von Stendhal - Henry Beyle
Über die Liebe
von Stendhal - Henry Beyle

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58. Einwände gegen die Erziehung der Frauen

»Die Frauen sollen ihre Kinder nähren und pflegen.« Den ersten Teil dieses Einwandes bestreite ich, dem zweiten stimme ich zu.

»Sie sollen sich fernerhin um Küche und Haushalt kümmern. Darum haben sie keine Zeit, einem Manne an Kenntnissen gleichzukommen.«

Die Männer sind Richter, Bankiers, Rechtsanwälte, Kaufleute, Ärzte, Geistliche oder sonstwas, und doch finden sie Zeit, die Reden von Fox und die »Lusiaden« von Camoëns zu lesen.

Bei den heutigen gesellschaftlichen Zuständen ist die Muße, die für den Mann die Quelle allen Glückes und wirklichen Reichtums ist, für die Frau nicht nur nicht von Vorteil, sondern eine unheilvolle Freiheit.

»Aber den Frauen liegen die kleinen häuslichen Arbeiten ob.«

Her Oberst S*** hat vier Töchter, die nach den besten Grundsätzen erzogen worden sind, das heißt, sie arbeiten den ganzen Tag. Wenn ich hinkomme, singen sie Arien von Rossini, die ich ihnen aus Neapel mitgebracht habe; sonst lesen sie biblische Geschichte, lernen aus der Ge- schichte das Dümmste, nämlich die Zahlen, sind in der Geographie bewandert und sticken wundervoll, kurz, ich schätze, daß jedes von diesen hübschen jungen Mädchen sich mit seiner Arbeit täglich vierzig Centimes verdienen könnte. Das macht, auf dreihundert Tage gerechnet, im Jahre vierhundertundachtzig Franken; das ist weniger, als man einem ihrer Lehrer gibt. Für jährlich vierhundertundachtzig Franken verlieren sie also für immer die Zeit, die dem Menschen vergönnt, seinen Ideenkreis zu erweitern.

»Wenn die Frauen die zehn oder zwölf guten Bücher, die jedes Jahr in Europa erscheinen, mit Genuß zu lesen verständen, würden sie bald die Pflege ihrer Kinder vernachlässigen.«

Das wäre genau so, als wenn wir den Meeresstrand mit Bäumen bepflanzen und damit befürchten wollten, die Bewegung der Wogen aufzuhalten. In diesem Sinne ist die Erziehung nicht allmächtig. Übrigens macht man seit vierhundert Jahren die gleichen Einwände gegen jede Art von geistiger Bildung. Eine Pariserin von 1820 hat nicht nur mehr Tugenden als eine von 1720, sondern die Tochter des reichsten Generalpächters von damals genoß eine weniger gute Erziehung als die Tochter eines Winkeladvokaten von heute. Werden deshalb die häuslichen Pflichten weniger gut erfüllt? Gewiß nicht. Weshalb auch? Elend, Krankheit, Schande und Instinkt zwingen stets zu ihrer Erfüllung. Genau so könnte man von einem Offizier, der zu liebenswürdig wird, sagen, er verlerne das Reiten.

Die Erweiterung des Ideenkreises hat bei beiden Geschlechtern die gleichen guten und schlechten Folgen. Von Eitelkeit werden wir nie frei, auch wenn sie nicht im geringsten begründet ist. Man sehe sich die Bürger einer Kleinstadt an; zwingen wir sie wenigstens, nur auf ein wirkliches Verdienst eitel zu sein, das der Gesellschaft nützlich oder angenehm ist.

Die Halbgebildeten fingen unter den Nachwirkungen der Revolution, die in Frankreich alles verändert hat, an einzugestehen, daß die Frauen eine Beschäftigung haben könnten; sie sollen sich einer ihrem Geschlecht angemessenen Arbeit widmen, Blumen züchten, Herbarien anlegen, Singvögel aufziehen. Das nennt man unschuldige Vergnügungen.

Solche unschuldigen Vergnügungen sind besser als Garnichtstun. Überlasse man letzteres den dummen Frauen, wie man den dummen Männern den Ruhm läßt, zum Geburtstagsfest des Hausherrn ein Tafellied zu verbrechen. Kann man aber geistig regen Frauen, einer Madame Roland oder einer Mrs. Hutchinson im Ernste zumuten, in ihren Mußestunden einen bengalischen Rosenstock aufzuziehen?

