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Die Predigt des Evangeliums war und blieb natürlich stets der wichtigste Teil unserer Missionsarbeit, und wir durften es mit Freuden erfahren, daß der Herr seinen Segen darauf legte, und daß es ihm wie zu Pauli Zeiten »gefiel, durch törichte Predigt selig zu machen die, so daran glauben.« Immerhin war aber das Predigen und Lehren nur ein Teil unserer Arbeit, und es gab für uns noch manches andere zu bedenken, zu tun und zu regeln, wenn wir die armen Indianer mit Gottes Hilfe von den schweren Fesseln befreien wollten, in die das Heidentum sie geschmiedet hatte.
Manche waren von der Wahrheit des Evangeliums wohl überzeugt, aber die Furcht vor den Beschwörern ließ sie zu keinem öffentlichen Bekenntnis kommen. Andere hatten mehrere Weiber und wollten sich nicht von ihnen trennen und nur eine behalten, denn es gilt bei ihnen für eine Ehre, mehrere Frauen zu haben. Wer sich von seinen Frauen trennt, zieht außerdem nicht nur den Spott seiner heidnischen Freunde, sondern auch den Haß und die Rache der Verwandten der früheren Frauen auf sich.
Manchmal kam es vor, daß ein Mann, der gesonnen war, diesen entscheidenden Schritt zu tun, mit der Bitte zu mir kam, die ganze Angelegenheit für ihn zu ordnen. Da gab es manch schwierige und peinliche Fälle, die zu dem Schwersten in unserem Missionsberuf gehörten, und oft war guter Rat teuer. Anfangs dachte ich, die erste Frau solle immer beim Manne bleiben, und die anderen sollten ihn verlassen, aber die Erfahrung lehrte, daß auch diese Regel ihre Ausnahmen hat, die berücksichtigt werden müssen.
So z. B. kam ein Mann zu mir und sagte, er wolle Christ werden. Nach einer eingehenden Unterhaltung mit ihm war mir klar, daß er ein aufrichtiger Mann war, an dessen Seele Gottes Geist gearbeitet hatte. Der Mann hatte zwei Frauen und war bereit sich von einer derselben zu trennen, nur sollte ich entscheiden, welche von ihnen gehen und welche bleiben solle. Die erste Frau war bedeutend älter, hatte aber keine Kinder; die jüngere Frau hatte eine ganze Anzahl kleiner Kinder. Es ist für eine einzelne Frau, der kein Mann helfend zur Seite steht, unendlich schwer, sich und besonders auch noch ihre Kinder durchzubringen. So kamen wir zu dem Schluß, die Frau mit den Kindern solle bleiben und die andere gehen.
Anfangs hatten wir die Regel aufgestellt, ein Mann solle seine geschiedenen Frauen mit Nahrung versorgen; das hatte aber allerlei Schwierigkeiten und Mißstände zur Folge, und so wurde beschlossen, bei der Trennung solle der Besitz des Mannes geteilt und die Hälfte den geschiedenen Frauen gegeben werden. Für die meist recht unbemittelten Indianer war das nicht leicht, und wir halfen ihnen gern aus, wo es ging, aber auch unsere Mittel waren beschränkt. Oft waren die Frauen selber die ersten, die auf eine Trennung drangen, denn es wurde ihnen bald klar, daß die Vielweiberei nicht zur Lehre Jesu passe.
Eines Tages erschienen zwei Frauen bei uns im Missionshaus und wünschten eine Unterredung mit meiner Frau und mir zu haben. Zuerst sprachen sie über verschiedene gleichgültige Dinge, dann sagten sie mit sichtlicher Erregung, sie seien in unseren Gottesdiensten gewesen, und hätten den großen Wunsch, Christinnen zu werden. Sie waren die zwei Frauen eines Indianers, der erst vor einigen Wochen seinen Wigwam in unserer Gegend aufgeschlagen hatte. Diese Frauen waren mit anderen in unsere Kirche gekommen, und ihre Herzen waren von der Wahrheit des Evangeliums berührt worden.
