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Eine sensationelle Anzeige.

Senator Dr. Franz Schultheiß, der Polizeidirektor der freien Stadt Frankfurt, war schon kurz nach 8 Uhr im Polizeiamt erschienen und hatte sich sofort in sein Zimmer eingeschlossen.

Auf dem Frankfurter Polizeiamt herrschte seit einigen Tagen Hochbetrieb, vor allem in der Paß-Abteilung. Hier hatte der bevorstehende, große Krieg schon wochenlang seine düsteren Schatten vorausgeworfen. Hunderte von preußischen Staatsangehörigen und andere Ausländer bestürmten das Polizeiamt mit Anträgen auf Pässe, um das Gebiet der freien Stadt verlassen zu können.

Aber auch das Kriminalamt hatte erhöhten Dienst und verstärkte Arbeit. Allein die Spionenriecherei erforderte eingehende Recherchen, Festnahmen und Verhöre, und im Klapperfeld, dem damaligen städtischen Polizeigefängnis, saßen Dutzende von Verdächtigen, deren einziges Vergehen in dem durchaus auf Österreich eingestellten Frankfurt meistens nur darin bestand, entweder norddeutsch zu sprechen oder, was noch schlimmer war, öffentlich an den Sieg der preußischen Waffen zu glauben.

Die freie Reichsstadt Frankfurt besaß vor dem Ausbruch des Kriegs 1866 eine sogenannte Bundesgarnison, das heißt: außer dem eignen Frankfurter Militär, dem sogenannten Linienbataillon, lagen im Juni 1866: ein österreichisches Infanteriebataillon vom Regimente Nobili, fast ausschließlich Tschechen, das preußische Infanterieregiment Nummer 31, ein Bataillon Bayern, gelegentlich aber auch hessische und kurhessische Truppen, die alle verschieden uniformiert waren und auf ein anderes Reglement hörten. –

Auffallend war die große, äußere Ähnlichkeit zwischen Frankfurter Truppen und Preußen. Man mußte schon genau zusehen, um diese beiden Kontingente auseinander halten zu können. Die Frankfurter trugen den gleichen, blauen Waffenrock mit roten Kragen genau wie die Preußen, auch die gleiche Pickelhaube und hatten sogar eine ähnliche Helmverzierung wie die Preußen, einen Adler.

Die Österreicher waren an ihren weißen, die Bayern an ihren hellblauen Röcken erkennbar; Hessen-Darmstädter und Kurhessen gingen wieder ähnlich gekleidet wie die Preußen.

Als die Preußen kurz vor Kriegsbeginn nach Wetzlar abzogen, rückten bald die ersten Kontingente des achten Bundeskorps ein, das gegen die Preußen unter dem Oberbefehl des Prinzen Alexander von Hessen kämpfen sollte. Der Prinz war bereits in Frankfurt eingetroffen, im Hotel Englischer Hof abgestiegen; und die Anwesenheit dieses hohen Herrn vermehrte wieder die Arbeit des Polizeidirektors, der trotz des anwesenden Militärs ein gut Teil der Verantwortung für die Sicherheit des Prinzen zu tragen hatte.

Die zahlreichen preußischen Spione, die man überall in Frankfurt vermutete, konnten möglicherweise auch Attentatsabsichten im Schilde führen.

Dr. Schultheiß hatte sich vor seinem Schreibtisch niedergelassen, der kaum ein freies Plätzchen aufwies, die ganze Tischplatte war mit Berichten, Aktenfaszikeln, geschriebenen und gedruckten Verfügungen bedeckt.

Schultheiß kramte umständlich, fast widerwillig unter den Papieren und nahm endlich eine lange Liste zur Hand, eine Aufstellung von, wie es hieß, ›suspekten Personen norddeutscher Provenienz‹.

In diesem Augenblick klopfte es, und der Schreiber im Vorzimmer, ein kleines, altes Männchen, streckte seinen Kopf zur Tür herein. Als der Polizeidirektor unwillig auffahren wollte, schloß der Schreiber sofort die Tür und legte seinen rechten Zeigefinger auf den Mund.

