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12. Kapitel.
Auf dem Winnipeg-See.

Im Dezember 1877 machte ich eine Reise zu den Indianern in Sandy-Bai. Da diese Reise sich in mancher Beziehung von meinen sonstigen Fahrten unterschied, so will ich etwas davon berichten.

Sandy-Bai, auch Weißer Sumpf genannt, liegt über 150 Kilometer südlich vom Beren-Strom, an dem wir damals lebten. Wir trafen die gewöhnlichen Vorbereitungen für eine Winterreise, beluden unsere Schlitten mit Nahrungsmitteln für uns selbst und mit Fischen für unsere Hunde und versahen uns mit allem, was für eine wochenlange Abwesenheit nötig ist, besonders auch mit Kochgerätschaften.

Die Leute, zu denen wir reisen wollten, waren arm, darum fanden wir, wie weiland Paulus, es sei für Missionszwecke entschieden besser, in betreff des Lebensunterhalts so unabhängig wie möglich von diesen Leuten zu sein, die noch nicht Christen waren. Meine Frau versorgte uns also mit einer ordentlichen Menge gekochten Fleisches und mit Brotschnitten, die dick mit Fett belegt waren. Glücklicherweise besaßen wir gerade genügende Vorräte, was nicht immer der Fall war.

Alle unsere Vorbereitungen waren getroffen, und wir waren um ein Uhr nachts zur Abreise bereit. Da erhob sich ein heftiger Sturm, und wir mußten bis Tagesanbruch warten, dann erst konnten wir die Hunde anspannen und uns hinaus wagen. Als wir etwa zwanzig Meilen gefahren waren, wurde der Sturm auf dem großen Winnipeg-See unerträglich. Er wirbelte den frischgefallenen Schnee auf, und wir waren davon so geblendet, daß wir uns in den Wald flüchten und dort lagern mußten.

Wir schafften den Schnee vom Boden fort, bis wir einen Raum von etwa acht Fuß im Durchmesser frei gelegt hatten. Auf der einen Seite bauten wir den Holzstoß für unser Feuer auf, das übrige bedeckten wir mit immergrünen Zweigen und machten darauf unser Nachtlager zurecht. Die Hunde wurden ausgespannt und einige gefrorene Fische für sie aufgetaut. Da meine Reise verhältnismäßig kurz sein sollte, so hatte ich bloß zwei Hundeschlitten und zwei unserer guten Indianer bei mir. Wir schmolzen in unseren Kesseln etwas Schnee, machten Tee und kochten etwas Fleisch. Dieses und ein Teil des Brotes, das wir auf diese Fahrt mitgenommen hatten, bildete unsere Mahlzeit. Gegen Sonnenuntergang hielten wir unsere Abendandacht, und da wir die vorhergehende Nacht kaum geschlafen hatten, hüllten wir uns jetzt sogleich in unsere warmen Decken und Gewänder und schliefen beim Heulen des Sturmes ein.

Ungefähr um zehn Uhr abends erwachte ich wieder, steckte meinen Kopf unter der Decke hervor und fand, daß der Sturm zu toben aufgehört hatte. Schnell sprang ich auf und zündete das Feuer an, aber meine Finger schmerzten und ich zitterte vor Kälte am ganzen Leibe, bis die Flamme hell empor loderte. Ich füllte den Kessel mit Schnee, und während derselbe schmolz, weckte ich meine Gefährten und einige andere junge Indianer, die mit ihren Schlitten zu uns gestoßen waren. Die Indianer verstehen es, mit überraschender Genauigkeit die Stunden aus der Stellung des großen Bären zu erkennen. Bei Nacht ist dieses ihre Uhr. Sie blickten zum Sternhimmel empor, und ich sah an ihren erstaunten Gesichtern, daß sie glaubten, ich hätte mich geirrt, und den Abend mit dem frühen Morgen verwechselt. Aber sie sagten nichts, sondern wir nahmen schnell unsere Mahlzeit ein, hielten unsere Morgenandacht und spannten die Hunde an; unsere Betten, Nahrungsmittel, Kleidungsstücke, Kessel u. s. w. wurden auf die Schlitten gebunden, und dann warfen wir noch die Zweige von unserer Lagerstatt in das Feuer, um beim Licht der auflodernden Flamme den Weg durch das Waldesdunkel zum gefrorenen See zu finden.

