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Unter Aberglauben ist nicht der gesammte Inhalt des heidnischen Glaubens zu verstehn, sondern die Beibehaltung einzelner heidnischen Gebräuche und Meinungen. Es gibt zwei Arten des Aberglaubens, einen thätigen und leidenden; entweder wird dem Menschen von höherer Hand ein Zeichen gegeben, woraus er Heil oder Unheil folgert, oder er lockt das Zeichen erst durch seine Verrichtung hervor. Dieser, der thätige, konnte als mit heidnischen Bräuchen vermischt, eher von dem Christenthum ausgetilgt werden, als jener leidende schuldlosere, der wie Gespensterfurcht auf das menschliche Gemüth wirkte.
Ein Hauptstück des Aberglaubens sind die Weissagungen. Der Mensch möchte den Schleier lüften, den Zeit und Raum über seine wichtigsten Angelegenheiten geworfen haben und glaubt, durch Anwendung geheimer Mittel Auskunft zu erlangen. Erlaubte und unerlaubte Weissagungen waren von jeher ein Geschäft des Priesters oder Hausvaters und Zauberers; jene gehören zur Religion, diese zum Aberglauben. Entweder ist nun die Gabe der Weissagung mit der priesterlichen Würde verbunden an ein bestimmtes Geschlecht geknüpft, oder sie wird von einem dieses Geschlechtes auf einen andern, der demselben fremd ist, übertragen, oder sie wird einem durch der Götter Güte bei der Geburt verliehen. Zeichen des Letztern ist der Glückshelm, mit welchem manche Kinder auf die Welt kommen; sie sehen Geister, d. h. sie pflegen vertrauten Umgang mit den Göttern und gewinnen dadurch den Blick in die Zukunft. Die Uebertragung geschieht in der Weise, dass man dem, welcher die Gabe besitzt, auf den rechten Fuss tritt und über die linke Schulter schaut, denn der rechte Fuss ist der glückliche Fuss, so dass man gleichsam des Begnadeten glücklichen Wandel annimmt und unter der linken Schulter schlägt das Herz, der Sitz seiner vorschauenden Seele, mit der man nun die Gabe gleichsam theilt, mit deren Auge man schaut.
Zur Entdeckung in Dunkel gehüllter Ereignisse der Vergangenheit gab es verschiedene Mittel. So das Siebdrehen, welches weise Frauen, Zauberer u. a. übten. Man fasste ein Erbsieb zwischen beide Mittelfinger, sprach eine Formel aus und nannte nun die Namen der Verdächtigen her: bei dem des Thäters fing das Sieb an, sich zu schwingen und umzutreiben. Ebenso wurde ein in eine Kugel gestecktes Beil zu diesem Zweck benutzt.
Die ehrwürdigste und gerechteste Art aller Weissagungen war das Loos. Entweder warf es der Priester oder der Hausvater und deutete es, oder er hielt es der Parthei zum ziehen hin; jenes bezog sich auf das Künftige, dieses tut Schlichtung des Gegenwärtigen. Man nahm dazu eine Ruthe eines fruchttragenden Baums und schnitt Zweige davon, welche mit besondern Zeichen unterschieden wurden ; diese warf man durcheinander auf ein weisses Tuch und der Priester oder Hausvater, je nachdem die Angelegenheit, worüber man sich Raths erholte, eine öffentliche, allgemeine oder private war, zog nachdem er zu den Göttern gefleht hatte, den Blick gen Himmel gewandt, drei Zweige heraus, nach deren Zeichen er alsdann die Weissagung sprach. Bei vielen deutschen Stämmen finden wir die Weide zu diesem Gebrauch benutzt, die Zeichen, welche jene Zweige tragen, waren höchstwahrscheinlich Runen. Dieses Loosziehen dauerte unter verschiedenen Formen noch lange nach dem Untergang des Heidenthums fort. Wie die Sachsen dadurch ihre Führer in der Schlacht wählten, so wählten später die Christen sich einen der Apostel, dem sie besonders fromme Verehrung zutragen wollten. Man stellte zwölf Kerzen auf den Altar und hing jeder eines Apostels Namen an; dann zog man blindlings eine Kerze und verehrte den Apostel dessen Namen sie trug als besondern Patron. Anderemal entzündete man die Kerzen und erkannte den Apostel, dessen Kerze am längsten brannte, als Patron.
