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Ohne Frage war Missionar Jakob Evans der bedeutendste unserer Missionare unter den Indianern, wie auch seine Arbeit von dem größten Erfolg begleitet war.
In rastlosem Eifer, in heldenhaften Anstrengungen, in feinem Herzenstakt, der ihn in schwierigen Lagen nie im Stiche ließ, in Frische und Lebendigkeit des Geistes, die ihn nie in Entmutigung sinken ließen, im Glauben, der nimmer schwankte, in Begeisterung für die Ausbreitung unseres teuren Christenglaubens steht Jakob Evans unter uns unerreicht da.
Wenn eine ausführliche Schilderung seiner weiten Reisen im wilden Nordwesten Kanadas geschrieben würde, könnte sie sich an spannendem, merkwürdigem Inhalt mit dem Besten messen, was die Missions-Literatur auf diesem Gebiete besitzt. Es besteht heute kaum eine Missionsstation von größerer Bedeutung unter den Indianern dieser Striche, sie möge nun von der Kirche von England, der Römisch-Katholischen oder der Methodisten-Kirche bedient sein, die nicht von Jakob Evans zuerst in Angriff genommen ist. Und der Grund, weshalb sie jetzt nicht alle von der Methodisten-Kirche besetzt sind, ist einzig der, daß die träg gewordene Kirche seinen eindringlichen Bitten und Aufrufen, Männer hinauszusenden und die Gebiete zu besetzen, die er eröffnet hatte, keine Folge leistete.
Vom Nord-Ufer des Oberen Sees bis hin zu den unbekannten Länderstrecken, die hinter den Wasserflächen des Athabaska- und des Sklaven-Sees liegen, wo das Nordlicht sein geisterhaftes Spiel treibt; von den wundervollen Prärien an dem Boa- und Saskatschewan-Strom bis zu den unfruchtbaren Ufern der Hudson-Bai, von den lieblichen Gefilden, die der Mota- und der Assinaboina-Fluß durchströmen, bis an den Fuß der Felsengebirge kann man noch bleibende Spuren seiner Tätigkeit sehen.
An manchem Lagerfeuer und in manch einsamem Wigwam trifft man noch alte Indianer, deren Augen leuchten und deren Zunge beredt wird, wenn sie von dem Manne reden, dessen Andenken unter ihnen fortlebt, und von den Bekehrten, die er aus dem erniedrigenden Heidentum in das Licht des Evangeliums geführt, sind noch eine ganze Anzahl am Leben. Wie manche beschwerliche Stunde ist mir versüßt und im Fluge vergangen, wenn ich zuhörte, wie Papanekis der Ältere oder Heinrich Budd oder ein anderer alter Indianer-Führer, Schlittenlenker oder Bootsmann, seine Erinnerungen an »Nistum Ayumeaukemu« b. h. »den ersten Missionar« erzählte, wenn er berichtete von den anstrengenden Reisen voll wunderbarer Abenteuer, den mancherlei Gefahren und herrlichen Errettungen, auch von manchen erschütternden Ereignissen, die sie in Gemeinschaft dieses Mannes Gottes durchlebt hatten.
Die Schlittenlenker erzählten gern von Evans' Zug von wolfsähnlichen Hunden, mit denen er Jahre hindurch seine Reisen machte. Mit Begeisterung pflegten sie von der wunderbaren Schnelligkeit und Ausdauer dieser Tiere, von ihrer Schlauheit und Bosheit zu erzählen. Sie berichteten gern, wie in besonders kalten Nächten bei 50-60° unter Null diese sonst so bösen Tiere in das Lager hineinliefen, sich dort auf den Rücken legten und alle vier Füße in die Luft streckend, ohne Worte, aber höchst beredt darum baten, daß jemand sich ihrer erbarmen und ihnen die warmen, wollenen Hundesocken überziehen möge.