Ich fuhr mit meinen guten Hunden voran, und so schnell ging unsere Fahrt, daß wir schon vor Sonnenaufgang über sechzig Kilometer auf der Eisfläche des Winnipeg-Sees zurückgelegt hatten. In »Dachskopf«, wo einige Indianer mit ihrem kühnen Häuptling »Dickfuß« hausten, hielten wir uns ein wenig auf, dann aber ging's wieder weiter quer über den See, bis zu einer Stelle, die »Bullenkopf« genannt wird. Dort übernachteten wir wieder. Die Uferfelsen steigen hier so schroff empor, daß wir unsere schweren Lasten nicht in den Wald hinaus schaffen konnten, so mußten wir unser Feuer und Lager im Schnee am Fuße der Felsen machen. Es war eine recht ungemütliche Lage. Der Sturm hatte gerade dort große Schneemassen angeweht. Wir hatten keinen Schutz vor dem bitterkalten Winde, der während der Nacht seine Richtung wechselte und unbarmherzig auf uns blies. Wenn wir im Walde unser Lager aufschlugen, so konnten wir, sobald der Wind umschlug, unser Feuer auf eine andere Stelle tragen, so daß der Rauch von uns weggeweht wurde. Hier am Fuße der Felsen gelang uns das nicht, so mußten wir entweder unter der bittern Kälte oder unter dem Qualm und Rauch leiden.

Wir befanden uns gerade in dieser unangenehmen Lage und waren damit beschäftigt, uns auf dem Schnee notdürftig ein Nachtlager zurecht zu machen (denn grüne Zweige gab es hier auch nicht), da gesellten sich einige wilde Indianer zu uns, die durch unser Lagerfeuer herbeigelockt worden waren. Mit ihnen kam eine ganze Anzahl von mageren, halbverhungerten, wölfisch aussehenden Eskimohunden. Die Indianer waren sehr liebenswürdig gegen mich, und ich erriet gleich, was sie wollten, nämlich Tee und andere Nahrungsmittel. Ich begrüßte sie freundlich, meinte aber, sie würden es gewiß viel besser haben, wenn sie sich etwas weiterhin lagerten. Ich kannte den schrecklichen Appetit der wilden Eskimohunde und fürchtete für unsere Vorräte, für das Leder am Geschirr unserer Hunde u. dgl. mehr, falls diese diebischen Tiere in unserer Nähe blieben. Aber die Indianer antworteten mir mit überhöflichen Gegenreden: unter keiner Bedingung wollten sie der großen Freude verlustig gehen, wenigstens eine Nacht mit dem Missionar zuzubringen, den man ihnen als einen so warmen Freund der Indianer geschildert hatte.

Natürlich konnte ich sie nicht fortschicken, aber ich fürchtete Unheil und hatte mich nicht getäuscht. Um ihre Gefräßigkeit etwas zu beschwichtigen, gab ich den Eskimohunden alle Fische, die ich für meine acht Hunde für mehrere Tage mitgenommen hatte. Schleunigst räumten sie damit auf. Ich ließ das Hundegeschirr, um es zu schützen, ins Lager bringen, dann bauten meine Leute aus den Schlitten noch eine Schutzwand gegen den Wind.

