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Erst bei meinem zweiten Besuch am Nelson-Flusse kam dort die Arbeit in Gang. Bei meinem ersten Besuch waren viele Indianer infolge unvorhergesehener Umstände gerade abwesend. Die Jagd ist selbst im günstigen Fall eine sehr unsichere Art sich den Lebensunterhalt zu verschaffen. Da die Bewegungen der Rotwildherden, auf deren Fleisch die Indianer für ihre Nahrung hauptsächlich angewiesen sind, wechselnd und unberechenbar sind, ist es schwierig, einen Ort zur Zusammenkunft für einen Gottesdienst vorauszubestimmen, wo man drauf rechnen kann, genügend Nahrung für die versammelten Menschen zu finden.
Es war zuweilen recht entmutigend, wenn wir nach beschwerlicher Reise im Schlitten oder Kahn an einem Ort ankamen, der als Sammelplatz für gottesdienstliche Versammlung bestimmt war, nur ganz wenige Leute dort vorfanden. Das Rotwild oder die anderen Tiere, von denen sie zu leben hofften, hatten eine andere Richtung eingeschlagen, und die Indianer waren genötigt ihnen zu folgen.
Bei unserem zweiten Besuch begünstigte uns indes alles. Wir fanden fünfzig Familien im Lager vor, alle voll Verlangen den Missionar zu sehen. Sie hatten allerhand wunderliche Vorstellungen. Als der Methodisten-Missionar Rundee zuerst mit seiner Bibel und der Predigt unter die wilden Stämme des Saskatschewan-Landes kam, da war die Aufregung unter den Leuten groß zu erfahren, woher dieser wunderbare Mann gekommen wäre. Es wurde eine große Ratsversammlung berufen, und die Beschwörer erhielten den Befehl, der Frage auf den Grund zu kommen. Nach sehr vielem Getrommel, Träumen und Beschwören teilten sie schließlich der versammelten Menge feierlich mit, dieser sonderbare Mann mit seinem wunderbaren Buche sei in ein Couvert eingeschlossen gewesen und sei vom großen Geist auf einem Regenbogen auf die Erde herabgesandt worden.
Die Indianer am Nelson-Flusse nahmen mich sehr freundlich auf und waren in ihren Begrüßungen sehr viel ausdrucksvoller als andere Indianer, bei denen ich gewesen bin, obwohl wir sehr herzliche und merkwürdige Bewillkommnungen erfahren haben. Hier war die Sitte des Händeschüttelns noch ziemlich unbekannt, dagegen herrschte die ältere des Küssens vor. Groß war daher mein Erstaunen, als ich mich plötzlich von 250 bis 300 wilden Indianern, Männern, Weibern und Kindern umringt sah, deren Gesichter von völliger Unbekanntschaft mit Seife und Wasser zeugten, alle in der freundlichen Erwartung mich zu küssen. Ich fühlte mich außer stande diese Probe zu bestehen, und es gelang mir sie alle mit einem herzlichen Händedruck und ein paar freundlichen Worten zu befriedigen.
Um acht Uhr am folgenden Morgen riefen wir die Indianer zum ersten christlichen Gottesdienst zusammen, dem die meisten von ihnen beiwohnten. Sie folgten mit gespannter Teilnahme und Aufmerksamkeit. Meine christlichen Indianer aus Norway-Haus halfen mir beim Beginn des Gottesdienstes; sie hatten schöne Stimmen, und ihre lieblichen Lieder trugen viel dazu bei unsern Gottesdienst anziehend zu machen. Wir sangen mehrere geistliche Lieder, lasen ein paar Abschnitte aus der Bibel und beteten. Etwa um neun Uhr las ich als Text meiner Ansprache die herrlichen Worte: »Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.«
Sie lauschten aufmerksam, während ich vier volle Stunden über die göttliche Wahrheit, die in diesen Worten beschlossen ist, zu ihnen redete. Sie hatten nie zuvor eine christliche Predigt gehört; sie kannten die allereinfachsten Wahrheiten unseres christlichen Glaubens nicht; so mußte ich ihnen alles und jedes erst klar und verständlich machen, was uns ganz selbstverständlich vorkommt. Ich begann mit der Erschaffung der Welt und mit dem Sündenfall. Dann erst konnte ich von Gottes Liebe und Gnade und von der größten Tat derselben reden, daß er seinen eingebornen Sohn, den Herrn Jesum Christum, für uns dahingegeben hat, der gestorben ist, damit wir leben sollen. Ich verweilte besonders bei den Segnungen, die uns aus der persönlichen Annahme dieses Heilandes entspringen. Ich bestrebte mich, es ihnen recht verständlich zu machen, daß wir, die wir uns so weit verirrt haben, eingeladen werden umzukehren und uns vom Vater im Himmel als seine Kinder aufnehmen zu lassen. Ich sprach von Gottes Liebe zu allen Menschen; von seiner Bereitwilligkeit uns alle aufzunehmen, unsere Herzen mit Freude zu füllen, uns in allem Leid des Lebens zu trösten, uns im Tode zu erhalten und uns dann aufzunehmen in das ewige Leben und eine Welt voll Licht und Herrlichkeit.
