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Die Romane des siebzehnten Jahrhunderts bezeichnen mit »Blitzschlag« eine seelische Erregung, die das Geschick des Helden und seiner Geliebten plötzlich und unabänderlich entscheidet.
Dieser Ausdruck ist eigentlich lächerlich, aber er meint etwas tatsächlich Vorhandenes.
Ich habe die liebenswürdige und vornehme Wilhelmine *** kennen gelernt. Sie war der angebetete Stern der Berliner Kavaliere und trotzdem sprach sie verächtlich von der Liebe und verspottete ihre Torheiten. Sie war umstrahlt von Jugend, Geist und Schönheit, ein Glückskind in jeder Beziehung; ein ungeheurer Reichtum gestattete ihr, alle ihre Eigenschaften frei zu entfalten, und es war, als ob die Schöpfung in ihr der Welt ein seltenes Beispiel der Vereinigung von vollkommenem Glücke und persönlicher Würdigkeit geben wollte. Wilhelmine war dreiundzwanzig Jahre alt, ging seit Jahren bei Hofe ein und aus und hatte Persönlichkeiten von allerhöchster Geburt abgewiesen. Ihre bescheidene und unantastbare Tugend war sprichwörtlich geworden. Infolgedessen hatten es die liebenswürdigsten Männer aufgegeben, ihre Gunst zu erringen, und bewarben sich nur noch um ihre Freundschaft.
Eines Abends war sie auf einem Balle beim Prinzen Ferdinand und tanzte zehn Minuten mit einem jungen Hauptmann.
»Von diesem Augenblicke an,« schrieb sie später an eine Freundin, »war er der Herr meines Herzens und meiner selbst, und das in so hohem Grade, daß ich selbst erschrocken gewesen wäre, wenn mir das Glück, Hermann zu sehen, überhaupt Zeit gelassen hätte, noch an etwas anderes im Leben zu denken. Mein einziger Gedanke war der, zu beobachten, ob er mir einige Aufmerksamkeit schenkte.
»Heute ist es mein einziger Trost, den ich im Gefühl meiner Mängel finden kann, mich in der Illusion zu wiegen, es sei eine höhere Macht gewesen, die mich mir selbst und der Vernunft geraubt hat. Mit Worten vermag ich es nicht annähernd richtig zu schildern, wie sehr sein bloßer Anblick mein ganzes Wesen verwirrte und umgestaltete. Ich erröte bei dem Gedanken, mit welcher Schnelligkeit und Heftigkeit ich mich zu ihm hingezogen fühlte. Wenn sein erstes Wort, als er schließlich mit mir sprach, gewesen wäre: ’Lieben Sie mich?‘, ich hätte nicht die Kraft gehabt, ihm nicht mit ’Ja‘ zu antworten. Niemals hätte ich mir vorstellen können, daß eine Empfindung so plötzlich und so unvorhergesehen sein könnte. Das ging so weit, daß ich einen Augenblick lang glaubte, ich sei verzaubert.
»Unglücklicherweise weißt Du und alle Welt, liebe Freundin, wie sehr ich Hermann geliebt habe: nun wohl, er war mir nach einer Viertelstunde so lieb, daß er mir später nicht lieber werden konnte. Ich sah alle seine Fehler und verzieh sie ihm alle, wenn er mich nur liebte.
»Kurz nachdem ich mit ihm getanzt hatte, ging der König fort, und Hermann, der zum diensthabenden Gefolge gehörte, mußte ihm folgen. Mit ihm schwand alles Leben um mich her. Es wäre vergeblich, wenn ich Dir die unermeßliche Langeweile schildern wollte, von der ich mich bedrückt fühlte, als ich ihn nicht mehr sah; ihr kam nur das heftige Verlangen gleich, einsam mit mir allein zu sein.
