Carl Spitteler
Balladen
Carl Spitteler

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Der falsche Bel.

               

Der König sprach zu Ben Hadad dem Herrn von Niniveh:
»Zweihunderttausend Memmen sind's vom Wirbel bis zu Zeh!
Ans Dir ruht meine Zuversicht, Du wagst's, Du wirst im Sturm
Die Fahne mit beherzter Faust pflanzen auf Tyrus' Thurm.«
Mit diesen Worten reicht' er ihm den goldnen Götzen Bel.
»O König, Deine Zuversicht, sie geht bei mir nicht fehl.«

Es sprach's der tapfere Ben Hadad, erhob das Götterbild,
Und hitzig stürmten hinter ihm die Syrer durchs Gefild.
Kleiner und immer kleiner wird der Streiter Zwischenkluft,
Von Schlachtgeschrei und Rossehuf erbebt die bange Luft.
Zum wirren Knoten mischen sich die beiden Heere kraus,
In dem lebendigen Knäuel pflügt des Todes Hippe graus.
Vorwärts und rückwärts setzt den Tritt der wilde Schlachtentanz.
Fernleuchtend strahlt darüber her der Bel im Sonnenglanz.
Schau, wie der Syrer Uebermacht sich auf die Mauer türmt!
Am Abend war der Feind zerschellt, die trotzige Burg erstürmt.

*           *
*

Doch als beim letzten Dämmerschein im Siegtrompetenchor
Durch eine Leichendoppelwand der König ritt durchs Thor,
Da lag der brave Fähnderich todwund im Mauerbruch
Und sterbend spie er seinem Herrn ins Angesicht den Fluch:

»Wer in des Todes Auge blickt, scheut Menschen nimmermehr.
Die Fahne, die Du mir geliehn zum Heldenkampf, schau her:
Gefälscht der Purpur, hohl das Holz, von Blech der goldne Bel!
Betrug grinst aus dem Götterbild und aus dem Schaft rinnt Mehl!
Nicht, daß mich mein geliebtes Weib oder mein Leben reut.
Hab' ich die Feinde je gezählt? Gefahren je gescheut?
Der bleiche Tod im blutigen Feld geschieht dem Krieger recht.
Doch sei der Ruhm von gutem Gold und sei die Ehre echt.«
Sprach's, wühlte durch den Leichenpfuhl nach einem Speer und schoß
Mit seiner letzten Lebenskraft den König tot vom Roß.


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