Jenes ganze Geschwätz läuft schließlich auf nichts anderes hinaus, als daß man von seiner Sklavin sagen möchte: »Sie ist zu dumm, um gefährlich zu sein.«

Aber vermöge eines gewissen Gesetzes, das Sympathie heißt, eines Naturgesetzes, das gewöhnlichen Augen verborgen bleibt, fügen die Fehler unserer Lebensgefährtin unserem Glücke keinen wirklichen Schaden zu, wenn man bedenkt, was für unmittelbares Unglück sie bereiten könnten. Mir freilich wäre es lieber, wenn mich meine Frau in einem Wutanfall alle Jahre einmal zu erdolchen versuchte, als wenn sie mich alle Abende mürrisch empfinge.

Schließlich ist unter Leuten, die zusammenleben, das Glück ansteckend.

Mag sich unsere Geliebte den Vormittag, während wir auf dem Exerzierplatze oder im Parlament waren, mit Blumenmalen oder mit dem Lesen eines Shakespeareschen Dramas vertrieben haben: in beiden Fällen waren ihre Vergnügungen unschuldig; nur wird sie uns nach unserer Heimkehr langweilen, wenn sie uns ihre Gedanken beim Malen ihrer Rose erzählt, und obendrein wird sie abends ausgehen wollen, um in der Geselligkeit etwas lebhaftere Eindrücke zu finden. Wenn sie dagegen Shakespeare mit Verstand gelesen hat, dann ist sie so müde wie wir, und ein einsamer Spaziergang an unserm Arm im Park vor der Stadt wird sie glücklicher machen als der Besuch der größten Gesellschaft. Die Freuden der großen Gesellschaft sind glücklichen Frauen nichts.

Nur die Unwissenden feinden die Frauenerziehung instinktiv an. Heute vertändeln sie ihre Zeit mit ihnen, machen ihnen den Hof und werden von ihnen gut behandelt. Aber was würde aus ihnen, wenn die Frauen einmal den Walzer satt bekämen? Wenn wir aus Afrika oder Asien heimkommen, mit verbrannter Gesichtsfarbe und einer Stimme, die noch nach einem halben Jahre etwas grob klingt, was könnten jene auf unsere Erzählungen antworten, wenn sie nicht die Redensart hätten: »Wir, wir haben die Frauen auf unserer Seite. Während Sie in der Ferne waren, hat sich die Farbe der Dogcarts geändert. Jetzt sind schwarze Mode.« Wir lauschen aufmerksam, denn das zu wissen, ist nützlich. Manche hübsche Frau wird uns keines Blickes würdigen, wenn unser Wagen einen schlechten Geschmack verrät.

Eben diese Tröpfe, die sich bloß ob des Vorzugs ihres Geschlechtes einbilden, gescheiter zu sein als die Frauen, wären gänzlich in den Schatten gestellt, wenn die Frauen etwas lernen wollten. Solch ein Flachkopf von dreißig Jahren sagt sich beim Anblick der kleinen zwölfjährigen Töchter seines Freundes: »Mit einer werde ich in zehn Jahren mein Leben teilen.« Man stelle sich seinen Jammer und seinen Schrecken vor, wenn er sie irgend etwas Nützliches lernen sähe.

Nicht die Gesellschaft und Unterhaltung eines Mann- Weibes, sicherlich aber die einer wohlunterrichteten Frau, falls sie ihren Ideenkreis ohne Verlust der weiblichen Anmut erweitert hat, wird unter den hervorragendsten Männern ihres Jahrhunderts eine Beachtung finden, die an Begeisterung streift.

»Dann werden die Frauen die Rivalinnen, nicht mehr die Genossinnen der Männer sein.«

Ja, wenn die Liebe sich durch ein Gesetz abschaffen ließe. Bis dahin wird die Liebe ihren Reiz und ihre Macht verdoppeln. Die Grundlage der Kristallbildung wird nur breiter. Der Mann wird alle seine Ideen mit der geliebten Frau genießen, die ganze Natur wird beim gemeinsamen Sehen neue Reize gewinnen, und da die Gedanken immer gewisse Schattierungen des Charakters widerspiegeln, werden sich beide besser kennen lernen und weniger Unklugheiten begehen; die Liebe wird weniger blind sein und nicht mehr so viel Unglück anstiften.

Der Wunsch zu gefallen schützt immer die Schamhaftigkeit, das Zartgefühl und die Anmut des Weibes vor irgendwelchem Einflusse der Erziehung. Die Nachtigallen kann man auch nicht lehren, im Frühling nicht zu singen. Die Anmut der Frauen hat mit der Unwissenheit keinen Zusammenhang. Allerdings oberflächliche und zu unpassender Gelegenheit geziert oder schulmeisterlich angebrachte Kenntnisse ertöten die Anmut. Aber diese Gefahr droht den Pariserinnen kaum. Sind die Pariserinnen nicht die liebenswürdigsten Frauen Frankreichs? Sind sie es nicht, in deren Köpfe der Zufall die treffendsten und anmutigsten Gedanken gelegt hat? Ich mute auch gewiß keiner Frau zu, Grotius oder Pufendorf zu lesen, seit wir das Buch von Tracy über Montesquieu haben.