Eine ganze Reihe von Weissagungen beruht auf dem Ablauschen, Abhorchen und Absehn. Man deutete Sieg oder Niederlage aus dem Schlachtgesang d. h. daraus ob er in vollen kräftigen oder eher zagenden Tönen erscholl. Ebenso war es ein siegbringendes Zeichen, wenn die Rosse beim Beginn der Schlacht hellauf wieherten. Zu heiligen Zeiten horchte man an heiligen Orten und deutete die Zukunft nach dem, was man gehört: wie Pferdegewieher dem lauschenden Krieger Schlacht und Kampf ankündigte, so Hundegebell der lauschenden Magd, von welcher Seite der Bräutigam nahen werde. Das Brustbein der Gans diente zu Wetterprophezeiungen: war es um Martini roth, dann folgte strenger, war es weiss und klar, ein mässiger Winter. Niesen und Ohrenklingen gilt noch heut für vorbedeutsam.
Die im Mittelalter verbreitetste Art von Aberglauben betraf die Vorbedeutungen, welche man unter dem Namen Angang, Widergang, Widerlauf verstand. Man achtete auf Thiere, Menschen oder Sachen, denen man frühmorgens beim ersten Ausgang zuerst begegnete und schloss daraus auf Heil oder Unheil. So galt die Begegnung eines Wolfes für guten Angang, denn er war Wuotans heiliges Thier, dagegen die des furchtsamen Hasen für ungünstig. Ebenso hielt man den Angang des Priesters und einer alten Frau für bös, besonders wenn diese mit fliegenden Haaren, d. i. von der Nachtfahrt heimkehrend oder spinnend begegnet, d. h. wenn man sie in ihrem Walten störte, unberufen sich in ihren Weg drängte. Mit dem Wolf theilen guten Angang Hirsch, Eber und Bär, alle drei heilige Thiere; dem Hasen steht der Fuchs und das Schwein zur Seite, welches uns heut noch eben so unwillkommen unter Wegs ist, wie das Schaf willkommen.
Den Vögeln wohnt höhere Kunde von den Geheimnissen der Götter- und Geisteswelt bei, als den vierfüssigen Thieren, ihre freie Bewegung durch die Luft machte sie geeigneter zu Boten der Götter, darum ist auch ihre Begegnung bedeutsamer. Wenn vom Verstehen der Thiersprache, welches oft den Helden gegeben ist, berichtet wird, dann werden meist nur die Vögel genannt. Man achtete auf die Seite, auf welcher der Vogel flog, und wie immer so ist auch hier die rechte die glückliche, die linke die unglückliche Seite. Ebenso wichtig war, von welcher Seite her man das Geschrei eines Vogels vernahm, besonders der Krähe. Sieht man die Elster von vorn so ist das Zeichen gut, von hinten, schlimm.
Auch das blosse Erscheinen der Vögel, ihr Nisten an den Wohnungen der Menschen ist bedeutsam. Schwalbe und Storch sind willkommen, wo sie ihr Nest bauen, todverkündend hingegen ist der Ruf der Eule, die daher auch Leichenhuhn, Klagmutter, Klageweib heisst; der Ruf des Käuzchens lautet dem Volk wie Leiche (Lich). Wenn der Maulwurf im Hause wühlt, stirbt eins; er kündet gleichsam das Aufwühlen des Grabes vorher an. Ebenso wenn Mäuse Schlafenden am Kleid nagen, denn so werden bald die Würmer den Leib des im Todesschlaf Liegenden verzehren.
Auch aus den Elementen werden Weissagungen gewonnen, so aus dem stockenden oder fliessenden Quell, aus dem Heerdfeuer, dem Freund der Menschen, aus der einbrechenden Erde.
Nicht jeder Tag galt für gleich günstig zum Beginn eines Unternehmens, zum Antritt der Reise, zum Anfang des Hausbaus. Vorzüglich heilig und darum auch glückbringend und günstig scheinen Mittwoch und Donnerstag gewesen zu sein, der Freitag steht dagegen noch heut in bösem Ruf.