Seine Reisen im Kahne dauerten oft mehrere Wochen und erstreckten sich über Tausende von Kilometern. Kein Strom schien zu reißend, kein See zu stürmisch, um ihn in seinem unermüdlichen Eifer abzuhalten, die Indianer in ihrer Wildnis aufzusuchen und ihnen die Segnungen des Evangeliums zu bringen. Beständig auf Verbesserungen bedacht, die ihm zu schnellerem Fortkommen verhelfen könnten, baute Evans einen Kahn aus Blech. Diesen Kahn nannten die Indianer »die Insel des Lichts«, weil er die Sonnenstrahlen zurückwarf, wenn er, von den kräftigen Ruderschlägen seiner wohlgeschulten Bootsleute vorwärts getrieben, über die Wasserfläche dahinglitt. In diesem neuerfundenen Fahrzeug führten sie stets Lötzinn und Lötkolben mit sich, und sobald sie das Unglück hatten, auf einen Fels zu stoßen, fuhren sie ans Land und besserten den Schaden aus.
Evans war früher jahrelang Prediger und Missionar im Dienst der Kanadischen Methodisten-Kirche. Mit dem Missionar Wilhelm Cate zusammen war er unter den Indianern der Provinz Ontario erfolgreich tätig gewesen. Als die Wesleyanische Kirche in England den Beschluß gefaßt hatte, sich der vernachlässigten Stämme im Gebiete der Hudson-Bai-Gesellschaft anzunehmen, war Jakob Evans der Mann, welcher an die Spitze der opferfreudigen, kleinen Schar von Missionaren gestellt wurde. Um seinen Hausrat nach Norway-Haus zu schaffen, das zur ersten Missionsstation ausersehen war, mußte derselbe von Toronto zuerst nach England verschifft werden, dort wurde er wieder auf ein Schiff umgeladen, das nach der York-Faktorei an der Hudson-Bai ging. Von diesem Ort mußten die Sachen nach Norway-Haus, 800 Kilometer weit, in Booten geschafft werden. Siebzigmal mußten sie auf diesem Wege aus den Booten herausgenommen und getragen werden, um Wasserfälle und Stromschnellen zu umgehen, und dann erst langten sie am Ort ihrer Bestimmung an.
Evans selbst machte die Reise von Toronto an zu Boot. Die Strecke von Donnerbei im Oberen See bis Norway-Haus wurde im Kahne aus Birkenrinde zurückgelegt. Hunderte von Indianern lauschten seinen feurigen Worten, und er und seine Genossen Barnley und Rundee haben viel Gutes gewirkt.
Das große Lebenswerk Evans', mit welchem sein Name für immer verbunden bleibt, ist die Erfindung und Verbesserung dessen, was jetzt allgemein als die Silbenschrift der Kri-Sprache bekannt ist. Was ihn zuerst auf diese Erfindung brachte, war die Schwierigkeit, die er und seine Freunde hatten, den Indianern das Lesen auf dem gewöhnlichen Wege beizubringen. Sie sind Jäger und daher beständig unterwegs, den Tieren folgend, denen sie nachstellen. Heute haben sie ihr Zelt aufgeschlagen, wo sie auf guten Fischfang rechnen können, morgen sind sie vielleicht im tiefen Walde, wo das Renntier lebt, oder am Ufer eines Flusses, wo der Biber seine kunstvollen Dämme und merkwürdigen Baue ausführt.
Evans' beständiger Gedanke war nun: »Was könnte ich erfinden, damit diese wandernden Leute das Lesen leichter erlernen?«
Das Prinzip der Zeichen, welche er erfand, folgt dem Laute. Es gibt keine stummen Buchstaben. Jedes Zeichen bedeutet eine Silbe, daher ist kein Buchstabieren nötig. Sobald jemand das Alphabet und ein paar Nebenzeichen inne hat, welche die Konsonanten und die Hauchlaute bezeichnen oder die Aussprache verändern, kann er sofort am ersten Kapitel der Bibel anfangen und weiterlesen. Anfangs geht es natürlich langsam, aber schon nach wenigen Tagen liest er mit überraschender Leichtigkeit und Richtigkeit.
