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Als der Polizeidiätar Fastenrath mit seinem Kollegen, dem Polizeisupernumerar Hildebrand von der Paßstelle, am kommenden Tage nach dem Allerheiligen Tor hinauspilgerte, waren die Straßen der Stadt wieder sehr belebt.
Vom Domturm aus hatten die beiden Polizeibeamten mit vielen anderen Neugierigen den Einmarsch der Preußen erwartet. Im Süden, über dem Main, vor der Vorstadt Sachsenhausen blitzten die Bayonette der preußischen Infanterie durch den aufgewirbelten Staub der nach Darmstadt führenden Landstraße. Dort, in der Nähe der Riederhöfe, sammelte sich am Nachmittage des 16. Juli die preußische Armee zum Einmarsch nach Frankfurt, schwenkte dann östlich ab, und, als sich die langen Kolonnen in Bewegung setzten, eilten die beiden Polizeibeamten auf die Straße, um den Einmarsch aus nächster Nähe besichtigen zu können.
An allen Straßenecken klebten noch die alten Proklamationen des Senats, denen eine zweite gefolgt war. In dieser war der Einmarsch der königlich preußischen Truppen angezeigt. Der Senat ermahnte die Bevölkerung zur freundlichen Aufnahme dieser Truppen, deren musterhafte Disziplin ja bekannt sei.
Die Straßen von der Zeil bis zum Allerheiligen Tor waren dicht mit Neugierigen besetzt, meist Angehörige der niederen Klassen. Das Bürgertum saß in seinen Läufern und verhielt sich ängstlich passiv. Auffallend waren die vielen ausländischen Flaggen, die auf Frankfurter Bürgerhäusern wehten. Wer irgendwelche Beziehungen zu ausländischen Staaten unterhielt, zog dessen Flagge auf. Vor allem legten die vielen Konsuln den größten Wert darauf, sich unter den ›Schutz‹ des von ihnen vertretenen Staates zu stellen. Hier sah man die englischen und holländischen Streifen, dort die Flaggen von Honduras, Paraguay und San Salvador, Staaten, die vielen Frankfurtern noch nicht einmal dem Namen nach bekannt waren.
Die Neue Frankfurter Zeitung, deren Geschäftsleitung und oberster Redaktionsstab nach Stuttgart geflohen war, wo die Zeitung weiter redigiert und gedruckt wurde, hatte ihre Druckerei an einen Bürger der Vereinigten Staaten verkauft, und vom Dach der Geschäftsstelle in der Großen Eschenheimerstraße wehten stolz und für viele Frankfurter nicht ganz verständlich, die Streifen und Sterne Amerikas.
Kurz nach 7 Uhr abends kam Bewegung in die wartende Menge. Vom Ostbahnhof her sprengte eine preußische Husarenpatrouille, zehn Mann von einem Offizier geführt, durch das Allerheiligen Tor. – Das Frankfurter Linienmilitär, das nach wie vor Wachtdienst versah, machte die Honneurs, aber die Preußen nahmen keine Notiz von den ›feindlichen‹ Truppen und sprengten, ohne sich um die zahlreichen Neugierigen zu kümmern, in scharfem Tempo nach der Konstabler-Wache. Eine viertel Stunde später sah man vor dem Tor eine Staubwolke aufwirbeln und hörte lustige Marschmusik. – Der Einmarsch der Preußen begann.
Weder für Fastenrath, für seinen Kollegen Hildebrand, noch für die zahlreichen Neugierigen bedeutete der Anblick der Preußen, die ja lange genug zur Bundesgarnison von Frankfurt gehörten, etwas Neues. Auch der Preußenmarsch, den die einrückenden Kürassiere schmetterten: ›Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben,‹ war mindestens ebenso bekannt wie das Prinz Eugen-Lied, der Radetzky- oder Bayerische Defiliermarsch. Mit unverhohlener Neugierde wurden aber die preußischen Generale begafft, die vor ihrem Stabe stolz und mit dem Gefühl des Siegers in die Stadt einritten.
Der kleine, schmale Offizier, der mit seiner Brille wie ein Gelehrter wirkte, war General von Soeben; neben ihm ritten die Generäle von Treskow und von Wrangel; und der Offizier auf dem Schimmel, mit dem braunen, schon graumelierten Vollbart war Vogel von Falckenstein, der Sieger in zahlreichen Schlachten und Gefechten.
