Carl Spitteler
Balladen
Carl Spitteler

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Träume Jakobs des Auswanderers.

Die Engel.

       

Das Schiff ging seinen stäten Gang.
Das Meer war weit, der Tag war lang.
Ich lag im dumpfen Kämmerlein,
Da kam ein Traum zu mir herein.

*           *
*

Mir war, ich stände ohne Zweck
Und Absicht auf dem Achterdeck.
Da flog ein Engel, wohlbekannt,
Aus meinem teuren Mutterland,
Schwebt' auf den Wellen, glitt und schliff
Im Wettstreit mit dem schnellen Schiff.
Die Flügel schwang er durch die Luft,
Da quoll's wie Heimatbergesduft.
Dann sang er einen starren Ton.
Da leuchtete die Welt davon.

Ein zweiter Engel nach ihm sang
Denselben starren schönen Klang,
Und kaum erschloß er seinen Mund,
So grünte rings die Welt im Rund.
Und immer neue Engel mehr
Erschienen durch die Luft daher.
Mit rosigem Farbentaumeltanz
Umringten sie das Schiff im Kranz.
Jetzt hoben sie sich plötzlich auf
Und flatterten zum Deck hinauf.
Die einen setzten sich aufs Bord,
Die andern auf die Segelraa,
Wohin mein trunk'nes Auge sah,
Ein liebes Antlitz grüßte dort.

Sie wechselten den Platz im Flug.
Die Schwingen blitzten Zug auf Zug.
Vom Bugspriet bis zum Mastenspitz
Zuckte der Silberflügel Blitz.

Mir ward so wohl, mir ward so weich,
Ich schrie: »O Gott, wie bin ich reich.«

*           *
*

Doch als ich wiederum erwacht',
Umfing mich kalte Regennacht.
Schnöde Gesichter um mich her,
Und um und um das öde Meer.
Ich leg' den Kopf auf meinen Arm:
»Wie war ich reich, wie bin ich arm.«

 
Der Polyp.

       

Mir war, ich triebe durch den Ocean,
Allein in einem schlecht gebauten Kahn.
Da schwamm von Osten wimmelnd übers Meer
Ein tausendfüßiger Polyp daher.
Und jeder seiner Füße, seiner Tasten
Trug ein Gesicht, mit Augen die mich haßten.
»Ihr Mörder,« schrie ich, »war es nicht genug,
Daß Euer Lästerzahn mir Wunden schlug,
Die täglich bluten, unaufhörlich schwären?
Soll die Verfolgung über's Weltmeer währen?«

Umsonst. Schon wälzt' er sich ins Boot. Im Nu
Das Ruder schwingend, schlug ich blindlings zu.

Da zitterte das fürchterliche Thier,
Als wie zum Tode wund und ließ von mir.
Schnellfüßig floh es übers Meer zurück.
Die losen Glieder fielen Stück um Stück.
Der Mantel starb. Und aus dem eklen Leib
Erhob sich unversehens ein blühend Weib,
Umstrahlt von wundersamem Farbenglanz.
Sie lächelte und drehte sich zum Tanz.
Die Arme wagrecht wie am Kreuz gehalten,
Schlug sie ihr Kleid in prächtigen Flügelfalten.
Je ferner, desto holder ihre Mienen
Und desto wonniger die Serpentinen.

Mit meinen Blicken folgt' ich unverwandt
Dem Zauberspiel, von süßem Schreck gebannt.
Und als es endlich meinem Aug' entschwand –
»Triumph« dacht ich zu rufen siegbewußt –,
Da quoll ein Seufzer tief mir aus der Brust.

 
Die Sängerin.

       

Im Traume war's. Ein Pilgerschwarm
Von Männern und von Frauen zog
Durch meine Heimat Hand in Hand,
Lobsingend einen süßen Psalm.
Im letzten Gliede schreitend folgt'
Ich selig der Verwandten Schar.