Evans hatte mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, um seine Erfindung zu verbessern und in praktischen Gebrauch zu bringen, selbst nachdem sie vollständig klar und deutlich vor seinem eigenen Geiste stand. Er war Hunderte von Meilen von der zivilisierten Welt entfernt, und es fehlten ihm alle Mittel, um seine Erfindung zu verwerten. Doch für ihn gab es das Wort »unmöglich« nicht. Er verschaffte sich die Bleiplatten von den Teekisten der Händler, die man ihm gern überließ. Diese schmolz er ein und goß daraus kleine Bleistäbe, aus denen er sodann seine ersten Lettern für die Schriftzeichen schnitt. Die Druckschwärze fertigte er aus dem Ruß der Schornsteine an, und sein erstes Papier war weiße Birkenrinde. Nach mannigfachen Mühen und der Anwendung großen Scharfsinns stellte er sich so eine kleine Druckpresse her, und dann begann die Arbeit.
Das Erstaunen und Entzücken der Indianer war groß. Daß die Birkenrinde »sprechen« könne, war ihnen höchst merkwürdig. Zuerst wurden Teile der Evangelien und einige der schönen Lieder gedruckt. Die Kunde von dieser Erfindung gelangte zu der Missionsgemeinde daheim, und es wurde ihm reichliche Hülfe gesandt. Ein großer Vorrat von Lettern wurde in London gegossen und samt einer guten Druckerpresse mit allem Zubehör und reichlichem Vorrat von Papier hinausgeschickt. Jahre hindurch ist dann eine große Anzahl von Bibelteilen unter die wandernden Stämme der Indianer verteilt worden und unberechenbarer Segen damit gestiftet. In späteren Jahren hat die Britische und Ausländische Bibel-Gesellschaft die Sorge für diese Arbeit übernommen, und dank ihrer Großmut ist jetzt unter den Indianern das Wort Gottes reichlich verbreitet, und Tausende können seine seligmachende Wahrheit lesen.
Alle Kirchen, welche in diesem Lande Mission treiben, haben sich die Erfindung Jakob Evans' mehr oder weniger zu nutze gemacht. Um sie für Stämme, die eine andere Sprache sprechen, brauchbar zu machen, hat man einige Zeichen verändert und andere für Laute hinzugesetzt, die in der Kri-Sprache nicht vorkommen. Selbst in Grönland wird die Silbenschrift von den Missionaren der Brüdergemeine unter den Eskimos mit großem Erfolg benutzt.
Es war Evans ein ernstes Anliegen, den Neubekehrten von vornherein ihre Pflichten und die Verantwortung klar zu machen, die das neue Leben, in welches sie eintraten, ihnen auferlegte. Er war ein unerschrockener Mann und stellte ihnen den Ratschluß Gottes und seine Gebote aufs ernsteste vor die Augen. Da er wußte, welch verderblichen, ja zerstörenden Einfluß das »Feuerwasser« auf die indianische Rasse ausübt, waren die von ihm begründeten Gemeinden alle zugleich auch vollständige Enthaltsamkeits-Vereine, und er gab dabei, wie jeder gute Missionar es tun soll, den Leuten durch sein eigenes Leben ein gutes Beispiel. Ebenso stellte er sich, was die Heilighaltung des Sonntags anbelangt, voll und ganz auf den Grund der Schrift und predigte die unbedingte Notwendigkeit des einen Ruhetags unter den sieben Tagen. In späteren Jahren konnten wir die segensreichen Folgen sehen, die sein und seiner Nachfolger treues Durchführen dieses heiligen Gebotes für die indianischen Christen gehabt hat.
Dieser edle Mann ist durch zahlreiche und schwere Prüfungen gegangen, und manche Anfeindungen, die er zu erdulden hatte, erscheinen uns geradezu unverständlich. Wegen seiner strengen Wahrhaftigkeit und seines furchtlosen und gewissenhaften Einprägens der göttlichen Gebote wurden einige hochgestellte Persönlichkeiten, die ihm anfangs gewogen schienen, seine erbittertsten Feinde.
