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1. Kapitel.
Die Berufung.

Eines Morgens, als ich in Toronto in Canada in meinem Arbeitszimmer zwischen meinen Büchern saß, wurde mir die Post gebracht. Der Inhalt eines der Briefe lautete, soweit ich mich dessen entsinnen kann, folgendermaßen:

 

An Pastor Egerton Young.

»Lieber Bruder, auf einer großen Versammlung des kirchlichen Missions-Komitees, die gestern stattgefunden, ist einstimmig beschlossen worden, Sie aufzufordern, als Missionar zu den Indianern bei Norway House nördlich vom Winnipeg-See zu gehen. Eine baldige zusagende Antwort würde sehr verpflichten

Ihre sehr ergebenen
E. Wood, L. Taylor

 

Ich las den Brief und, ohne ein Wort zu sagen, reichte ich ihn meiner mir erst vor ein paar Tagen angetrauten Frau hinüber. Sie las ihn aufmerksam durch; nach einem Augenblick des Schweigens fragte sie:

»Was hat das zu bedeuten?«

»Das kann ich selbst noch nicht sagen,« antwortete ich, »nur das ist klar: daß es sehr viel zu bedeuten hat.«

»Hast du dich als Missionar für jenes Land gemeldet?« fragte sie weiter.

»Keineswegs! So sehr ich die Missionsarbeit unserer Kirche liebe und ihr stets mit warmer Teilnahme gefolgt bin, so habe ich doch nie einen Schritt nach dieser Richtung hin getan. In früheren Jahren habe ich allerdings bisweilen gedacht, ich würde gern in ein fernes Arbeitsfeld hinausziehen. Doch seit der Herr mir hier in der Heimat eine so schöne Arbeit anvertraut hat und sie so reichlich segnet, wäre es mir wie ein Weglaufen von meinem angewiesenen Posten vorgekommen, mich für irgend ein anderes Arbeitsfeld zu melden.«

»Nun, hier liegt der Brief – was wirst du tun?«

»Das ist es ja gerade, was ich wissen möchte!«

»Eines können und wollen wir tun;« – sagte meine Frau ruhig – und wir knieten miteinander nieder im Gebet, und »breiteten den Brief aus vor dem Herrn«. Wir baten ihn inbrünstig, uns seinen Willen deutlich kund zu tun, so daß uns kein Zweifel darüber bliebe, was hier unsere Pflicht sei.

Die Aufforderung war so unvermittelt an uns herangetreten. Wir wußten, daß die Annahme dieses Rufes für uns das Aufgeben und Abbrechen alles dessen bedeutete, was wir im Sonnenschein unseres jungen Eheglückes als die uns gewiesene Arbeit in der geliebten Heimatsgemeinde uns ausgemalt und vorgestellt hatten. Bei einem so schwerwiegenden Entschluß tat uns die deutliche Wegleitung des Herrn besonders not, und so flehten wir ihn darum aus tiefstem Herzen an.

Als wir uns von unseren Knien erhoben hatten, sagte ich ruhig zu meiner Frau:

»Hast du nicht in deinem Herzen einen deutlichen Eindruck, was in dieser Sache unsere Pflicht ist?«

Unter Tränen, aber mit fester Stimme sagte sie:

»Der Ruf kam sehr unerwartet, aber ich glaube, daß er vom Herrn kommt, und wir werden ihm folgen.«

Meine Gemeinde und die Ältesten derselben widerstanden aufs ernstlichste meinem Entschluß, sie zu verlassen. Ich befragte meine Amtsbrüder in der Stadt, sie alle, mit einer einzigen Ausnahme, antworteten: »Bleibe auf deinem Posten, wo der Herr dich so reichlich gesegnet hat.« Die Antwort des einen Bruders aber, die nicht mit den andern übereinstimmte, wird mir immer unvergeßlich bleiben.

