von Stendhal - Henry Beyle
Über die Liebe
von Stendhal - Henry Beyle

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34. Weiteres über die Eifersucht

Die der Unbeständigkeit verdächtige Frau verläßt uns, weil wir die Kristallbildung in ihr gestört haben. Vielleicht ist sie unserer überdrüssig oder zu sicher geworden. Wir haben die Furcht in ihr erstickt, so daß die kleinen Zweifel der glücklichen Liebe nicht mehr erstehen können. Wir müssen sie wieder beunruhigen, dabei uns jedoch besonders vor abgeschmackten Beteuerungen hüten.

In der langen Zeit des Umganges mit ihr haben wir sicherlich bemerkt, auf welche Frau aus der Stadt oder aus der Gesellschaft sie am eifersüchtigsten ist und welche sie am meisten fürchtet. Dieser Frau muß man den Hof machen, aber ja nicht auffällig, sondern möglichst heimlich. Man muß es redlich zu verbergen suchen und nur auf die Augen des Hasses rechnen, die alles sehen und alles merken. Der tiefe Widerwille, den man Monatelang vor allen Frauen empfinden wird, erleichtert einem die Sache. Man muß sich vergegenwärtigen, daß man in der augenblicklichen Lage durch das Merkenlassen der eigenen Leidenschaft alles verdürbe. Man besuche also die geliebte Frau nur selten und trinke sein Glas Sekt in guter Gesellschaft.

Um über die Liebe der Geliebten zu urteilen, ist folgendes zu bedenken:

1. Je mehr sinnlicher Genuß in einem Liebesverhältnis an Stelle dessen tritt, was einstmals die Hingabe begründete, um so mehr wird diese Liebe der Unbeständigkeit und der Untreue zugänglich. Am deutlichsten zeigt sich das bei einer Liebe, deren Entwicklung das Feuer der Jugend begünstigt hat.

2. Die Liebe zweier Liebenden ist fast nie die gleiche.Ein Beispiel gibt die Liebe Alfieris zu Mylady Ligonier, die nebenbei noch eine Liebschaft mit seinem Diener unterhielt und sich lächerlicherweise »Penelope« nannte. (Vita, 2.) Die Liebe aus Leidenschaft hat ihren Kreislauf; abwechselnd liebt der eine mehr als der andere. Oft wird einfache Galanterie oder Liebe aus Eitelkeit mit Liebe aus Leidenschaft erwidert, und meist ist es die Frau, die wahr liebt. Welche Art Liebe aber auch der eine der beiden Liebenden empfindet, sobald er eifersüchtig wird, verlangt er vom andern immer Liebe aus Leidenschaft, und die Eitelkeit erheuchelt in ihm alle Bedürfnisse eines zärtlichen Herzens.

In der Liebe aus Galanterie ist nichts verdrießlicher, als wenn sie durch Liebe aus Leidenschaft erwidert wird. Oft leitet ein geistvoller Mann das Denken einer Frau, der er den Hof macht, zur Liebe hin und macht ihre Seele empfänglich. Sie behandelt ihn gütig, weil er ihr diese Freude bereitet. Er beginnt zu hoffen. Eines schönen Tages aber begegnet jener Frau der Mann, der ihr wirklich solche Empfindungen einflößt, wie sie der andere geschildert hat.

Ich weiß nicht, welchen Eindruck die Eifersucht eines Mannes auf das Herz der geliebten Frau macht. Die Eifersucht eines gleichgültigen Verliebten erregt sicherlich viel Abscheu, der sich bis zum Haß steigern kann, wenn der Gegenstand der Eifersucht liebenswerter als der Eifersüchtige ist. Denn, wie Frau von Coulanges sagt, man mag nur die Eifersucht des Mannes, auf den man selbst eifersüchtig sein könnte. Wenn man den Eifersüchtigen liebt, er aber kein Recht hat, es zu sein, so kann die Eifersucht jenen weiblichen Stolz verletzen, der so schwer zu behandeln und zu verstehen ist. Die Eifersucht kann stolzen Frauen gefallen, weil sie eine neue Art ist, dem Manne ihre Macht zu zeigen.

Die Eifersucht kann gefallen, weil sie eine neue Möglichkeit ist, die Liebe zu beweisen. Überzarte Frauen freilich werden durch die Eifersucht in ihrem Schamgefühl verletzt.

Die Eifersucht kann gefallen als Beweis des Mutes des Liebenden. Ferrum est quod amant. Nur muß man auseinanderhalten, daß der »Mut« geliebt wird, nicht die »Tapferkeit« eines Turenne. Denn diese ist sehr gut im Verein mit einem kalten Herzen denkbar.

Es ist ein Gesetz der Kristallbildung, daß eine Frau dem betrogenen Manne das Geschehnis niemals eingestehen darf, wenn sie nicht alle Macht über ihn verlieren will.

So stark ist die Freude an dem idealen Bilde, das wir uns von einem geliebten Wesen gemacht haben, daß man vor dem verhängnisvollen Eingeständnis lieber (wie André Chénier sagt)

»... anstatt des Todes Selbstbetrug erwählt,
Der uns am Leben und im Leid erhält.«

In Frankreich ist eine kleine Geschichte von Fräulein von Sommery allbekannt, die, von ihrem Geliebten auf frischer Tat ertappt, ihm den Vorfall kühn abstritt und, als er darauf nicht eingehen wollte, sagte: »Ah, nun sehe ich klar, du liebst mich nicht mehr, denn du traust deinen Augen mehr als meinen Worten!«

Eine Wiederaussöhnung mit einer angebeteten Geliebten, die uns untreu war, heißt, eine in uns immer wieder auflebende Leidenschaft mit Dolchstößen zerstören. Die Liebe muß sterben, mag auch dabei unser Herz mit gräßlichen Schmerzen alle Stadien des Todeskampfes durchmachen. Das ist die unglücklichste Mischung der Liebesleidenschaft mit dem Leben. Man müßte die Kraft haben, der Geliebten fortan nur noch ein Freund zu sein.


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