Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Im Januar 1869 unternahm ich meine erste Reise nach dem Nelson-Flusse, um dort einen Trupp Indianer aufzusuchen, der noch nie von einem Missionar besucht worden war noch das Wort von der Erlösung vernommen hatte. Ihr Hauptsammelplatz war bei einer kleinen Ansiedlung am Burntwood-Flusse. Ihre Jagdgründe erstrecken sich so weit nach Norden, daß sie an die der Eskimo grenzen, mit welchem Volksstamm die Indianer jedoch keinerlei Gemeinschaft haben. Zwischen diesen beiden Rassen besteht durchaus keine Verwandtschaft; sie sind wesentlich verschieden sowohl im Aussehen, als auch in Sprache, Sitte und Religion. Obwohl sie selten in offene Fehde miteinander geraten, so befinden sie sich doch fast nie in völligem Frieden und sind bemüht, sich möglichst fern voneinander zu halten.
Bei unserer Abreise war das Wetter empfindlich kalt, die Temperatur fiel bis 35 und 40° Celsius unter Null. Unser Weg führte uns die ganze Zeit über in nördlicher Richtung. Wir mußten uns selbst den Weg durch dichten, unebenen Wald bahnen; außer der Spur, die die Schneeschuhe unseres Führers hinterließen, gab es ringsum keine andere, der wir hätten folgen können, nur noch Spuren von Pelztieren, an denen diese Wälder sehr reich sind, und hier und da die Spur eines Jägers, der einem solchen Tiere auf der Fährte war.
Wir setzten über zwanzig kleine Seen, deren Durchmesser von 1½ bis zu 50 Kilometer betrugen. Über diese Seen zogen unsere Hunde uns äußerst rasch dahin, und dabei konnten wir uns den Genuß einer Fahrt gestatten. An anderen Stellen, besonders im Walde, kamen wir jedoch nur äußerst langsam vom Fleck. Gewöhnlich mußten wir alle auf unseren Schneeschuhen, ein Beil in der Hand, den Schnee vor dem Schlitten her zusammenstampfen und gelegentlich einen hindernden Baum erst abhauen, um es unseren Hunden zu ermöglichen, die schwerbeladenen Schlitten weiterzuziehen. Bisweilen standen die Bäume so dicht beisammen, daß es fast unmöglich war mit dem Schlitten durchzukommen. Zuweilen mußten wir unsere Geschicklichkeit durch Klettern über gefallene Bäume beweisen, dann wieder einmal galt es, auf Händen und Füßen kriechend unter denselben durchzukommen. Oft bluteten unsere Gesichter, und unsere Füße waren wund. Es gab Zeiten, wo die Riemen meiner Schneeschuhe meine Füße dermaßen wund rieben, daß das Blut durch die Mokassins und das Gewebe der Schneeschuhe hindurchsickerte und der Schnee von Blut gefärbt wurde. Wir reisten stets in der indianischen Weise: der Führer voranlaufend oder gehend, je nachdem der Weg es erlaubte. Als ich das Lenken des Hundeschlittens genügend erlernt hatte, war mein Schlitten auf unseren Reisen meist der erste nach dem Führer, und hinter mir kamen dann noch zwei oder drei Schlitten mit Indianern als Lenker.
Bisweilen war der Schnee so tief, daß alle vier Schlittenlenker vor den Hunden her den Schnee mit allem Fleiß zusammentreten mußten, um es den Hunden zu ermöglichen vorwärts zu kommen. Der Grund, weshalb unsere Schlitten so schwer beladen sein mußten, war, daß wir genötigt waren, alles und jedes mit uns zu führen, was auf unserer ganzen Reise zur Erhaltung unseres Lebens und zu unserem Fortkommen nötig war. Wir reisten ja durch vollständig wilde Länderstrecken, wo es weder Gasthäuser noch Ansiedelungen noch sonst eine Möglichkeit gab, wenn die Nacht uns überfiel, irgend ein Obdach zu finden. In diesem äußerst spärlich bevölkerten Lande legt der Reisende weite Strecken zurück, ohne irgend einen Menschen anzutreffen als hie und da einmal einen indianischen Jäger, und auch das nur selten. So kam es, daß die Last unsrer Schlitten trotz unseres Bestrebens, sie möglichst leicht zu machen, doch recht schwer wurde: wir hatten eben unseren ganzen Mundvorrat, Fische für unsere Hunde, Kessel, Zinnschüsseln, Beile, Decken fürs Nachtlager, Kleidung zum Wechseln und verschiedene andere notwendige Dinge mitzunehmen, um allen Vorkommnissen der Reise begegnen zu können.