»Herr Senator!« sagte er. »Verzeihung, daß ich störe, aber draußen steht der Rittmeister von Terzky, der Adjutant des Feldmarschalleutnants von Poschacher. Er bittet um einige Augenblicke Gehör. – –«

»Was will der Mann?« fragte der Polizeidirektor ärgerlich.

»Ich kann mich hier vor Arbeit nicht retten – und ausgerechnet jetzt Besuche – –?!«

»Es scheint sich um eine wichtige Sache zu handeln, Herr Senator. Der Herr Rittmeister ist sehr erregt!«

»Dann lassen Sie ihn in Gottes Namen eintreten, Müller!«

Der Schreiber öffnete die Tür. Draußen klirrten bespornte Stiefel; ein junger Mann in österreichischer Uniform trat schnell ein.

Er trug den weißen Rock der k. & k. Offiziere, und ein genauer Beobachter – und das war Dr. Schultheiß – konnte sofort sehen, daß der Offizier Bringer einer wichtigen und anscheinend auch unangenehmen Mitteilung sein mußte.

Dr. Schultheiß hatte sich erhoben und deutete auf einen Sessel neben seinem Schreibtisch.

»Herr Rittmeister von Terzky, darf ich bitten! – Was verschafft mir die Ehre – –?«

Der Rittmeister nahm Platz, stellte den Degen mit dem breiten Korb und dem glänzenden, gelben Portepee zwischen die Beine.

»Herr Direktor,« sagte er, »ich bedauere, Sie so früh stören zu müssen, aber – – – ein furchtbares Unglück – – ist geschehen. – – – Der Feldmarschalleutnant von Poschacher wurde – – vor einer Stunde – – – in seinem Wohnzimmer tot – – aufgefunden. – Er – – – ist – – ermordet – – worden – – – – –!«

Dr. Schultheiß fuhr erschrocken einen Schritt zurück.

»Allmächtiger!« rief er. »Ermordet – – – der – Feldmarschalleutnant – – – –?!«

Der österreichische Offizier erhob sich wieder.

»Jawohl!« antwortete er fest. »Ermordet durch einen Stich von hinten – – mitten ins Herz. Wir vom Armeekommando haben bereits getan, was zu tun war. Ich erstatte hiermit offiziell Meldung an die zivile Polizei.

Ich nehme an, daß Sie mich sofort in die Bleichstraße nach der Wohnung des Ermordeten begleiten – – –?«

»Selbstverständlich! Natürlich! Einen Moment bitte! – – Müller – – –!«

Der Schreiber erschien sofort unter der Tür.

»Benachrichtigen Sie sofort den Polizeidiätar Fastenrath!«

»Wartet schon draußen, Herr Direktor!«

»Umso besser! – Sofort hereinkommen! – –

Tag Herr Fastenrath! – Der Herr Rittmeister von Terzky ist Ihnen ja bekannt, Fastenrath. Wir müssen sofort in die Bleichstraße – eine Amtshandlung vornehmen. Der Feldmarschalleutnant von Poschacher ist ermordet worden – – –!«

Der Polizeidiätar, ein Mann von etwa 50 Jahren mit einem breiten, geröteten, gutmütigen Gesicht verbeugte sich.

»Die Tatsache ist mir schon bekannt, Herr Senator! Ich stehe sofort zur Verfügung. Soll ich einige Polizisten mitnehmen?«

Dr. Schultheiß schien einen Augenblick zu überlegen.

Der Rittmeister griff ein. »Wenn ich mir eine Bemerkung gestatten darf, Herr Direktor: eine polizeiliche Begleitung dürfte, wenigstens im Augenblick, kaum nötig sein. Die notwendigen Absperrungen, Sicherung des Tatortes und, was sonst geboten schien, ist bereits von uns aus veranlaßt worden. Im Hause liegt auch eine Wache vom Bataillon Nobili, sodaß Sie jederzeit Boten oder Ordonnanzen zur Verfügung haben. Außerdem steht mein Wagen unten, wir können, wenn Sie befehlen, sofort abfahren – –!«

Der Polizeidirektor griff wortlos nach seinem Hut. Fastenrath öffnete die Tür, und die drei Männer stiegen die Treppe hinab.