Da schwang durch den harmonischen Chor,
Vom Haupt des Zuges, unsichtbar
Sich eine Stimme jung und frisch
Und klar, weithin Gebirg und Thal
Vergoldend mit dem sonnigen Sang.
Allein die Stimme jauchzte falsch,
Im Tone hinkend und im Takt.

Und ob dem wundersamen Sang,
So schön, so innig und so falsch,
Warf ich mich schluchzend auf den Weg,
Die Zähne klemmend in die Faust,
Die Stirn im heimatlichen Staub.

 
Das Gastmahl.

             

Mir träumt', ich säß' an einem langen Tisch
In meiner Heimat, oben unterm Nußbaum.
Vor meinen Augen wuchsen auf dem Anger
Traute Gestalten, reichten mir die Hand
Zum Gruß und setzten fröhlich sich zum Mahl.
Ich sprach: »Die Zahl ist voll, laßt uns beginnen.«

Da kam verspätet eine schöne Frau.
Sie suchte, zählte und errötete.
»Ist hier für mich kein Plätzchen?« »Nein,« verbot ich
Da senkte sie die Stirn und lief geschwind
Dem Tisch entlang hinüber nach dem Nußbaum.
Dort, auf dem Acker kauernd, streute sie
Mit vollen Händen Erde auf ihr Haupt.

Und ich ging hin zu ihr und hob sie auf
Und küßt' ihr weinend das entsühnte Haupt.

 
Das Begräbnis.

       

Mir war im Traum, sie thäten Dich begraben,
An einem Sonntag, draußen unterm Wald,
Mit Singen und mit Beten. Leisen Trittes
Durch eine Seitenpforte naht' ich traurig,
Entblößten Haupts von hinten der Versammlung.

Da stockte plötzlich der Gesang. Erstaunt,
Mit scheuen Blicken starrten sie nach mir.
Die Meßner zischelten. Ein Gärtnerjunge
Schob mir mit dienstbefliss'nem Grinsen heimlich
Durch meine Finger einen Kranz von Dornen.
Aber die Menge teilend trat der Pfarrer
Mir feierlich entgegen, schrieb das Kreuz
Auf meine Stirn, legte die heilige Schrift
Mir auf die Brust und las mit lauter Stimme:
»Vergib, auf daß man Dir vergebe,« las er.

Da regte sich's im Dornenkranz, und wuchs
Und quoll wie Blust im Frühling. Rote, samt'ne,
Großmächt'ge Königsrosen fraßen wuchernd
Die lichte Luft, den leiderfüllten Kirchhof.
Blieb nichts mehr übrig als ein stilles Antlitz,
Von Schmerz verschönt, die Heimataugen
Wehmütigen Blicks mich grüßend durch die Rosen.

 
Das Geschenk.

       

Mir träumt', ich schlummert' unterm Weidenbusch
Am Bachesufer, auf der Himmelswiese.
Und mit dem Wasser käm' ein schöner Mann
Im Boot dahergefahren. Längs der Fahrt
Bog er die Büsche auseinander, spähte
In das Versteck und reichte links und rechts
Geschenke, welche er dem Boot enthob.

Wo er vorbeizog, scholl ein Dankesschluchzen.
Und aus den Wellen sang's wie Orgelstimme;
»Kleingläubige Zweifler, habt Ihr's nicht gespürt?
Ihr mußtet leiden, daß ihr lerntet wünschen.
Ihr mußtet wünschen, daß ich Euch's gewähre.
Was jeder im verschwiegnen Seelengrund
Ersehnt, die Träume, die dem eignen Herzen
Er nicht verriet, ich habe sie gebucht.
Nehmt hin, ich kenne jedes Menschenherz!
Nehmt hin, ich kenne jeder Seele Sehnsucht!«