Als ich ihm den Brief zeigte und ihn fragte, was ich daraufhin tun solle, geriet er zu meinem Erstaunen in große Aufregung, brach in Tränen aus und weinte wie ein Kind. Als er seine Bewegung einigermaßen bemeistert hatte, sagte er:

»Statt einer Antwort auf Ihre Frage lassen Sie mich Ihnen ein Stück meiner Lebensgeschichte erzählen. Vor Jahren befand ich mich in den glücklichsten Verhältnissen in einem Pfarramt in England. Leidenschaftlich liebte ich meine Arbeit, mein Heim und mein Weib. Ich besaß das Vertrauen und die Achtung meiner Pfarrkinder und dachte, ich sei so glücklich, als man es nur irgend diesseit des Grabes sein könne. Eines Tages erhielt ich einen Brief vom Komitee unserer Missionsgesellschaft in London mit der Aufforderung, als Missionar nach Ost-Indien zu gehen. Ohne die Sache in ernstere Erwägung zu ziehen, ohne sie im Gebet vor Gott zu bringen, sandte ich sofort eine entschiedene Absage zurück.

»Von jenem Tage an,« fuhr er fort, »wollte mir nichts mehr glücken; es war, als lächle mir der Himmel nicht mehr. Ich verlor meinen Einfluß auf die Leute, ich kann es selbst nicht erklären, wie das kam. Mein einst so glückliches Heim verödete, und in all meinem Kummer ward mir nicht einmal die Sympathie meiner Kirche oder meiner Gemeinde zu teil. Ich verfiel in Trübsinn und verlor meinen Halt in Gott. Vor einigen Jahren bin ich hierher nach Canada gekommen. Gott hat das Licht seines Angesichts wieder aufgehn lassen. Die Kirche ist sehr nachsichtig und freundlich mit mir verfahren, und seit einigen Jahren habe ich wieder in ihr arbeiten dürfen, das stimmt mich zu Dank und Freude.

»Aber,« schloß er mit Nachdruck, »ich bin längst zu dem Entschluß gekommen: wenn je wieder eine Aufforderung an mich kommen sollte, nach West-Indien oder auf irgend ein anders Missionsfeld zu gehen, daß ich mich hüten würde, eine rasche Antwort zurückzuschicken.«

Ich erwog seine Worte und seine Erfahrung, besprach sie mit meiner guten Frau, und wir beschlossen zu gehen. Unsere lieben Freunde waren zuerst über diesen Entschluß entsetzt; doch bald gaben sie uns ihren Segen und viele handgreifliche Beweise ihrer Liebe dazu. Ein seliger Friede erfüllte unsere Herzen, und uns verlangte danach, fort zu sein auf dem neuen Arbeitsfeld, das sich so plötzlich vor uns aufgetan hatte.

Die große kirchliche Abschiedsfeier unserer Aussendung fand am 7. Mai 1868 in Toronto statt: Herzbeweglich und erhebend war sie, und viele treue Gottesmänner und erprobte Arbeiter in der Mission sprachen da zu uns, und ihre Worte lebten noch lange in unseren Herzen. Eine besondere Freude war es uns, daß mein geliebter Vater, Pastor Wilhelm Doung, bei dieser ergreifenden Abschiedsfeier mit uns auf der Rednerbühne sein konnte. Auch er hatte einst zu der Schar von Bahnbrechern gehört, die das Evangelium in die indianische Wildnis und Heidenwelt getragen. Er hatte Glauben an die Kraft des Evangeliums, auch die Indianer umzuwandeln und selig zu machen, und freute sich nun, einen Sohn und eine Tochter zu haben, die sich diesem Werke ganz weihen wollten. Seinen Segen an dieser Stelle zu empfangen gehörte zu dem Köstlichsten, was diese weihevollen Stunden uns brachten.

Von Hamilton aus traten wir am 11. Mai 1868 unsere Reise an. Unsere Reisegesellschaft bestand aus 15 bis 20 Personen. Es waren Missionare und Lehrer mit ihren Frauen und Kindern, die auf ihre verschiedenen Missionsposten im fernen Nordwesten teils zum erstenmal auszogen, teils wieder zurückkehrten, außerdem noch ein paar junge Indianer. An der Spitze der Reisegesellschaft stand der in jenen Ländern wohlbewanderte und ans dortige Reisen gewöhnte Missionar Georg Mac Dougall. Er war nach Canada gekommen, um sich Verstärkung für seine Arbeit zu holen, und seine Bemühungen waren nicht vergeblich gewesen. Ein Teil unserer Mitreisenden folgte ihm als Gehilfen in sein fernes Arbeitsfeld im Saskatschewan-Lande. Von St. Catherine am Welland-Kanal schifften wir uns auf einem kleinen Dampfschiff nach Milwaukee ein, wo wir am 17. Mai eintrafen. Milwaukee trat uns damals als eine lebhafte, strebsame deutsch-amerikanische Stadt entgegen. Wir langten an einem Sonntag an. Die Menge, welche uns begegnete, schien den Tag des Herrn nicht sonderlich zu achten. Die Geschäfte waren in vollster Tätigkeit, und man sah nur wenig Anzeichen davon, daß es der Tag der Ruhe sei. Sicherlich gab es auch dort viele, die den Sonntag nicht entweiht hatten, aber wir müden Wanderer hatten nicht die Gelegenheit sie herauszufinden und empfingen den Eindruck der Unruhe wie an einem Werktage.