Wir wußten aus Erfahrung, daß man sehr vorsichtig sein muß, wenn man in derartigen Fällen das Ziel nicht verfehlen will, mischten uns also nicht gern sofort in die Familienangelegenheiten der Leute ein. Wir stellten aber einige Fragen an die Frauen und erfuhren, daß sie bereits mit ihrem Manne über die Sache geredet hatten, und daß er auch von nun an wie die christlichen Indianer leben wolle. Er habe ihnen volle Freiheit gelassen, und sie hätten beschlossen, den Missionar und seine Frau um Rat zu fragen. Wir sollten bestimmen, welche von ihnen bleiben, welche sich vom Manne trennen solle. Sie kehrten in den Wigwam zurück und teilten mit Zustimmung des Mannes ihre wenigen Besitztümer: Netze, Fallen, Decken, Kessel und Beile, in zwei gleiche Teile. Dann kamen sie mit ihren Kindern wieder zu uns; jede setzte sich in eine Ecke, und so erwarteten sie geduldig unsere Entscheidung. Die Verantwortlichkeit derselben war meiner Frau und mir wohl bewußt, doch konnten wir die Sache nicht von der Hand weisen, da wir sonst vielleicht den guten Samen in den Herzen der Frauen erstickt hätten, und so beschlossen wir mit Gottes Hilfe unser Bestes zu tun.
Wir hatten uns besprochen und die Sache im Gebet dem Herrn vorgetragen. Nun sagten wir zu der Frau, die fünf Kinder hatte: »Ihr sollt bei Eurem Manne bleiben,« und zu der anderen, die vier Kinder hatte: »Ihr sollt nicht zum Wigwam zurückkehren, sondern Euch ganz von Eurem Manne trennen.«
Die zuerst Angeredete sprang voller Freude auf, nahm ihre Sachen und ihre Kinder mit, und nach kurzem Lebewohl war sie verschwunden.
Einige Augenblicke saß die andere schweigend da, ihr Gesicht in ihre Decke gehüllt, nur hier und da machte unterdrücktes Schluchzen ihren ganzen Körper erzittern. Die Willenskraft der Indianer, der Frauen sowohl wie der Männer, ist ungeheuer groß. Sie gewann schnell ihre Ruhe wieder und erhob sich. Nie werde ich den Ausdruck tiefen Schmerzes vergessen, der in ihren Augen lag. Es war, als sähe sie das einsame Leben einer vernachlässigten, von den Ihrigen verspotteten Frau, welches ihr bevorstand, vor sich liegen, aber sie hatte den Schritt um ihres Gewissens willen getan und wollte nun nichts daran ändern.
Wir richteten einige Fragen an sie und erfuhren, daß sie nicht wisse, wohin sie gehen und was sie tun solle. Ihr Vater, der sie an ihren Mann verkauft hatte, war gestorben, ihre alte Heimat weit entfernt, und sie wußte nichts von ihren Verwandten. Selbst wenn sie dieselben wiederfände, würden sie sie wahrscheinlich nur unfreundlich behandeln. So lag die Zukunft gänzlich dunkel vor ihr. Von tiefem Mitleid ergriffen, fühlten wir, daß wir hier irgendwie helfen müßten, obgleich wir auch nicht gerade viel übrig hatten.
Wir gedachten an die Geschichte vom Öl im Krug und vom Mehl im Kad und beschlossen Hilfe zu schaffen. Meine Frau gab den armen Leuten etwas zu essen und redete ihnen freundlich zu, ich rief einige christliche Indianer zusammen, beriet die ganze Sache mit ihnen, und wir machten uns sofort an die Arbeit und bauten ihr einen Wigwam, der vorläufig für den Sommer genügte. Wir verschafften ihr einen Kahn und spannten ihre Netze an einem günstigen Orte aus, und da sie eine tüchtige, fleißige Frau war und die christlichen Indianer ihr gern halfen, so ging es viel besser, als sie erwartet hatte, und sie wurde eine treue Christin.