Der schwerste Teil unserer Schlittenladung waren allemal die Fische zum Futter unserer Hunde. Jeder Hund wurde einmal täglich gefüttert und erhielt dann zwei gute Weißfische zur Nahrung, die zusammen fünf bis sechs Pfund wogen. Wenn also die tägliche Nahrung eines jeden Hundes schon durchschnittlich fünf Pfund ausmachte, mußte allein die Fischladung eines jeden Schlittens für eine Reise von etwa einer Woche nicht weniger als 120 Pfd. ausmachen. Dazu kam, daß die bittere Kälte und die scharfe Bewegung bei den Reisenden selbst einen tüchtigen Hunger verursachte, so daß auch der Mundvorrat für sie von nicht geringem Gewichte war.
Wir beendeten unseren Tagesmarsch gewöhnlich eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang, um noch Zeit zu haben, alles Nötige für unser Nachtlager vorzubereiten, ehe die Dunkelheit uns umhüllte. Ich bemerkte schon während der Fahrt, wie unser Führer, der vor uns herlief, etwa die letzte halbe Stunde lang den Wald sorgsam nach rechts und links hin zu mustern schien. Schließlich blieb er stehen, und wenn wir ihn erreicht hatten, hieß es: »Nun, Tom, was ist los?«
Seine Antwort lautete: »Hier ist ein prächtiger Platz für unser Nachtlager.«
»Warum glaubst du das?« fragte ich ihn.
»Sehen Sie die Balsamkiefern?« erwiderte er. »Sie werden uns ein Bett liefern, und jenes trockene Unterholz wird uns ein gutes Feuer geben.« Dann machten wir uns rasch an die Arbeit, alles für das Nachtlager im Walde herzurichten. Die Hunde waren bald ausgespannt und schienen dankbar, wenn ihre Nacken vom Zuggeschirr befreit waren. Sie wurden niemals angebunden; sie versuchten nie uns zu entwischen oder auf der alten Spur nach Hause zu laufen.
Manche von den jüngeren Hunden unternahmen dann auf eigene Verantwortung eine Kaninchenjagd und hatten dabei ihr Jagdvergnügen. Die älteren und weiseren sahen sich nach den geschütztesten und besten Stellen für eine Lagerstätte um und begannen dort ihre Vorbereitungen für ihr Nachtlager. Sie entfernten sorgfältig jede Spur von Schnee von dem auserwählten Plätzchen, bis sie auf den Erdboden gelangt waren, den sie dann mit ihren Pfoten und Zähnen so lange bearbeiteten, bis er so glatt und eben als nur möglich geworden war. Dann rollten sie sich darauf gemütlich zusammen und warteten geduldig ab, bis sie zur Abendfütterung gerufen wurden.
Nach dem Ausspannen der Hunde war das erste, was wir zu tun hatten, unsere Äxte tüchtig zu schwingen. Da war stets eine besonders gute und scharfe für den Missionar in Bereitschaft, um etliche grüne Balsamzweige und dürre Äste abzuhauen. Dann benutzten wir unsere Schneeschuhe als Schaufeln und schaufelten eiligst den Schnee von der zum Nachtlager erwählten Stelle fort, indem wir ihn, so gut es ging, rechts und links und gegenüber von der Stelle, wo wir schlafen wollten, auftürmten. Auf dem Grunde, der so vom Schnee gereinigt war, breiteten wir eine Lage von Balsamzweigen aus und machten dann uns gegenüber, so daß der Wind den Rauch von uns wegtrieb, mit dem dürren Holz, das wir zusammengebracht, ein großes Feuer an.
Über dies munter flackernde Feuer hingen wir unsere zwei Kessel, die wir reichlich mit Schnee gefüllt hatten. War dieser geschmolzen und in kochendes Wasser umgewandelt, so wurde in dem einen Kessel ein tüchtiges Stück fettem Fleisches abgekocht, im anderen unser Tee bereitet.
Auf meiner ersten Reise führte ich eine zinnerne Waschschüssel, ein Stück Seife und ein Handtuch mit mir. Bei unserem ersten Nachtlager bat ich, sobald der Schnee in den Kesseln geschmolzen war, den Führer, mir etwas von dem warmen Wasser in mein Waschbecken zu geben. Den Zweck erratend, zu dem ich es verlangte, fragte er: »Was wollt Ihr damit tun.«
»Mir Gesicht und Hände waschen,« antwortete ich. Da sagte er sehr eindringlich: »Bitte, Missionar, tut das nicht!«
Ich sehnte mich nach einer tüchtigen Wäsche, denn ich kam mir vor wie ein Schornsteinfeger. Wir waren stundenlang durch Strecken gewandert, die im vorigen Jahr durch Waldbrände heimgesucht waren, wovon noch die verkohlten Stämme und Zweige zeugten. Diese schwarzen Äste hatten uns oft gestreift, oder wir hatten sie als Halt angefaßt, wenn wir einen Abhang hinuntergingen. Die Folgen hiervon waren sehr sichtbar, und ich freute mich über die Möglichkeit, die Schicht von Ruß und Kohlenstaub abzuwaschen, und war daher über des Führers entschiedenes Abraten nicht wenig verwundert.