Die seligmachende Wahrheit, welche ich ihnen so schlicht wie möglich und ihrem Verständnis entsprechend nahe zu bringen suchte, drang in die Herzen. Ihre Aufmerksamkeit bewies mir, daß sie meine Worte verstanden. Ihre lebhaften Augen strahlten und strömten bisweilen auch von Tränen über, und als ich schloß, traten Ausrufe der Freude und des Entzückens an die Stelle der langandauernden gespannten Stille.
Dann übersetzten wir einige Verse des schönen Liedes, in ihre Sprache und sangen miteinander:
»O daß ich tausend Zungen hätte
Und einen tausendfachen Mund,
So stimmt ich damit um die Wette
Aus allertiefstem Herzensgrund
Ein Loblied nach dem andern an
Von dem, was Gott an mir getan.«
Wieder knieten wir zum Gebet nieder, und auf meine Bitte wiederholten sie alle die kurzen, einfachen Sätze, in denen wir unsere Bitten zu dem emporschickten, der die Gebete hört und erhört. Ein Geist der Ehrfurcht und Andacht schien auf uns allen zu ruhen. Es war für die große Mehrzahl das erstemal, daß sie es versuchten, zu Gott im Namen Jesu zu beten, und ich fühlte mich im Innern versichert, daß diese einfachen Bitten, die Herz und Lippen dieser armen Indianer bewegten, von dem nicht verachtet würden, dessen Herz voll Liebe und Erbarmen für alle schlägt.
Nachdem wir gebetet hatten, bat ich die Leute sich nochmals auf den Boden niederzusetzen, da ich von ihnen zu hören wünschte, was sie über diese große Wahrheiten dächten, die ihnen zu verkündigen ich von so weit her gekommen war. Ich wünschte zu erfahren, was sie in Bezug auf den christlichen Glauben, den ich ihnen verkündigte, zu tun vorhätten. Als ich meine Anrede schloß, richteten sich aller Augen auf den Häuptling, da diese Indianer wie alle anderen Stämme ihre ungeschriebenen festen Gesetze über den Vortritt der Älteren und Vornehmeren haben. Er erhob sich von seinem Platz inmitten seiner Leute, kam zu mir herüber und stellte sich an meine rechte Seite. Dann hielt er eine Ansprache, die ergreifendste, welche ich jemals gehört.
Jahre sind seit jener Stunde vergangen, und doch ist die Erinnerung an den großen, schlanken, leidenschaftlich bewegten Indianer so lebhaft in mir wie je. Seine Gesten waren zahlreich, aber sie waren alle voll Würde und Anmut. Seine Stimme war besonders wohllautend und ausdrucksvoll, denn er sprach in tiefer Herzensbewegung. Ich gebe einen kurzen Abriß seiner Rede, wie ich sie bald nachher mit Hilfe meines Dolmetschers niederschrieb.