Allmählich kam er auch zu mir. Neugierig
Schärft' ich den Blick, denn keines Wunsches war
Ich mir geständig. Da entstieg dem Nachen
Ein strahlend Frauenbild, vertraulich winkend,
Eilt' auf mich zu und lachte mir ins Auge:
»Kleingläubiger Zweifler, hast Du's nicht gespürt?«

Dann nahm sie meine Hand und führte mich
Durch blumige Triften nach den blauen Bergen.
Viel Fenster lugten auf den Weg, dahinter
Gesichter, deren Grüße uns vermählten.
Wir aber zogen mit einander weiter
Und immer weiter über Berg und Thal,
Ohne Verdruß und ohne Müdigkeit,
Bis wir verschwanden in gottinniger Ferne.

 
Der Vater.

       

Mit einem Trupp entschlossener Gesellen
Entwich im Traum ich heimlich übers Weltmeer.
In finst'rer Nacht erreichten wir die Heimat.
Die Einen hielten mit gespannter Büchse
Am Thor der Kirchhofmauer Wacht. Der Rest
Versah die Pferde. Nach dem Grab des Vaters
Schlich ich hinüber, und mit banger Hast,
Verhalt'nen Atems fing ich an zu schaufeln.
Ich grub und grub. In bodenlose Tiefen
Tauchte der Spaten. Doch vergebens. »Vater,«
Rief ich, am Boden hingestreckt, »ich bin's!
Die Pferde stehn bereit! Auf! laß uns fliehn!«

Da stand er plötzlich neben mir; leibhaftig
Und wahr, als wär' er niemals tot gewesen.
Nur etwas müde. Mit den Händen faßt'
Er meinen Arm; sein Auge blieb geschlossen
Und wie im Traume lallte seine Zunge.

Ich hob ihn rasch aufs Pferd. Und während wir
Mit hoffnungsfrohem Mut von dannen sprengten,
Begann ich ihm von Völkerkrieg und Frieden
Und was sich andres seither zugetragen,
Zu melden und zu schildern. Muntrer wurde
Sein Angesicht und öfters nickt' er lächelnd.

Allmählich aber schlottert' er im Sattel.
Der Körper sank, die Hände suchten Stütze.
Unruhig schüttelt' er den weißen Bart.
Dann flüstert' er mit tonverlass'ner Stimme:
»Es wird mir doch zu schwer. Ich möchte ruh'n.«

Und während ich ihn aus dem Sattel hob,
Entdeckt' ich plötzlich, daß ihm eine Wunde,
Vom Hemd verdeckt, die mächtige Brust zerfraß.
War alles hohl inwendig, gleich als wenn er
Unter der Haut nicht Fleisch und Bein mehr hatte.

Und ich begriff, daß ich ihn nie mehr rette.

 
Der Sturm.

                   

Mir war, als schlichen sie, die alten Kameraden,
Am Abend aus dem Urwald insgeheim,
Machten mir Zeichen durch die Palissaden
Und zischelten: »Komm heim.«

Mit Weib und Kindern trat ich auf die Schwelle:
»Da wo ein Baum gewurzelt, da ist seine Stelle.
Die Gärtner, die ihn pflanzten, unvergessen.
Hab's selber oft erwogen und ermessen.
Doch jetzt steht's fest in mir:
Ich bleibe hier.«

»Komm heim!« begehrten sie mit zornigem Befehle
Und rüttelten am Thor die Pfähle.
Da griff ein rasender Orkan
Mein schwaches Blockhaus an.
Als wie mit tausend Händen
Pakt' er's zugleich an allen Enden.
Den aufgewühlten Wellen gleich
Im sturmgepeitschten Meer,
Schwankte der Boden brüllend hin und her.
Ich aber, stumm und schreckensbleich,
Die Kinder an der Hand, mein Weib an meine Brust gepreßt,
Stand fest.

Und als das Ungewitter endlich sich verzogen
Und lagernd um den Herd am trauten Feuer
Wir grausend die bestandene Gefahr erwogen:
»Das war ein schlimmer Sturm. Nun bin ich Euer.«


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