Stundenlang währte der Einzug der Preußen. Nach den Kürassieren kamen Husaren und berittene Artillerie, dann Infanteristen: 55er und 15er. Am Roßmarkt nahm der Oberkommandierende, General Vogel von Falckenstein, vom Balkon seines Quartiers im Hotel Englischer Hof aus, das sofort zum Hauptquartier der preußischen Mainarmee ernannt wurde, die Parade ab, und dann verteilten sich die Truppen auf ihre Quartiere und besetzten die Wachen.
Das Frankfurter Militär wurde in einer Kaserne ›consigniert‹ und einige Tage später aufgelöst. Die Preußen traten, wenn sie sich auch durchwegs höflich benahmen, schon am ersten Abend als rücksichtslose Sieger in einer eroberten Stadt auf. Die Einquartierung klappte nicht, da der Senat keine Ahnung von der Zahl der unterzubringenden Truppen gehabt hatte, und sich die preußischen Offiziere auch herzlich wenig um die Anweisungen des Senats kümmerten.
Die Truppen stürmten die ersten besten Läufer, die teilweise bis unter die Dächer belegt waren. Wenn ein Hausbesitzer, der sich vor dem Andrang der Preußen gar nicht mehr retten konnte, seine Haustür verschloß, wurde die Tür einfach mit Seitengewehren aufgebrochen. – Die Einwohner der Stadt, auch die im Westen und Norden wohnenden, die dadurch vorerst von Zwangseinquartierung befreit waren, erlebten durchwegs eine schlaflose Nacht.
Die Bahnhöfe, die Post, sämtliche öffentlichen Gebäude wurden sofort militärisch besetzt. Die Zugänge zu den Bahnhöfen waren ganze Straßen lang mit aus Stroh bivakierenden Truppen, Geschützen, Pferden und Bagagewagen angefüllt. – An der Hauptwache standen zwei scharfgeladene Kanonen, die die Zeil, die Hauptstraße, bestreichen konnten.
An allen Ecken der Straßen prangte schon am Morgen des 17. Juli die erste preußische Proklamation:
Die Regierungsgewalt über das Herzogtum Nassau, die Stadt Frankfurt mit derem Gebiet sowie über die von mir occupierten Teile des Königreichs Bayern und des Großherzogtums Hessen geht zur Zeit auf mich über.
Die in den genannten Ländern fungierenden Verwaltungsbehörden verbleiben vorläufig in ihrer Stellung, haben aber fortan allein von mir Befehle anzunehmen, deren präziser Ausführung ich entgegensehen will.
Hauptquartier Frankfurt, 16. Juli 1866.
Der kommandierende General der Mainarmee:
von
Falckenstein.
Die Frankfurter hatten schon wieder so viel Humor, um über das schöne ›preußische‹ Deutsch des Schlußsatzes herzlich lachen zu können; aber der Humor verging ihnen in den nächsten Tagen.
Der kommandierende General Vogel von Falckenstein hatte sich am 17. Juli morgens frühzeitig erhoben. In seinem Vorzimmer warteten bereits Adjutanten, Meldeoffiziere und der Auditor des preußischen Generalstabs.
Als der General erschien, flogen die Hände der Offiziere an die Helmschienen. Der General hatte einen großen Zettel in der Rechten. Er war ernst, kurz angebunden; man sah diesem Mann an, daß er wußte, was er wollte.
»Meine Herren,« sagte er, »wir haben eine Menge Arbeit vorliegen. Zuerst wollen und müssen wir einmal der Presse den Schnabel stopfen. Die Neue Frankfurter Zeitung wird sofort geschlossen, trotz des Sternenbanners. (Der General lächelte.) Das Sternenbanner geht uns nichts an. Die Redakteure sind festzunehmen und hierher zu bringen.
Ferner sind der Senator Dr. Bernus sowie der Senator Dr. Schultheiß, der dem Polizeiamt vorsteht, zu verhaften. Der preußische Premierleutnant von Sartorius wird sofort auf Ehrenwort freigelassen und hat sich um 10 Uhr hier bei mir zu melden. Ebenso melden sich hier sämtliche verantwortlichen Redakteure der Frankfurter Journale.
Dann will ich im Laufe des Morgens den Bürgermeister persönlich sprechen. Weiter ist dafür Sorge zu tragen, daß die Requisitionen, genau wie vor einigen Wochen in Hannover, ausgeschrieben und rücksichtslos eingetrieben werden.