Bei den heidnischen Indianern ist die Ehe nur ein sehr lockeres Band, das ebenso schnell gelöst wie geknüpft wird, und da gab es manche Schwierigkeiten, die kaum zurechtzubringen waren. Ein Beispiel davon ist folgende Geschichte. Ein Ehepaar war mehrere Jahre verheiratet gewesen und hatte drei Kinder. Da nahm der Mann eine Stelle bei der Hudson-Bai-Gesellschaft an und ging nach einer Niederlassung am Red-River; seine Familie blieb zurück. Er mußte lange von der Heimat fortbleiben und ließ sich schließlich ganz am Red-River nieder, wo er sich mit einer anderen Frau verheiratete. Nach langer Zeit kehrte er mit seiner neuen Familie an seinen ersten Wohnort zurück. Seine erste Frau, die jahrelang nichts von ihm gehört hatte, hielt ihn für tot, und da sie als Witwe galt, heiratete sie einen andern Mann, mit dem sie einige sehr nette, aufgeweckte Kinder hatte. Nun kamen die beiden Familien unter den Einfluß des Evangeliums, wurden gläubige Christen und fühlten ihre Lage als eine sehr peinliche. Wir überlegten und berieten hin und her, aber ich fand keinen passenden Ausweg und mußte sie so lassen, wie ich sie gefunden, denn jede Frau lebte mit ihrem Manne sehr glücklich. Das Heidentum, nicht das Christentum trug die Schuld an dieser Schwierigkeit.
Als ich einmal am Nelson-Flusse war, kam ein alter Mann zu mir und sagte, er habe meinen Predigten aufmerksam zugehört und wolle Christ werden. Ich freute mich sehr darüber, hatte aber den Verdacht, daß er mehrere Frauen habe, und so war es auch: er hatte deren vier. Ich hatte eine lange Unterhaltung mit ihm und sagte ihm, ich könne ihn nicht taufen, bis er sich von drei seiner Frauen getrennt habe.
Diese Antwort betrübte ihn sichtlich. Er wollte wohl gern Christ werden, aber er und seine Frauen seien alt, und er wisse nicht, ob er eine solche Änderung in ihrer Lebensweise vornehmen könne, jedenfalls werde er auf starken Widerstand stoßen. Ich sah, daß es ihm wirklich Ernst um die Sache war, und daß Gottes Geist an seiner Seele arbeitete, und tat alles, was ich konnte, um ihn zu dem schweren Schritt zu ermutigen.
Er ging in sein Zelt und rief die ganze Familie zusammen; drei seiner Frauen hatten große, erwachsene Söhne. Nun erzählte er ihnen von seinem Entschluß, Christ zu werden, und von den Bedingungen, die sich daran knüpften. Da entstand ein heftiger Auftritt. Die Frauen fingen an zu jammern, und die Söhne, die sich sonst nicht im geringsten um ihre Mütter bekümmerten, erklärten nun mit großer Bestimmtheit, solch eine Schmach solle nicht auf sie kommen. Wie ich nachher hörte, war der Streit sehr heftig.
Plötzlich sagte einer der Söhne: »Wer hat uns denn eigentlich all diese Unruhe gebracht?«
Die Antwort lautete: »Das ist der Missionar, den wir alle haben predigen hören, und der unseren Vater nicht taufen will, wenn er mehr als eine Frau hat.«
»Laßt uns zum Missionar gehen!« Damit sprangen sie auf, griffen nach ihren Waffen und kamen zu mir.
