von Stendhal - Henry Beyle
Über die Liebe
von Stendhal - Henry Beyle

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24. Vom ersten Eindruck

Ich bin oft voller Bewunderung über die Feinheit und die Sicherheit im Urteile, mit denen Frauen gewisse kleine Züge erfassen, aber einen Augenblick später beobachte ich, wie sie einen Dummkopf in den Himmel heben, sich von einem faden Schwätzer zu Tränen rühren lassen oder geistloses, geziertes Gebaren als ernsten Charakterzug nehmen. Für solche Einfalt fehlt mir das Verständnis. Es muß da irgend ein allgemeines Gesetz geben, das ich nicht kenne.

Sie haben einen Vorzug an einem Manne entdeckt, sind über eine Einzelheit entzückt und lassen diese lebhaft auf sich einwirken, ohne für alles andere an ihm die geringste Teilnahme zu haben.

Ich habe zugesehen, wenn hervorragende Männer geistreichen Frauen vorgestellt wurden. Immer war ein Körnchen Vorurteil im Spiele, das für den Eindruck der ersten Begegnung entscheidend war.

Wenn ich ein eigenes Erlebnis einfügen darf, so möchte ich erzählen, wie der liebenswürdige Oberst B*** der Frau von Struve in Königsberg vorgestellt wurde. Sie war eine ganz bedeutende Frau, und wir fragten uns gegenseitig: wird er Eindruck auf sie machen? Man wettet. Ich trete an Frau von Struve heran und berichte ihr, daß der Oberst seine Halsbinden zwei Tage hintereinander tragen am zweiten Tage Pflege er sie nach der reinen Seite umzuwenden. Sie könne an seiner Binde die Querfalten bemerken. Nichts war unwahrer.

Kaum bin ich damit fertig, als jener reizende Mensch angemeldet wird. Der kleinste Pariser Stutzer hätte einen günstigeren Eindruck hervorgerufen. Ich erwähne, daß Frau von Struve ihren Mann liebte. Sie war eine ehrenwerte Frau; von galanten Beziehungen zwischen beiden konnte darum keine Rede sein, wenn auch beide füreinander wie geschaffen waren. Man sagte jener Frau nach, sie sei romantisch veranlagt, und ihn konnte nichts mehr reizen als gerade romantisch übertriebene Tugend. Sie hat ihn in jungen Jahren in den Tod getrieben.

Frauen haben die Gabe, in wunderbarer Weise alle Schattierungen der Liebe, die unmerkbarsten Schwankungen des Menschenherzens und die geringsten Regungen der Eigenliebe zu fühlen. In dieser Beziehung haben sie einen Sinn mehr als wir Männer. Das geht auch aus der Art hervor, wie sie Verwundete zu pflegen verstehen.

Vielleicht haben sie dafür kein rechtes Urteil über geistige Eigenschaften und den inneren Wert eines Menschen. Ich habe die Beobachtung gemacht, daß ausgezeichnete Frauen von einem geistvollen Manne entzückt waren und gleich darauf, fast in demselben Satze, einen der größten Hohlköpfe bewunderten. Das gab mir einen Stich wie einem Kenner, der zusieht, wie echte Diamanten für Straßsteine, und Straßsteine für echte gehalten werden, nur weil sie größer sind.

Ich habe daraus geschlossen, daß man Frauen gegenüber alles wagen muß. Dort wo der General Lasalle scheiterte, hatte ein bärtiger und fluchender Hauptmann Erfolg (in Posen, 1807). Sicherlich gibt es am Werte eines Mannes vieles, was die Frauen nicht ahnen.

Mit Vorliebe pflege ich nach Naturgesetzen zu suchen. Die Kraft der Nerven verbraucht sich bei Männern durch das Gehirn, bei Frauen durch das Herz. Deshalb sind sie empfindsamer. Uns tröstet die Arbeit und der Beruf, der unser ganzes Dasein ausfüllt; für die Frauen gibt es nur einen einzigen Trost: die Zerstreuung.

Mein Freund Appiani, der nur in seltenen Fällen die Tugend für möglich hält, war heute abend mit mir auf der Gedankenjagd. Ich sprach mit ihm über dieses Kapitel, und er meinte:

»Die Seelenstärke der Eponina, die sie bekanntlich durch die heldenhafte Aufopferung bewiesen hat, mit der sie ihrem Gatten in seiner unterirdischen Höhle das Leben erhielt und ihn vor dem Wahnsinn bewahrte, hätte sich bei einem friedlichen Zusammenleben in Rom in der Geschicklichkeit geäußert, mit der sie ihren Geliebten verheimlicht hätte.

»Starke Seelen müssen eine Betätigung haben.«


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