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In der Liebe hört die Kristallbildung fast nie auf. Solange wir von der Geliebten noch keine Beweise ihrer Liebe haben, geht die Kristallbildung eigentlich nur in der Einbildung vor sich. Allein in der Phantasie schwebt uns die Begehrte in aller Vollkommenheit vor. Nach errungenem Siege werden unsere immer wiederkehrenden Zweifel in deutlicherer Weise beschwichtigt. Das Glück ist also nur zu Anfang eintönig, später bringt jeder Tag frische Blüten.
Wenn sich die geliebte Frau ihren leidenschaftlichen Gefühlen zügellos überläßt und den großen Fehler begeht, durch ungestüme Gunstbezeugungen jeden Zweifel in uns verscheuchen zu wollen,Z. B. Diana von Poitiers in der »Prinzessin von Cleve« der Madame de Lafayette. so hält die Kristallbildung einen Augenblick inne. Wenn aber die Liebe etwas von ihrer Heftigkeit eingebüßt hat, das heißt, wenn sie nicht mehr fürchtet, dann gewinnt sie den wunderbaren Reiz vollkommener Hingabe und grenzenlosen Vertrauens. Eine süße Sorglosigkeit macht alle Mühsal des Lebens schwinden und verleiht seinen Freuden einen neuen Wert.
In der Verlassenheit fängt die Kristallbildung wieder an. Jede Regung unsrer Verehrung für die Geliebte, jeder Gedanke an das halbvergessene Glück, das sie uns zu gewähren vermag, läuft in die wehmütige Betrachtung aus: »Dieses Glück wird mir niemals wieder lachen und nur durch meine eigene Schuld ging es mir verloren.« Wenn wir unser Heil in anderen Eindrücken suchen, so vermag sie unser Herz nicht aufzunehmen. Unsere Phantasie mag uns den körperlichen Vorgang noch so gut vorführen, sie mag uns auf flüchtigem Pferd durch die Wälder von Devonshire dahinjagen lassen, wir sehen und fühlen doch deutlich, daß wir keine Freude daran hätten. Solche optische Täuschungen sind imstande, uns die Pistole in die Hand zu drücken.
Auch das Hasardspiel hat seine Kristallbildung durch die Pläne, was wir mit dem gewonnenen Gelde anfangen wollen.
Und die vom Adel zurückersehnte Glücksjagd am Hofe, die unter dem Namen der Legitimität betrieben wurde, war lediglich durch die Kristallbildung, die sie erregte, verführerisch. Jeder Höfling träumte von dem fabelhaften Glück eines Luynes oder Lauzun, und jede galante Dame sah im Geiste die Herzogskrone der Frau von Polignac vor sich.
Keine Regierung mit vernünftigen Grundsätzen wird je wieder solche Kristallbildungen zugeben. Ein Muster des nüchternsten Gegensatzes ist die Negierung der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Auch ihren Nachbarn, den Indianern, war ja, wie wir gesehen haben, die Kristallbildung etwas Fremdes. Die Römer kannten sie ebensowenig und betätigten sie nur in der Liebe aus Sinnlichkeit.
Ebenso hat der Haß seine Kristallbildung. Sobald man hoffen kann, sich zu rächen, fängt man von neuem an zu hassen.
Ferner ist es nichts anderes als Kristallbildung, wenn irgend eine Lehre, die auf Absonderlichkeiten und unbeweisbaren Sätzen fußt, gerade bei den verschrobensten Leuten begeisterten Anklang findet. Selbst in der Mathematik gibt es eine Kristallbildung, – man denke an die Schüler Newtons im Jahre 1740, – besonders in solchen Köpfen, die nicht alle Glieder der Beweisführung dessen, was sie glauben, mit einem Blick zu überschauen vermögen.
Ein weiteres Beispiel dafür bietet das Mißgeschick der großen deutschen Philosophen, deren so oftmals laut verkündete Unsterblichkeit keine dreißig oder vierzig Jahre überdauert.
In der Musik überläßt sich selbst der logische Mensch fanatisch den Gefühlen, weil man sich über ihr Warum keine Rechenschaft ablegen kann.
Gegen solche Übermacht kann man nicht mit Vernunftgründen ankämpfen.