser offen war, ließen wir uns vom Red-River allerlei Baumaterial und zwei geschickte Bauleute kommen, und bald erhoben sich das Missionshaus und das Schulhaus, welches, fürs erste auch als Kirche benutzt wurde.
Nun konnte ich endlich meine Frau und die Kinder, die inzwischen bei Freunden geblieben waren, aus Winnipeg abholen. Noch wochenlang lebten wir miteinander in meiner kleinen Blockhütte. Bei trockenem Wetter ging das ganz gut, anders freilich war es beim Regen. Dann wurde das Lehmdach durchweicht und fiel in großen Stücken auf Betten, Tische, Herd u. s. w. Das war weder bequem noch gemütlich. Eines Morgens fanden wir ein großes, fünf Pfund schweres Stück, welches dicht neben unserer jüngsten Kleinen herabgefallen war. Nach einiger Zeit zogen wir in das fertige Missionshaus ein und freuten uns, im eignen Heim gemütlich eingerichtet zu sein und nun unsere ungeteilte Aufmerksamkeit wieder der Missionsarbeit zuwenden zu können.
Dieselbe war auch hier unter den Saulteaux keine leichte Sache. Unsere Station wuchs nicht so rasch, wie ich gehofft hatte, und es gab allerlei Enttäuschungen und Schwierigkeiten. Wir mußten Gott oft um Mut und Hoffnung, Glauben und Geduld anflehen, und er stand uns bei und erquickte uns wieder. Trotz der Hindernisse ging das Werk vorwärts, und wir durften es erleben, daß manche der verkommensten und abergläubischsten Indianer zu frommen und glücklichen Christen wurden.
Ich füge hier zum Schluß noch einen Auszug des letzten Berichtes bei, den ich an die Missionsgesellschaft sandte, bevor wir wegen der Gesundheit meiner Frau unser Arbeitsfeld dort im Norden verlassen mußten. Ich schrieb: »Der vorige Sonntag war vielleicht der schönste, den wir je hier verlebt haben. Unser Gottesdienst war stark besucht, und mehrere alte Indianer, die bis jetzt fest an ihrem Heidentum gehangen hatten, sagten sich an diesem Tage von demselben los. Sieben von ihnen, deren vollkommene Bekehrung zum Heiland klar zu Tage lag, wurden sofort getauft, nachdem sie verschiedene Fragen beantwortet hatten. Beim Nachmittags-Gottesdienst wurden noch einige andere getauft, darunter ein alter, siebzigjähriger Mann mit Frau und Enkelkind. Er war noch nie zuvor in einer christlichen Kirche gewesen und war gerade aus dem Innern des Landes gekommen, aus einem Landstrich, den Ich im vorigen April unter vielen Mühsalen besucht hatte. Dieser alte Mann brachte die Bibel und das Gesangbuch mit, welche ich ihm vor Monaten geschenkt hatte. Er sagte, er könne nicht gut lesen, aber er habe die Bücher stets bei sich, nachts tue er sie unter sein Kissen, und er habe sich stets dessen erinnert, was ich ihm von diesen Büchern gesagt habe.
Ich habe mehrere Monate lang selber Schule halten müssen, da der treue Lehrer Timotheus Bär gar nicht wohl ist. Zu meinen aufmerksamsten und fleißigsten Schülern gehören jener alte Mann und seine Frau. Mit den Silbenzeichen auf einem Blatt Papier in der Hand und der offenen Bibel neben sich im Grase sitzen sie da und bemühen sich eifrig, Gottes Wort in ihrer eigenen Sprache zu lesen.
Es hätte uns gefreut, diesen guten Alten bei seiner Taufe etwas besser gekleidet zu sehen. Er hatte nur ein Hemd und eine spärliche, lederne Beinbekleidung. Da aber hier zu Lande nicht viel Gewicht auf die Mode gelegt wird, so fiel er nicht besonders auf, sondern alle freuten sich zu hören, mit welcher Bestimmtheit er sich von seinem alten Heidentum lossagte.
Die Feier des heiligen Abendmahls an dem gleichen Tage war auch besonders ergreifend, weil mehrere vor einigen Monaten Getaufte jetzt zum erstenmal an den Tisch des Herrn traten. In zwei Fällen war es das gute Beispiel der Frauen, welches die Männer zu Christo gezogen hatte. Bis vor kurzem waren sie leichtsinnige, gedankenlose Leute gewesen, aber der Herr hat ihre Herzen umgewandelt. So geht das Werk vorwärts, doch ach, wie langsam! Wann wird die schöne Zeit kommen, wo »die Menge der Heiden« sich zum Herrn bekehren wird? Ach, komm du schöner Tag! Wie köstlich wird, es sein, wenn das Wort der Schrift erfüllt ist:
»Siehe, eine große Schar, welche niemand zählen konnte, aus allen Heiden und Völkern und Sprachen, vor dem. Stuhle stehend und vor dem Lamme, angetan mit weißen Kleidern und mit Palmen in ihren Händen, schrien mit großer Stimme und sprachen: ›Heil sei dem, der auf dem Stuhle sitzt, unserm Gott und dem Lamm!‹«