»Warum soll ich mich nicht waschen?« fragte ich und hielt ihm meine kohlschwarzen Hände entgegen.
»Ihr dürft bei so strenger Kälte wie heute keinen Tropfen Wasser an Eure Haut kommen lassen«, erklärte er.
Ich war damals noch sehr unerfahren und wollte meine Säuberung auf keinen Fall aufgeben, da sie mir so vonnöten war; so beachtete ich die Warnung nicht. Da ich ein hellloderndes Feuer vor mir hatte und ein trockenes Handtuch bei mir, wagte ich es, mir Gesicht und Hände zu waschen und fühlte mich zuerst danach sehr wohl. Aber sehr bald empfand ich ein eigentümliches Prickeln auf meinen Händen, sie fingen an aufzuspringen und zu bluten. Sie wurden ganz wund und heilten erst nach Wochen. Diese eine Erfahrung einer Waschung unter freiem Himmel bei einer Temperatur von 50° unter Null genügte, um mich zu belehren. In den folgenden Jahren ließ ich Waschbecken und Seife zu Hause und nahm nur noch das Handtuch mit. Ich hatte mich mit trockenem Abreiben zu begnügen. Wenn ich von solchen Reisen nach Hause zurückkam, pflegte meine Frau zu sagen, ich sähe aus wie altes Mahagoniholz. Ein Bad war dann ein äußerst notwendiger Hochgenuß.
Bei Reisen in so kaltem Wetter suchten wir als Nahrung das fetteste Fleisch, das wir haben konnten, mitzunehmen. Aus eigener Erfahrung kann ich die Mitteilung der Polar-Reisenden bestätigen, daß in jenen hohen Breiten-Graden Fett, Öl und Schmalz die schätzenswerteste Nahrung sind, und daß der Körper ein wirkliches Verlangen danach hat. Nichts anderes gibt einem eine solche innere Wärme. Sobald der Schnee im größeren Kessel genügend geschmolzen, wurde ein großes Stück Fleisch hineingetan. Während es kochte, tauten wir die gefrorenen Fische für unsere Hunde auf. Sie waren bei der strengen Kälte steinhart gefroren, und es hätte unseren guten Hunden, die uns so treulich gedient hatten, schaden können, wenn sie ihr Futter im gefrorenen Zustande erhalten hätten. Die hungrigen Tiere waren klug genug, es jedesmal zu wissen, wenn ihre Mahlzeit bereitet wurde; und da sie nur eine im Laufe des Tages hatten, waren sie ungeduldig, drängten sich um uns und mußten oft gewaltsam zurückgehalten werden.
In ihrem Heißhunger und Verlangen nach dem Futter drängten sie sich bisweilen so zusammen, daß manche unter ihnen in Streit und Kampf gerieten, was recht unbequem werden konnte. Die Hunde aus demselben Zuge gerieten selten in Streit miteinander. Sie waren Genossen unter demselben Joch in der Arbeit und waren zu verständig sich gegenseitig in unnützem Streit zu schaden. So kam es, daß, sobald ein Kampf entbrannte, die Tiere sich auf die Seite ihrer Zug-Genossen stellten und es allemal eine Schlacht zwischen einem Schlittenzug und dem anderen war.
Anfangs schien es mir grausam, die Hunde nicht öfter am Tage zu füttern, aber die Erfahrung zeigte mir, daß die erprobten Schlittenlenker recht hatten und es am zweckmäßigsten ist, sie nur einmal täglich zu füttern. Meine Teilnahme für die braven Tiere war so groß, daß ich mich bisweilen nicht enthalten konnte, sie mit einem guten Frühstück zu bewirten; es stellte sich aber jedesmal heraus, daß es für sie kein wirklicher Vorteil war. Diese außerordentliche Mahlzeit machte sie träge und kurzatmig, und sie schienen sich weniger wohl zu fühlen. Gute Weißfische waren das beste Futter für sie; wenn sie diese haben konnten, gediehen sie vortrefflich und konnten mehr leisten als bei irgend einer anderen Nahrung.