Außer den gewöhnlichen Reisevorräten hatte ich diesmal einen Sack mit Fleisch und einen andern mit Brot als Nahrung während der Zeit, die ich mit Predigen und Lehren zubringen wollte, mitgenommen. Ich sammelte ein paar tüchtige Knüttel aus dem am Ufer angeschwemmten Holz, von dem wir auch unsere Feuerung genommen hatten. Dann verbarg ich meinen Sack mit hartgefrorenem Fleisch unter meinem Kopfkissen, gab das Brot einem meiner Indianer mit der Weisung, es gut zu hüten, und legte mich zum Schlafen hin. Lange wollte es mir nicht gelingen, einzuschlafen. Kaum lagen wir, so waren wir von den Hunden umschwärmt. Sie kämpften um die Ehre, unseren Fleischkessel auf ihre Art zu reinigen, und sahen sich dann nach anderem Raube um. Sie sprangen über uns und um uns herum, und bald hatte sich eine ganze Anzahl mir zu Häupten versammelt; sie witterten das Fleisch. Ich sprang auf und trieb sie mit Hilfe meiner Knüttel aus dem Lager auf den See hinaus. Dann kroch ich wieder unter meine Decken, aber von Schlafen war keine Rede. Nach zehn Minuten waren die Quälgeister wieder da, und der gleiche Auftritt wiederholte sich mehrere Male. Schließlich war mein Vorrat von Knütteln zu Ende. Mein einziger Trost war, daß die Hunde die Sache auch überdrüssig zu werden schienen, und ich hoffte, jetzt werde Ruhe eintreten. Es schien, als wollten sie sich zum Schlafe niederlegen, und ich tat mit Freuden das Gleiche. Eitle Hoffnung! Zwar schlief ich sehr ermüdet bald ein, aber als wir am andern Morgen erwachten, da war in unseren mühsam verwahrten Säcken kein Stückchen Fleisch und kein Krümchen Brot mehr zu finden.

Unsere Lage war infolgedessen nicht sehr erfreulich. Unser Lager befand sich an einer ausgesetzten Stelle mitten im tiefen Schnee. Wir hatten kein schützendes Dach über uns und nur ein schwaches Feuer, denn wir hatten nur sehr schlechtes Holz, das schrecklich qualmte und nicht erwärmte, und der Rauch trieb uns die Tränen in die Augen. Unser gutes Fleisch und schmackhaftes Brot, welches wir auf dieser kalten Fahrt so nötig brauchten, waren von den Hunden verzehrt worden, die mit den unschuldigsten Gesichtern der Welt um uns herum saßen und uns beobachteten. Glücklicherweise hatte einer der Indianer einige Zwiebäcke in einem kleinen Sack als Geschenk für einen Freund mitgenommen. Diese zog er nun hervor, denn wir hatten außer Tee und Zucker gar keine anderen Nahrungsmittel behalten und konnten auch keine bekommen, bevor wir etwa 100 Kilometer weiter nach Süden gereist waren. Wir ließen uns keine Zeit zum Jammern, sondern bereiteten uns zu einer schnellen Fahrt vor, um womöglich dem schrecklichen Hunger zu entfliehen, der uns, wie wir wohl wußten, schon in wenig Stunden überfallen konnte.

Nach einem schnellen Frühstück knieten wir im Schnee nieder, sprachen unsre Gebete, und dann ging's vorwärts. Meine guten Hunde erfüllten die an sie gestellten Ansprüche so ausgezeichnet, daß wir noch vor Schluß des kurzen Dezembertages die kleinen Hütten der uns befreundeten Indianer erreichten, allerdings nicht ohne Mühsale und Gefahren.