Die Anfeindung begann, als Evans den bekehrten Indianern das dritte Gebot einprägte. Auf sein Verlangen ruhten sie am siebenten Tage auch in den Zeiten des Jahres, wo die Flüsse und Seen offen und sie zur Jagd und zum Fischfang ausgezogen oder auf der Wanderung waren. Kurzsichtige Beamte widersetzten sich seiner Lehre in Unkenntnis der Tatsache, die so oft durch die Erfahrung bewiesen ist, daß diejenigen, welche den einen Tag von sieben geruht haben, in den sechs anderen mehr Arbeit leisten können als die anderen, und da sie ihn nicht zum Schweigen bringen konnten, verfolgten sie den Missionar in einer Weise, die in der Hölle mit Jubel begrüßt worden sein muß. Ich will nicht auf die Einzelheiten eingehen. Die Hauptpersonen in dieser traurigen Sache stehen vor dem Richter droben. Er, der es für eine Zeit lang zuließ, daß der Name dieses treuen Dieners mit Schmach bedeckt wurde, hat alles das wieder vertrieben wie den Nebel; und wie das Silber und Gold aus dem Feuer bewährt und geläutert hervorgeht, so ist es auch mit diesem Diener Gottes hier der Fall gewesen.
Diese Verfolgungen und selbst die bitteren Angriffe auf seinen guten Ruf waren nicht imstande, ihn von der allerhingebendsten Tätigkeit in seinem segensreichen Beruf abzuhalten. Wie einst ein Apostel Paulus oder wie im Beginn dieses Jahrhunderts ein Coke oder Asbury war Jakob Evans beständig auf Missionsreisen. Wenn wir sagen, daß er alljährlich mehrere tausend Kilometer zurücklegte, so muß man sich vergegenwärtigen, daß diese weiten Entfernungen nicht mit der Eisenbahn oder Postkutsche, auch nicht einmal zu Pferde oder im Segelschiff zurückgelegt wurden, sondern im offenen Kahne und im Hundeschlitten. Was das aber an Mühsalen und Anstrengungen zu bedeuten hat, wird die Mehrzahl unserer Leser zum Glück niemals aus Erfahrung wissen. Einige von uns kennen es aus Erfahrung, und diese Gemeinschaft der Leiden bindet unsere Herzen in warmer Liebe an sein Andenken.
Der Raum gestattet es mir nur, noch einiges über das traurigste Ereignis seines Lebens mitzuteilen, das zufällige Erschießen seines Dolmetschers Joseph Hasselton und die Folgen, welche es für ihn hatte.
Es wurde Evans eines Tages Mitteilung gemacht, daß die heidnischen Priester im Gebiet von Athabaska und am Mackenzie-Strom sich zusammenzuscharen beabsichtigten, um einige vielversprechende Indianerstämme, die er besucht und sehr bereit gefunden hatte, das Evangelium anzunehmen, wieder von demselben abzubringen. Voll Besorgnis beschloß er, so schnell als möglich im leichten Kahne sich selbst zu seinen lieben Neubekehrten zu begeben, um sie im rechten Glauben zu befestigen, und früher an Ort und Stelle zu sein als die Priester. Diese reisten auf dem gewöhnlichen Wege den Saskatschewan hinauf, dann wollten sie ein Hochplateau überschreiten und auf der anderen Seite ihren Weg auf den Flüssen fortsetzen, die dem Polarmeer zuströmen.
Evans beschloß den sog. »hinteren Weg« einzuschlagen d. h. zum Teil den Nelson-Strom hinunter sich westwärts zu wenden und über eine fast unzählbare Menge von Seen, Strömen und Übersetzstellen, vor den anderen das Ziel zu erreichen; allerdings erforderte diese lange Reise mehrere Wochen größter Anstrengung. Er machte sich in Begleitung seines geliebten Gehilfen Joseph Hasselton auf den Weg. Dieser war einer der bedeutendsten Indianer seiner Zeit, ein Mann, der beinahe alle Sprachen reden konnte, die von den verschiedenen Indianerstämmen gesprochen wurden; dabei war er ein treuer Christ voll Eifer und Begeisterung für seinen Beruf. Außer diesem hatte er noch einen Indianer als Reisegefährten bei sich. Mehrere Tage hindurch kamen sie gut vorwärts und freuten sich über die Aussicht, daß ihr Vorhaben gelingen werde.
