Carl Spitteler
Balladen
Carl Spitteler

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II.
Episch.

Anaïta.

                 

Nach Albord, dem luftigen Bergschloß, früh beim ersten Tagesgrauen,
Stiegen durch das Dämmerzwielicht sieben schwanenweiße Pfauen.
Oben auf der Zinnenkrone, wo das Morgenrot sich sonnte,
Bäumten sie. Und steifen Blickes spähend nach dem Horizonte
Sträubten sie die Blumenhauben, lüfteten die Silberschwingen
Und begannen stolzen Tanzes einen Jubelpsalm zu singen:
»Auf! ihr Töchter von Airana! schmücket Euer Haupt mit Kränzen!
Eine Sonne seh ich funkeln, einen Helden seh ich glänzen:
Oromazes, unser König, der den Agraman geschlagen,
Kehrt zurück im Siegeszuge hoch auf beuteschwerem Wagen.
Fortan feiern Wehr und Waffen in des Todes blut'ger Schmiede.
Nach dem Sturme, nach der Mordnacht blaut der sanftgemute Friede.«

Feuerzeichen und Fanale flammten auf bei diesen Worten,
Und Airanas Töchter schwärmten taubengleich aus allen Pforten.
Sehnsucht in den feuchten Blicken, Freudenrosen auf den Wangen,
Ihre Brüder, ihre Väter, ihre Gatten zu empfangen.
Aber wie vom hehren Himmel, wenn des jungen Tages Strahlen
Berg und Thal vom Dunst erlösen und mit heitern Farben malen,
Schnellen Flugs der Ostwind segelt über die betauten Fluren,
Lerchenjubel vor ihm schmetternd, Amselschlag auf seinen Spuren,
Also flog im flinken Dreispann durch die Morgensonnenblitze
Anaït, des Königs Gattin, feldwärts an des Volkes Spitze.
Fürstlich war der Wagenlenker, der ihr dienend stand zur Seite.
Sieben edle Jungfraun sprengten halbmondförmig im Geleite,
Angethan mit rotem Purpur, fröhlich, gleich dem Regenbogen,
Goldumgürtet, helmumflattert und bewehrt mit Schild und Bogen.
Doch im weißen Herrscherkleide, das auf jeden Prunk verzichtet,
Stand auf ihres Thrones Schemel Anaïta, glanzumlichtet.
Rock und Schärpe: Mondscheinwolken. Ihre Glieder: Schnee im Firne.
Eine Sternennebelsonne von der Sohle bis zur Stirne.
Sahst Du je in eines Gartens duft'gen Blumenlabyrinthen
Eine Lilie glühn im Feuer scharlachfarbner Hyacinthen?
Also war die junge Fürstin unter ihren edlen Frauen:
Eine lichte Himmelsbotin, eine Peri anzuschauen.
Vorwärts nach dem Schlachtfeld wies sie, schwingend eine leichte Lanze,
Und von ihrem Scheitel fegte ihr Gelock in lustigem Tanze.

Schon vernahm ihr Ohr Triumphschrei und ihr Blick die ersten Leichen,
Plötzlich sah man sie erbeben und ihr Angesicht erbleichen.
Um den Hügel eines Weinbergs kam ein Kriegerharst gegangen.
Einen Mann in ihrer Mitte führten sie einher gefangen:
Agraman, des Feindes Häuptling, unterjocht und überwunden,
Blutentstellt das wilde Antlitz und die Brust zerhackt von Wunden.
In die Zügel griff die Fürstin und, entbrannt von jähem Hasse,
Sprang sie auf den Rasen nieder, brach sich herrisch eine Gasse:
»Heil der Stunde,« rief sie heftig, »die mir solche Gunst verschaffte.«
Rief's und schlug sein blutig Antlitz schimpflich mit dem Lanzenschafte.