Auf weiteren Reisen in diesen rauhen Gegenden muß man stets eine gute Anzahl von Hundeschuhen mit sich führen, denn diese Tiere haben sehr zarte Fußsohlen, die leicht verletzt werden. Auf dem blanken Eise wird ihnen die Haut an den Sohlen so dünn, daß sie leicht bluten. Auf den unebenen, rauhen Wegen laufen sie wiederum leicht Gefahr, eine Klaue abzubrechen oder sich einen Splitter zwischen die Zehen zu treten. Viele der klugen, alten Hunde, die den Nutzen solcher Schuhe bereits erfahren und sich an sie gewöhnt hatten, pflegten bisweilen den ganzen Zug plötzlich anzuhalten, indem sie nicht weiterliefen; ihren verletzten Fuß in die Höhe hebend, gaben sie ausdrucksvoll, wenn auch stumm die Erklärung ab, warum sie es getan.
Diese Hundeschuhe sind wie dicke, wollene Fausthandschuhe ohne Daumen und werden in verschiedener Größe angefertigt. Ein solcher Schuh wird über den verletzten Fuß gezogen und mit geschmeidigen, schmalen Riemen aus Wildleder befestigt. Sobald dies geschehen ist, springt das dankbare Tier, das sich noch eben geweigert sich von der Stelle zu rühren, in munterem Lauf weiter und läßt dabei von Zeit zu Zeit als Ausdruck seiner Dankbarkeit ein frohes Gebell erschallen. Die Hunde haben diese warmen, wollenen Schuhe bisweilen so gern, daß sie in der Nacht ihren Ruheplatz verlassen haben und ins Nachtlager hineingekommen sind und nicht eher ruhten, als bis die Leute aufstanden, ihnen die Schuhe holten und an allen vier Füßen anzogen. Dann gaben sie alle Zeichen innigster Freude und Dankbarkeit von sich und kehrten befriedigt auf ihr Lager im Schnee zurück.
Erst nachdem wir unsere Hunde gefüttert hatten, machten wir Anstalten für unsere eigene Mahlzeit. Über der Stelle am Feuer, die wir mit unseren Schneeschuhen vom Schnee gereinigt hatten, wurden abgehauene Balsamäste und darauf unser Tischtuch ausgebreitet, gewöhnlich ein leerer, an den Seiten ausgeschnittener Mehlsack. Unsere Teller oder Schüsseln, sämtlich aus Zinn, wurden darauf gestellt, und wir versammelten uns mit kräftigem Appetit um diese Tafel. Es war ein Glück, daß letzterer so stark war, denn sonst wäre unsere schlichte Kost nicht so hoch geschätzt worden. Das große Stück fetten Fleisches wurde auf einer Pfanne herumgereicht und unsere Quartbecher mit heißem Tee gefüllt. Waren wir so glücklich etwas Brot mit uns zu führen, was leider nicht allemal der Fall war, so wurde es aufgetaut und mit dem fetten Fleisch verzehrt. Gemüse war auf solchen Reisen ein unbekannter Genuß. Unsere Hauptnahrung und Stärkung war das fette Fleisch, und je fetter es war, um so besser. Morgens, mittags, abends und oft auch zwischenhinein hielten wir an und aßen davon. Wollten wir den Speisezettel etwas verändern, so nahmen wir vom Vorrat für die Hunde etwas und kochten uns einen Kessel voll guter Fische ab.
Da mir es nicht einmal wagten uns Hände und Gesicht zu waschen, so war natürlich von einem Waschen der Teller und Schüsseln ebenfalls keine Rede. Während unserer Mahlzeit hatten wir bei dem starken Frost genug zu tun, uns selbst und unser Essen warm zu erhalten. Wir waren manchmal genötigt, während der Mahlzeit das große Stück Fleisch dreimal wieder in den Kessel zu tun, um es aufzuwärmen. Ich habe es erlebt, daß sich auf der Tasse mit Tee, der wenige Minuten vorher im Kessel kochte, eine Eiskruste bildete.