Eines Morgens sehr frühe, als sie den Nelson-Strom hinab ruderten, sagte Hasselton, der Dolmetscher, welcher vorn im Boote saß: »Ich sehe einige Enten dort im Schilf am Ufer. Gebt mir die Büchse her.« In diesen kleinen Kähnen werden die Gewehre meist hinten mit dem Lauf nach rückwärts verwahrt, um Unglücksfälle zu verhüten. Der Mann, welcher hinten im Boot saß, ergriff rasch die Flinte, spannte aber törichterweise den Hahn. Mit dem Lauf nach vorn reichte er die Flinte Evans, welcher seinen Kopf nicht umwandte, weil er ebenfalls voll Spannung ausschaute, ob er die Enten sehen könne. Als Evans das Gewehr faßte, welches ihm gereicht wurde, ließ er unglücklicherweise den Hahn, welcher keinen Sicherheitsschutz hatte, gegen den Rand des Kahnes schlagen. Sofort entlud sich das Gewehr, und die ganze Ladung traf den Kopf des armen Mannes an der Spitze des Bootes. Er richtete sein brechendes Auge auf Evans und brach dann als Leiche zusammen. Es war ein entsetzliches Unglück und doppelt schmerzlich durch die Umstände, unter denen es geschah.
Die beiden Überlebenden befanden sich hier ungefähr 300 Kilometer von jeder menschlichen Wohnung entfernt. Sie konnten die Leiche nicht zurückbringen. Tagelang wären sie keinem Menschen begegnet, dem sie ihre erschütternde Geschichte erzählen konnten. Sie ruderten ans Land, und nachdem der erste furchtbare Ansturm des Schmerzes bekämpft war, mußten sie, so gut sie konnten, hier in der Wildnis ein Grab graben und ihren Toten hinein betten.
Sie wandten ihr Angesicht wieder heimwärts, und diese Reise war unbeschreiblich traurig. Groß war die Betrübnis im Dorf, als sie mit der Trauerkunde heimkehrten, aber noch größer wurde der Schmerz, als man erfuhr, was Evans beschlossen hatte zu tun. Sein Dolmetscher war im Dorf der einzige Christ unter all seinen Angehörigen gewesen. Alle anderen waren wilde Heiden, von denen nichts Gutes zu sagen war. »Ein Leben für ein Leben« war ihr Wahlspruch, und sie hatten in der Befriedigung ihrer Rachegelüste viele grausame und blutige Taten verübt. Sie lebten mehrere hundert Kilometer entfernt; Evans hatte beschlossen, sich zu ihnen zu begeben, ihnen zu sagen, was er getan hatte, und alle Folgen zu tragen. Viele Freunde, welche wußten, wie rasch der Indianer sich bei der Nachricht vom Tode eines Angehörigen zu blutiger Rache hinreißen läßt, beschworen ihn, nicht selbst hinzugehen, sondern einen Vermittler zu senden. Für solche Vorstellungen blieb er taub, und nachdem er seinen letzten Willen aufgesetzt und alle Anordnungen für die Fortführung seiner Arbeit getroffen hatte, für den Fall, daß er nicht wiederkehrte, nahm er von seiner trauernden Familie, die keine Hoffnung hatte, ihn je wiederzusehen, Abschied und trat diese eigentümliche und gefahrvolle Reise an.
Als er das ferne Dorf erreicht hatte, trat er in das Zelt der Eltern seines Dolmetschers und sagte ihnen, sein Herz sei gebrochen, ihr Sohn sei tot, er habe ihn erschossen. Während er das traurige Ereignis schilderte, flogen zornige Worte hin und her, und die Tomahawks und Büchsen wurden drohend geschwungen. Er fühlte sich so unaussprechlich unglücklich, daß ihm wenig daran lag, ob sie ihn töteten oder leben ließen, und so setzte er sich mitten unter ihnen auf den Boden nieder und erwartete ihre Entscheidung. Einige der Heißblütigsten waren dafür, ihn sofort zu töten; aber besonnenere Stimmen gewannen die Oberhand, und so wurde beschlossen, daß er an die Stelle des von ihm getöteten einzigen Sohnes von den Eltern an Kindes Statt angenommen werden und ihnen den Sohn nach Möglichkeit ersetzen solle. Joseph war seinen Eltern viel gewesen. Daß er ein Christ geworden, hatte ihn liebevoll und freundlich gegen sie gemacht, und alles, was er sich von dem Gehalte ersparen konnte, hatte er seinen Eltern treulich geschickt. Die Zeremonie der Annahme an Sohnes Statt dauerte mehrere Tage. Evans nahm als seinen indianischen Namen den seiner Pflegeeltern an, und er ist ihnen in der Tat ein treuer Sohn geworden.