»Weib!« versetzte der Gefangene düster mit verhaltner Stimme,
»Herrlich ist der Mann im Zorne, feig das Weib in seinem Grimme.
Nimmer trifft die Hand des Edlen wen das Unglück hat geschlagen,
Jedes Loos entspringt dem Würfel, jeder Kampf beruht im wagen.
Deinetwegen, harte Feindin, Deinetwegen ward gestritten,
Weil ich einen Andern lebend Dir zur Seite nicht gelitten.
War's Verbrechen, daß die Sonne Deiner Schönheit mich geblendet?
Hätte mir der Sieg gelächelt, mir sein Antlitz zugewendet,
Müßtest jetzt mit Angst und Zittern mich als Deinen Herrn begrüßen
Und ich legte Kron' und Scepter, Macht und Reichtum Dir zu Füßen.
Anders durch des Schicksals Ratschluß, als ich hoffte, ist's gekommen.
Möge Dir des Gatten Andacht, Deines Volkes Ehrfurcht frommen!
Mögen neue, unerhörte Foltern mein Gebein durchwühlen!
Mehr als eine einzige Hölle kann derselbe Mensch nicht fühlen.
Hoffe nimmer froh zu werden, wem Du Deine Huld verschlossen.
Aber wenn aus Deinem Schoße Dir die erste Frucht entsprossen,
Wenn auf seligen Mutterarmen Du ein holdes Knäblein herzest,
Süße Koselaute stammelst, traute Thorheit mit ihm scherzest,
Laß durch meines Kerkers Gitter mich des Kindes Atem spüren,
Laß mich seine Hände küssen, laß mich seine Stirn berühren,
Daß ich, in die blauen Augen durstig meinen Blick versenkend,
Deines Bildes heilig Abbild weinend segne, Dein gedenkend.«

Zaudernd lauschte Anaïta des Verführers Schmeichelreden,
Und sie spürt' in ihrem Herzen Haß und Mitleid sich befehden.
Dann mit einem Blick des Abscheus aus den hochgespannten Brauen
Stieg sie wiederum zu Wagen, fremd und unnahbar zu schauen.
Und auf Schwalbensehnsuchtsflügeln, die zum Ziele blindlings pfeilen,
Fuhr sie durch die Totengassen, ihren Gatten zu ereilen.
Wand zum Kranz ihm um die Schläfen ihre marmorweißen Arme,
Jauchzt' ihm von genes'nen Aengsten, seufzt' ihm von verwichnem Harme.
Lehnt' ihr Haupt an seine Wange, gläubig, mit ergebner Miene,
Ob ein Lächeln sie erschmeichle, eine Gnade sich verdiene.

Seinen Königsmantel hatt' er um den Nacken ihr geschwungen,
Schmiegte sie an seine Schulter, hielt den Leib ihr eng umschlungen,
Und indem er seine Blicke tief in ihre Augen tauchte,
Neigt' er sich zum holden Gruße, dem sie bebend Antwort hauchte.

Schweigend stand herum der Krieger ungeheure Heerkolonne,
Und es beugten sich die Kniee vor des Glückes heil'ger Sonne.
Endlich, auf ein Herrscherzeichen, brachen auf die treuen Scharen,
Banner wehten in den Lüften, und beim Klange der Fanfaren
Lenkten heimwärts sie die tapfern, mutbeseelten Panzerrosse
Nach Airana's blumigen Fluren und Albord, dem luftigen Schlosse.

*           *
*

Nach Albord, dem luftigen Bergschloß, Mitternachts, beim Sturmesheulen,
Huschten durch die falben Blitze sieben tigerfarbne Eulen,
Flatterten gespensteräugig um die königlichen Zimmer,
Und aus ihren heisern Hälsen ächzt' ein schauriges Gewimmer.
»Wachet auf, betrogne Schläfer! Schüttelt ab die Traumgebilde!
Jagt mit Falken und Geparden, jaget nach dem flüchtigen Wilde!
Glück und Frieden seh ich trauernd von Airanas Fluren weichen.
Anaïta, Anaïta sah ich aus dem Thor sich schleichen,
Sah in eines Schleiers Falten sie das Angesicht verhehlen,
Sah sie mit dem holden Knaben in die finstre Nacht sich stehlen.«

Und sie riefen's durch die Fenster, und sie kreischten's von den Türmen,
Doch ihr Warnungsruf verhallte ungehört im Donnerstürmen.

So erfüllte sich das Schicksal und vollzog sich das Verderben.
Anaït indessen eilte mit Sesiosch, dem Throneserben,
Nach dem Kerker Sinewada überm Fluß, auf schlanker Brücke,
Wo auf ihre Ankunft längst schon lauerte des Feindes Tücke.
Hob erbarmend an das Gitter ihren erstgebornen Knaben,
Wähnend, des Gefangnen Seele mit dem Anblick zu erlaben.