Es gibt in Frankreich ungefähr fünfzigtausend Frauen, die durch ihre Vermögensverhältnisse aller Arbeit überhoben sind. Aber ohne Arbeit gibt es kein Glück. Selbst die Leidenschaften zwingen zur Arbeit und zwar zu recht harter Arbeit, die die ganze Tatkraft der Seele beansprucht.

Eine Frau mit vier Kindern bei zehntausend Franken Jahreseinkommen arbeitet, wenn sie Strümpfe strickt oder für ihr Töchterchen ein Kleid näht. Aber unmöglich arbeitet eine Frau, die einen eigenen Wagen hat, wenn sie eine Stickerei oder etwas Ähnliches anfertigt. Außer einem bißchen Eitelkeit hat sie kaum irgend ein Interesse dabei: also arbeitet sie nicht.

Folglich ist ihr Glück schwer bedroht.

Und was noch mehr sagen will, das Glück ihres Gebieters; denn eine Frau, deren Herz kein anderes Interesse als das für ihre Stickerei erfüllt, kann leicht auf den übermütigen Gedanken geraten, daß Liebe aus Galanterie oder aus Eitelkeit oder gar aus Sinnlichkeit im Vergleich zu ihrem gegenwärtigen Zustand ein ungeheures Glück sei.

»Eine Frau soll vermeiden, daß man von ihr spricht.«

Von neuem muß ich darauf entgegnen: Spricht man von einer Frau, weil sie lesen kann? Und was hindert die Frauen, bis der Umschwung ihres Schicksals kommt, das Studium zu verbergen, das ihre gewöhnliche Beschäftigung bildet und ihr täglich eine ansehnliche Menge von Glück beschert? Nebenbei will ich ihnen ein Geheimnis offenbaren. Wenn man sich ein Ziel gesteckt hat, zum Beispiel wenn man sich ein klares Bild der Verschwörung des Fiesco in Genua im Jahre 1547 schaffen will, so wird auch das langweiligste Buch interessant. Das ist so wie, wenn wir lieben, mit der Begegnung eines gleichgültigen Menschen, der eben mit der geliebten Person gesprochen hat. Und dieses Interesse wächst mit jedem Tage, bis man die »Verschwörung des Fiesco« wieder beiseite legt.

»Das beste Feld der Frauentugenden ist das Krankenzimmer.«

Dann müßte man die göttliche Güte bitten, die Häufigkeit der Krankheiten zu verdoppeln, um unseren Frauen Beschäftigung zu geben. Sonst hieße es auf Ausnahmen rechnen.

Überdies behaupte ich, daß eine Frau täglich ihre drei bis vier Mußestunden ausfüllen muß, wie ein verständiger Mann sie ausfüllt.

Eine junge Mutter, deren Sohn die Röteln hat, findet selbstverständlich beim besten Willen keinen Genuß an Bolneys »Reise in Syrien«, ebensowenig wie ihr Gatte, ein reicher Bankier, im Augenblick eines Kraches mit Genuß über Malthus nachdenken kann.

Die geistige Überlegenheit ist der einzige Punkt, in dem sich reiche Frauen von gewöhnlichen unterscheiden können. Dann haben sie naturgemäß auch verschiedene Empfindungen.

»Wollen Sie aus der Frau eine Schriftstellerin machen?«

Nicht weniger als Sie die Absicht hegen, Ihre Tochter in der Oper auftreten zu lassen, weil Sie ihr einen Gesanglehrer halten. Ich möchte behaupten, daß eine Frau ihre Werke nur nach ihrem Tode veröffentlichen lassen soll wie Frau von Staal-Launay. Wenn eine Frau unter fünfzig Jahren etwas drucken läßt, so setzt sie damit ihr Glück in der leichtfertigsten Weise aufs Spiel. Hatte sie das Glück, einen Geliebten zu besitzen, so wird sie ihn alsbald verlieren.

Nur eine Ausnahme erkenne ich an, wenn eine Frau zum Besten der Ernährung und Erziehung ihrer Familie schreibt. Dann muß sie sich aber, wenn sie von ihren Arbeiten spricht, mit dem Geldpunkte entschuldigen und zum Beispiel zu einem Rittmeister sagen: »Ihre Stellung bringt Ihnen jährlich viertausend Franken. Ich konnte im letzten Jahre durch meine zwei Übersetzungen aus dem Englischen dreitausendfünfhundert Franken mehr auf die Erziehung meiner beiden Söhne verwenden.«

Sonst muß eine Frau ihre Bücher so drucken lassen wie der Baron Holbach oder Frau von Lafayette, deren beste Freunde nichts davon wußten. Nur für Halbweltschönheiten kann die Veröffentlichung eines Buches ohne Nachteil bleiben. Die Menge, der es freisteht, sie wegen ihres Gewerbes zu verachten, hebt sie wegen ihrer Begabung in den Himmel und läßt sich davon betören.

