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Intermezzo im Schauspielhaus.

Die Mordsache Feldmarschalleutnant P. war geklärt, und auch die politische Lage in der gedrückten und bedrückten Stadt schien sich aufzuheitern.

Die Frankfurter gewöhnten sich langsam an den Gedanken, ihre Selbständigkeit zu verlieren, und in dem großen Verband des Königreichs Preußen Aufnahme zu finden. Allerdings war der Groll über die Kontribution und vor allem die preußischen Einquartierungslasten noch nicht ganz geschwunden. Der Ärger über das Pfund Fleisch, das jeder preußische Soldat nach wie vor täglich im Quartier zu bekommen hatte, vor allem aber die Wut über die acht Zigarren, die die Frankfurter Quartierwirte für ihre ungebetenen Gäste in einem staatlichen Magazin erst kaufen mußten, war noch zu frisch.

Man spielte im Schauspielhaus den ›Kaufmann von Venedig‹. Unten auf der Bühne forderte Shylock gebieterisch das ihm zustehende Pfund Fleisch. Im Zuschauerraum herrschte andachtsvolle Stille. Da brüllte von der höchsten Gallerie ein tiefer Baß: »Du schläächter Olwel! Vergeß net an dei acht Zigahn!«

Das dröhnende Gelächter, das im Haus ausbrach, verhinderte die Schauspieler minutenlang am Weiterspielen.

Auch Fastenrath saß mit Weberstädter, der am kommenden Morgen nach Berlin zurückreisen wollte, im zweiten Rang. Dr. Weberstädter, wie viele andere Preußen, war zuerst einen Augenblick sprachlos; dann aber brach er in dröhnendes Gelächter aus, konnte sich überhaupt nicht mehr beruhigen und verließ, sich immer noch vor Lachen schüttelnd, seinen Platz.

Als wenige Minuten später der Vorhang fiel, sah man in den Gängen, im Foyer, überall, schmunzelnde, vergnügte Gesichter. Am meisten lachten die anwesenden Preußen über den heiteren Zwischenfall. Eine ernste Stimmung, dem Charakter des Shakespeareschen Stückes entsprechend, konnte nicht mehr aufkommen.

In der Pause verließ auch der Polizeidirektor Dr. Schultheiß seinen Parkettplatz und ging nach dem ersten Rang hinauf. Aus einer Loge hörte er sich angerufen, blieb stehen und machte sofort eine tiefe Verbeugung. In der Logentür stand der Bankier Roth.

»Herr Direktor!« sagte Roth lächelnd. »Darf ich Sie einen Moment hereinbitten? Ich habe Ihnen eine wichtige, sehr interessante Mitteilung zu machen. Wissen Sie schon: Der König von Preußen schenkt der Stadt Frankfurt die ausgeschriebene Kontribution. Die 25 Millionen Gulden brauchen also nicht gezahlt werden. Ich bekam diese Mitteilung heute mittag telegrafisch über unsere Wiener Filiale.«

»Das ist allerdings eine fabelhafte und höchst erfreuliche Mitteilung, Herr Roth!« erwiderte Dr. Schultheiß erfreut. »Aber – Verzeihung – Herr Roth! Warum beeilen Sie sich, – – mir – gerade mir – diese Freude zu machen – –?«

Der Bankier legte den Kopf leicht auf die linke Seite und sah dem Polizeidirektor lächelnd ins Gesicht. Dann zwinkerte er mit den Augen:

»Vor mir, lieber Dr. Schultheiß, brauchen Sie kein Verstecken zu spielen. Die Stadt Frankfurt verdankt Ihnen in dieser Sache unendlich viel und sollte Ihnen später ein Denkmal setzten. Frau Dr. Klages hat gut gearbeitet, alle Hochachtung! – Ja, ja! Nur Beziehunge muß man habe! Beziehunge sind das halbe Leben! – Ich wette, Herr Doktor! In einigen Wochen sind Sie Polizeipräsident!«

Schultheiß fuhr in komischem Entsetzen zurück.

»Gott steh mir bei! Ausgeschlossen! – In vier Wochen, das heißt, wenn die Preußen das alte Frankfurter Polizeiamt in ein königliches Polizeipräsidium verändern, geht Wilhelm Sebastian Christian Schultheiß in die wohlverdiente Pension. Ich hab mich lange genug mit den Frankfurtern geärgert, mich jetzt noch von den Preußen ärgern lassen, nee, Herr Roth, dazu bin ich zu alt!«

»Falsch, Herr Doktor, grundfalsch!« meinte der Bankier lächelnd.