Glücklicherweise stand ich draußen auf einer Wiese, sah sie von weitem kommen und erriet sofort, was sie wollten. Ich rief einen meiner christlichen Indianer und ging den Leuten entgegen. Ich tat, als sähe ich ihren Ärger nicht, und redete sie wie gute Freunde an. Ich sagte: »Ihr habt alle gehört, was ich vom großen Buch erzählt habe. Ihr habt aufmerksam zugehört und darüber nachgedacht. Ich wünschte, ihr alle könntet mit eurem Vater und euren Müttern das alte heidnische Leben aufgeben und Christen werden. Ich habe eine Unterredung mit eurem Vater gehabt, und seither ist mir ein guter Plan für euch eingefallen.«
Sie hörten mir aufmerksam zu, und als ich von meinem Plane sprach, erlosch der zornige Ausdruck in ihren Gesichtern; sie wollten mich doch lieber nicht töten, falls es irgend eine andere Lösung der schwierigen Frage gäbe. Ich sagte ihnen, meine Absicht sei, ihre Mütter vor Schmach und Not zu bewahren. Ich hätte mich gefreut zu sehen, daß sie für dieselben eingestanden waren, denn die meisten Indianer behandeln ihre Mütter schlechter wie ihre Hunde. Nun schlug, ich vor, daß die Söhne einer jeden Mutter dieselbe zu sich nehmen und einen eignen Wigwam bilden sollten, so daß für die alten Frauen gesorgt sei. Die einzige, welche keine Kinder hätte, die für sie sorgen und sie pflegen könnten, sollte beim Vater bleiben. Ich sagte ihnen, wenn sie so handelten, so werde der große Geist sich freuen, und wenn sie sich weiter unterrichten ließen und Gott dienen wollten, so könnten sie alle getauft und Christen werden.
Sie waren mit meinem Vorschlag einverstanden, und, obgleich sie denselben nicht sofort ausführten, so entschlossen sie sich doch späterhin dazu und wurden aufrichtige, entschiedene Christen. – –
Von den verschiedensten Punkten meines Bezirks kamen dringende Bitten von Indianern, die sich danach sehnten, wieder einmal die Predigt des. Evangeliums zu hören, und deshalb einen Besuch von mir wünschten. Daher war meine Zeit im Sommer, wo das Reisen im Kahne am leichtesten und bequemsten ist, immer sehr in Anspruch genommen, und so kam es, daß ich einmal eine schon lange hinausgeschobene Fahrt nach Oxford-Haus unternehmen mußte, als die schöne Jahreszeit sich schon bedenklich ihrem Ende zuneigte. Mit meinen treuen, kräftigen Bootsleuten konnte ich es aber schon wagen, und die Hinreise ging auch ganz glücklich von statten.
Bei den christlichen Indianern in Oxford-Haus verlebten wir angenehme Tage mit schönen Gottesdiensten und in gesegnetem Zusammensein und traten dann sehr befriedigt unsere Rückreise an. Wir reisten meist auf schmalen Flüßchen. Beim ersten Morgengrauen fing die Fahrt an, und den ganzen Tag lang wurde tapfer gerudert.
Wir waren so ohne Aufenthalt bis zum Harry-See gelangt und ruderten den Fluß hinunter, der durch denselben strömt, da hörten wir mehrere Schüsse. Wir zögerten und wußten nicht, ob wir anhalten oder weiterfahren sollten. Wir fürchteten nicht nur das Eis und die Kälte, sondern auch die schrecklichen Herbststürme, die meist ganz plötzlich auftreten. Wo vor kurzem eine spiegelglatte Wasserfläche zu sehen war, da brausen dann mächtige schaumgekrönte Wogen.
