von Stendhal - Henry Beyle
Über die Liebe
von Stendhal - Henry Beyle

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Erstes Kapitel

Die Schloßuhr schlug Mitternacht. Der Tanz war eben zu Ende. Die Duchezza erging sich mit erregter Miene auf den Wegen des englischen Gartens, die der funkelnde Sternenschimmer der italienischen Sommernacht und der Lichtschein, der den Fenstern des Saales entquoll, matt beleuchteten.

»So habe ich denn alles verloren, was ich liebe!« wiederholte sie sich immer wieber mit leiser, erstickter Stimme. Dann blieb sie plötzlich stehen, als eine Lichtung des Parkes ihr gestattete, die Saalfenster ungehindert zu sehen und hinter den Vorhängen die Gruppen der Tanzenden.

»Ob die Contessa wohl kommen wird! Nein. Sie ist im Banne des eitlen Geschwätzes dieses abscheulichen Polen. Potocki, was bereitest du mir für Leid, und wie hasse ich dich!«

Als sie ihre Erregung nicht mehr meistern konnte, ging sie dicht an die Saalfenster heran. Sie war den Blicken der Tänzer nur durch einen buschigen Strauch entzogen. Ihre Augen, gerötet und feucht von Tränen des Zornes, durchschweiften wild den prächtigen Gesellschaftsraum und suchten ihr Opfer.

Dieses Opfer, der eifersüchtig beneidete Potocki, war indessen fast ebenso unglücklich wie die Duchezza. Er war der jungen Bianca nur einen Augenblick lang nahe gewesen. Auge in Auge mit ihr befand er sich immer in heftiger Wallung, in wortlosem Schweigen; und dabei hatte er die Empfindung, als ob aller Augen ihm seine Liebe aus dem Gesichte abläsen. Wenn er sprechen wollte, strömte das Feuer, das ihn innerlich verzehrte, in seine Rede und verlieh ihr geradezu Anzeichen von Narrheit. Und dergleichen war der Contessa überaus zuwider.

Sie war kaum erst zur vollen Reife gelangt, da hatte eine Fülle seltsamen Unglücks diesem schönen Wesen den Ausdruck edelster, tiefster und bisweilen zärtlichster Melancholie aufgedrückt. Offenbar verachtete sie damals die Gesellschaft und das ganze Menschengeschlecht. Sie hatte sichtlich darauf verzichtet, das zu finden, was ihrem Herzen fehlte. Ich selbst habe Bianca erst später kennen gelernt, als sie wieder glücklich geworden war, und doch habe ich Spuren ihres ehemaligen Gemütszustandes an ihr öfters wahrgenommen. Man hatte ein schmerzliches Gefühl, weil man sah, daß sie unglücklich war, und besonders, daß sie sich für immerdar unglücklich wähnte, aber unmöglich konnte man den angeborenen Adel und den natürlichen Ernst ihrer Züge in Worte fassen. Wenn sie kokett gewesen wäre, so hätte sie nichts Klügeres tun können, als melancholisch zu bleiben, um immer schöner zu werden. Contessina Bianca hatte den Ausdruck jener Ehrfurcht gebietenden Traurigkeit, den ich fast tragisch nennen möchte und den man auf den Gesichtern schöner Italienerinnen oft im Verein mit der herrlich geschwungenen Linie der Adlernase antrifft. Etwas ganz Eigentümliches lag in ihrer Art, ihre so sanften Augen aufzuschlagen, etwas Müdes und zugleich Hoheitsvolles, das ich nur an ihr beobachtet habe und das ich nicht zu beschreiben verstehe. Auch diese Sonderlichkeit war durchaus natürlich und im Einklang mit den Formen und Zügen ihres Antlitzes, indessen schien es, als habe sie, überzeugt, daß es kein Glück mehr für sie gäbe, alles Interesse verloren, etwas anzublicken; sie war gleichsam vorwissend, daß nichts, was es zu sehen gab, sie wieder glücklich machen könne.

