von Stendhal - Henry Beyle
Über die Liebe
von Stendhal - Henry Beyle

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32. Vom Vertrauen zu Freunden

Es gibt in der Welt keinen schneller bestraften Übermut als den, eine Liebe aus Leidenschaft einem intimen Freunde anzuvertrauen. Er weiß, daß, wenn wir die Wahrheit reden, unsere Freuden die seinen tausendfach übertreffen und in unseren Augen verächtlich machen.

Unter Frauen ist das noch viel schlimmer, weil es das Glück ihres Lebens ist, Leidenschaften zu entfachen, und weil die Vertraute es demselben Manne gewöhnlich schon nahegelegt hat, sie selbst zu lieben.

Andererseits gibt es für ein Wesen, das von diesem Fieber verzehrt wird, kein heftigeres geistiges Bedürfnis in der Welt als das nach einem Freunde, mit dem man die schrecklichen, immer wieder die Seele erfüllenden Zweifel erwägen könnte; denn in dieser furchtbaren Leidenschaft ist jedes Ding der Einbildung ein Ding der Wirklichkeit.

»Ein großer Charakterfehler,« hat mein unglücklicher Freund in sein Tagebuch geschrieben, »ein Fehler, den Napoleon nicht hatte, liegt darin, daß ich, wenn über die Vorteile einer Leidenschaft gestritten wird und eben etwas klar bewiesen worden ist, es nicht über mich gewinnen kann, hiervon wie von einer unerschütterlichen Tatsache weiterzugehen. Unwillkürlich und zu meinem größten Nachteile komme ich immer wieder darauf zu sprechen.«

Es ist leicht, im Ehrgeiz Mut zu haben. Die Kristallbildung, die durch die Sehnsucht nach dem Ziele nicht unterdrückt wird, dient dazu, den Mut zu festigen; in der Liebe steht sie ganz im Dienste des Wesens, dem gegenüber man gerade Mut haben sollte.

Eine Frau kann eine treulose Freundin finden, aber auch eine gelangweilte. Eine vornehme Dame von fünfunddreißig Jahren, die sich langweilt und von dem Bedürfnis gequält wird, etwas zu tun, und sei es zu intrigieren, die mißvergnügt über die Lauheit ihres Geliebten und ohne Aussicht auf eine neue Liebe ist, weiß nicht, was sie aus ungestümer Tatenlust anfangen soll. Sie hat keine andere Zerstreuung als Anfälle schlechter Laune und kann sehr leicht eine Beschäftigung, das heißt ein Vergnügen, einen Daseinszweck darin finden, einer wahren Leidenschaft verderblich zu werden, einer Leidenschaft, die ein Unbedachter für eine andere hegt, während ihr eigener Geliebter an ihrer Seite eingeschlafen ist.

Das ist der einzige Fall, wo Haß Glück bereitet, weil er für Arbeit und Beschäftigung sorgt.

Anfangs verleiht das Vergnügen, überhaupt etwas zu tun, dieser Beschäftigung Reiz; dann, sobald sie in der Gesellschaft Argwohn erweckt hat, verleiht der Ehrgeiz ihr den Kitzel. Die Eifersucht auf eine Freundin verwandelt sich in Haß gegen ihren Geliebten. Wie könnte sonst eine Frau auch einen Mann, den sie nie gesehen hat, bis zur Wut hassen? Sie hütet sich, den Neid einzugestehen, denn zuvor müßte sie den Wert der anderen anerkennen. Es gibt Schmeichler, die sich nur dadurch in Gnaden behaupten, daß sie die gute Freundin lächerlich machen.

Die falsche Freundin, die sich Handlungen von der größten Niedertracht erlaubt, kann sich trotzdem einbilden, sie sei einzig von dem Wunsche beseelt, eine wertvolle Freundschaft nicht zu verlieren. Die gelangweilte Freundin sagt sich, daß die Freundschaft in einem von der Liebe und ihren tödlichen Qualen erfaßten Herzen von selbst hinsterben muß. Liebe geht vor Freundschaft, deshalb kann diese sich nur durch Anvertrauung von Geheimnissen erhalten. Aber was fordert den Neid mehr heraus als solche Bekenntnisse? Unter Frauen finden sie nur dann eine leidliche Aufnahme, wenn sie von folgender offener Erklärung begleitet werden: »Meine liebe Freundin, in dem ebenso sinnlosen wie unversöhnlichen Kriege, zu dem uns die von unseren Tyrannen geschaffenen Vorurteile herausfordern, sei mir heute behilflich. Morgen will ich dir helfen.«

Vor dieser Ausnahme geht noch die wahre Freundschaft, die in der Kindheit entstanden und niemals durch Eifersucht getrübt worden ist.

Das Geständnis einer Liebe aus Leidenschaft wird nur unter Schuljungen gut aufgenommen, die in die Liebe selbst verliebt sind, und von jungen Mädchen, die von Neugierde und ungestilltem Zärtlichkeitsbedürfnis verzehrt werden. Vielleicht sind sie bereits von dem Instinkt beseelt, daß hier der große Inhalt des Lebens liegt und daß sie sich nicht früh genug damit beschäftigen können.

Jeder hat schon beobachtet, wie kleine dreijährige Mädchen die Pflichten der Galanterie gewissenhaft erfüllen.

Die Liebe aus Galanterie gewinnt durch Geständnisse, die Liebe aus Leidenschaft verliert durch sie.

Abgesehen von der Gefahr, sind Geständnisse überhaupt schwierig. Was in der Liebe aus Leidenschaft nicht ausgedrückt werden kann, weil die Sprache zu grob ist, um diese Nuancen wiederzugeben, ist doch nichtsdestoweniger vorhanden. Nur ist man bei der Beobachtung zarter Dinge sehr leicht Täuschungen ausgesetzt. Und in der Leidenschaft ist man ein schlechter Beobachter; man ist ungerecht gegen den Zufall.

Es ist immer das Weiseste, sein eigner Vertrauter zu sein. Man schreibe abends unter erdichtetem Namen, aber mit allen charakteristischen Einzelheiten, das Gespräch, das man eben mit seiner Geliebten gefühlt hat, und die Bedenken, die einen drücken, nieder. Wenn man Liebe aus Leidenschaft hegt, wird man in acht Tagen ein anderer Mann sein. Wenn man dann seine Bedenken wieder liest, kann man sich selbst den besten Rat erteilen.

Unter Männern, sobald ihrer mehr als zwei sind und Neid möglich wäre, erfordert es die Höflichkeit, nur von Liebe aus Sinnlichkeit zu sprechen. Man denke nur an das Ende von Herrendiners! Man trägt Sonette von Baffo vor,Der venezianische Dialekt hat so lebhafte Mittel zur Schilderung der sinnlichen Liebe, daß Horaz, Properz, Lafontaine und alle anderen Dichter tausend Meilen hinter ihm bleiben. Der Venezianer Buratti ist heute der erste satirische Dichter in unserem traurigen Europa. Besonders hervorragend ist er in der Schilderung des Physisch-grotesken an seinen Helden. Vgl. seine Elefanteide, Uomo, Strefeide. die ein unendliches Behagen hervorrufen, weil jeder die Lobpreisungen seines Nachbars, der vielleicht nur lustig oder höflich sein will, wörtlich nimmt. Die zärtlichen Feinheiten Petrarcas oder französische Madrigale wären dagegen nicht am Platze.


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