Der See lag gerade so ruhig vor uns da wie ein friedlicher kleiner Teich. Ihn jetzt zu durchrudern wäre das reine Vergnügen gewesen. Die kalte Vernunft sagte: »Fahrt weiter und kümmert euch nicht um diese Schüsse!« Aber eine andere Stimme sprach: »Vielleicht sind die Leute in Rot, und ihr könnt ihnen helfen und Gutes tun!« Wir landeten also in der Nähe eines Felsens, auf dem wir fünf Jäger stehen sahen. Sie hatten uns das Zeichen gegeben, uns um Hilfe zu bitten, denn sie litten Hunger. Sie waren erst vor wenig Tagen von dem Handelsposten gekommen, aber ihr Pulver war naß geworden, und sie konnten nichts schießen. Wir musterten unsere Vorräte und fanden, daß sie ungefähr eine Mahlzeit für uns alle zusammen ausmachen würden.
Die fünf Männer waren Heiden, die ich schon früher gesehen hatte. Ich hatte zu ihnen damals vom Heiland und vom Christentum gesprochen, aber ihre einzige Antwort war gewesen: »Wie unsere Väter gelebt haben, so wollen wir auch leben!«
Wir bereiteten unsere Mahlzeit aus einigen Stücken Bärenfleisch, die wir noch übrig hatten, und unterdessen brach der gefürchtete Sturm los. Nun sah der See plötzlich ganz anders aus. Vor einer Stunde hätten wir ihn mit Bequemlichkeit durchkreuzen können, aber nun war keine Rede davon. Wir mußten unser Boot ans Ufer ziehen und so geduldig warten, wie wir konnten, bis der Sturm sich legen würde. Er tobte den ganzen Tag und den folgenden auch noch; am dritten wurde es etwas stiller. Das Schlimmste an unserer Lage war, daß wir außer etwas Tee und Zucker nichts mehr zu essen hatten. Unsere übrigen Vorräte waren ausgegangen, und Wild gab es in jener Gegend und in so vorgeschrittener Jahreszeit kaum. Wir konnten nichts schießen, hatten auch keine Angeln bei uns.
So mußten wir uns wohl oder übel dazu bequemen, beinahe drei Tage lang ohne Essen zu bleiben, was selbst für einen Indianer-Missionar eine ungewohnte und unangenehme Sache ist. Bevor wir uns abends niederlegten, wurden unsere Gürtel fest geschnürt, um dadurch die schrecklichen Qualen des Hungers etwas zu vermindern, sonst hätten wir gar nicht schlafen können. Wir hielten mit den heidnischen Leuten verschiedene Gottesdienste, aber der Hunger stimmte sie nicht gerade andächtig, und seither habe ich immer großes Verständnis für die Leute gehabt, die die Armen erst sättigen und ihnen dann predigen.
Am dritten Tage fand einer der Indianer einen Bärenknochen am Ufer liegen; daraus schnitzte er mit seinem Messer einen Haken, an dem er die Schnüre seiner Mokassins befestigte. Ein Stück roten Flanells diente als Köder, ein Stein als Gewicht, und mit dieser eigentümlichen Angel versuchte er etwas zu fangen. Er stellte sich damit auf einen Felsen, warf den Haken weit ins Wasser hinaus und zog ihn dann schnell wieder ans Land.
Merkwürdigerweise fing er damit wirklich einen Fisch, einen sechs bis acht Pfund schweren Hecht. Schnell wurde er zubereitet und gekocht. Als er gar war, stellten die guten Leute etwa ein Drittel des ganzen Fisches vor mich hin mit den Worten: »Bitte eßt, Missionar!« Ich blickte die hungrigen Leute um mich herum an und sagte: »Nein, so geht es nicht.« Ich tat mein Drittel zu dem Übrigen zurück, zählte die ganze Gesellschaft, schnitt den Fisch in acht Teile, und gab einem jeden ein Teil; natürlich bekam ich auch ein Achtel. Ich hatte nur meine Pflicht getan, und es war ja auch nur eine ganz geringe Sache, aber auf die heidnischen Indianer machte es einen großen Eindruck. Als sie gegessen hatten, zündeten sie ihre Pfeifen an und fingen an untereinander zu reden. Soweit meine Leute und ich es verstanden, war der Sinn ihrer Unterhaltung folgender: »Wir müssen ordentlich aufpassen, wenn dieser Missionar redet. Er ist hier ohne Nahrung und hungrig, weil er zu uns gekommen war, um seine letzten Vorräte mit uns teilen. Als wir den Fisch fingen und ihm das größte Stück gaben, nahm er es nicht an, sondern teilte den ganzen Fisch in gleiche Teile für uns alle. Es ist sein Wunsch, uns Gutes zu tun und uns vom großen Geist zu erzählen. Er hat uns nicht gescholten, obgleich wir ihn aufgehalten haben. Er hätte ganz gut vor dem Sturm über den See nach Hause gelangen können, wenn wir ihn nicht gerufen hätten. Er ist unser Freund, und wir müssen hören, was er zu sagen hat.« Ich hörte sie so reden, gab aber weiter kein Acht darauf. Nach einigen Stunden legte sich der Sturm, und wir konnten voller Freude die Heimfahrt antreten.
