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Nur in Rom kommt es vor, daß eine anständige Frau, die Pferde und Wagen hat, vor einer anderen, einer einfachen Bekannten, so recht ihr Herz ausschüttet, wie ich es heute vormittag erlebt habe. »Ach, meine liebe Freundin, verliebe dich nie in den Fabio Bitteleschi. Lieber kannst du deine Liebe einem Straßenräuber schenken. Trotz seines sanften und gemessenen Benehmens bringt er es fertig, dir einen Dolch ins Herz zu bohren und dich dabei mit liebenswürdigem Lächeln zu fragen: Liebchen, tut es weh?« – So geschehen am 30. September 1819 in Gegenwart eines hübschen fünfzehnjährigen, übrigens sehr geweckten Mädchens, der Tochter jener Dame, die den guten Rat empfing.
Die Natürlichkeit der südlichen Liebenswürdigkeit ist nichts als die einfache Entwicklung einer großangelegten Natur, die durch den doppelten Mangel an guter Erziehung und an bedeutenden Ereignissen begünstigt wird. Wenn ein Nordländer das Unglück hat, nicht von Anfang an dadurch abgestoßen zu werden, so kommen ihm nach Verlauf eines Jahres die Frauen aller anderen Länder unausstehlich vor.
Er sieht die niedlichen Französinnen, die in den ersten drei Tagen recht liebenswürdig und verführerisch, aber schon am vierten langweilig sind; sobald man nämlich dahinter kommt, daß all ihr Liebreiz vorher einstudiert und angelernt ist und für jedermann und jeden Tag ewig derselbe bleibt.
Er sieht die deutschen Frauen, die im Gegensatz zu den Französinnen so natürlich sind und sich so leidenschaftlich ihrer Phantasie hingeben, aber doch bei aller ihrer Natürlichkeit oft innerlich arm, einfältig und rührselig sind. Der Ausspruch des Grafen Almaviva scheint in Deutschland niedergeschrieben zu sein: »Und man ist höchst erstaunt, eines schönen Abends Übersättigung zu finden, wo man das Glück sucht.«
In Rom darf der Fremde nicht vergessen, daß in einem Lande, wo alles natürlich ist, das Schlechte viel schwärzer erscheint als anderwärts. Um nur von den Männern
»Heu! male nunc artes miseras haec saecula tractant;
Jam tener assuevit muncra velle puer."
Tibull
Es ist auch nur in Italien möglich, daß junge Lebemänner, die Millionäre sind, Tänzerinnen großer Bühnen vor den Augen der ganzen Stadt mit dreißig Soldi (etwas über eine Mark) jeden Tag großartig aushalten. Zwei Brüder, schöne, junge Leute, leidenschaftliche Jäger und Pferdeliebhaber, sind auf einen Fremden eifersüchtig. Statt aber zu ihm zu gehen und ihre Beschwerden offen anzubringen, verbreiten sie heimlich ungünstige Gerüchte über den armen Fremden. In Frankreich würde die öffentliche Meinung solche Leute zwingen, entweder ihre Verdächtigungen zu beweisen oder dem Fremden Genugtuung zu geben. Hier gilt die öffentliche Meinung und die Verachtung nichts. Ein Reicher ist sicher, überall gut aufgenommen zu werden. Ein Millionär, der sich in Paris unmöglich gemacht hat, kann in aller Ruhe nach Rom pilgern. Dort wird er genau so hoch eingeschätzt werden wie seine Scudi.