»Missionar, lange schon habe ich den Glauben an unser altes Heidentum verloren.« Auf die äußersten Reihen der Zuhörerschaft hinweisend, wo etliche alte Beschwörer und Zauberer zu sehen waren, fuhr er fort: »Diese dort wissen es, daß ich unsere alte Religion nicht mehr mochte. Ich habe sie vernachlässigt. Und ich will Euch sagen, Missionar, warum ich seit langer Zeit unserem alten Heidentum nicht mehr glaubte. Ich höre Gott im Donner, im Sturm und Brausen des Windes; ich sehe seine Macht im Blitz, der den Riesenbaum verzehrt wie dürres Reisig; ich sehe seine Güte darin, daß er uns das Wild, das Renntier, den Biber, den Bär gibt; ich sehe seine Freundlichkeit, wenn die Südwinde wehen und er uns die Enten und die Gänse schickt; wenn der Schnee geschmolzen ist und unsere Seen und Ströme wieder offen stehen, so sehe ich, wie er sie mit Fischen erfüllt. Ich habe diese Dinge Jahre hindurch beobachtet, und ich sehe, wie er in jedem Monat des Jahres uns irgend etwas darreicht. Und er hat es so eingerichtet, daß wir, wenn wir selbst nur fleißig und sorgsam sind, zu jeder Zeit etwas zu unserer Nahrung haben können. Wenn ich so über all diese Dinge, die ich beobachtete, nachgedacht habe, bin ich schon vor Jahren zu der Überzeugung gekommen, daß dieser große Geist, der so freundlich, so fürsorgend und so liebevoll ist, keinen Gefallen haben kann an der Trommel des Beschwörers oder dem Rasseln der Klapper des Medizinmannes. So bin ich seit Jahren ohne Religion gewesen.« Dann wandte er sich zu mir und sagte, indem er mir mit einem Ausdruck, der mir ins Herz ging, ins Auge schaute:
»Missionar, was Ihr uns heute gesagt habt, erfüllt mein Herz und befriedigt all sein Sehnen. Es ist gerade das, was ich erwartet habe von dem großen Geist zu hören. Ich bin so froh, daß Ihr mit dieser wunderbaren Botschaft gekommen seid. Bleibet bei uns, solange Ihr könnt; und wenn Ihr genötigt seid fortzugehen, so vergesset uns nicht, sondern kommt wieder.«
Laute Ausrufe der Zustimmung begrüßten diese Worte des Häuptlings. Als er geendigt hatte, sagte ich: »Ich wünsche nun auch von den anderen ihre Meinung und eines jeden eigene Ansicht über diese wichtigen Dinge zu hören.« Viele kamen meinem Wunsche nach, und mit Ausnahme von ein paar alten Beschwörern, die für ihren Erwerb besorgt waren, sprachen sich alle in demselben Sinne aus wie der Häuptling. Der letzte, welcher sprach, war ein alter Mann mit grauem Haar und heftigen, leidenschaftlichen Gebärden. Es war ein sonderbarer, wild aussehender Mann; er kam aus der Mitte der Versammlung bis nach vorne zu uns in eigentümlichen, sprungartigen Bewegungen heran. Sein Haar war geflochten und hing bis an die Knie hinunter. Er bahnte sich durch die dichtgedrängte Versammlung den Weg, trat vor mich, und seine Finger tief in sein dichtes Haar steckend rief er mit dem Ausdruck größten Ernstes: »Missionar! einst war mein Haar so schwarz wie der Fittich des Raben, jetzt wird es weiß. Graues Haar auf dem Haupt und Enkelkinder im Wigwam sagen mir, daß ich anfange ein alter Mann zu werden: und doch habe ich nie zuvor solche Dinge gehört wie die, welche Ihr uns heute verkündigt habt. Ich bin so froh, daß ich nicht gestorben bin, ehe ich diese wunderbare Geschichte vernommen habe. Aber ich werde alt. Hier das graue Haar und drüben die Enkelkinder sagen es. Bleibt bei uns, Missionar, solange Ihr könnt, und erzählt uns viel von diesen Dingen. Und wenn Ihr fortgehen müßt, so kommt bald wieder; denn ich habe Enkelkinder und habe graues Haar; es kann sein, daß ich nicht viele Winter mehr erlebe. Kommt bald wieder!«
Er wandte sich, als wolle er auf seinen Platz zurückgehen, blieb aber nach ein paar Schritten stehen, kehrte um, blickte mich an und sagte: »Missionar, darf ich mehr sagen?«
»Redet weiter,« sagte ich, »ich bin hier, um zu hören.«
»Ihr sagtet eben »Notawenan« (Unser Vater).«
»Ja, ich sagte Unser Vater«, erwiderte ich.
»Das ist für uns sehr neu und süß zu hören«, sagte er. »Wir haben den großen Geist nie als unseren Vater angesehen. Wir hörten ihn im Donner, wir sahen ihn im Blitz, im Sturm und Schneetreiben und fürchteten uns. Wenn Ihr uns nun vom großen Geist als von unserem Vater redet, so ist uns das köstlich.«
Einen Augenblick zögernd, stand er da vor mir, ein wilder, malerisch aussehender Indianer. Ich fühlte mein Herz in tiefer Teilnahme und Liebe zu ihm hingezogen.