Als er sie verließ, um auf seine Missionsstation zurückzukehren, küßten sie ihn und erzeigten ihm so viel Liebe, als diese Leute überhaupt zu zeigen imstande sind. Ihr Pflegesohn sandte ihnen häufig Geschenke und sorgte bis an ihr Lebensende aufs beste für sie.
Aber wenn auch die äußeren Folgen dieses unglücklichen Ereignisses sich auf diese Weise günstig gestaltet hatten, blieb doch die Erinnerung daran unauslöschlich in Evans' Gemüt gegraben, er ward nie wieder der Alte, der er vordem gewesen. Doch ließ er sich dadurch nicht abhalten, sein Werk aufs eifrigste zu treiben. Ja, es schien sogar, als versuche er seinen steten Schmerz in unaufhörlicher Arbeit und in Mühsalen zu begraben, die so mannigfach waren, daß auch unter den Indianern, die beständig auf Reisen sind, nur sehr wenige darin mit ihm wetteifern konnten.
Um sich neue Hilfe für die Ausbreitung seiner Arbeit zu verschaffen und in weiteren Kreisen eine lebendige Teilnahme für das Wohl der Indianer in Britisch Nordamerika zu wecken, unternahm Evans eine Reise nach England, wo er Vorträge über sein Arbeitsfeld und dessen Bedürfnisse hielt. Die Berichte von seinen wunderbaren Erlebnissen und mannigfaltigen Erfahrungen in diesem bisher so wenig bekannten Lande brachten einen tiefen Eindruck hervor, und große Scharen von Zuhörern drängten sich zu seinen Vorträgen und forderten ihn auf, immer eingehender von seinen merkwürdigen Kahn- und Schlittenreisen und von dem sehnenden Verlangen der Indianer nach der Heilsbotschaft zu berichten.
Am 23. November 1846 war er von einem solchen Vortrag in das Haus eines Freundes heimgekehrt, dessen Gast er war. Seine Frau, die in jeder Hinsicht seine treue Mitarbeiterin und Gehilfin war, begleitete ihn. Während sie über verschiedene Gegenstände plauderten, wandte sich Frau Evans zu ihrem Manne, der behaglich in einem Lehnstuhl saß und sagte: »Lieber Mann, ich habe eine merkwürdige Vorahnung gehabt, daß wir Norway-Haus und unsere lieben, treuen Indianer nie wieder sehen werden.« Er wandte sich zu ihr und sagte mit einem Ausdruck, der an seine frische Begeisterung aus früheren Jahren erinnerte: »Warum sollte ein solcher Gedanke dich beunruhigen, meine Liebe? Der Himmel ist von England gerade so nah wie von Amerika.«
Die beiden Frauen zogen sich zur Nachtruhe zurück und ließen Evans und den Hausherrn plaudernd im Wohnzimmer zurück. Bald darauf sagte der Hausherr etwas und erhielt darauf von Evans keine Antwort. Er sah genauer nach ihm hin; im ersten Augenblick dachte er, sein Gast sei eingeschlafen, aber nur für einen Augenblick. Er sprang, auf, eilte zu ihm hin und fand, daß der unsterbliche Geist so sanft und leicht aus der irdischen Hülle entflohen war, daß man auch nicht den leisesten Seufzer oder Schmerzenslaut vernommen hatte. Der edle Indianer-Missionar war tot, der beredte Mund für immer verstummt. Hunderte von Indianern schauten sehnenden Herzens nach seiner Rückkehr aus, aber sie warteten vergebens. Von den Engeln Gottes war seine Seele hinaufgetragen zu der unzähligen Menge seliger Geister, die den Thron Gottes umstehen, die rein gewaschen sind im Blute des Lammes, in deren selige Gemeinschaft auch so viele von den Indianern aufgenommen sind, die durch sein Zeugenamt dem Herrn gewonnen wurden und ihren Christenlauf in fröhlichem Glauben vollendet haben, die ihrem Lehrer vorangegangen sind und ihn dort in dem himmlischen Vaterhaus begrüßt haben werden.