»Endlich konnte ich fortgehen. Zu Hause schloß ich mich in meinem Zimmer ein und faßte den Entschluß, meine Leidenschaft zu bekämpfen. Ich glaubte, es würde mir gelingen. Ach, meine liebe Freundin, wie teuer habe ich an jenem Abend und den folgenden Tagen den Genuß bezahlt, mich für tugendhaft halten zu dürfen!«
Das ist die genaue Schilderung eines Vorfalles, der zum Tagesgespräch wurde, denn nach ein oder zwei Monaten war die arme Wilhelmine so unglücklich, daß ihre Leidenschaft allbekannt ward. Das war der Ursprung von so vielem Unglück, durch das sie so jung und auf so tragische Weise zugrunde ging, von eigener Hand oder von ihrem Geliebten vergiftet. Wir konnten an dem jungen Hauptmann nichts weiter entdecken, als daß er ein vorzüglicher Tänzer war. Er war heiter veranlagt, sehr selbstbewußt und gutmütig, gab sich viel mit der Halbwelt ab und war im übrigen von kleinem Adel, sehr arm und verkehrte nicht am Hofe.
Man darf nicht mißtrauisch sein, man muß sogar eine Abneigung gegen das Mißtrauen mitbringen, sozusagen guten Mut zum Wechselspiele des Lebens haben. Aus Überdruß an einem liebeleeren Leben und durch das Beispiel der anderen Frauen wider Willen bestochen, bildet sich die Seele einer Frau, die alle Ängste des Lebens überwunden hat und in dem traurigen Glück des Stolzes keine Befriedigung findet, unbewußt ein ideales Bild. Eines Tages begegnet sie einem Wesen, das diesem Bilde zu gleichen scheint. Sie merkt es an der Verwirrung ihres Herzens und weiht sich nun auf ewig dem so sehnsüchtig erträumten Herrn ihres Schicksals.
Die Frauen, die solchem Unglück verfallen, haben zu viel Seelengröße, um anders als aus Leidenschaft lieben zu können. Sie wären gerettet, wenn sie zur Liebe aus Galanterie herabsteigen könnten.
Da der Blitzschlag aus geheimem Überdruß an dem, was der Katechismus Tugend nennt, und aus der Langweile entspringt, die durch die Eintönigkeit der Vollkommenheit entsteht, so neige ich zu der Ansicht, daß er am häufigsten solche Männer trifft, die man in der Gesellschaft als Taugenichtse bezeichnet. Ich zweifle sehr, ob der gestrenge Cato je von einem Blitzstrahle getroffen wurde.
Der Blitzstrahl ist darum etwas Seltenes, weil er nur dann eintritt, wenn das Herz, das so im voraus liebt, nicht die geringste Ahnung von seinem Zustande hat.
Eine durch Unglück mißtrauisch gewordene Frau ist zu einer solchen Revolution der Seele nicht fähig.
Nichts fördert Blitzschläge mehr als das Lob, das eine Frau vorher und durch Frauenmund dem Manne zollen hört, den der Blitzstrahl treffen wird.
Eine der komischsten Quellen von Liebesabenteuern sind falsche Blitzschläge. Eine gelangweilte, aber nicht feinfühlige Frau glaubt eines Abends, sich für ihr ganzes Leben verliebt zu haben. Sie ist stolz, endlich eine jener großen Wallungen gefunden zu haben, nach denen ihre Seele so lechzte. Am anderen Tage ist sie ratlos, wo sie sich verstecken und wie sie dem Unglücklichen aus dem Wege gehen soll, den sie gestern angebetet hat.
Menschen von Geist verstehen Blitzschläge vorauszusehen und zu ihren Gunsten auszunutzen.
Auch die Liebe aus Sinnlichkeit hat ihre Blitzschläge. So habe ich gestern beobachtet, wie die schönste und leichtlebigste Dame Berlins, mit der ich zusammen im Wagen fuhr, plötzlich errötete. Der schöne Leutnant Findorff war vorübergegangen. Sie verfiel in tiefe Träumerei und Unruhe. Abends im Theater gestand sie mir, daß sie närrisch verliebt sei und daß sie nur an Findorff denke, mit dem sie noch nie ein Wort gesprochen habe. Wenn es angängig wäre, sagte sie, so würde sie ihn holen lassen. Ihr hübsches Gesicht verriet alle Zeichen einer heftigen Leidenschaft. Das ging auch noch den folgenden Tag so; nach drei Tagen hatte sich Findorff täppisch betragen, und sie dachte nicht mehr an ihn. Einen Monat später war er ihr verhaßt.