Am folgenden Tage kamen wir ins Missionsdorf und sahen vor den Häusern der Leute Fleisch und Fisch in Fülle zum Trocknen aufgehängt. »Wir könnten beim Anblick der Speise wohl lachen,« riefen meine braven Gefährten, »wenn wir nicht zu schwach wären.« Wir hielten uns aber noch tapfer aufrecht, bis wir zu Hause waren. Als ich in mein Haus trat, überfiel mich eine furchtbare Schwäche. Mit den Worten: »Meine Lieben, wir verhungern, gebt uns etwas zu essen,« brach ich ohnmächtig zusammen. Die liebevolle Pflege meiner Frau stellte mich gottlob bald wieder her, und in nicht allzulanger Zeit war ich imstande, meine Reisen wieder aufzunehmen.
Der lange Winter war vergangen, und der schöne Sommer zog wieder ins Land. Frühling kennt man dort kaum, so schnell geht der Winter in den Sommer über. Kaum war das Eis von den Flüssen und Seen verschwunden, da erschienen auch schon die Indianer in ihren leichten Kähnen von den verschiedenen Punkten, wo sie sich den Winter über mit dem Fang von Pelztieren beschäftigt hatten. Viele von ihnen kamen zu uns ins Missionshaus, um uns zu sehen, und unter diesen waren fünf stattliche Männer, sie richteten an mich nach der ersten Begrüßung die Frage: »Missionar, habt Ihr den Fisch vergessen? Wir haben ihn nicht vergessen und möchten nun eine Unterredung mit Euch haben.«
»Fisch?« sagte ich. »Wir essen einundzwanzigmal wöchentlich Fisch; gekocht, gebacken, gebraten, gesalzen, gedörrt. Ich habe viele Fische gesehn, aber ich kann mich keines besonderen Fisches entsinnen.«
Da erinnerten sie mich an den Fisch, von dem sie mir das größte Stück gegeben hatten, und den ich dann unter uns alle geteilt hatte. Natürlich fiel mir die ganze Geschichte wieder ein, und ich sagte: »Ja, jetzt erinnere ich mich.«
Da sagte einer von ihnen mit großem Ernst: »Wir haben jenen Vorfall nie vergessen. Während der Wintermonate haben wir oft davon gesprochen. Früher wollten wir leben und sterben wie unsere Väter; seit Ihr aber den Fisch mit uns geteilt habt, haben wir beschlossen, noch mehr von dem guten Buch zu hören und Christen zu werden.«
So geschah es denn auch. Sie gaben ihre Herzen ganz dem Herrn hin, und mit ihren Familien legen sie jetzt in ihrem täglichen Leben Zeugnis ab von der Macht Jesu, die Herzen zu wandeln und neue Menschen zu schaffen. Sie leben jetzt auf der Missionsstation, und wir denken stets mit
Dankbarkeit an jene Tage am Flußufer zurück, wo wir, ohne es zu ahnen, den Samen ausstreuen durften, der solch schöne Früchte trug.