Johann Wilhelm Wolf
Die deutsche Götterlehre
Johann Wilhelm Wolf

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Heilige Cultusstätten, Götterbilder.♦ Myth. p. 57. 93 ff.

Der Mensch will nicht nur für sich eine feste Stätte, ein eigenes Haus, er baut oder weiht gerne auch der Gottheit eine solche, da fühlt er ihre Gegenwart lebendiger, die Heiligkeit des Ortes erhebt seine Seele zu grösserer Innigkeit und Wärme, sie schenkt seiner Andacht mächtigere Flügel. Bei allen Völkern finden wir von jeher feste heilige Stätten, an denen man die Götter wohnend dachte, wo man sich zu Gebet und zur Darbringung von Opfern versammelte, wo die Weissagungen vorzugsweise stattfanden. Die ältesten dieser heiligen Orte waren unserm Alterthum Wälder. Der Gothe nannte ein solches Heiligthum alah, der Deutsche vih, haruc, paro, alles Wörter, deren Begriff später zwischen Wald, Tempel, Heiligthum, Gottheit, Götterbild schwankte, ursprünglich jedoch jedenfalls nur unser Hain oder Wald war. Man theilte ein Stück des Waldes ab, welches sich durch uralte Bäume, durch den heiligen Schauer, welchen sein Character erweckte, auszeichnete, friedigte es ein und weihte es der Gottheit zu bleibendem Eigenthum und beständigem Wohnsitz. Da verweilte sie jetzt zwar unsichtbar, aber ihre Nähe durch die feierliche Stille, die tiefen Schatten und geheimnisvolles Rauschen der Baumwipfel ankündigend. Erhoben wurde diese Heiligkeit der Stätte noch, wenn sie dem Himmel näher, wenn dieselbe auf einem Berge lag, höher als die Wohnsitze der Menschen, durch die Lage schon abgesondert von ihnen und frei, wie der Sinn des Volkes. Denn wie Anfangs der Mensch kein schützendes Haus besass, so konnte er sich noch weniger denken, dass die Götter ein solches wollten. Dem Menschen schon wurde es in abgeschlossenem Raum enge, die eingesperrte Luft lastete drückend auf seiner Brust: wie viel mehr musste seinem Gefühle nach dies mit der Gottheit der Fall sein, der in riesigen Formen gedachten, allgewaltigen und allwaltenden.

In dem heiligen Walde war das eigentliche Heiligthum der Gottheit besonders abgetheilt. In jenem versammelte sich das Volk, da wurde das Gericht gehalten, ihn durfte jeder betreten (keiner aber ihn verletzen oder ein Wild dort erlegen), dem innern Heiligthum jedoch durfte man nur mit grosser Ehrfurcht nahen. Da stand der Opferaltar, da wurde der heilige mit Tüchern verhüllte Wagen verwahrt, auf dem die Gottheit jährlich ihren Umzug hielt, da waren die geopferten Thierhäupter aufgehängt, da hing man den Göttern einen Theil der Kriegsbeute auf. Nur der Priester durfte diesen heiligen Ort frei betreten, jeder andere nahte ihm gefesselt, zum Zeichen der Unterwürfigkeit und Dienstbarkeit; fiel er, dann durfte er sich nicht wieder erheben, sondern wurde auf der Erde hinausgewälzt. Dahin liessen sich auch Sterbende tragen, um entweder Heilung zu erlangen, oder den Göttern nahe zu sterben und so nach dem Tode rascher in ihre Gemeinschaft zu kommen.

In diesem innersten Heiligthum war es wieder ein Baum, der durch sein Alterthum, durch seine besonders laubige Krone oder anderes ausgezeichnet der Gottheit vorzüglich geweiht war; oft auch waren es drei, vier oder sieben solcher Bäume, woher die Namen des Dreieich, der belgischen Viereichen und Siebeneichen sich schreiben, denn die Eichen galten als besonders heilige Bäume. Oft standen solche Bäume nicht in Wäldern, sondern frei und dann war wohl nur ein kleiner Raum um sie herum eingefriedigt und galt als heilig. Ein solcher Baum war u. a. die wunderbar grosse Donnereiche, welche der heil. Bonifacius bei Geismar fällte und die in vier Theile zerrissen hinstürzte; aus ihrem Holze baute er, dem neuen Heiligthum seine alte Bedeutung zu lassen, dem heil. Petrus eine Kapelle.