Schultheiß schüttelte traurig den Kopf. Dann ging ein leichtes Lächeln über sein faltiges, vergrämtes Gesicht.

»Nein, Herr Roth! Ich mach' unter den neuen Herren nicht mehr mit. Ich will nicht mehr! Aber, Sie bringen mich auf eine glänzende Idee. Ich werde den Polizeidiätar Fastenrath, den die Preußen übernehmen müssen, noch schnell zum Polizeiinspektor befördern lassen.«

»So so!« meinte der Bankier. »Sehr gut! Das ist doch, wenn ich nicht irre, der tüchtige Beamte, der die Mordsache Feldmarschalleutnant Poschacher aufgeklärt hat?«

Schultheiß lächelte diplomatisch.

»Nein, Herr Roth!« antwortete er. »Der tüchtige Mann, der die Sache klärte, war der preußische Kriminalkommissarius Dr. Weberstädter aus Berlin. Herr Fastenrath hat lediglich das Kunststück fertig gebracht, den an sich klaren Fall derart zu verkorksen, daß sich kein Mensch mehr zurecht finden konnte. Solche tüchtigen Leute gönne ich den Preußen. Herr Polizeidiätar Fastenrath wird Inspektor. Das ist der letzte Streich, den ich den Preußen vor meinem Abgang noch spielen kann!«

Der Polizeidirektor erhob sich und reichte dem Bankier die Hand.

»Ich will wieder hinunter ins Parkett, Herr Roth, Noch viel Vergnügen!«

Auf der Treppe lief Fastenrath seinem Vorgesetzten gerade in die Hände.

»N'Abend Fastenrath!« meinte der Senator schmunzelnd. »Ich habe Ihnen eine feine Mitteilung zu machen. Ich gab Sie heute zur Beförderung ein. Sie werden wohl in den nächsten Tagen schon zum Polizeiinspektor ernannt werden!«

Fastenrath fand nicht gleich die Antwort.

»Herr – – Direktor?!« stammelte er endlich. »Wie soll ich Ihnen danken? Diese glänzende Beförderung außer der Reihe, an die ich nie gedacht hätte, auch in meinen kühnsten Träumen nicht, die kommt doch wohl auf das Konto der Aufklärung Mordsache Feldmarschalleutnant P.?«

»Natürlich!« erwiderte der Senator toternst.

»Wenn wir Sie nicht gehabt hätten, mein lieber Fastenrath, läge der Fall noch genau so hoffnungslos wie vor vier Wochen!«

Fastenrath warf sich in die Brust.

»Natürlich! Sehr wohl, Herr Direktor!« sagte er. »Als ich das Distinktionssternchen in der Geldbörse Weberstädters sah, da war der Fall sofort für mich klar. Sonnenklar! Aber wir wollen nicht ungerecht sein, Herr Direktor. Gewisse, wenn auch nur geringe Verdienste in der Bearbeitung des Falles, kommen auch auf das Konto des Herrn aus Berlin.«

Schultheiß machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Was hat der Mann schon getan!« meinte er. »Doch wirklich kaum der Rede wert! Der Held des Tages sind Sie, Herr Fastenrath! Sie werden dieser Tage Inspektor; dafür garantiere ich Ihnen. Und wenn Sie in einigen Monaten von den Preußen übernommen werden, und die Preußen an einem derart fähigen Beamten noch lange Jahre ihre helle Freude haben, dann denke ich immer gern mit ganz besonderem Stolz an die Zeit zurück, wo ich selbst der hiesigen Polizei vorgestanden habe. – Es klingelt, Herr Fastenrath! Ich muß ins Parkett! Guten Abend, Herr Inspektor Fastenrath – –!«

Schultheiß verschwand im schon verdunkelten Parkett, und Fastenrath sprang trotz seines Enbonpoints und seiner Jahre wie ein Jüngling die Treppe hinauf zum zweiten Rang, um dem wartenden Berliner Kollegen die Mitteilung der bevorstehenden Beförderung zu machen. – – Geteilte Freude – ist doppelte Freude!

* * *


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