Das ist vorerst alles! – Ich danke Ihnen, meine Herren!«
Der General ging mit seinem Stabe in den heute vollkommen leeren Speisesaal zum Frühstück. Eine halbe Stunde später wurden die Befehle des Generals bereits ausgeführt. Ein halbes Dutzend Offizierspatrouillen eilten in verschiedenen Richtungen davon. – –
Im Zimmer Nr. 23 des Hotels zum Englischen Hof hatte sich der Auditor Dr. Grundmeyer eingerichtet. Sein Schreiber, ein Infanterieunteroffizier vom. 15. preußischen Infanterieregiment, schnitt Gänsekiele zurecht und legte die Protokollbogen bereit. – Daß der heutige Tag Arbeit brachte, wußte er genau.
Punkt 9 Uhr erschien der Hauptmann von Klipstein. – Der Auditor lachte.
»Aha, Herr Hauptmann!« sagte er. »Sie bringen die verhafteten Zeitungsschreiber?«
»Nee, leider nicht!« sagte der Hauptmann ärgerlich lachend.
»Geben Sie mir doch mal bitte 'nen Schnaps, aber 'nen gehörigen! – Det war man 'ne jesunde Plagerei. Die Leute von der Neuen Frankfurter, auf die ich am meisten scharf war, sind rechtzeitig jetürmt. – Weg! – Was ich erwischen konnte, sind zwei anscheinend untergeordnete Redakteure, die hab' ich man auf jeden Fall verhaftet. Sie warten draußen – – –!«
»Wir werden sie natürlich verhören. – Der General wird sich ärgern, daß die anderen durchgegangen sind!«
»Ich kann's aber nicht ändern. Alles weg: der Herr Verleger, seine Geschäftsführer und sämtliche Verantwortlichen von der Offizin und Redaktion. Die Verantwortlichen der übrigen Frankfurter Zeitungen sind teilweise schon draußen und warten.«
»Sollen warten!« entschied der Auditor. »Bitte, Unteroffizier, holen Sie mal die zwei Herren von der Neuen Frankfurter herein!«
Zwei Herren in mittleren Jahren erschienen und blieben an der Tür stehen. Der Auditor musterte sie scharf, fand aber keinen Grund, unhöflich zu sein, denn die beiden machten ihm eine höfliche wenn auch kurze Verbeugung.
»Treten Sie bitte näher, meine Herren!« sagte er. »Sie sind beide Redakteure bei der Neuen Frankfurter Zeitung! – Ihre Namen bitte? – – –«
»Hermann!« sagte der Eine.
»Dominik!« erwiderte der Andere.
»Worin bestanden Ihre Funktionen? – Ich weiß bereits, daß Sie keine Politiker sind; also sprechen Sie ungeniert!«
»Ich habe in der Handelsredaktion gearbeitet!« erwiderte Hermann.
»Und ich,« erklärte Dominik, »habe aus englischen Blättern feuilletonistische Übersetzungen hergestellt – –.«
Die Feder des Schreibers kratzte über das Papier.
»Wer sind denn nun eigentlich die Leute, die seit Jahren die antipreußischen Schandartikel geschrieben haben – –?«
Dominik antwortete: »Ich nehme an, daß Sie von unseren Kollegen sprechen, die in der politischen Redaktion gearbeitet haben. – Das waren die Herren Braunfeld, Kolb und Sonnemann!«
»Warum sprechen Sie in der Vergangenheit? – Sind sie's nicht mehr?«
»Im Augenblick jedenfalls nicht, Herr Auditor!« erwiderte der Redakteur und konnte ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken. »Diese Kollegen sind einstweilen auf Urlaub gefahren.«
»Das heißt, rechtzeitig ausgerückt?« meinte der Auditor und mußte lachen.
»Wenn Sie es selbst so nennen, möchte ich nicht gern widersprechen!«
»Wissen Sie, wo die Herren zur Zeit stecken?«
»Ich habe keine Veranlassung, die Unwahrheit zu sagen. Meine Kollegen sind dort, wo sie – wenigstens im Augenblick noch – vor jedem Verhör durch preußische Beamte in Sicherheit sind – in Stuttgart.«
»Tscha!« machte der Auditor. »Da ist nichts zu machen. Sie müssen hier das Protokoll unterschreiben und bleiben vorerst noch in Haft. Was der General mit Ihnen vorhat, weiß ich nicht!«
Die beiden Redakteure setzten ihre Unterschriften unter das Protokoll und gingen. –
»Wir konnten den Senator Dr. Bernus im Rathaus festnehmen und auf die Hauptwache bringen. Der Polizeisenator Dr. Schultheiß ist ebenfalls vor einer halben Stunde in seiner Wohnung verhaftet worden. Er sitzt ebenfalls auf der Hauptwache!«
»Danke, Herr Premierleutnant! Sorgen Sie bitte dafür, daß der Senator Dr. Schultheiß in einer halben Stunde hierher zum kommandierenden General gebracht wird! –
Unteroffizier, jetzt holen Sie die gesamten Frankfurter Zeitungsleute in corpore hierher!« – –
Eine halbe Stunde später betrat der Adjutant das Zimmer des kommandierenden Generals Vogel von Falckenstein.