Sahst Du je in eines Wolfes Augen Gier und Mordlust schimmern,
Wenn, am Waldessaum sich duckend, er vernimmt des Lammes Wimmern?
Also über des Gefangnen Antlitz flackerte die Rache
Und aus seinem heißen Gaumen kichert' eine böse Lache.
Nahm das Kind aus ihren Händen, drückt' es an die Kerkerstangen,
Küßt' es innig auf die Lippen, biß es stürmisch in die Wangen.
Plötzlich, mit behendem Schwunge, warf er's in des Stromes Schnellen,
Und wie Teufelshohngelächter triumphierte jetzt sein Gellen:

»Weib, mit Deinen blauen Augen, welche schwarzes Unheil stiften,
Mußtest meinen Herzensjammer nicht mit Schimpf zumal vergiften.
Mochtest weder selbst mich lieben, noch von mir Dich lieben lassen,
Wohl, so blieb mir nur das Eine: Dich von Herzensgrund zu hassen.
Eignes Glück mir zu erzwingen kann ich nun und nimmer hoffen,
Doch das Deine zu vernichten, Thörin, stelltest Du mir offen.
Bitter ist der Kelch des Unglücks, bittrer schmeckt's, den Feind beneiden.
Welche Lust, geliebtes Unweib, mich an Deiner Qual zu weiden.«

Also höhnte der Verruchte, doch sein Hohn verhallt' in's Leere,
Denn schon kämpfte mit den Strudeln Anaït im Wogenmeere.
Mit verzweifeltem Bemühen suchte sie ihr Kind zu haschen;
Konnte doch den Strom nicht hemmen und die Flut nicht überraschen.

*           *
*

Auf den moosbewachs'nen Trümmern von Albord, zur Mittagsstunde,
Stöbern im Gestrüpp und Moder sieben rabenschwarze Hunde.
Oefters heben sie die Schnauzen, um zu spüren und zu wittern,
Während weithin durch die Wüste ihre Klagetöne zittern.
»Wo ist König Oromazes? wo Airana's stolze Helden?
Wer vermag uns Zeit und Stunde seiner Wiederkunft zu melden?«

Schweigen kehrt zurück vom Berge und kein Echo hallt vom Thale,
Aber winselnd aus der Wüste kläffen Antwort die Schakale:
»Bei der Brücke Sinewada, wo die schnellen Wellen ziehen,
Sah ich längs dem Weidenufer unsern König jammernd fliehen,
Hört' ihn zwei geliebte Namen unaufhörlich lockend nennen,
Sah ihn mit der Strömung jagen und den Strom vorüber rennen.«

Also kläfften die Schakale. Horch! da donnerten die Rufe
Eines Löwen aus dem Dickicht einer hohen Felsenstufe:
»Wenn dereinst vom höchsten Himmel steigt der Tag, von dem die Zungen
Gottbegeisterter Propheten und der Dichter Mund gesungen:
Der gelobte Tag des Urteils, der Verdammnis und der Ehren,
Da sich sammeln alle Völker und die Toten wiederkehren,
Da vom fernsten Meeresgrunde Flüss' und Ströme heimwärts eilen,
Da die Jahre rückwärts wenden und die flücht'gen Stunden weilen,
Reitet an der Engel Spitze durch die Gräber von Airana
Auf dem weißen Sonnenpferde Er: Zarvana Akharana.
Honover, das Wort der Gnade und Erlösung wird er sprechen,
Und mit seinem Siegelringe die Gewalt der Hölle brechen.

Dann wird mit verjüngtem Glanze Oromazes wiederkommen,
Seinen Feinden zum Entsetzen, seinen Gläubigen zum Frommen.
Agraman, den finstern Fürsten wird mit starker Hand er töten
Und im Blute der Verräter das Gefild Airana's röten.
Aus den Trümmern, aus dem Schutte wird Albord er auferbauen,
Und Sesiosch, den Erstgebornen mit der schönsten Peri trauen.
Damajantis heißt ihr Name, Huld und Güte ist ihr Wesen;
Wem ihr Himmelsantlitz lächelt, ist von Sündenschuld genesen.
Saphir sind die blauen Augen, die wie Doppelsonnen blenden,
Aber Segen und Versöhnung schatten von den sanften Händen.
Tausend Jahr' und eine Stunde währt das Hochzeitsfestgelage,
Saitenspiel und Cymbalrauschen, Glück und Jubel alle Tage.

Siehe, durch die frohen Gäste zögert ein vergrämter Schatten:
Furchtsam schiebt die kranken Schritte Anaït' vor ihren Gatten.
Seine Heldenknie' umfangend, netzt sie seine Hand mit Thränen
Und von der gewohnten Stimme Schluchzen überquillt sein Sehnen.
Ihren langentbehrten Namen schreit er, öffnet weit die Arme,
Legt sein Haupt an ihre Schläfe, fügt sein Leid zu ihrem Harme.
Groll und Unmut sind geschmolzen und ein sonniges Verzeihen
Wird verklungnes Weh verklären und gebüßten Irrtum weihen.


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