An einer Stelle mußte ich etwa vierzig Kilometer quer über den See fahren. Da brach mein größter Hund, Jack, plötzlich ein und verschwand bis zum Halse in einer Eisspalte. Das Eis, welches oft mehrere Fuß dick ist, platzt manchmal mit lautem Krachen, und es bilden sich Spalten von sehr verschiedener Weite; manchmal beträgt dieselbe bloß ein paar Zoll, manchmal mehrere Fuß. In diese Öffnung strömt das Wasser mit aller Gewalt, bis sie ganz gefüllt ist, und bei der großen Kälte ist die Oberfläche bald wieder gefroren. Kommt dann bald darauf ein Schlitten über das Eis, so kann es recht gefährlich werden, wenn die dünne Kruste unter der Last bricht. Mehr als einmal habe ich meinen Führer in eine solche Spalte fallen sehen und bin selber oft genug nahe daran gewesen. Bei der Fahrt, von der ich jetzt berichte, saß ich gerade auf dem Schlitten, die beiden vordersten Hunde waren glücklich hinüber gekommen, aber der dritte, Jack, brach durch das dünne Eis und fiel ins kalte Wasser. Die vorderen Hunde zogen mächtig an, der hinterste tat auch, was er konnte, und so gelang es bald, den edlen Bernhardiner herauszuziehen und vor dem Ertrinken zu retten. Die Kälte war so groß, daß sein glänzendes, schwarzes Fell in wenigen Minuten mit einem eisigen Panzer bedeckt war. Offenbar begriff er die Gefahr, in der er schwebte, denn kaum war der Schlitten auf der andern Seite der Spalte angelangt, so zog er mit Macht an, und die anderen Hunde und mich mit sich reißend, strebte er geradeswegs dem fernen Walde zu. Wir waren noch ungefähr zwanzig Kilometer vom Ufer entfernt, aber schon in einer Stunde hatten wir es erreicht; schnell sammelte ich eine Menge Reisig und Holz, und bald brannte ein helles Feuer, vor welchem ich ein Büffelfell ausbreitete. Darauf legte sich mein eisbedeckter Hund und drehte sich, wenn nötig, ganz von selber um, so daß er schon in kurzer Zeit ganz trocken und munter war. Nach einer Weile kam der andere Schlitten. Zwei der Indianer hinter uns waren auch in die Spalte gefallen, und es dauerte ziemlich lange, bis sie wieder trocken waren.

Wir machten etwas Tee, und frisch gestärkt ging's weiter. An unserem Ziel angelangt, wurden wir aufs wärmste begrüßt. Viele der dort ansässigen Indianer waren mir von früher her bekannt.

Manche stammten von Norway-Haus. Die Missionsansiedelung dort war so sehr gewachsen, daß es nicht mehr genug Fisch und Wild in der Umgegend gab. Deshalb mußte eine ganze Anzahl Indianer sich einen andern Wohnort suchen. Da waren denn viele an diesen Ort gekommen, an dem ich sie jetzt aufsuchte, um den fruchtbaren Boden und die gute Fischerei hier auszunutzen. Da sie erst im Spätsommer hier angekommen waren, so hatten sie sich nur kleine Häuser gebaut, die sie nicht vor der Kälte schützten. Die Fischerei war schließlich doch nicht so gut, wie man ihnen gesagt hatte. Als ich jetzt in ihr Dorf kam, drängten sie sich um mich und erzählten mir, wie sie oft Hunger leiden müßten, und daß es ihnen überhaupt nicht gut ginge.

Gerade als ich bei ihnen anlangte, waren einige Schlitten im Begriff, nach Manitoba abzufahren. Ich eilte in eine der Hütten, um mit Bleistift einige Zeilen an meinen Freund Georg Young zu schreiben, aber es wollte mir nicht gelingen, da vier Finger meiner rechten Hand erfroren waren. Diese und meine erfrorene Nase erinnerten mich noch tagelang an jene 100 Kilometer, die wir hungrig zurückgelegt halten.

Außer den christlichen Indianern fand ich hier noch eine Menge anderer, die auch an diesen Ort gezogen waren. Ich brachte acht Tage bei ihnen zu. Das Dorf bestand aus einem Dutzend kleiner Häuser und eine Menge Wigwams. Der Lebensunterhalt der Bewohner hing vom Kaninchen- und Fischfang ab, es war aber nur eine sehr unsichere Sache damit. Da die diebischen Hunde all meine schönen Vorräte vertilgt hatten, so war ich ganz auf das angewiesen, was die Leute mir gaben. Freudig taten sie ihr Bestes, und morgens, mittags und abends wurde ich mit Fisch und Kaninchen versorgt und befand mich ganz wohl dabei.

