von Stendhal - Henry Beyle
Über die Liebe
von Stendhal - Henry Beyle

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III

Ein Romamfragment

(Aus Stendhals Nachlaß)Anmerkung des Übersetzers: Dieses Bruchstück ist von Paul Arbelet in der Revue bleue vom 29. April 1905 veröffentlicht worden. Beyle hat Mathilde Dembowska während seines vom August 1814 bis zum Juni 1821 währenden Mailänder Aufenthalts, vermutlich im Jahre 1818, kennen gelernt. Wir wissen, daß sie ihm am 25. Oktober 1819 verbot, ihr weitere Briefe zu schreiben. Wahrscheinlich hatte man ihn bei Mathilde verleumdet. In seiner Melancholie über dieses Mißgeschick geriet Beyle auf den Einfall, seine innere Stimmung, seine Empfindungsweise, seine ganze leidenschaftliche Liebe zu ihr in einem Roman zur Darstellung zu bringen, der nur für ihre Augen bestimmt sein sollte. In leicht verschleierter Weise wollte der unglücklich Verliebte die Beziehungen beider klarlegen und damit das Herz der angebeteten Frau rühren. Der polnische Offizier ist niemand anders als er selbst, Contessa Bianca ist Mathilde und die Duchezza von Empoli Mathildes Cousine, Frau Traversi. Sie besaß in Desio (zwischen Monza und Como) ein schönes Landhaus, wo sich Mathilde häufig mit ihren beiden Söhnen aufhielt. Man muß also für Bologna »Mailand« setzen. Beyle selbst, der mit Frau Traversi in Wirklichkeit keine persönlichen Beziehungen hatte, sondern sie nur vom Hörensagen und Ansehen kannte, hat ihren Landsitz vermutlich nie betreten. Der Roman ist nie über die hier wiedergegebenen Blätter hinaus gediehen, und Mathilde hat nicht einmal diese geringfügigen Anfänge in die Hände bekommen. Die boshafte Eifersucht der Frau Traversi verstand es, den Unwillen Mathildes in Abneigung zu erweitern. Paul Bourget, dessen Romane und Schriften von Einflüssen und Ideen seines Vorbildes Stendhal durchtränkt sind (vgl. Band V, S. 8), hat das Problem der Eifersucht aus Freundschaft im Kampfe gegen die Liebe in seinem Roman Une idylle tragique behandelt.
Begonnen: Mailand, 4. November 1819

Plan

Der Schauplatz ist in Bologna und in einem köstlichen Landhause in Desio bei Bologna. Die Duchezza Empoli wird während eines glänzenden Festes toll eifersüchtig aus Freundschaft. Ein Pole, der Oberleutnant Potocki, ist im Begriffe, ihr das Herz der Contessa Bianca, ihrer Freundin, zu entwenden. Unter der Last eines Schmerzes und im Banne ihrer Melancholie kann Bianca nichts geben als ihre Freundschaft, und schon ist sie Willens, diese dem Polen zu gewähren, da begeht er, von seiner tollen Leidenschaft verführt, Torheiten und Unvorsichtigkeiten. Die Duchezza Empoli, beraten durch den kalten und unerbittlichen Talley, bringt Bianca dahin, Potocki zu verachten. Dieser verzichtet darauf, die Liebe, die ihn selbst verzehrt, auf Bianca übertragen zu wollen, und begnügt sich mit der Freundschaft, die ihm Bianca endlich schenkt; sie verzeiht ihm, weil sein Tollkopf allein schuldig war.

So werden sie zusammen glücklich und alt und reich an Freuden, die dem großen Haufen unbekannt sind. Bianca versöhnt sich schließlich – nach Talleys Tode – wieder mit der Duchezza Empoli. So sagt eines Tages Potocki zu ihr: »Sie haben mir das Allerschlimmste auf der Welt angetan, aber ich bin so glücklich unter der einfachen Freundschaft Biancas, daß in meinem Herzen kein Raum für den Haß ist. Ich liebe Sie zärtlich, weil Sie ihre Freundin sind.«


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