Von den Männern in Frankreich, die sechstausend Franken Jahreseinkommen haben, finden die meisten in literarischer Hinsicht Befriedigung, ohne daß es ihnen in den Sinn kommt, selbst etwas zu veröffentlichen. Das Lesen eines guten Buches ist ihnen einer der größten Genüsse. Nach zehn Jahren haben sie ihre Kenntnisse verdoppelt, und niemand wird in Abrede stellen, daß man im allgemeinen mit der geistigen Vervollkommnung immer weniger von solchen Leidenschaften hat, die das Glück anderer beeinträchtigen. Ebenso wird man nicht bestreiten können, daß die Kinder einer Frau, die Gibbon und Schiller liest, geistig besser beanlagt sind als die einer Frau, die den Rosenkranz abbetet und die Romane der Frau von Genlis liest.

Ein junger Rechtsanwalt, ein Kaufmann, ein Arzt oder ein Ingenieur kann ohne irgendwelche anfängliche Erfahrung im Leben vorwärtskommen, er findet sie alltäglich in der Ausübung seines Berufes. Aber welche Hilfsquellen bieten sich den Frauen, um wertvolle und notwendige Kenntnisse zu erwerben? In der Einsamkeit ihres Haushaltes bleibt ihnen das große Buch des Lebens und der Notwendigkeit verschlossen. Die drei Goldstücke, die sie alle Montage von ihrem Gatten erhalten, geben sie immer auf die gleiche Weise aus, nachdem sie die Ausgaben der Köchin geprüft haben.

Der unbedeutendste Mann ist mit zwanzig Jahren und in jugendlicher Frische für eine Frau, die von nichts versteht, gefährlich, denn sie folgt nur dem Impuls; in den Augen einer geistvollen Frau wird er nicht mehr Erfolg haben als ein hübscher Lakai.

Das Lächerliche der heutigen Erziehung liegt darin, daß man den jungen Mädchen nur Dinge lehrt, die sie schnell wieder vergessen müssen, sobald sie verheiratet sind. Sechs Jahre lang sollen sie täglich Musik treiben und zwei Stunden Pastell oder Aquarell malen. Die meisten jungen Mädchen bringen es dabei nicht einmal zu einer leidlichen Mittelmäßigkeit. Daher das so wahre Sprichwort: Dilettanten sind Ignoranten. In Italien ist allerdings das Gegenteil wahr; dort trifft man die schönsten Stimmen unter den Dilettanten, fern der Bühne.

Selbst wenn ein junges Mädchen etwas Begabung gehabt hat, nimmt es nach dreijähriger Ehe höchstens einmal im Monat die Noten oder den Pinsel zur Hand; diese Beschäftigung ist ihm langweilig geworden, außer wenn ihm der Zufall eine Künstlerseele verliehen hat. Aber das kommt selten vor und vereinbart sich auch kaum mit den Haushaltssorgen.

So läßt man die jungen Mädchen unter dem hinfälligen Vorwande der Schicklichkeit in Unkenntnis der Dinge, die sie durch die künftigen Wechselfälle des Lebens leiten könnten; man verbirgt ihnen sogar deren Vorhandensein, leugnet die Wirrsale des Lebens ab und vermehrt sie somit noch durch die Wirkung der Verwunderung und des Mißtrauens, das einst die ganze Erziehung im Lichte der Lüge erscheinen lassen muß. Ich behaupte, daß es unbedingt zu der guten Erziehung eines jungen Mädchens gehört, es auch über die Liebe zu belehren. Wer möchte im Ernst behaupten, daß ein junges Mädchen mit sechzehn Jahren bei unseren heutigen Sitten nichts vom Dasein der Liebe wüßte? Woher stammt aber diese wichtige und heikle Kenntnis? Julie von Etanges gesteht klagend, daß ihr Wissen von einer Kammerzofe herrühre. Man muß Rousseau dankbar sein, daß er in einem Jahrhundert der falschen Scham so wahre Sittenbilder zu malen gewagt hat.

Da die heutige Erziehung der Frauen vielleicht die lächerlichste Geschmacklosigkeit des modernen Europas ist, so sind die Frauen um so mehr wert, je weniger sie eine sogenannte Erziehung gehabt haben. Deshalb sind die Frauen Italiens und Spaniens den Männern so überlegen und, ich glaube, auch den Frauen der anderen Länder.


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