Nach einem unnützen und ärgerlichen Aufenthalt infolge von Zollplackereien, die den Reisenden in jenen Tagen unliebsam aufzuhalten pflegten, konnten wir uns am Dienstag von Milwaukee auf den Mississippi nach La Croß begeben, wo wir uns auf einem der großen, flachen Dampfer, die diesen westlichen Riesenströmen eigen find, nach St. Paul einschifften.

Die Szenerie am oberen Lauf des Mississippi ist an vielen Stellen sehr schön. Hohe Felsen erheben sich in kühnen, malerischen Formen; bald sind sie starr und nackt, bald bis zum Gipfel von üppigem Pflanzenwuchs bedeckt. Vor wenigen Jahren noch ertönte hier das Kriegsgeschrei der Indianer, umschwärmten die Büffel in großen Herden diese Ufer, ihren Durst in den Wassern des großen Stromes stillend. Heute unterbricht der schrille Pfiff des Dampfers die großartige Stille und hallt mit wunderbarer Deutlichkeit von den hohen Felsen wider, weithin über die fruchtbaren Täler schallend.

St. Paul, eine rührige, entzückend schön am Ostufer des Stromes gelegene Stadt, war nach zweitägiger Fahrt erreicht. Hier mußten wir etwas verweilen, um die letzten Zurüstungen zu treffen für die weite Reise durch die Prärien und die unzivilisierten Gegenden, denen wir zustrebten. Wir hatten uns mit guten Reitpferden für diese Strecke versehen müssen; dieselben waren bis zu diesem Ort mitsamt unserem Gepäck befördert worden, ohne daß wir uns ihrer bedient hätten. Jetzt, als unsere kleine berittene Schar die Stadt verließ, sollten sie zeigen, ob sie was taugten. Die Erinnerung an diesen ersten Ritt durch die Prärie wird uns unvergeßlich bleiben bis an das Ende unserer Tage. Es war einer jener vollendet herrlichen Tage, die uns nur selten geschenkt werden, in denen eine Ahnung uns ergreift von dem, was die Erde gewesen sein muß, ehe die Sünde sie berührte. Himmel, Luft und Landschaft – alles war wie verklärt und in so wundervollem Einklang miteinander, daß ich ausrufen mußte: »Wenn am Schemel seiner Füße schon solche Herrlichkeit zu schauen ist, was wird es da erst sein am Throne Gottes?«

An diesem ersten Tage legten wir nur einige Meilen zurück und schlugen dann unser Nachtlager auf. Wir alle waren in gehobener Stimmung und bester Laune und schienen erfreut, daß wir uns mehr und mehr von der zivilisierten Welt entfernten und der Wildnis näher kamen. Etliche Tage blieben wir indessen noch im Bereich einiger Grenzdörfer und Ansiedelungen, die jedoch immer seltener wurden, je weiter wir vordrangen. Die letzte dieser Ansiedelungen befand sich an der Stelle, wo jetzt die blühende Stadt Clear-Water am linken Ufer des Mississippi liegt. Hier brachten wir alles, was sich an unserem Reisezeug als der Ausbesserung bedürftig zeigte, noch gründlich in Ordnung, denn weiterhin konnten wir auf keinerlei Beistand rechnen.

