Carl Spitteler
Balladen
Carl Spitteler

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Cid und die Fee.

                   

Als durch Cartagena's Pforten siegreich ritt der greise Cid,
Nahte Theodat, der fromme Bischof von Valladolid.
»Schön ist, wessen Stirn die Ehre, wessen Haupt der Lorbeer schmückt.
Schöner, wer in sanfter Demut sich vor Christi Kreuze bückt.
Im Spital der Johanniter liegt ein sterbenskranker Mann,
Der, bevor er Dich gesehen, nicht in Frieden scheiden kann.
Seine sündige Seele foltern Reue und Gewissensnot.
Ein Geständnis Dir zu beichten, heischt er vor dem nahen Tod.«

Seine Ritter, seine Edlen ließ der Feldherr allzumal
Und begab sich nach dem Kloster St. Johann ins Hospital.
Mühsam hob der Sterbenskranke sein vergrämtes Angesicht:
»Herr, erkennt Ihr Don Alonzo, Euren ältsten Bruder, nicht?
Unwert des erlauchten Namens, der von Heldennamen stammt,
Meid' ich zitternd Euer Antlitz, dessen Adel mich verdammt.
Sechzig Jahre sind verflossen – eine lange Bußezeit –
Seit ein schändliches Verbrechen mich der Sünde hat geweiht.
In der Wiege lagt Ihr schlummernd, wie ein Engel schön und rein.
Leis auf Silberflügeln schwebte eine gute Fee herein.
Legt' ein Dutzend Zauberzweiglein neben Eure Lagerstatt,
Fügte zu dem vollen Dutzend noch ein überschüssig Blatt.
Euren Lebensweg zu segnen, hatte gnädig sie geglaubt.
Weh! von meinen Schurkenhänden ward die Spende Euch geraubt.
Trug doch weder Glück noch Segen, weder Ehr' und Ruhm davon,
Eitel Reu und Seelenfolter und Verachtung war mein Lohn.
Glaube Keiner, daß erschlichne Himmelsgabe ihm gedeiht.
Redet nun, erhabner Bruder, redet, ob Ihr mir verzeiht.«

Schweigend durch das Fenster blickte jener in die Gartenflur.
Fernhin mit bewegtem Herzen folgend der Erinn'rung Spur.
Endlich öffnet er die Lippen: »Bruder,« hub er an gedämpft,
»Hab' im Leben viel gelitten, viel entbehrt und viel gekämpft,
Hab' als Mann es ausgefochten und geduldet als ein Christ.
Die gestohl'nen Wunderzweiglein hab' ich wahrlich nie vermißt.
Doch das kleine Zusatzblättlein, das im Gnadenübermaß
Zu dem anderen Wünschelsegen mir die gütige Patin maß,
Der Johannissonnenzucker, der mir zugesprochen ward,
Diesen auch mir zu entwenden, das, mein Bruder, das war hart.
Haben's übrigens verwunden, wollen's drum zufrieden sein.
Jeder Bach verliert ein Tröpflein, jede Spinne läßt ein Bein.
Stirb drum selig, Don Alonzo, fliege fröhlich himmelan,
Hab' auch ohne Feenbeistand manches Tüchtige gethan.«


 << zurück weiter >>