»Der Senator Dr. Schultheiß vom Polizeiamt, aus der Haft vorgeführt, wartet draußen!«
»Ist der Premierleutnant von Sartorius auch bereits anwesend?«
»Jawohl, Herr General!«
»Dann lassen Sie beide eintreten! Zuerst den Senator, dann, wenn ich befehle, den Premierleutnant!«
Dr. Schultheiß erschien. Er machte dem General eine knappe Verbeugung und blieb, eine Anrede erwartend, an der Tür stehen.
Vogel von Falckenstein sah den Senator scharf an.
»Sie sind der hiesige Polizeidirektor?« fragte der General hart.
»Jawohl, Herr General!« erwiderte Schultheiß ruhig, aber man merkte ihm die innere Erregung unschwer an. »Man hat mich vor einer Stunde in meiner Wohnung verhaftet; gleichzeitig wurde auch mein Kollege Dr. Bernus mitten aus dem Kreis seiner Beamten aus dem Römer herausgeholt.
»Ich muß gegen jede Beeinträchtigung meiner Freiheit Verwahrung einlegen und Sie höflich bitten, Herr General, mir die Ursache der über mich verhängten Maßregel mitzuteilen.«
Vogel von Falckenstein trat dicht auf den Senator zu.
»Ich habe Sie hierher kommen lassen, um Ihnen die Gründe Ihrer Verhaftung bekannt zu geben. Herr Dr. Bernus ist festgenommen worden, damit ihm während der Okkupation durch meine Truppen jede Gelegenheit genommen ist, seine sattsam bekannte, preußenfeindliche Gesinnung zur Geltung zu bringen. Aus den gleichen Gründen mußte ich auch Ihre Festnahme verfügen, Herr Dr. Schultheiß!
»Glauben Sie aber nicht, daß ich Sie ins Gefängnis stecken lasse, um Ihnen beiden den billigen Ruhm eines Märtyrers zu verschaffen. Frankfurt ist seit gestern preußisch und wird preußisch bleiben; und eventuellen preußenfeindlichen Maßnahmen werden wir schon entgegenzutreten wissen. Herr Dr. Bernus wird in einer Stunde aus der Haft entlassen, verläßt aber Frankfurt und meldet sich gegen Verpfändung seines Ehrenwortes innerhalb 24 Stunden beim Kommandanten der Festung Köln.
»Ihre Festnahme, Herr Senator Schultheiß, ist aus den gleichen Gründen erfolgt, es kommt aber bei Ihnen noch eine zweite Sache hinzu. Ihre Organe haben einen preußischen Offizier festgenommen und bis jetzt, ohne ihm den Prozeß gemacht zu haben, widerrechtlich in Haft gehalten. Stimmt das – –?«
»Ja und nein, Herr General! – Ich bin sehr gern bereit, Ihnen jede gewünschte Auskunft oder Erklärung über diesen auch mir sehr peinlichen Fall zu geben, muß aber erst die Frage stellen: bin ich noch Gefangener, oder rede ich als freier Mann, als Beamter der Stadt Frankfurt, zu Ihnen – –?«
Vogel von Falckenstein schwieg einen Augenblick. Nach einer kurzen Pause antwortete er:
»Was ich in Bezug auf Dr. Bernus sagte, gilt auch für Sie! Märtyrer zu schaffen habe ich keine Lust. Auch Sie sollten in einer Stunde entlassen werden!«
»Dann stehe ich zur Verfügung, Herr General! – Der Premierleutnant von Sartorius ist von meinen Organen festgenommen worden unter dem dringenden Verdacht, einen österreichischen Offizier ermordet zu haben.«
»Es läuft doch auch gegen ihn ein Verfahren wegen Spionage?« fragte der preußische General lauernd.