Unser Lager bestand aus 8 Zelten, 14 Pferden und 15-20 Personen, Große und Kleine, Weiße und Rothäute zusammengezählt. Sobald das Nachtlager aufgeschlagen war, ließen wir die Pferde los in das herrliche Präriengras, wobei wir nur die eine Vorsichtsmaßregel gebrauchten, sie zu »koppeln« – d. h. die Vorderfüße zusammenzubinden, damit sie sich nicht allzuweit entfernen konnten: eine Maßregel, die uns Neulingen anfangs etwas grausam schien, und gegen die sich die feurigen Tiere zuerst tapfer als gegen eine Beeinträchtigung ihrer Freiheit wehrten. Nach und nach aber gewöhnten sie sich daran, und wir sahen die Zweckmäßigkeit dieser Einrichtung ein, da wir nie Mühe hatten, unsere Pferde wiederzufinden.

Weiterhin trafen wir auf Ansiedler, die beschäftigt waren, ihre im Kriege mit den Sioux zerstörten Häuser wieder aufzubauen. Da sie in diesem entsetzlichen Kriege fast alle schwer gelitten hatten, waren sie gegen die Indianer sehr erbittert. Sie waren in Unkenntnis darüber, daß es die Weißen sind, welche die Schuld an diesem blutigen Aufstande trifft. Mehr als 900 Leben hat er gekostet und eine Strecke Landes völlig verwüstet, die größer ist als mancher Staat Neu-Englands.

Heutigestags ist es eine anerkannte Tatsache, daß die Habsucht und Unredlichkeit der Beamten der Vereinigten Staaten diesen beklagenswerten Krieg von 1863 veranlaßte. Der oberste Agent erhielt von der Regierung die Summe von 600 000 Dollars in Gold, welche den Indianern gehörte und dem Häuptling »Kleine Krähe« sowie anderen Häuptlingen und Gliedern seines Stammes ausgezahlt werden sollte. Der Agent nutzte den damals sehr hochstehenden Goldkurs aus, wechselte die Summe in Banknoten um, zahlte diese den Indianern aus und strich den enormen Gewinn, den das Goldagio ausmachte, in seine eigene Tasche. Als die Zahlung begann, erklärte »Kleine Krähe«, welcher gut wußte, worauf sie nach dem Vertrag das Recht hatten:

»Gold-Dollars mehr Wert als Papier-Dollars, ihr zahlt uns Gold.«

Der Agent weigerte sich, dies zu tun, und die Folge davon war der Krieg. Dieses ist nur ein Beispiel unter Hunderten, wo die Habsucht und Selbstsucht einiger weniger das Land in Krieg gestürzt hat und Hunderte von Menschenleben, Millionen von Reichtümern verschlungen hat.

Überdem taten diese selben Agenten und deren Helfershelfer durch ihre bestochene Presse ihr möglichstes, um dem Publikum eine falsche Vorstellung vom Charakter der Indianer beizubringen. Um die Schändlichkeit ihrer eigenen Handlungsweise zu verdecken und die Aufmerksamkeit von ihren verbrecherischen Taten abzulenken, wurden sie nicht müde, den Charakter der Indianer zu verleumden und herabzusetzen.

Einige der Ansiedler sagten zu mir:

»Bleiben Sie hier bei uns und seien Sie unser Pastor. Wir wollen Ihnen eine gute Wohnung anweisen, Ihnen helfen einiges Getreide anzubauen und werden alles tun, was in unseren Kräften steht, damit es Ihnen gut gehe.«

Als sie sahen, daß wir allen ihren Einladungen widerstanden, änderten sie ihre Taktik, und der eine rief aus:

»Nimmermehr werden Sie durch das nördliche Gebiet der Indianer mit den prachtvollen Pferden und all dem Zeug, was Sie mit sich führen, unbehelligt durchziehen können!«

»O ja, wir werden es schon,« erwiderte Mc Dougall, »wir führen eine kleine Flagge mit uns, die wird uns durch alle Indianer-Stämme Amerikas sicher hindurchführen.«

