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Es gibt zwei Arten von Streit in der Liebe, je nachdem der Streitsüchtige liebt oder nicht liebt.
Besitzt der eine der beiden Liebenden zu viele Vorzüge, die von beiden gleich geschätzt werden, so muß die Liebe des andern sterben, denn die Furcht vor Verachtung wird der Kristallbildung früher oder später plötzlich ein Ende bereiten.
Nichts ist dem Durchschnittsmenschen verhaßter als geistige Überlegenheit. In der heutigen Welt liegt hier die Quelle alles Hasses, und wenn wir dieser Ursache nicht die furchtbarsten Folgen verdanken, so liegt das einfach daran, daß die Leute, die der Haß trennt, nicht eng zusammenleben müssen. Wie ist das aber in der Liebe, wo jene Überlegenheit, besonders auf der Seite des Überlegenen, natürlicherweise nicht durch soziale Vorsichtsmaßregeln verdeckt wird?
Um die Leidenschaft rege zu erhalten, muß der Unterlegene den andern schlecht behandeln, sonst kann dieser nicht das Geringste mehr tun, ohne daß sich jener beleidigt fühlt.
Der Überlegene hingegen macht sich Illusionen. Seine Liebe ist nicht der geringsten Gefahr ausgesetzt, denn alle Schwächen an einem geliebten Menschen machen ihn uns nur teurer.
Unmittelbar nach der Liebe aus Leidenschaft kommt bei Menschen von gleichen geistigen Fähigkeiten in Hinsicht auf die Dauer die streitsüchtige Liebe, in welcher der Streitsüchtige nicht liebt. Beispiele hierzu liefern die Anekdoten von der Herzogin von Berry in den Memoiren von Duclos.
Die streitsüchtige Liebe kann länger währen als selbst die Liebe aus Leidenschaft, weil sie ihrer Natur nach eng mit den alten Gewohnheiten verbunden ist, die den prosaischen und selbstsüchtigen Elementen im Menschen entsprechen und bis zum Grabe seine unzertrennlichen Begleiter sind. Aber sie ist keine aufrichtige Liebe mehr, sondern eine von der Liebe gezeitigte Gewohnheit, die mit jener Leidenschaft nichts als die Erinnerung und den sinnlichen Genuß gemeinsam hat. Diese Gewohnheit bedingt immer eine unedle Seele. Tagtäglich spielt sich ein kleines Schauspiel: »Wird er mich schelten?« ab, durch das die Phantasie gerade so beschäftigt wird wie in der Liebe aus Leidenschaft, wo sie jeden Tag eines neuen Beweises der Zärtlichkeit bedarf.
Unter Umständen weigert sich der Stolz, sich an eine solche Art von Zuneigung zu gewöhnen; dann tötet der Stolz nach einigen stürmischen Monaten die Liebe. Aber man kann beobachten, daß edle Leidenschaft lange kämpft, ehe sie flieht. Die kleinen Streitfälle der glücklichen Liebe können ein Herz, das trotz schlechter Behandlung noch liebt, lange täuschen. Einige zärtliche Versöhnungen machen den Übergang erträglicher. Zur Entschuldigung des Mannes, den man so sehr geliebt hat, bildet man sich ein, er trage einen geheimen Kummer oder irgend ein Mißgeschick. Schließlich gewöhnt man sich daran, ausgezankt zu werden. Wo könnte man auch, außer in der Liebe aus Leidenschaft, außer beim Hasardspiel oder im Besitze unumschränkter Macht, eine gleich stark sprudelnde, nie versiegende Quelle der Beschäftigung finden? Nach dem Tode des Streitsüchtigen sieht man, wie das Opfer, das ihn überlebt, untröstlich bleibt. Darin beruht das Bindemittel vieler bürgerlicher Ehen. Der Ausgescholtene hört den ganzen Tag von dem reden, was er am meisten liebt.
Es gibt auch eine falsche Art von streitsüchtiger Liebe. Ich entnehme dem Briefe einer ausgesucht geistreichen Dame die Stelle:
»Ein kleiner Zweifel, den man täglich beschwichtigen muß, gibt der Liebe aus Leidenschaft immer neue Nahrung .... Da die immer rege Furcht niemals schwindet, können auch ihre Freuden nie langweilig werden.«
Bei mürrischen, schlecht erzogenen oder von Natur sehr heftigen Menschen kommen jene kleinen Zweifel, die Beschwichtigung verlangen, und jene leichten Befürchtungen durch Zank und Streit zum Ausbruch.
Besitzt die geliebte Person nicht sehr große Empfindsamkeit, die Frucht sorgfältiger Erziehung, so findet sie in einer solchen Liebe viel Anregung, also viel Annehmlichkeit. Ja, trotz vorhandenem Zartgefühl ist es gar nicht unmöglich, daß sie den Wüterich noch mehr liebt, da sie sieht, wie er selbst das erste Opfer seiner Heftigkeit ist, Lord Mortimer bedauerte, wenn seine Geliebte heftig wurde, höchstens die Leuchter, die sie ihm an den Kopf warf. In der Tat, wenn der eigene Stolz solche Gefühlsausbräche verzeiht und zuläßt, so muß man zugeben, daß der Langeweile, diesem großen Feinde glücklicher Menschen, dadurch gewaltiger Abbruch geschieht.
