Johann Wilhelm Wolf
Die deutsche Götterlehre
Johann Wilhelm Wolf

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Holda.♦ Myth. 244. Beitr. 162.

Schon der Name kündigt diese Göttin als die freundliche, milde, gnädige, als die Holde an; zürnend erscheint sie mir, wenn sie Unordnung im Haushalt wahrnimmt. Gleich der Nirdu fährt sie auf einem Wagen durch das Land, überall Fruchtbarkeit und Segen verbreitend. Oft geschah es, dass der Wagen Schaden nahm, dass Rad oder Deichsel brach, dann rief sie in der Nähe arbeitende Menschen zu Hülfe, den Schaden zu bessern. Zum Lohne für ihre Mühe gab sie denselben die abgefallenen Späne, die sich bei näherm Zuschauen in Gold verwandelten. Ihr Einzug ins Land fand um Weihnachten statt, dann legte man alle Spinnrocken reichlich an, denn dem Flachsbau steht sie besonders vor und die Spinnerinnen verehrten sie vorzugsweise. Um Fastnacht kehrt sie heim, dann müssen alle Rocken abgesponnen sein und leer stehen. Trifft sie dieselben so an, dann spricht sie ihren Segen über das Haus: »So manches (gesponnene) Haar, so manches gute Jahr« Wo nicht, dann spricht sie ihren Fluch: »So manches (ungesponnene) Haar, so manches böse Jahr!« Fleissigen Spinnerinnen schenkt sie Spindeln, die das Garn wunderbar vermehren oder spinnt ihnen selbst Nachts die Spulen voll, faulen zündet sie den Rocken an.

Holda liebt den Aufenthalt in Seen und Brunnen. Zur Mittagsstunde sieht man sie als schöne weisse Frau in der Flut baden und verschwinden. In der Tiefe des Wassers hat sie ihre schönen goldglänzenden Wohnungen, wo sie umgeben sitzt von den noch Ungebornen. Denn die Göttin, welche dem Felde Fruchtbarkeit verleiht, schenkt sie auch der Ehe, sie ist die Schirmerin der Liebenden, die Segnerin der Ehen. Darum gehen die Mädchen in heiligen Nächten zum Brunnen und schauen hinein, der klare Spiegel zeigt ihnen nach Anrufung der Göttin das Bild ihres Bräutigams. Ebenso schreibt sich daher unser Kinderaberglaube, dass man die Kinder im Brunnen hole. In einigen Gegenden herrschte der Glaube, Holda wohne auch in Bergen, wo sie gleichwie im Brunnen die Ungebornen in schönen Pallästen um sich habe. Wie wir aber oben schon ihrer Milde und Güte gegen Fleissige Zorn und Strafe für Faule zur Seite gehen sahen, so finden wir sie auch als Ehegöttin streng strafend, wenn sie beleidigt, wenn ihrer gespottet wird. Die dreimalige Versagung der Opfer des Dankes für abgewendete Plagen lässt sie nicht unvergolten: sie zieht den Segen der Ehen einer ganzen Gegend zurück, indem sie ihren Boten sendet, dessen Ruf alle Kinder folgen, mit welchen er in ihrem heiligen Berge verschwindet.

Der schönsten deutschen Göttin grünte und blühte der schönste deutsche Baum, die Linde. Ihr Vogel war der Storch, das ihr dargebrachte Opfer ein nach der Ernte auf dem Felde zurückgelassenes Bündel Flachs, das ihr heilige Kraut der Rosmarin.den darum die Braut beim Kirchgang trägt. Ihre Milde und Reine, ihre Huld und Schönheit war so gross, dass die christliche Mythologie die heilige Muttergottes an ihre Stelle setzen durfte, unter deren Namen ihr Andenken in zahlreichen Märchen und Sagen fortlebt.


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