Sie bezweifelten diese Behauptung auf das entschiedenste, doch erwies sie sich als buchstäblich wahr, wenigstens was die Sioux anbetrifft. Denn als wir einige Tage später diesem Stamme begegneten und unsere britische Flagge an einem Peitschenstiel wehen ließen, veranlaßte sie das, ihre Gewehre ins Gras zu werfen und mit ausgestreckten Händen auf uns zuzueilen, indem sie uns durch einen Dolmetscher sagen ließen: »sie seien erfreut, uns zu sehen und Untertanen »der großen Mutter« jenseit der Wasser die Hände schütteln zu können.« Als wir späterhin, weiter nordwärts, ihr eigenes Gebiet erreichten und den Stamm auf uns zukommen sahen, versteckten wir auf Mr. Mc Dougalls Befehl all unsere Gewehre in den Wagen und traten ihnen als Freunde unbewaffnet und ohne Furcht entgegen. Sie rauchten die Friedenspfeife mit denjenigen unter uns, die sich des Krautes zu bedienen wußten; mit den anderen tranken sie Tee als Zeichen des Friedens. Da sie keine Ahnung von unserer Sprache hatten und wir keine von der ihrigen, konnte sich unsere Unterhaltung nur auf solche Dinge erstrecken, die man durch Zeichen ausdrücken konnte. Aber durch Mc Dougall und unsere eigenen Indianer ließen sie uns ihre Freundschaft versichern. Wir schlugen unsere Zelte auf, koppelten unsere Pferde und ließen sie los wie gewöhnlich. Wir bereiteten unsere Abendmahlzeit, hielten die Abendandacht, schlugen die Feldbetten auf und legten uns zum Schlafe nieder, ohne einen irdischen Wächter zu unserer Sicherheit aufzustellen. Die Wachtfeuer dieses sog. »verräterischen und blutdürstigen Stammes« leuchteten in nicht zu großer Entfernung zu uns herüber, wir wußten auch, daß wir beobachtet seien. Dennoch schliefen wir im Frieden und erhoben uns am folgenden Morgen, in vollkommener Sicherheit. Weder waren wir gestört, noch war uns das geringste gestohlen worden. Das waren unsere Erfahrungen bei der Berührung mit einem Volk, das zwar rachsüchtig ist, wenn man es reizt, das sich aber dankbar einer jeden erfahrenen Freundlichkeit erinnert und seine eingegangenen Verträge und Verpflichtungen so gewissenhaft einhält, wie nur irgend ein anderes Volk auf Erden.

Dreißig Tage brauchten wir zur Reise von St. Paul bis zur Red-River-Ansiedlung. Wir hatten sehr viele brückenlose Ströme zu überschreiten. Bei einigen derselben dauerte es mehrere Tage, bis unsere ganze Karawane übergesetzt war. Auch geschah es nicht selten, daß die Wagen im Flugsande oder Sumpfboden so tief einsanken, daß es der äußersten Anstrengung sämtlicher Männer bedurfte, um sie wieder flott zu machen. Oft konnte man unsere Damen tapfer barfuß durch breite Ströme waten sehen an Stellen, wo heutzutage die Reisenden in luxuriös eingerichteten Eisenbahnwagen mit einer Geschwindigkeit von 80 Kilometern die Stunde dahinsausen! Ach ja, es war eine fröhliche, tapfere, kleine Schar von Bahnbrechern, die damals miteinander Freud und Leid einer solchen Reise teilte.

Das Wetter war uns im ganzen während dieser Reise günstig, aber ein paar durchdringende Regenstürme erlebten wir doch. Da muß ich denn eingestehen, daß die Begeisterung bei einzelnen aus der Gesellschaft ziemlich abgekühlt wurde und sie sich fragten, was sie denn eigentlich dazu getrieben hätte, ihr behagliches, glückliches Heim im Stiche zu lassen und in solche unwirtliche Wildnis hinauszuziehen? Ein orkanartiger, entsetzlicher Sturm überfiel uns eines Abends, als wir uns gerade zur Nacht auf dem Westufer des Red-River gelagert hatten. In einem Augenblick waren die Zelte umgeblasen. Schwere Wagen wurden durch die Gewalt des Sturmes in Bewegung gesetzt und rollten vor ihm her. Für eine Weile herrschte die äußerste Verwirrung im Lager. Zum Glück wurde niemand beschädigt, und sogar die meisten Gegenstände, die uns weggeflogen waren, fanden sich am nächsten Morgen wieder.

Unsere Sonntage waren stille Tage der Ruhe und gesegneter Gemeinschaft mit Gott. Gemeinsam beteten wir den an, der nicht wohnet in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. Viel köstliche Stunden der Erquickung vor seinem Angesicht schenkte er uns dort; er, der unser Trost und unsere Zuflucht gewesen war in so mancherlei anderen Verhältnissen, der uns jetzt zu diesem neuen Werk und Leben berufen hatte und seine Verheißung an uns erfüllte: »Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.«


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