Nach dem Abendessen wurde das nötige Holz für den nächsten Morgen zurechtgehackt; jeder Schaden in der Kleidung oder am Zuggeschirr wurde geflickt, damit am Morgen kein Aufenthalt beim Aufbruch eintrete. Der Führer hatte die Pflicht, über all diese Dinge zu wachen; war er mit allem zufrieden, so pflegte er zu sagen: »Missionar, wir sind bereit zum Abendgebet.« Die Bibel und die Gesangbücher wurden hervorgeholt, die Indianer versammelten sich um mich, und wir hielten unsere gemeinsame Abendandacht. Ich wollte, meine Leser hätten uns da sehen können. Im Hintergrunde die großen, dunklen Balsamfichten, deren lange, teils mit Schnee bedeckten Äste bis auf den Boden niederhingen; über uns die funkelnden Sterne oder auch ein flammendes Nordlicht; vor uns das helllodernde Feuer und um uns her in malerischer Unordnung unsere Schlitten, Schneeschuhe, Geschirre und all die anderen Gegenstände, die zu unserer Reiseausrüstung gehörten. Ein paar von den Hunden bestanden gewöhnlich darauf so lange aufzubleiben, bis ihre Herren sich zur Ruhe begeben hatten, und waren jetzt noch in verschiedenen Stellungen in unserer Nähe. Mit entblößten Häuptern, einerlei wie streng die Kälte sein mochte, hörten meine christlichen Indianer andächtig zu, während ich in ihrer Sprache aus dem heiligen Buche vorlas, das sie so sehr zu lieben gelernt haben. Dann sangen wir ein geistliches Lied miteinander. Oft war es ein Abendlied, dessen erste Strophe in ihrer schönen Kri-Sprache folgendermaßen lautet:
»
Ne machmechemou ne muntome
Kahke wastanahmahweyan,
Kah nah way yemin Kechahsjah
Ah kwah – nahtahtah – kwanaoon.«
Nach dem Gesang beteten wir. In solchen Augenblicken empfanden wir unsere Abhängigkeit von dem Vater im Himmel in besonderer Weise und stimmten mit ganzem Herzen in die Worte des Psalmisten ein: »Behüte mich wie deinen Augapfel, beschirme mich unter dem Schatten deiner Flügel.«
Manchmal befanden wir uns 250 Kilometer von der nächsten menschlichen Wohnstätte entfernt. Unser Nachtlager war ein Loch, das wir in den Schnee gegraben hatten. Kein Wall umgab uns außer dem aufgeworfenen Schnee und etwa ein paar Balsamästen; kein Dach über uns als die Sterne. Hier sollten wir die Nacht über in der bitteren Kälte liegen. Vielleicht fiel ein fußhoher Schnee auf uns nieder, er war uns willkommen, denn er milderte die Kälte. Das Feuer ging aus, dann schlichen die grauen Wölfe sich an uns heran, aber mehr als sie war der grausame König Frost zu fürchten.
Kann irgend jemand, der die Kraft und Wirkung des Gebetes kennt, sich da wundern, daß unsere Seelen, die sich »im Gebet und Flehen mit Danksagung« dem Herrn nahten, ein inniges Verlangen nach seiner Nähe und nach der Versicherung fühlten, daß er, der nicht schläft noch schlummert, unser Hüter und Freund sei?
Nach dem Gebet begaben wir uns zur Ruhe. Die gewöhnliche Redensart des Führers war: »Jetzt, Missionar, will ich Euer Bett machen.« Das war seine Obliegenheit, und er war ein Meister darin. Zuerst breitete er eine Lage immergrüne Äste aus, darauf legte er ein dickes Büffelfell und über dieses eine grobe Decke. Hierauf legte er mein Kopfkissen auf das Ende des Lagers, das vom Feuer am fernsten war, und sagte dann zu mir: »Wenn Ihr Euch nun zu Bette legen wollt, will ich Euch zudecken und einhüllen.«
So etwas wie sich zur Nacht auskleiden, darf natürlich in einem Winterlager nicht sein, es sei denn, daß man durch die anstrengende Bewegung während des Tages so stark in Schweiß geraten ist, daß die Unterkleider noch feucht sind. In diesem Falle ist es nicht geraten in ihnen zu schlafen.
Manche Reisende schlafen in einem Pelzsack, in den sie hineinkriechen, und den sie dann um ihren Hals zubinden lassen. Eine große Fellmütze wird noch über die gewöhnliche Kopfbedeckung gezogen und vollendet ihre Kleidung für die Nacht. Ich pflege mich in der Regel in einen schweren Überzieher zu wickeln, hohe Stiefel aus Büffelleder anzuziehen, dazu Pelzhandschuhe, Mütze, Mantel, Kragen und lange Pulswärmer; dann war ich bereit mich zur Nachtruhe zurückzuziehen. Aber wenn ich so verpackt war, kostete es mich eine gewisse Anstrengung mich niederzulegen, obgleich ich mich nur gerade auf dem Boden auszustrecken hatte. Wenn ich dann schließlich in der richtigen Lage war, breitete der Führer noch ein Fell und eine Decke über mich aus und begann dann sehr geschickt, mit einer gewissen mütterlichen Art mich fest einzustopfen, wobei er an den Füßen begann. Er ging dabei so schnell und gewandt zu Werke, daß er, fast ehe ich mich's versah, bei meinem Kopf angelangt war, den er vollständig mit der schweren Felldecke zudeckte, die er dann noch unter Rücken und Schulter feststopfte.
Als ich zum erstenmal in dieser Weise eingepackt worden war, konnte ich es nur ein paar Minuten lang aushalten, ich meinte, ich müßte ersticken. Ich streckte plötzlich meine Arme wieder hervor und schleuderte die ganze Oberdecke von mir.
