Carl Spitteler
Balladen
Carl Spitteler

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Parisade.

Märchen.

                   

Im Palasthof von Damaskus, wo die Marmorlöwen schliefen,
Tummelt' ihren weißen Renner Dschems, die Tochter des Kalifen.
Warf die kalten Blicke spöttisch auf die jungen Janitscharen,
Die am Palmengartengitter dort zum Spiel versammelt waren.
Nahm drei Pfeile aus dem Köcher, legte sie auf ihren Bogen,
Schoß sie aufwärts nach der Sonne, daß sie über's Hofthor flogen.
»Wer die Pfeile mir zurückbringt, dem gestatt' ich jene Stunde,
Wer er sei und wie er heiße, einen Kuß von meinem Munde.«
Hitzig schwärmten aus die Knaben, stürmten durch den Hof in Eile,
Kehrten wieder spät am Abend, kehrten wieder ohne Pfeile.

*           *
*

Soliman, ein junger Sklave fürstlichen Geblüts, indessen
Konnte nicht der Herrin Worte und ihr Lächeln nicht vergessen.
Krank von ihren schwarzen Augen, dürstend nach dem süßen Preise
Klettert' er in heit'rer Mondnacht über Dach und Mauer leise.
Sieben Tage nach dem Pfande sucht' er bis zum Rand der Wüste,
Wo auf einem Maultier reitend ihn ein Derwisch also grüßte:
»Büblein, spare Deinen Eifer! Schone Deines zarten Lebens!
Lügen sät der Mund der Frauen, und Du hoffst auf Lohn vergebens.
Eine Närrin, eine Bübin ist sie, die die Pfeil' entsandte,
Eine Zauberin die andre, die im Fluge sie entwandte.
Parisade heißt ihr Name, Königin der finstern Feen,
Deren unbarmherzig Antlitz nie ein Fröhlicher gesehen.
Fern im Wald auf steilen Felsen liegt ihr Gartenschloß verborgen.
Kummer hütet seine Schwelle, seinen Ausgang Gram und Sorgen.«

»Sei sie Närrin! sei sie Bübin!« rief beherzt der mutige Sklave.
»Werde jedes Weh und Unheil mir zur wohlverdienten Strafe.
Kann doch nimmer sie vergessen, ihre Küsse nicht entbehren.
Will den Tod ich für sie wagen, wer vermißt sich, mir's zu wehren?«
Dankte drauf mit Gruß und Handkuß kurz dem wohlgesinnten Greise
Und zum Schloß der Parisade unternahm er jetzt die Reise.

*           *
*

Mühsal und Entbehrung trotzend und Gefahren aller Arten
Kam er eines Morgens endlich vor den Feenfelsengarten.
Schritt gerade durch das Pförtchen, ohne links und rechts zu sehen.
Sah an einem Brunnenschachte Parisade lauernd stehen.
»Will Dir dienen!« rief er freudig. »Sprich! wofür willst Du mir dienen?«
»Will die Pfeile, die Du raubtest, will mein Glück damit verdienen.«
Und sie reicht' ihm einen Eimer, hieß ihn aus dem Grunde schöpfen
Und die Schätze von dem Kehricht scheiden in besondern Töpfen.
Den gewichtigen Eimer hob er baggernd aus dem schlammigen Bette,
Auf und nieder in dem Schachte klirrte die geschäftige Kette.
Wunderbare Zauberschätze blinkten aus dem dunklen Sode:
Schmuck und Waffen, Königskronen, Gold und köstliche Kleinode.
Welten rollten, Geister raunten in dem unterirdischen Flusse.
Doch sein einziger Gedanke zielte nach der Herrin Kusse.

Ob der harten Händearbeit schwanden unvermerkt die Stunden,
Bis er unverhofft im Eimer die drei Pfeile vorgefunden.
Urlaub bot ihm Parisade jetzt mit rätselhaften Blicken:
»Möge, was hinfort sich eignet, sich nach Deinem Wunsche schicken.«
Hastig, ohne zu bedenken, was der dunkle Spruch bedeute,
Flog er jubelnd aus dem Garten mit der heißerrung'nen Beute.
Als er durch die Wälder eilte, die den Zauberberg umranken,
Hört' er seinen Atem keuchen, spürt' er seine Kniee wanken.
Als er aus den grünen Schluchten eintrat in die Tageshelle,
Wies mit grauem Bart und Haupthaar ihm sein Ebenbild die Quelle.
Als er fern am Horizonte sah die trauten Heimatlande,
Traf er wieder einen Derwisch reitend nach dem Wüstensande.
»Hemme Deine Fahrt, o Derwisch,« bat er, »und ein Weilchen raste.
Steh mir Red' und Antwort: melde, hast Du Kunde vom Palaste?
Von Damaskus? Vom Kalifen? Von den stillen Marmorleuen?«
»Groß ist Allah!« rief der Derwisch, »lehre seinen Ratschluß scheuen!
Flammen sah ich aus Damaskus züngeln, blutige Glieder zucken!
Im Palaste des Khalifen hausen grimmige Seldschukken.
Thron und Treue, Recht und Satzung hat ihr krummes Schwert zersplittert,
Und im Staub die Marmorlöwen ruhn zertrümmert und verwittert.«

»Melde mir von meinen Brüdern von den muntern Janitscharen!«
»Liegen draußen auf dem Schlachtfeld, modern dort seit zwanzig Jahren.«
»Singe mir den Ruhm der schönen Dschems, der hehren, hoheitsvollen.«
»Ist verzogen mit dem Feinde, ist verdorben und verschollen.«
»O genug der bösen Botschaft! Will das Unheil nimmer enden?«
Und die trügerischen Pfeile wägend in den welken Händen:
»Dies für ein gestohlen Leben, das ich einsam durchgekostet:
Ein paar scharfe Widerhaken, übergiftet und verrostet!«
Auf den Boden warf er bitter die verräterischen Bolze.
Sieh, da quollen ekle Würmer wimmelnd aus dem faulen Holze.
Oede ward's in seiner Seele und vor seinen Augen wüste.
Weder Freunde, weder Heimat, nichts, was ihm sein Leid versüßte.
Eine Feder ließ er fliegen, welchen Wegs er sterben werde.
Doch die Luft war matt und träge und die Feder sank zur Erde.
So betrat er endlich traurig wiederum die alten Pfade
Und erschien gebeugten Hauptes abermals vor Parisade.

*           *
*

»Will Dir dienen,« seufzt' er trübe. »Sprich, wofür willst Du mir dienen?«
»Will Dir nicht um Lohn und Vorteil, will Dir Deinetwegen dienen.
Thöricht, wer um Menschenbeifall, wer um Weibesliebe handelt.«
Sieh, da war der Felsengarten in ein Paradies verwandelt.
Quellen sangen in den Büschen, in den Hainen Harfentöne
Und mit gnadenreichem Lächeln, hold, in überirdischer Schöne
Schlang um seinen müden Nacken ihre Arme Parisade.
Führt ihn nach dem Feenschlosse, wusch im würzigen Zauberbade
Ihn mit wunderthät'gem Balsam, der den Leib ihm jung verklärte.
Friede hatt' er da gefunden und sein Herzeleid verjährte.


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