Als noch Saturn der Herr der Erde war,
Geschah das Sterben einmal nur im Jahr.
Nicht einsam litt der Mensch die Todesnot,
Es war ein feierlicher Völkertod.
Auf einer Wiese standen sie vereint:
Brüder und Unbekannte, Freund und Feind,
Von Andacht hehr, von Sympathie gestärkt:
Die Auserlesnen, die der Tod gemerkt.
Der König brach das Schweigen und begann:
»Kinder des Todes! schaut einander an!
Weil man nun sterben muß und scheiden soll,
So laßt hienieden Bitterkeit und Groll.
Was du gelitten, was geduldet hast,
Wirf's hinter dich, 's ist eitel Herzenslast!
O folgt dem Ruf, der euch im Herzen tönt.
Auf denn! es scheide keiner unversöhnt!«
Ein Schauer schüttelte die Opferschar
Und zaudernd maß sich manches Feindespaar.
Der feuchte Blick, der ihm entgegenschmolz,
Entwaffnete den eigensinnigen Stolz.
Sie fühlten sich einander leidverwandt
Und jeder bot dem andern treu die Hand.
Zum zweiten redete die Königin:
»Aus dem Verluste pflücket den Gewinn:
Kein Schicksal ist auf Erden noch so graus,
Die Liebe schöpft ein Körnchen Glück daraus.
Ist einer, der im tiefsten Herzensgrund
Denkt einer Jungfrau mit verschwiegnem Mund,
Er trete vor sie hin und meld' es frei,
Damit ihm Dankestrost und Antwort sei.
Des Todes Allmacht sprengt der Sitte Zwang,
Vor seinem Odem fallen Stand und Rang.«
Jetzt, wie zur Quelle, die ihn labt und heilt,
Der durst'ge Wanderer frohlockend eilt,
So flog, vom Hoffnungssonnenstrahl beseelt,
Jeder zu jener, die sein Herz erwählt.
Ein Sehnsuchtsschrei, ein stammelnder Erguß –
Und Scham und Jubel einten sich im Kuß.
Horch! Harfenhauch und Psalterharmonie!
Andächtig fällt die Menge auf die Knie.
Ein Todesherold mit bekränztem Schwert
Reitet heran auf schwarzumflortem Pferd.
»Gegrüßt! ihr auserwählten Helden ihr!
In Gottes Namen! Freunde! folget mir!
Fest steht und unverrückt des Schicksals Schluß,
Darum geschehe, was geschehen muß!«
Da brandete das Abschiedsschmerzenmeer,
Und tausend Namen schluchzten hin und her.
Der Herold hielt sein Angesicht verhüllt,
Bis daß der Schmerz sein billig Maß erfüllt.
Dann winkt' er mit der Hand, die Trommel schlug:
Von hinnen wankte der verlorne Zug.
Die Brüder gaben eine Strecke weit
Dem todgelobten Trüpplein das Geleit,
Bis an die Landesgrenze, wo der Weg
Berganschleicht über einen Brückensteg.
Dort stellten sie sich längs dem Wasserlauf
Hüben und drüben au den Ufern auf.
Vom Weidendickicht, das den Bach besetzt,
Brach jeder sich ein junges Zweiglein jetzt.
Das reicht' er seinem Gegenüber dar,
So daß von dieser und von jener Schar
Kreuzweis verschlungen ein lebendig Band
Von Grüngezweig die Trennung überwand.
Dann sangen alle ohne Unterschied
Im Doppelchor ein tausendstimmig Lied:
»Getrost! ob auch uns trennt des Todes Schlund!
Wir stammen allesamt aus einem Grund:
Wir zielen allzumal nach einem Schluß,
Der das Zerstreute wieder sammeln muß.
Kein Hauch, kein Staub verliert sich aus der Welt,
Kein Stein ist, der ins Bodenlose fällt.
Ein Faden läuft im Irrwald der Natur:
Wohin du stehst, du trittst auf eine Spur.
Die Tröpflein rinnen unterm Fels daher:
So blind sie sind, sie finden doch das Meer.
Zuletzt ist Gott, zu oberst winkt ein Pol.
Lebt wohl! ihr Herzgeliebten! lebet wohl!«
In einem Gletscherwirrsal, oberhalb
Dem Menschenland lag eine öde Alp.
Man nannte sie die Alp zum bösen Weh,
Denn dazumal auch that das Sterben weh.
Drei Tag' und Nächte hörte man von dort
Röcheln und Stöhnen, Schlachtgeschrei und Mord.
Dazwischen, tröstlich wie ein Sonnenstrahl
In finstrer Nacht, Lobpreisen und Choral.
Doch wenn die blut'ge Arbeit war bestellt
Und Schweigen schwebte überm Leichenfeld,
Dann senkten sie die Toten all' hinab
In ein gemeinsam Allerseelengrab.
Ein einzig großgesinnt Erinnrungsmal
Umarmte die Verblichnen allzumal.
Für alle galt, für jeden war gemeint
Die Thräne, die um einen ward geweint.
War keiner so verachtet und gering,
Der nicht ein kleines Tröpflein mitempfing. |