Seine Augen zu den meinigen erhebend, sagte er wieder: »Darf ich noch mehr sagen?«
»Ja,« sagte ich, »redet weiter.«
»Ihr sagt »Notawenan«. Ist er Euer Vater?«
»Ja, er ist mein Vater.«
Mit einem Blick und einer Stimme, worin sich ein sehnendes Verlangen nach der Antwort ausdrückte, fuhr er fort: »Soll das heißen: Er ist auch mein Vater – des armen Indianers Vater?«
»Ja, o ja!« rief ich aus, »er ist auch dein Vater.«
»Euer Vater – des Missionars Vater und des Indianers Vater auch?« wiederholte er.
»Ja, das ist wahr,« antwortete ich.
»Dann sind wir also Brüder?« rief er fast jubelnd aus.
»Ja, wir sind Brüder,« erwiderte ich. Die Aufregung, die in der Zuhörerschaft entstand, war ganz merkwürdig, als mein Gespräch mit dem alten Manne diesen Punkt erreicht und in einer so unerwarteten und so herzbewegenden Weise die große Wahrheit klar gemacht hatte, nicht nur daß Gott unser Vater ist, sondern daß alle Menschen untereinander Brüder sind – die Wahrheit von der Einheit des Menschengeschlechts; die Leute konnten die Ausbrüche ihrer Freude nicht zurückhalten. Doch der alte Mann war mit dem, was er sagen wollte, noch nicht zu Ende; ruhig gebot er den Lebhaftesten, sich still zu verhalten, dann wandte er sich wieder zu mir und sagte:
»Darf ich noch mehr sagen?«
»Ja, rede weiter, sag alles heraus, was dein Herz erfüllt.«
Nie werde ich seine Antwort vergessen.
»Nun, ich möchte nicht unhöflich sein, aber es will mir scheinen, daß ihr, meine weißen Brüder, lange Zeit gebraucht habt, um mit diesem großen Buche und seiner wunderbaren Geschichte zu euren roten Brüdern in die Wälder zu kommen.«
Diese Worte ergriffen mich, es wurde mir schwer, darauf zu antworten. Das ist die Frage, die Millionen sehnender, harrender, müder Seelen bewegt, welche ihrer falschen Religionen überdrüssig sind und im Innersten nach dem Frieden der Seele schmachten, der einzig und allein im Ergreifen der frohen Botschaft von der Erlösung durch Jesum Christum zu finden ist. Ich suchte die Langsamkeit der Ausbreitung des Evangeliums zu erklären und die zu entschuldigen, welche zwar zugeben, daß alle Menschen untereinander Brüder sind, aber doch so oft vergessen, daß sie ihres »Bruders Hüter sein« sollen.
Wir schlossen die Versammlung für eine kurze Weile, und sobald das Mittagsmahl in Eile genossen war, vereinigten wir uns abermals zu einem Nachmittags-Gottesdienst. Dieser zweite Gottesdienst währte volle fünf Stunden.
Nachdem wir gesungen und gebetet hatten, las ich die schöne Geschichte von dem Kämmerer aus dem Mohrenlande und dann die Erklärung des Sakraments der Taufe. Ich suchte ihnen klar zu machen, was es bedeute, ein Christ zu werden. Ich erklärte ihnen, ich sei bereit, jeden zu taufen, der dem heidnischen Leben mit seiner Vielweiberei und Zauberei, seinem Glücksspiel und all den anderen Lastern absagen und von jetzt an beginnen wolle, den wahren Gott anzubeten und ihm zu dienen. Die Vielweiberei war für die meisten der größte Stein des Anstoßes, da einige von ihnen drei und vier Weiber hatten. Trunksucht kommt in dieser Gegend wenig vor, vielleicht wegen der großen Schwierigkeit, starke Getränke in ein von aller Civilisation so weit entferntes Land einzuführen.
Nachdem ich lange Zeit darauf verwandt hatte, ihnen die »Lehre des heiligen Buches« klar zu machen, und viele Fragen beantwortet hatte, forderte ich alle diejenigen, die entschlossen seien, den Forderungen des Evangeliums nachzukommen, und die die heilige Taufe begehrten, vorzutreten und sich neben mich zu stellen.
Sogleich folgten etwa vierzig Männer und Weiber dieser Aufforderung, sie kamen und setzten sich zu meinen Füßen nieder. Einige zitterten vor Bewegung, andere weinten, alle waren offenbar tief ergriffen. Dann las ich die herrlichen Stellen der heiligen Schrift in Bezug auf die Kindertaufe. Ich betonte besonders die Liebe Jesu zu den Kindern und seine Bereitwilligkeit sie anzunehmen. Es waren für uns alle ernste und gesegnete Stunden.