Saint-Simon, der einzige Historiker, den Frankreich gehabt hat, erzählt (Band V, Seite 43):
»Nach allerlei flüchtigen Liebeleien verliebte sich die Herzogin von Berry sterblich in Herrn von Rions, einen jüngeren Sohn des Hauses Aydie, ein Schwesterkind der Frau von Biron. Er war weder hübsch noch geistreich, ein plumper Bursche, untersetzt, pausbäckig und blaß, mit Finnen im Gesicht, eine wahre Mißgeburt; nur schöne Zähne besaß er. Nie hätte er geglaubt, eine Leidenschaft zu erwecken, die zügellos wurde und kein Ende fand, wenn sie auch ein paar anderweitige Liebschaften und kleine Seitensprünge nicht verhinderte. Er hatte kein Vermögen, nur eine Menge Geschwister, die auch nichts hatten. Ein Herr von Pons, dessen Gattin Hofdame der Herzogin von Berry war, stammte aus derselben Gegend und war mit ihm verwandt. Er hatte den jungen Mann, der Dragonerleutnant war, kommen lassen, um vielleicht etwas aus ihm zu machen. Kaum war er da, so fand er schon Gefallen und wurde Herr im Palais Luxemburg.
»Herr von Lauzun, sein Großonkel, lachte im stillen darüber. Er war entzückt und sah in Rions sich selbst wieder im Palais Luxemburg zu Zeiten von Mademoiselle. Er wurde sein Lehrmeister, und Rions, der von Natur sauft, höflich und ehrerbietig war, ein guter, braver Junge, hörte ihm eifrig zu. Bald aber erkannte er die Macht seiner Reize, die eben nur die eigenartige Phantasie dieser Fürstin fesseln konnten. Ohne seine Stellung gegen irgendwen zu mißbrauchen, machte er sich bei aller Welt beliebt. Die Herzogin behandelte er genauso, wie Herr von Lauzun Mademoiselle behandelt hatte. Bald war er mit kostbaren Spitzen und Kleidern versehen, mit Geld, wertvollen Schuhschnallen und Juwelen überschüttet. Er wußte sich begehrlich zu machen und gefiel sich darin, die Eifersucht der Herzogin zu erregen und selbst eifersüchtig zu scheinen. Oft brachte er sie zum Weinen und bald beherrschte er sie so, daß sie nichts, nicht einmal die gleichgültigsten Dinge, ohne seine Erlaubnis tat. Wenn sie in die Oper gehen wollte, hieß er sie zu Hause bleiben; oder auch, wenn sie nicht wollte, mußte sie gehen. Er nötigte sie, Damen, die sie nicht leiden konnte oder auf die sie eifersüchtig war, Wohltaten zu erweisen oder Leuten, die sie gern hatte, auf die er sich aber eifersüchtig stellte, Böses zu tun. Selbst in ihrer Kleidung hatte sie nicht die geringste Freiheit; es machte ihm Vergnügen, ihr eine andere Frisur anzuordnen oder sie die Toilette wechseln zu lassen, wenn sie gerade mit dem Ankleiden fertig war, und das so oft und manchmal so öffentlich, daß er sie daran gewöhnte, abends seine Befehle für ihre Kleidung und ihre Beschäftigung am nächsten Tage einzuholen. Am andern Tage änderte er aber alles, so daß die Herzogin nur noch mehr weinte. Schließlich kam sie dahin, ihm durch vertraute Diener Zettel zu schicken, denn er wohnte beinahe von Anfang an im Luxemburg. Diese Zettel gingen während des Ankleidens mehrere Male hin und her, um festzustellen, was für Bänder, welches Kleid, welchen Schmuck sie wählen solle. Und fast alltäglich bestimmte er gerade das, was sie nicht tragen wollte. Wenn sie sich mitunter die geringste Freiheit ohne seine Genehmigung herauszunehmen wagte, behandelte er sie wie eine Magd, und oft weinte sie dann tagelang.
»Diese so hochmütige Prinzessin, die sich darin gefiel, den maßlosesten Stolz zur Schau zu tragen und zu betätigen, ließ sich herab, mit ihm und mit Leuten ohne Namen heimliche Gastmähler abzuhalten, sie, die sonst nur mit Prinzen von Geblüt zu speisen pflegte. Der Jesuit Riglet, den sie schon als Kind kannte und der sie erzogen hatte, wurde zu diesen Gastereien hinzugezogen, ohne daß er Scham oder die Herzogin Verlegenheit darüber empfunden hätte. Frau von Mouchy war ihre Vertraute bei allen diesen Sonderlichkeiten; sie und Rions luden die Gäste ein und bestimmten die Tage; sie war es, die die Liebenden wieder miteinander aussöhnte. Und dieses Treiben war im Luxemburg allbekannt; jedermann wandte sich an Rions, der seinerseits darauf bedacht war, mit allen auf gutem Fuße zu stehen und seine gewohnte würdevolle Miene nur vor seiner Herzogin offen fallen ließ. In aller Gegenwart gab er ihr grobe Antworten, so daß die Umstehenden wegblickten, und die Herzogin, die ihre leidenschaftlichen Gefühle für ihn kaum verbarg, errötete.«
Rions war für die Herzogin ein fürstliches Mittel gegen die Langeweile.
Eine berühmte Frau sagte einmal ohne Zusammenhang zum General Bonaparte, der damals ein ruhmvoller junger Held war und sich noch nicht an der Freiheit vergangen hatte: »General, Ihnen kann eine Frau nur Gattin oder Schwester sein!« Der Held verstand das Kompliment nicht.
Solche Frauen lieben es, von ihrem Liebhaber verachtet zu werden; sie lieben ihn nur, wenn er grausam ist.