Unten in der engen, dunklen Karpfen-Gasse wartete eine Equipage mit einem österreichischen Soldaten auf dem Bock; ein anderer Österreicher saß, das Gewehr umgehängt, neben dem Kutscher.

Die Fahrt ging aus der Altstadtgasse hinaus, über den Römerberg – nach der Zeil. Der Polizeidirektor stellte keine Fragen und sah mit finsteren Blicken auf die belebte Hauptstraße, wo sich das Geschäftsleben trotz Kriegsgefahr und Kriegsgeschrei in fast normaler Weise abwickelte. Dann bog der Wagen in schneller Fahrt in die Große Eschenheimerstraße ein, vorbei am Thurn und Taxischen Palais, wo die Bundesversammlung tagte; schon kam im Hintergrunde der Straße die hohe Silhouette des Eschenheimer Turms in Sicht. Rechts lag die Bleichstraße, und wenige Schritte von der Alte-Gasse entfernt war das Haus, das dem Feldmarschalleutnant von Poschacher als Quartier gedient hatte. – Als der Wagen hielt, präsentierte der Posten vor seinem schwarzgelb gestrichenen Schilderhaus.

Die beiden Männer betraten mit dem Offizier das Patrizierhaus, das dreistöckig auf einen großen, gepflegten Garten sah. Dieser führte nach den Anlagen, die an Stelle der ehemaligen Festungswälle die ganze Innenstadt mit einem breiten, grünen Gürtel umsäumten.

Im Flur des Hauses trat den drei Männern ein österreichischer Korporal entgegen, der sofort vor dem Rittmeister ›Habt acht‹ – Stellung nahm und salutierte.

Rittmeister von Terzky stellte eine Frage in tschechischer Sprache und erhielt eine Antwort, die die beiden Frankfurter Beamten natürlich nicht verstanden.

Der Rittmeister wandte sich erklärend an den Polizeidirektor: »Es hat sich inzwischen nichts ereignet, meine Herren! Der unglückliche Feldmarschalleutnant liegt noch so, wie er gefunden wurde, in seinem Arbeitszimmer. Das Zimmer ist von mir sofort verschlossen worden; ich habe auch eine Wache vor die Tür beordert. Kein Mensch hat den Tatort betreten, auch der Arzt noch nicht – –!«

»Sehr klug, Herr Rittmeister!« beeilte sich Dr. Schultheiß zu versichern. »Wir finden also, wenn ich so sagen darf, einen durchaus jungfräulichen Tatort – –?«

»Jawohl!«

»Schön, Herr Rittmeister! Ich habe es bisher vermieden, absichtlich vermieden, irgendwelche Fragen zu stellen, was Sie weder als Teilnahmslosigkeit noch gar als Unhöflichkeit auslegen wollen. Mir ist es darum zu tun, erst einmal den Tatort als solchen zu besichtigen. Herr Fastenrath, der als zuständiger Sachbearbeiter die Ermittlungen zu führen hat, wird dann wohl eine ganze Anzahl von Fragen an Sie zu stellen haben. Ich wäre Ihnen zu Dank verpflichtet, Herr Rittmeister, wenn Sie sich für die nächsten Stunden zur Verfügung halten würden.«

»Aber selbstverständlich, Herr Direktor! Ich habe auch einige wichtige Zeugen, die vielleicht etwas aussagen können, bereit gehalten. Auch der Arzt ist schon da. Sie, Herr Direktor, beziehungsweise Ihr Beauftragter haben nur die eventuellen Wünsche zu präzisieren.«

»Ganz ausgezeichnet, Herr Rittmeister! Darf ich nun bitten, uns den Tatort zu zeigen – –!«

Die drei Männer stiegen die breiten Steintreppen zum ersten Stock empor. Der Korporal nahm erneut seinen Platz hinter dem hohen Portal, das das Haus nach der Bleichstraße abschloß, ein. Vor der Vorplatztür zum ersten Stock stand wieder eine Militärwache.

»Aufschließen!« befahl der Rittmeister.

Die Drei betraten die Wohnung.


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