Noch auf eine andere Weise stehen die Thiere in Beziehung zum Aberglauben: wie der Erfolg der Tagesarbeit davon abhing, dass am frühen Morgen eine günstige Begegnung eintrat, wie des Wolfes, der Raben Geleit Sieg weissagte, so pflegte dem wandernden Heer ein göttlich gesandtes Thier den Weg und den Ort der Niederlassung anzuzeigen. Colonieen wurden nach dieser Anführung gegründet, Städte und Burgen, später auch Kirchen gebaut. So führte ein weisser Wolf den niederländischen Helden Bavo zu einem Berg, worauf der Altar eines Gottes stand; da schlug Bavo seine Zelte auf und wohnte daselbst. Ein Bär und ein Adler führten den h. Gislen im Hennegau an das Ufer der Haine, wo er ein Kloster baute; Pferde, Raben, Tauben weisen die heilige Stätte, wo eine Kirche gebaut werden soll; Jäger führt ein Hirsch oder Eber zur Quelle, wo die göttlichem Blut entsprossene Jungfrau ihrer harrt.
Thiere zeigten aber nicht bloss den Ort des Baus, es wurde oft auch für nöthig erachtet, lebendige Thiere, selbst Menschen in den Grund einzumauern, auf welchem das Gebäude errichtet werden sollte. Es war gleichsam ein der Erde dargebrachtes Opfer, welche die Last auf sich duldet, und man wähnte, durch diesen grausamen Brauch unerschütterliche Haltbarkeit oder andere Vortheile zu erreichen. So sehr im Volk eingewurzelt ist der Glaube, dass man bei dem vor ein paar Jahren zu Halle vollendeten Brückenbau noch wähnte, die Baumeister bedürften dazu eines Kindes zum Einmauern. Als die Burg Liebenstein gebaut werden sollte, gab eine Rabenmutter ihr Kind dazu her; man gab ihm eine Semmel mit, welche es ass. Beim Einmauern sage es: ›Mutter ich sehe dich noch‹; als die Mauer es fest umschloss, rief es: ›Mutter ich sehe dich noch ein wenig‹; und als der letzte Stein eingefügt wurde: ›Mutter, ich sehe dich nun nicht mehr‹. Gleich rührend ist die schleswigsche Sage von dem am Stördeich eingegrabenen Kind, welches eine Zigeunermutter für tausend Thaler hergab. Am Deich war ein grosses Loch, welches um jeden Preis ausgefüllt werden musste. Eine kluge Frau hatte gesagt, das sei nur möglich, wenn man ein lebendiges Kind da vergrabe, aber es müsse freiwillig hinein gehn. Nun legte man ein Weissbrod auf das eine Ende eines Brettes und schob dieses so über das Loch, dass es bis in die Mitte reichte. Als nun das Kind hungrig darauf entlang lief und nach dem Brod griff, schlug das Brett über und das Kind sank unter. Doch tauchte es noch ein paarmal wieder auf und rief beim erstenmal: ›Ist nichts so weich als Mutters Schoss?‹ Und beim zweitenmal: ›Ist nichts so süss, als Mutters Lieb?‹ Und zuletzt: ›Ist nichts so fest, als Mutters Treu?‹ Da aber waren die Leute herbeigeeilt und schütteten viel Erde auf, dass das Loch bald voll ward.
Die Traumdeutung nahm und nimmt im Aberglauben eine Hauptstelle ein. Träume sind Boten der Götter, welche den Menschen aber nur zu bestimmter Zeit nahen: die vor Mitternacht verdienen nicht viel Glauben, am wahrhaftesten sind die nach Mitternacht.
Auch bei den Träumen gibt es eine Art von Angang: so ist der erste Traum im neuen Haus, der Traum in der Nacht des ersten Tags des Jahrs, so wie der in der Nacht vor dem Geburtstag und in der Hochzeitsnacht besonders wichtig. Die Deutung beruht durchgängig auf mythischer Grundlage. So bedeutet Tod, wenn man von Fischen, abgepflückten Blumen oder Früchten träumt, wie Fische besonderer Art sich beim Tode eines Gliedes vornehmer Geschlechter zeigen, wie die Blume, der Baum Symbol des Lebens ist. In der Sage erscheinen die Geschenke gütiger göttlicher Wesen oft in unscheinbarer Gestalt, nicht selten als Kehricht, Schmutz und Koth, darum bedeutet von letzteren träumen Geld.