»Wollt Ihr mich ersticken, Mann?!« rief ich. »Ich kann nicht leben, wenn mein Kopf in dieser Weise zugedeckt ist.«
Ohne den geringsten Ärger darüber, daß ich sein mühsames Werk so rasch zerstört hatte, antwortete er freundlich: »Ich weiß, es muß für euch weiße Leute ein hartes Stück sein mit so verpacktem Kopf zu schlafen, aber Ihr werdet Euch dazu entschließen müssen, sonst friert Ihr zu Tode. Ihr müßt sehr vorsichtig sein, denn diese Nacht scheint es besonders kalt zu werden.« Dann machte er mich auf Töne wie ferner Kanonendonner aufmerksam, die wir schon längere Zeit vernommen hatten. Diese, sagte er mir, rührten vom Eise her, das vier bis sechs Fuß dick den großen See bedeckte und jetzt in der strengen Kälte barst. »Seht den Rauch«, fuhr er fort, »seht, wie nah er sich, am Boden hält. Das tut er nur in den bitter kalten Nächten.«
Von den Bäumen um uns her ertönte von Zeit zu Zeit ein scharfer Knall wie von einer Pistole, laut genug, um eine nervöse Person glauben zu machen, daß versteckte Feinde auf uns feuerten. Die beobachtenden Indianer sagten, diese lauten Schüsse kämen vom Gefrieren des Saftes in den Bäumen her. Voll Bewunderung für seine Freundlichkeit sagte ich ihm, man habe mich gelehrt: jeder Mensch brauche so und so viel Kubikfuß Luft zum Atmen, ob nun kalt oder nicht, und wie er glauben könne, daß ich mein notwendiges Teil an frischer Luft bekommen könne, wenn er meinen Kopf dermaßen einpacke? »Hier müßt Ihr mit weniger auskommen,« meinte er, und machte sich geduldig dran mich von neuem einzuwickeln, während ich versuchte mich so einzurichten, daß ich wenigstens ein klein wenig Luft zum Atmen behielt. Freundlich und geduldig redete er mir zu, und als er mich nun wieder verpackt hatte, sagte er: »Und nun, Missionar, gute Nacht; aber rührt Euch nicht. Wenn Ihr Euch bewegt, könntet Ihr Euch im Schlaf aufdecken, und dann könntet Ihr erfrieren, ohne wieder zu erwachen.«
»Rührt Euch nicht.« Welch ein Befehl, dachte ich, für einen müden Reisenden, dessen Knochen von seiner langen Wanderung auf den Schneeschuhen im Walde schmerzen, dessen Nerven und Muskeln abgespannt sind und der daher das Bedürfnis hat, seine Glieder von Zeit zu Zeit zu strecken und seine Lage zu verändern!
In dieser Gemütsverfassung und unter diesem Befehl, dem ich schließlich gehorchen mußte, wenn ich den gefährlichen Folgen entgehen wollte, gelang es mir doch endlich einzuschlafen, denn ich war sehr müde. Nach einiger Zeit erwachte ich in einem Zustand von halbem Bewußtsein und fand, daß ich an einem Gegenstand zog und zerrte, den ich in meiner Schlaftrunkenheit für den Stiel einer Axt hielt.
Ich hatte eine unklare Vorstellung, als ob einer der Indianer sein Beil gerade hinter meinem Kopf hätte stehen lassen, der Stiel davon sei in der Nacht gerade über mein Gesicht gefallen, und jetzt hatte ich ihn gepackt und suchte ihn zu entfernen. Zum Glück für mein Gesicht erwachte ich sehr bald zu vollem Bewußtsein und entdeckte, daß, was ich für den Stiel eines Beiles gehalten hatte, meine eigene Nase war, die ebenso wie meine beiden Ohren, arg erfroren war.
Ich war vermutlich mit dem Befehl des Führers im Kopfe zuerst ganz artig eingeschlafen und hatte dann im Schlaf, durch das ungewohnte Erstickungsgefühl beängstigt, Kopf und Hand frei gemacht, und das war die Folge! Indessen genügten ein paar Nächte unter der strengen Aufsicht des Führers, um mich auch hieran zu gewöhnen, so daß ich später gerade so gut wie die Indianer mit festverpacktem Kopfe schlafen konnte.
Fiel ein Fuß oder anderthalb Fuß Schnee auf uns nieder, so freuten wir uns, denn das hielt uns warm, und wir schliefen um so besser. Wenn wir solche Schneedecke auf uns hatten, schliefen wir meist ein paar Stunden länger als sonst, um uns für den zu kurzen Schlaf vorhergehender Nächte zu entschädigen, wo die Kälte uns am Schlafen verhindert hatte, oder wir es für gefährlich halten mußten überhaupt einzuschlafen.
