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Wir fanden die Macht der Götter beschränkt, ihre Tage gezählt, sie selbst nicht einmal im Anfang der Zeiten stehend, sondern erst aus der Schöpfung hervorgegangen. Sie können dem Menschen wohl Heil und Seeligkeit schenken, aber sein Schicksal vermögen sie nicht zu ordnen, das unterliegt, gleich dem ihrigen einer höhern Weltordnung.
Das Schicksal hat es hauptsächlich mit Beginn und Schluss des menschlichen Lebens zu thun. Seine Botinnen, welche den Menschen seinen Willen überbringen und verkünden und denselben an ihnen ausführen, sind die Nornen, die Schicksalsschwestern, welche an seiner Wiege stehen und an seinem Sterbelager. Es selbst steht im dunkeln Hintergrund, dessen Vorhang Niemand hob; nur die höchsten Götter wissen um seine Rathschlüsse und Fügungen, kennen seinen Willen. So gewiss wie jedem Menschen der Tod ist, war auch das Geschick der Menschen, Geschlechter und Völker im voraus angeordnet, wie denn die Ereignisse bei der Götterdämmerung, der ganze Untergang der Welt von der schicksalvertrauten Seherin vorherverkündigt werden. Dieser heidnische Fatalismus lebt noch unvertilgt in einzelnen Ausdrücken, denen wir im Volke begegnen: Das sollte einmal so sein, mir war nichts besseres bescheert; dir ist viel Glück zugedacht, du magst dich trösten, u. a. m.
Dieses Glück und Heil liegt zwar in den Gaben des Schicksals eingeschlossen, doch schrieb man dessen Verleihung später besondern Wesen zu, die überhaupt über allem walteten, was zwischen Geburt und Tod dem Menschen Heil- oder Unheilbringendes zustossen kann. Besonders steht das Frau Saelde zu, der eigentlichen Glücksgöttin unserer Vorzeit. Sie wachet über ihren Günstlingen unter den Menschen, erscheint ihnen und hört und erhört ihre Bitten; wem sie aber gram ist, dem kehrt sie den Rücken zu, sie meidet und flieht ihn. So sagen wir noch heute, das Glück personificirend, es sei jemanden hold, oder fliehe ihn, es kehre bei ihm ein, verfolge ihn. In einer mhd. Sage werden der Frau Saelde selbst drei wunderbare Eigenschaften zugeschrieben: eines Menschen Gedanken zu wissen, Helden gegen Wunden im Kampf zu segnen und sich wohin sie wolle zu versetzen. Dies sowie, dass sie dort als Königstochter erscheint, macht sie den Valkyrjen eng verwandt. Jene Schützlinge der Saelde sind gleichsam ihre angenommenen, ihre Pflegkinder, Glückskinder, die ›dem Glück im Schooss sitzen.‹ Als solche gelten dem Volke die Kinder, welche mit der Glückshaube auf die Welt kommen; sie ist ein Zeichen der Gunst der göttlichen Frau und wird darum sorgsam aufgehoben und in ein Tüchlein genäht, dem Kind umgehängt.
Zwar wird von mhd. Dichtern auch das Unglück personificirt, doch mag diese Vorstellung nicht alt sein.