Meiner Gewohnheit gemäß predigte ich täglich dreimal, und zwischen den Gottesdiensten hielt ich Schule. Es bildete sich eine Klasse von fünfunddreißig Leuten, von denen sich zehn für den Herrn entschieden hatten und seine treuen Jünger werden wollten. Es war uns eine große Freude, diese neuen Brüder in unsere Mitte auszunehmen, denn in den vorhergehenden Jahren war die Arbeit unter ihnen nicht sehr ermutigend gewesen. Glücklicherweise fand sich ein Mann, der es ausgezeichnet verstand, für diese kleine Herde mitten in der Wüste zu sorgen. Er war ein Indianer und hieß Benjamin Cameron. Er hatte ein merkwürdiges Leben hinter sich. Er war einst ein Menschenfresser gewesen, aber Gottes Gnade hatte ihn aus diesen schrecklichen Tiefen der Sünde gerettet, hatte seine Füße auf den ewigen Fels gestellt und seine Lippen und sein Herz mit Freude und Lob erfüllt. Er wurde ein guter Mann, voll heiligen Geistes.

Die Stunden, die ich mit den Kindern zubrachte, waren besonders angenehm und segenbringend. Es war uns eine große Freude, die größeren unter ihnen so gut lesen und ihren Katechismus in der Krisprache und sogar auf englisch aufsagen zu hören. Ich hatte allerlei neue Bücher mitgebracht, und die ärmeren Kinder erhielten auch warme Kleidungsstücke, die von lieben Missionsfreunden in Montreal gesandt worden waren. Es war ein ausgezeichneter Gedanke der lieben Freunde, uns diese warmen Sachen zu schicken. Ich wünschte nur, sie hätten selber sehen können, wieviel Elend gelindert, wieviel Freude dadurch bereitet wurde; sie hätten sich gewiß reichlich belohnt gefühlt.

An einem Sonntag teilte ich dort im Dorfe das heilige Abendmahl aus. Es war eine schöne, ernste Stunde, die wir zusammen verlebten. Die Nähe des Herrn war fühlbar, und wir alle gelobten von neuem, ihm Treue zu halten. Ich verlebte das Christfest bei jenen Indianern. Einer von ihnen hatte in seinen Fallen einige Ottern gefangen und für die Felle von vorüberziehenden Handelsleuten etwas Mehl und getrocknete Pflaumen bekommen. Davon wurde mir zu Ehren ein Pudding bereitet, den ich aber aus verschiedenen Gründen hier nicht näher beschreiben will.

Bei herrlichem Wetter machten wir die Heimreise in zwei Tagen, voller Freude, daß unser Aufenthalt unter jenen Indianern ein vom Herrn gesegneter gewesen war.

Wilhelm Memotas.

Als Gottes treuer Diener Jakob Evans die frohe Botschaft von der Erlösung in das Land der Kri-Indianer brachte, da gehörte Wilhelm Memotas zu denjenigen, die gar bald die Finsternis des Heidentums mit dem Lichte Jesu vertauschten. Seine Bekehrung kam so deutlich zum Ausdruck, daß man nie einen Zweifel darüber hegen konnte. Er machte bald große Fortschritte in seiner Entwicklung als Christ und wurde ein nützliches und geschätztes Glied seiner Kirche, der er besonders als Prediger und Leiter einer Bibelklasse große Dienste leistete.

Er war vor allem ein sehr glücklicher Christ. Sein Gesicht war wie Sonnenschein. Er besaß eine warmherzige Liebenswürdigkeit, die sehr anziehend war; seine bloße Gegenwart war wohltuend. Wenn er uns im Missionshause besuchte, dann empfanden selbst unsere Kleinen seine sonnige Art und Weise und freuten sich daran. Er bezeugte seinen Christenglauben auch in den kleinsten Dingen des täglichen Lebens.