Die härteste und unangenehmste Arbeit ist das Aufstehen von solchem Bett und an solchem Ort. Manchmal waren wir trotz der scharfen Kälte infolge unserer vielen warmen Hüllen in einer gelinden Transpiration. Wenn wir nun aufsprangen und uns jener äußeren Hüllen entledigten, packte uns der Frost so gewaltsam an, daß mir mit den Zähnen klapperten und manche von uns nicht umhin konnten vor arger Pein laut aufzuschreien.
Zum Glück war das Brennholz stets am Abend zuvor zurechtgelegt, und so war denn möglichst rasch ein gewaltiges, flackerndes Feuer entzündet und unser Frühmahl von heißem Tee und fettem Fleisch eingenommen.
Zu Zeiten waren unsere Aussichten des Morgens recht trübe und unsere Lage nichts weniger als beneidenswert. Auf einer Reise, die nicht mehr als etwa 300 Kilometer betrug, nahm ich, um Ausgaben zu sparen, nur einen einzigen Indianer zur Begleitung mit, einen Jungen von etwa sechzehn Jahren. Jeder von uns hatte seinen eigenen Hundeschlitten, und da »Old Voyager« an der Spitze war, leiteten mir ihn nur durch Zurufen, und er enttäuschte unsere Erwartungen nicht. Als wir uns eines Morgens von unserem Lager erhoben, fanden wir, daß uns mehrere Zoll hoher Schnee bedeckt hatte. So schnell als möglich suchten wir unser Feuer anzumachen. Wir waren am Abend zuvor etwas spät zum Nachtlager eingekehrt und hatten in der rasch zunehmenden Dunkelheit nur tastend nach dem Brennholz suchen können. Es war von sehr schlechter Beschaffenheit, aber da es uns am Abend gelungen war, mit einem Teil dieses Holzes unsere Abendmahlzeit zu kochen, waren wir für den Morgen auf nichts Schlimmeres gefaßt. Der nachts gefallene Schnee hatte das Holz nicht gebessert, und als wir nun ein Streichholz nach dem anderen anbrannten und das elende Brennholz nicht Feuer fangen wollte, wurden wir zuerst ungeduldig, dann aber beunruhigt. Natürlich mußten wir unsere dicken Pelzhandschuhe abziehen, wenn wir die Streichhölzer anzünden wollten. Bevor es uns geglückt war ein Feuer anzumachen, waren die Finger so erstarrt, daß wir nicht mehr imstande waren, ein Streichholz festzuhalten. Wir setzten unsere Bemühungen mit Ausdauer fort, solange wir irgend konnten. Ich entsinne mich, daß ich ein Zündhölzchen zwischen die Zähne nahm, den Stiel eines Beiles vor mich hielt und nun versuchte, mit rascher Kopfbewegung es an dem Holz zu entzünden; aber auch dieser Versuch war nicht mit Erfolg gekrönt.
Plötzlich durchzuckte mich der Gedanke, daß wir umkommen mußten, wenn es uns nicht gelang ein Feuer anzuzünden. Ich sah mich schnell nach meinem jungen Gefährten um und sah am Ausdruck seines Gesichtes, daß auch er die Gefahr unserer Lage begriffen hatte.
»Alek,« sagte ich, »wir befinden uns in einer ernsten Lage.«
»Ja, Missionar,« sagte er, »ich fürchte, wir sterben hier. Wenn wir kein Feuer anmachen und kein warmes Frühstück zu uns nehmen können, fürchte ich, wir erfrieren.« – »So schlimm ist es noch nicht, Alek,« sagte ich, »Gott ist unsere Zuversicht und Hilfe. Er hat uns noch andere Mittel gegeben, um uns zu erwärmen. So schnell als möglich zieh deine Schneeschuhe und deine Pelzhandschuh an, setz deine Mütze auf, – ich will es ebenso machen, und nun sieh zu, ob du mich fangen kannst!«
In weniger Zeit, als ich brauche dies niederzuschreiben, waren wir für einen Wettlauf mit Schneeschuhen gerüstet, und fort ging es in raschem Lauf. Ich rannte, so schnell ich konnte, auf meinen Schneeschuhen durch den Wald. Der Junge folgte mir, und so liefen wir, uns abwechselnd jagend und fangend, als wären wir ein paar übermütige Schuljungen, nicht aber ein Missionar mit seinem indianischen Begleiter, die ihr Leben vom Tod des Erfrierens zu bewahren suchten.