Wenn man sie einmal gesehen hatte, konnte man ihr erhabenes Gesicht nie wieder vergessen. Freilich prosaische Alltagsmenschen sahen sie nicht richtig, ihnen fiel nur das Seltsame an Bianca in die Augen. Trotzdem imponierte sie ihnen, ohne daß sie es wollte, aber man rächte sich dafür an ihr, indem man sie »sonderlich« nannte.

Die Duchezza Empoli ließ diese Leute reden, aber ihrem klugen Hirn und ihrer kalten Seele konnte der wahre Wert Biancas nicht entgehen. Sie wurde von zwei gleichstarken Bedürfnissen beherrscht: nach Liebe und nach Macht. Einst hatte sie ihre Schwägerin angebetet, zu ihrer Sklavin gemacht und durch ihre Unvernunft in den Tod getrieben. Jetzt war ihr das Leben durch den Kummer über diesen Verlust vergiftet. Die Zeit, die über die gewöhnlichen Schmerzen so allgewaltig ist, schien über diese starre Seele ihre Macht verloren zu haben. Ganz Bologna bewunderte ihre Ausdauer und ihre Treue an der Toten. Man fand die Duchezza resignierter, aber im tiefsten Heizen blutete die Wunde weiter. Ein Beweis, daß sie eine schöne Seele hatte, lag vor allem darin, daß ihr ihr Gewissen unaufhörlich das Bild ihrer ersten Freundin vor Augen hielt. Hätte sie einen Augenblick aufgehört, sich ihren Verlust vorzuwerfen, so hätte sie sich selbst für schuldig an ihrem Tode gehalten. In der Tat war dieser so heißbeweinte Verlust ein unglücklicher Zufall, wie er so häufig vorkommt, den jede andere außer der Duchezza nach wenigen Monaten vergessen hätte. Ihr Schmerz duldete augenscheinlich keinen andern Trost als den, den ihr Bianca gewährte. Von diesen beiden zunächst gleich unglücklichen Frauen hatte die Duchezza Empoli die Contessa Bianca lieb gewonnen, weil sie mit ihr offen über ihre tote Freundin sprechen konnte. Sie um sich zuhaben, mit ihr jederzeit durch den Park wandeln zu können, war ihr nach und nach zu ihrem Glücke unentbehrlich geworden.

Die Duchezza, eine außerordentlich kluge Frau, wohl noch imstande, Eindruck zu erwecken, hatte die Liebe kaum kennen gelernt; sie galt in der Gesellschaft als eine »Feindin der Liebe«, wie Madame de Genlis in ihren Romanen zu sagen pflegt. Vielleicht war ihre Seele zu stolz, um zärtlich zu sein; die Freude am Herrschen überwog in ihr den so süßen Genuß, sich nach einem geliebten Wesen zu richten, nichts ohne dieses zu beginnen. Vielleicht fehlte ihrem energischen Wesen auch jenes ein wenig übertriebene Feingefühl, jene etwas romantische Seelenfärbung, die die Träumereien zärtlicher Herzen umhaucht.

Man schrieb ihr wohl ein Liebesverhältnis zu, weil es so Brauch ist, aber ihre seltsame Freundschaft zu der hingegangenen ersten Freundin hatte die Liebesregungen in ihr erstickt. Da erwuchs in ihr eine neue Freundschaft zu Bianca. Die Liebe äußerte sich bei ihr nur in der Eifersucht, sie wollte über die geliebte Seele ganz und ausschließlich herrschen.