Noch dauern Reste dieses Cultus unter uns fort; so heissen die schönsten und laubigsten Eichen in Hessen Hergottseichen, so hängt man vielfach noch Pferdehäupter an Haus und Stall auf, um Schaden durch Zauberei abzuwenden und noch im späten Mittelalter galten Träume unter gewissen Eichen für besonders bedeutsam.

Neben diesen freien Heiligthümern gab es jedoch in frühester Zeit schon Tempel für einzelne Gottheiten. Sie entstanden, sobald das Volk selbst sich bestimmtere Wohnsitze wählte und anfing, feste Wohnungen zu gründen, denn dem Heidenthum war der Gott in allen Verhältnissen dem Menschen gleich. Schon die durch Tacitus uns bekannte Mutter Erde hatte in ihrem heiligen Hain ihren Tempel, einen andern sehr berühmten besass im Jahr 14 n. Chr. die Göttin Tanfana, welche unter den Marsen in hoher Verehrung stand, der heil. Gallus zündete einen Tempel in Cöln an. Anfangs waren diese Tempel nur sehr dürftig, einfache Häuschen oder Hütten aus Holz und Zweigen unter dem heiligen Baum oder um denselben herum aufgeführt, aber auch später mögen sie nicht besonders künstlich gewesen sein. Man nannte sie hof, halla, sal, pëtahûs (Bethaus). Erhalten sind uns keine, theils, weil sie meistens aus Holz erbaut waren, theils auch, weil man die schöner und fester errichteten spätern Bauten zu christlichen Kirchen umschuf, die wieder im Lauf der Jahrhunderte vielfache Umbauten und Veränderungen erlitten. Der Norden war in Tempelbauten Deutschland weit voran und besass solcher Bauwerke eben so viele als kostbar geschmückte, selbst ganz mit Gold verzierte; doch sind auch sie spurlos untergegangen.

Wie die alten Deutschen nach Tacitus Bericht der Erhabenheit der Götter zu nahe zu treten glaubten, wenn sie ihnen Tempel errichteten, so hielten sie es auch für ihrer unwürdig, ihre Gestalt bildlich darzustellen. Sie hatten nur Symbole, welche bei feierlichen Gelegenheiten umgetragen wurden. Später jedoch, als die Kunstfertigkeit zunahm, da wuchs auch der Drang, die Gottheit, die man bisher nur glaubend schaute, im Bilde zu schauen und so entstanden die Götterbilder. Anfangs setzte man sie wohl, wie die Preussen es thaten, in die Krone heiliger Bäume und verhüllte sie mit Tüchern, als die Tempel aber entstanden, brachte man sie in dieselben hinein. Die ersten dieser Bilder waren aus Holz roh geschnitzt, später machte man solche aus Stein und endlich selbst aus Metall. In dem Tempel, den der heil. Gallus bei Bregenz am Bodensee zerstörte, fand er drei solcher Götterbilder, welche vergoldet waren, der Wand eingemauert und mit Opfern geehrt; er riss sie heraus, zerschlug sie vor den Augen des Volkes sind warf sie in den Bodensee. Wie die heiligen Symbole, so trug man bei den Festen der Götter auch ihre Bilder umher, besonders durch die Felder, denn man glaubte, dass die Nähe des Gottes der Saat Gedeihen bringen werde. Feierlicher als dies Umtragen war die festliche Umfahrt in dem Wagen der Gottheit, welchen man nur zu diesem Gebrauch in den heiligen Hainen bewahrte. Diese Wagen waren entweder offen, so dass Jedermann das Bild der Gottheit sehen konnte, wie der Wagen des Freyr im Norden, oder sie waren mit Tüchern verhüllt und nur dem Priester nahbar, wie der Wagen der Nerthus.

Zu den Götterbildern sind auch jene berühmten Irmanseulen zu zählen, deren eine Carl der Grosse unweit Heresburg in Westphalen zerstörte, wo einer der Hauptsitze des Heidenthums bei den Sachsen war. Es war eine riesige Seule, die ein Götterbild trug, wahrscheinlich eins des Donar. Wenige dieser Götterbilder sind auf uns gekommen, wenigstens kennen wir ihrer kaum ein paar, die sich dadurch erhielten, dass sie aus dem alten Tempel entfernt dem neuen christlichen Tempel aussen eingemauert wurden.


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