Nach einer halben Stunde dieser starken Bewegung fühlten wir die Wärme in unsere erstarrten Glieder zurückkehren, das warme Blut fand seinen Weg auch zu unseren erstarrten Händen, und bald konnten wir unsere Finger wieder biegen. Als wir das behagliche Gefühl der Wärme wieder den Körper durchströmen fühlten, liefen wir in unser Lager zurück. Wir sammelten eine große Menge Birkenrinde, die lose an den Stämmen hing und sehr leicht entzündbar ist; damit konnten wir bald ein Feuer anmachen und uns ein warmes Frühstück bereiten. Bei unserer Morgenandacht wog der Dank und das Lob sehr vor, und die dankbare Stimmung dauerte in unseren Herzen fort, als wir unsere Sachen zusammenpackten, die Hunde anschirrten und uns wieder auf den Weg machten. Wir hatten eine große Bewahrung erlebt. Der König der Schrecken hatte uns beiden an diesem kalten Morgen ins Auge geblickt, und wenig hatte gefehlt, so hätten unsere Herzen stille gestanden unter der Berührung von König Frost's eisigem Finger.
Da die Tage im Winter in diesen nordischen Ländern so kurz sind, standen wir meist ein paar Stunden vor Tagesanbruch auf. Oft versuchten meine gutherzigen Freunde vor mir aufzustehen und ein gutes Feuer mit warmem Frühstück bereit zu haben, ehe ich erwachte. Doch gelang dies nicht oft, da ein solches Nachtlager dem Schlafe nicht sehr förderlich ist; nachdem ich vier bis fünf Stunden in solchem Zustande halber Erstickung verbracht hatte, war ich froh aufzustehen, sobald ich jemanden sich bewegen hörte. Ich zog das Erfrieren denn doch dem Ersticken vor.
Es war nicht selten, daß ich der erste war, der aufstand, das Feuer anmachte und das Frühstück kochte, bevor meine treuen, müden Reisegefährten aufwachten, die an all diese Strapazen von klein auf gewöhnt, fest schliefen, wo es mir eine Unmöglichkeit war ein Auge zu schließen. Bisweilen sagten meine Leute, wenn ich sie weckte, nachdem sie die Sterne angesehen: – » Assam weputch« d. h. »Sehr frühe«. Doch brauchte ich weiter nichts zu tun als ernsthaft auf meine Uhr zu blicken, dann waren sie überzeugt, daß es die rechte Zeit sei. Das Frühstück wurde rasch eingenommen, das Morgengebet gehalten, die Schlitten bepackt, die Hunde geschirrt – mit den Eskimohunden keine leichte Sache – und mir waren zum Aufbruch bereit.
Bevor wir aufbrachen, warfen wir gewöhnlich die immergrünen Zweige, auf denen wir geschlafen hatten, ins Feuer, und bei dem munteren Schein, den sie gaben, traten wir unseren Tagesmarsch an. Wenn wir manchen Morgen vor Sonnenaufgang schon 40 bis 60 Kilometer zurückgelegt hatten, meinten die Indianer, die Sterne hätten am Ende doch recht gehabt und des Missionars Uhr sei vorgegangen.
Übrigens war es ihnen ebenso darum zu tun rasch vorwärts zu kommen, und so hatten sie nichts einzuwenden, daß ich versuchte unsere Gesellschaft zur Eile anzutreiben. Ich gab ihnen jedesmal eine besondere Bezahlung, wenn es uns gelang, die vorherbestimmte Zeit für die Reise etwas abzukürzen und uns dadurch ein paar der kalten Nachtlager unter freiem Himmel zu ersparen.
Unsere erste Reise nach dem Nelson-Flusse machten wir in sechs Tagen. In späteren Jahren brauchten wir nur vier Tage dazu. Der Landstrich, durch den wir dabei reisten, war besonders reich an Pelztieren. Hier schafft sich der wandernde indianische Jäger seinen Lebensunterhalt, indem er kostbare Pelztiere wie den Schwarz- und den Silberfuchs in der Falle fängt. Hier findet man Ottern, Marder, Biber, Hermeline, Bären, Wölfe und viele andere Pelztiere. Hier ist aber der schwarze Bär sehr zahlreich anzutreffen. Auf einer meiner Kahnreisen sah ich deren nicht weniger als sieben, wovon wir einen erlegten, von dessen Fleisch wir uns mehrere Tage nährten.
Hierher kommen die unternehmenden Pelzhändler, um die kostbaren Felle zu erhandeln und große Vermögen zusammenzuscharren. Wenn die Leute um des Erwerbes und Reichwerdens willen bereit sind, die Mühsale und Entbehrungen der Reise in diesem Lande auf sich zu nehmen, welch eine Schande wäre es für uns, wenn wir davor zurückschreckten, diesen Jägern auf ihrer Spur zu folgen, um den Indianern die frohe Botschaft von des Erlösers Liebe zu bringen.