Im Schlosse Empoli gab es einen nachsichtigen Hausherrn, Pferde, Wagen, alles, was zum Luxus im großen Stil gehört, und einige dreißig Gäste, die alle Wochen wechselten. Nach einem zur Gewohnheit gewordenen Herkommen wurden alljährlich zwei Monate in diesem Schlosse verbracht. Die Duchezza war bereits sechs Wochen da, als – in den letzten Julitagen des Jahres 1818 – ein Freund des Hauses Herrn Potocki einführte, einen Polen, der einstmals unter Napoleon gedient hatte. Er hatte den Ruf eines tapferen Offiziers, sonst war nichts Bemerkenswertes an ihm. Sie achtete auch nicht weiter auf ihn. Eines Abends erblickte sie ganz deutlich Tränen in seinen Augen. Es kam ihr lächerlich vor. Zufällig wandte sie sich um und bemerkte Bianca, die sich freundschaftlich auf den Arm des Herrn Zamboni stützte. Aus Neugierde richtete sie das Wort an den polnischen Offizier. Seine Stimme veränderte ihren Klang, nur mit Mühe vermochte er ein paar höfliche Worte auf ihre verbindliche Anrede hervorzustammeln. Die schimmernden Augen der Duchezza drangen arglistig in die des Offiziers. Er nahm es wahr, hatte aber nicht die Geistesgegenwart, Folgerungen daraus zu ziehen, und ließ sich zu der Torheit verleiten, nach Bianca, die er immer noch mit Zamboni plaudern hörte, hin zu schauen, um zu sehen, was sie machte. Als Potocki seine Blicke wieder der Duchezza zuwandte, fand er ihre Augen hart und grausam. Sie schienen ihm gleichsam eine für ihn ungebührliche Unverschämtheit vorzuwerfen, weil er nach Bianca zu sehen gewagt hatte. Da erkannte Potocki mit einem Male, daß er sich verraten hatte.

Der Pole hatte eine Art Freund, dem er sich anvertraute, dieweil Verliebte eben nie verschwiegen sein können. In diesem Freunde, dem Marchese Zanca, der ihn eingeführt hatte, sagte er:

»Ich glaube, ich werde gut tun abzureisen.«

»Donnerwetter, reisen Sie ab, wann Sie wollen. Ich werde Ihre Abreise der Duchezza melden. Aber, zum Kuckuck, das Landleben ist doch entzückend. Hier ist es nicht so heiß wie in Bologna. Das Theater dort ist miserabel. Sagen Sie mir beim Teufel, was wollen Sie nur dort anfangen?«

»Hitze und Theater kommen gar nicht in Frage. Glauben Sie, daß mir Frau von Empoli verzeiht, daß ich in ihre Freundin verliebt bin?«

»Auf Ehre, mein lieber Oberleutnant, da haben Sie kein Glück! Ich kann Ihnen nur den guten Rat geben, lassen Sie die Hände davon. Hören Sie auf, ein Weib zu lieben, das nicht lieben kann, das aus nichts besteht denn aus Eigenliebe. Übrigens ist sie halsstarrig in ihren Grundsätzen. Niemals wird sie einen Ausländer lieben, einen der heute in Bologna, morgen in Neapel, übermorgen in Warschau und in acht Tagen Gott weiß wo weilt. Übrigens, wenn ich Ihnen das sagen darf, – ich möchte Ihnen nämlich jegliche Hoffnung nehmen, – seit ein paar Tagen sieht sie mit ganz merkwürdigen Augen auf Zamboni. Als sie neulich am Klavier sang, habe ich das ganz deutlich beobachtet. Wenn sie nicht so natürlich wäre, verriete das die höchste Koketterie.«

Bei diesen Worten faßte Potocki Zanca heftig am Arm, zog ihn in den Park und quälte ihn eine halbe Stunde lang mit Liebesgeschwätz. Zanca amüsierte sich über den lächerlichen Ausländer.

»Granmatti che questi forestieri!« rief er von Zeit zu Zeit ganz laut aus, während ihm der Pole, von seiner Leidenschaft fortgerissen, alle Einzelheiten von den zwölf bis fünfzehn Besuchen berichtete, die er der Contessa Bianca während seines Bologner Aufenthaltes gemacht hatte.