Alle wünschten neue Namen in der Taufe zu erhalten, und ich mußte dieselben für sie wählen. Während ich sie taufte und ihnen neben ihren meist sehr ausdrucksvollen und poetischen indianischen Namen christliche Namen beilegte, war mein stetes Gebet, sie möchten einst den Herrn sehen von Angesicht, und sein Name möge auf ihrer Stirn geschrieben stehen.
Übrigens herrschte doch noch ein gewisser Widerstand, Satan läßt sich nicht so leicht besiegen und austreiben. Die alten Beschwörer und Medizin-Männer, die treuen Diener des Feindes, erhoben bald Widerspruch. Ihre Selbstsucht war wach geworden. Sie waren schlau genug, zu begreifen, daß, falls mir alle zufielen, es ihnen ergehen müsse wie Demetrius, dem Anfertiger der Diana-Tempel-Bilder, und daß es mit ihrem Erwerb bald aus sein werde. Aber sie waren in so verschwindender Minderheit, daß sie nicht wagten, Schlimmeres zu tun als zu drohen und zu fluchen. Ein alter Beschwörer, dessen Weib mit mehreren andern als Zeichen und Siegel ihrer Annahme um Christi willen um die Taufe gebeten hatte, stürzte gerade, als ich im Begriffe war, sie zu taufen, auf mich los. Ehe ich seine Absicht erkannt hatte und ihn daran verhindern konnte, packte er das Weib und schüttelte es heftig und schrie, mit dem Ausdruck ohnmächtiger Wut auf mich blickend, »Tauft sie Atim«! (Hund!)
»Nein«, sagte ich, freundlich auf das arme, zitternde Weib blickend, »ich will ihr den lieblichsten Namen geben, den je ein Weib getragen, den Namen der Mutter Jesu.« Und so taufte ich sie Maria.
Wir verbrachten nun mehrere Tage damit, die Leute zwischen den Gottesdiensten, deren wir meist drei am Tage hatten, im Lesen der Silbenschrift zu unterrichten. Zuweilen versammelten wir alle Leute, malten die Silbenzeichen mit einem angebrannten Stück Holz auf die glatte Fläche einer Felswand und lehrten sie, so gut wir konnten. Zuweilen gingen wir auch von Zelt zu Zelt und unterrichteten sie einzeln, hatten dann auch manches Gespräch über Glaubenssachen und beteten mit ihnen. Ich überließ ihnen mehrere Dutzend Neue Testamente, Gesangbücher und Katechismen in ihrer eigenen Sprache. So groß war bei manchen von ihnen der Eifer um Belehrung in den Heilswahrheiten, daß sie noch drei Tage an dem Platz blieben, nachdem sie bereits all ihre Vorräte aufgezehrt hatten. Als ich das zuerst hörte, konnte ich es kaum glauben, aber ich überzeugte mich persönlich, daß es wirklich so war. Mit Tränen in den Augen sagten sie mir Lebewohl und teilten mir mit, daß sie wegen ihrer hungernden Kinder gezwungen seien, jetzt der Jagd und dem Fischfang nachzugehen. »Aber«, fügten sie hinzu, »was wir von Euch vernommen haben, wird uns die ganze Zeit über froh machen.« – –
Im weiteren Verlaufe dieser Reise trafen wir in einem andern Indianerlager ein Mädchen von etwa zwölf Jahren, das an der Schwindsucht rasch dem Tode zueilte. Ich erzählte ihr von Jesus und vom Himmel und betete öfter mit ihr. Als das Ende herankam, sagte sie zu ihrer betrübten Mutter: »Ich bin froh, daß der betende Mann mir solche Worte des Trostes gesagt hat. Ich habe die Furcht vor dem Tode verloren. Ich glaube, dieser liebe Jesus wird mich in das bessere Land bringen. Aber, Mutter, wenn du kommst, willst du dann nach mir ausschauen und mich suchen? Ich möchte dich wiedersehen!«
Ist es zu verwundern, daß ich diese Indianer vom Nelson-Strom innig lieb gewann? Ich besuchte sie jährlich zweimal und trat mit Wort und Schrift für sie ein, bis meines Herzens Wunsch erfüllt wurde und ein geliebter Bruder in Christo sich bereit erklärte, zu ihnen zu ziehen und unter ihnen zu wohnen.