Ich war sehr viel mit ihm zusammen, auch bei Anlässen, die ihn auf harte Proben stellten, aber ich habe nie ein unpassendes Wort von ihm gehört oder eine Handlung gesehen, die seinem Herrn und Heiland zur Unehre gereicht hätte; so war sein Wandel während der dreißig Jahre seines Christenlebens. Sein höchstes Streben war, in den Himmel zu kommen und andern den Weg dorthin zu weisen.

Als einige Indianer über die Verträge sehr aufgeregt waren, die sie mit der Regierung ihres Landes wegen schließen mußten, schrieb Wilhelm einem Freunde:

Ich kümmere mich nicht viel um diese Dinge, denn ich weiß, daß doch schließlich alles in Ordnung kommen wird. Mein einziger Wunsch ist, Jesum immer lieber zu gewinnen, so daß ich ihn einst sehen kann.«

William kannte die Eigenschaften der Kräuter und Wurzeln, die in seinen Wäldern wuchsen, sehr genau, hatte auch etwas Anleitung zur Benutzung einiger Arzeneien empfangen, die von den Weißen ins Land gebracht wurden, deshalb nannten wir ihn oft unsern »Dorf-Arzt«. Obgleich er selten etwas dabei verdiente, war er stets willig und bereit, den Kranken helfend beizustehn, und mit Gottes Hilfe hat er manch wunderbare Heilung erzielt. Er begleitete seine Behandlung stets mit viel Gebet. Sein Geschick beim Verbinden und Heilen von Schußwunden war unübertrefflich.

Aber während er alles tat, um andern Leuten die Gesundheit wieder zu verschaffen, war er selber viele Jahre hindurch sehr leidend. Oft litt er an den entsetzlichsten Kopfschmerzen. Dennoch habe ich ihn nie murren oder klagen hören. Wenn wir ihn bemitleideten, sagte er: »Seid nicht bekümmert um mich; nach einer kleinen Weile darf ich heimgehen, und wenn ich Jesum sehe, dann werde ich keine Schmerzen mehr haben.« Etwa neun Tage vor seinem Tode erkrankte er an einer schweren Erkältung, die sich auf seine schon vorher kranke Lunge warf. Von Anfang fühlte er, daß diese Krankheit »zum Tode« sein werde, und nie hat ein müder Arbeitsmann sein Ruhebett mit größerer Freude begrüßt wie Wilhelm sein Grab. Die Freude, nun in den Himmel gehen zu dürfen, erfüllte sein ganzes Denken, alles andere beachtete er nicht mehr. Er war ein sehr treuer und liebevoller Vater und Gatte gewesen, aber nun übergab er Weib und Kind im Hinblick auf Gottes Verheißungen für die Witwen und Waisen vollkommen der Fürsorge dieses treuen Vaters, und dann hafteten seine Gedanken kaum mehr bei ihnen.

Da er durch seine lange Kränklichkeit nicht imstande gewesen war zu arbeiten, so war er sehr arm und hatte schon beim Beginn seiner schweren Krankheit nichts zu essen als Fisch. Natürlich gaben wir ihm mit Freuden alles, was unsere beschränkten Verhältnisse uns gestatteten, um seine Armut und seine Leiden ein wenig zu lindern. Eines Tages besuchten ihn Missionar Semmens und ich und hatten ein köstliches Gespräch und Gebet mit ihm. Wir hatten ihm einiges mitgebracht, und beim Weggehen fragte Semmens: »Nun, Bruder Wilhelm, können wir noch irgend etwas für Euch tun? Braucht Ihr noch etwas?« Der Kranke wandte uns sein leuchtendes Antlitz zu und sagte: »O nein, ich brauche jetzt nichts mehr; nur immer mehr vom Heiland!«

Er redete oft mit uns von all der Herrlichkeit, die er nun bald würde schauen dürfen, und von dem Glück und der Freude, die er fühlte, da er dem Perlentore und den goldnen Gassen immer näher rückte. Ich wünschte, ich könnte meinen Lesern einen Begriff von dem Himmelslicht geben, das aus dem Antlitz dieses Mannes leuchtete, während er auf einem elenden Lager von Fellen und Decken in seiner kleinen Behausung lag und folgende und ähnliche Worte zu uns redete:

»Während mein Leib schwächer wird, wird mein Glaube immer stärker, und ich bin in der Liebe zu Jesu sehr glücklich. Ich bin so froh, daß ich Herrn Evans' Worten folgte und mein Herz dem schenkte, der mich errettet und so glücklich gemacht hat. Es war mir eine große Freude, etwas für meinen Herrn arbeiten zu dürfen. Er half mir, wenn ich versuchte, anderen etwas von ihm und seiner Liebe zu erzählen. Wenn ich so für ihn arbeiten durfte, dann war meine Seele sehr glücklich, und jetzt bin ich glücklicher denn je. Ich ruhe in seiner Liebe.« So redete der glückliche Mann, solange seine Kräfte es gestatteten. Es war uns stets ein Segen, ihn zu besuchen. Seine Worte stärkten und ermutigten uns zur Arbeit. Nach einem solchen Besuch rief Semmens in heiliger Freude:

»O, mög' mein Herz auch so frohlocken,
Wenn meine Wallfahrt ist vollbracht!«

Als wir ihm das heilige Abendmahl reichten, war er tief bewegt und sagte: »Mein teurer Heiland, bald werde ich ihn sehen, das wird ewige Freude sein!«

Bei einer Unterhaltung mit ihm sagte ich: »Ich hoffe, Ihr werdet uns noch nicht so bald verlassen. Wir möchten Euch so gerne noch behalten. Wir brauchen Euch und Eure Hilfe beim Predigen, in der Sonntagsschule und bei den Gebetsversammlungen. Die sechzig Glieder Eurer Bibelklasse sind voll Schmerz über Eure Krankheit; sie wollen Euch nicht missen. Verlaßt uns nicht so schnell, Wilhelm. Wir brauchen Eure Gegenwart, Euer Beispiel, Eure Gebete.« Er hörte mir ganz geduldig zu, dann aber blickte er mich vorwurfsvoll an, und mit einem Tone voller Sehnsucht wie ein heimwehkrankes Kind, das an der Fremde keinen Gefallen mehr findet, rief er: »Warum wollt Ihr mich zurückhalten? Ihr wißt ja: ich möchte heim!«

Gar bald ward sein Wunsch zur seligen Erfüllung. Freudig wie ein Sieger ging er heim. Wir fühlten den schweren Verlust für die ganze Gemeinde, aber wir wußten auch, daß es für ihn so am besten war, denn er war eingegangen zu der Freude derer, die in weißen Kleidern vor Gottes Throne stehen.

Es gibt nichts, das unseren Glauben mehr stärkt und uns mehr ermutigt, trotz Leiden und Mühsalen in der Missionsarbeit fortzufahren, wie das edle Glaubensleben und das freudige Sterben unserer indianischen Christen. Sie kennen das Beiwerk der Lehren unserer christlichen Kirche nur wenig, aber Gottes Geist zeigt ihnen ihre eigene Schwachheit und Sünde und des Heilands Liebe; sie klammern sich mit festem, starken Glauben an ihn, und seine Gnadennähe ist ihnen eine beständige, selige Gewißheit. Wenn dann das Ende kommt, so stärkt sie seine Gegenwart, und selbst das dunkle Tal können sie freudigen Herzens betreten.

Die Missionsarbeit unter den Indianern Nordamerikas ist nicht umsonst betrieben worden. Tausende von Indianern der verschiedenen Stämme stehen als Erlöste vor Gottes Thron, viele treue und standhafte Christen ihres Volkes folgen ihrem Wandel nach, und so sehen wir, daß die Saat, die oft mit Tränen ausgestreut ward, schon jetzt zu einer reichen, schönen Ernte geworden ist, die alle Tränen und alle Mühe der Arbeiter reichlich aufwiegt.


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