»Aber, Bester,« entgegnete ihm Zanca, »warum treffen Sie keine andere Wahl? Sie haben die Contessa Fiorina, die Sie mit offenen Armen empfängt, Sie wie alle anderen. Sie haben die Ninetta, die Sie auszeichnet. Glauben Sie denn, Sie hätten es hier mit einer alltäglichen Frau zu tun, die galante Beziehungen unterhält gleich all' den anderen? Ich habe Ihnen bereits gesagt und ich wiederhole es Ihnen: wenn Sie ihr keine Leidenschaft einflößen, werden Sie nichts erreichen. Bloße Galanterie wirkt auf diese Frau nicht im geringsten. Sie hat das stolzeste Köpfchen von ganz Bologna. Und selbst wenn sie lieben wollte, halten Sie sich für schöner, für eleganter, für reicher als Zamboni? So, dann machen Sie sich von diesem Irrtum frei! Ich liebe Sie hundertmal mehr als ihn, wir haben die gleichen politischen Ansichten. Überdies liebt er nichts als seine Pferde. Aber kommen Sie zur Einsicht: in den Augen einer Frau ist von einem Vergleiche zwischen Ihnen und ihm überhaupt nicht die Rede.«

Das war zu viel für Potocki. Diese so lebhafte und so wahre Lobrede auf einen Mann, auf den er bis zur Tollheit eifersüchtig war, brachte ihn von Sinnen.

»Sie haben recht,« entgegnete er Zanca kühl, »ich lasse von allen solchen Gedanken ab. Ich werde Sie bis zur Glastüre des Salons geleiten und dann einen Spaziergang machen. Die Kerzen im Saal verursachen eine unerträgliche Hitze.«

Ohne ein Wort weiter zu sagen, trennten sich die beiden Freunde. Vier Schritte vor der Salontüre wandte sich Zanca um, nahm Potocki am Arm, drückte ihn herzhaft und sagte ausdrucksvoll und mit echt italienischer Beredsamkeit:

»In jenem Köpfchen gibt es nur Eigenliebe und Koketterie. Er ist der schönste und reichste Mann Bolognas, und er besitzt jene pikante Kälte, mit der man einzig und allein eine so Grausame erringen kann. Sie sind ein unbekannter Ausländer.«

Potocki entfernte sich, und sobald er außerhalb des Lichtscheins war, lehnte er sich oder fiel er vielmehr gegen einen Baum. Er war wahnsinnig vor Wut, und, was seine Raserei noch schürte, er fand niemanden, dem er hätte Vorwürfe machen können. Jedermann benahm sich korrekt: Die Duchezza war eine leidenschaftliche Freundin, Bianca ein schönes, zärtliches, freilich gegen ihn kaltes Weib, Zamboni ein schöner Mann, der sein Glück ausnutzte, Zanca ein kluger Mensch, Weltmann, noch dazu mit scharfem Blick, ein guter Berater. Potocki konnte also höchstens auf sich selbst wütend sein. Während seines ganzen Gesprächs mit Zanca hatte er seinen ersten Gedanken gänzlich vergessen, und der war der einzig richtige gewesen. Wenn Zanca mehr Freund und weniger Weltmann gewesen wäre, so hätte er bei seinem klugen Geist die Richtigkeit der Absicht abzureisen eingesehen und seinen Schützling dazu nötigen müssen. Einen Augenblick während ihrer Aussprache wollte er ihm auch zur Abreise raten, damit ihm Bianca aus dem Sinn käme. Aber das ist etwas, was man von einem Verliebten nicht verlangen kann. Er hätte ihn zur Abreise drängen sollen, um ihn Bianca vergessen zu lassen, wenn das noch möglich war, oder um ihn vor dem Haß der Duchezza zu retten.

Es war anders gekommen, und von diesem Augenblick an war Potocki dem Unglück verfallen, wie wir aus dem Folgenden ersehen werden. Obgleich in jungen Jahren in die Gesellschaft geworfen, war er ein Phantasiemensch, ein Träumer und Dichter, so recht geeignet, ein Opfer unglücklicher Liebe zu werden. Er war in Napoleon verliebt gewesen, und wie Napoleon liebte er nur die Erfolge des Ehrgeizes. Potocki hatte sich frühzeitig und lange Zeit hindurch für ehrgeizig gehalten......

(Hier bricht das Fragment ab)


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