»Nein, Herr General!« antwortete Dr. Schultheiß fest. »Diese Sache geht uns nichts an. Das ist eine Angelegenheit der Österreicher. Wir sind nur für die kriminelle Angelegenheit zuständig. – Wenn ich weiter reden darf, Herr General, dann will ich auch den ersten gemachten Vorwurf gleich entkräften, die absichtliche Verschleppung betreffend. – Herr General, ich gebe zu, daß die Aburteilung schneller hätte erfolgen können, aber die Verschleppung wurde von unseren Gerichten nach Rücksprache mit mir bewußt betrieben. Bis vor wenigen Tagen stand Frankfurt noch unter dem starken Einfluß der Österreicher. Die Spionagesache ist durchaus bewiesen, und die Österreicher hätten nach Kriegsgebrauch das Recht gehabt, den ertappten Spion an die Wand zu stellen. Das wissen Sie als Soldat besser als ich, Herr General. Die Preußen hätten nicht anders gehandelt. Mir und meinem Kollegen Leyendecker, der seinen Urlaub augenblicklich in Wildbad verbringt, war es aber darum zu tun, den Premierleutnant aus den Klauen der habsburgischen Schergen zu reißen; und nur deshalb beeilten wir uns mit der Aufklärung der Mordsache nicht. So lange wir Herrn von Sartorius in Händen hatten, konnten ihn die Österreicher nicht erschießen.«
Vogel von Falckenstein lachte spöttisch auf.
»Nach Ihren Darstellungen müßten wir uns dann ja sogar noch bedanken, daß Sie einem unserer Offiziere das Leben gerettet haben – –?!«
Dr. Schultheiß mußte innerlich lachen, machte aber ein toternstes Gesicht. Frechheit verlaß mich nicht! dachte er; laut aber antwortete er: »Selbstverständlich Herr General!«
»Köstlich!« rief der General. »Aber gut, Herr Doktor! Ich will diese Entschuldigung bedingt gelten lassen, wenn ich sie auch nicht ganz glaube. Herr von Sartorius steht draußen. Die Spionagesache zum Schaden Österreichs geht mich gar nichts an.«
»Was ich durchaus verstehe, Herr General!« fiel Schultheiß etwas spöttisch ein. »Herr von Sartorius ist frei! Wir haben keine Macht mehr über ihn. Der Mordfall Feldmarschalleutnant von Poschacher muß ad acta gelegt werden, wobei ich natürlich anheimstelle, die Angelegenheit durch Ihren Militärauditor weiter verfolgen zu lassen. Nach den preußischen Gesetzen habe ich über einen preußischen Offizier keine Rechte. Das Weitere dürfte Sache der preußischen Militärgerichtsbarkeit sein – –!«
»Halt! – Einen Moment!« rief der General. »Ganz stimmt die Sache nicht. Herr von Sartorius ist aus dem Verbande der preußischen Armee bis auf Weiteres ausgeschieden. Als er eine, na, sagen wir mal, diplomatische Mission in Hannover übernahm, mußte er den Dienst quittieren. Das ist in allen Armeen so üblich, Herr Doktor. Aber ich verstehe durchaus, daß die verfahrene Geschichte mit dem Mordfall Ihnen mehr als peinlich ist. So leicht werden Sie die Sache aber nicht los. Ich kenne die Akten nicht und weiß auch nicht, auf welche Indizien sich die Anklage gegen Sartorius stützt. Ich weiß nur so viel, Herr Senator, daß auch bei uns in Preußen Gerechtigkeit und Unparteilichkeit gegen jedermann der wichtigste Grundsatz ist. Einen Verbrecher, einen Mörder der Verantwortlichkeit zu entziehen, ist nicht unsere Sache, Herr Dr. Schultheiß. Ist Sartorius schuldig, dann muß er bestraft werden. Aber diese Schuld haben Sie ihm nachzuweisen, und zwar, wenn ich bitten darf, jetzt mit etwas mehr Nachdruck und Eifer als bisher – – –!«
»Herr General haben nur zu befehlen!« erwiderte der Senator geschmeidig.
»Ich habe,« fuhr Vogel von Falckenstein fort, »zu der Gerichtsbarkeit der freien Stadt Frankfurt herzlich wenig Vertrauen. Was Sie mir vorhin erzählten, kann wahr sein; es kann auch unwahr sein; und in der Lage, in der Sie sich augenblicklich befinden, könnte ich Ihnen einen kleinen Schwindel nicht einmal besonders verübeln!«
»Herr General – –!«
»Ich wiederhole: Ihre Erklärungen können auch wahr sein. Ich lege aber aus vielerlei Gründen Wert darauf, die Sache, die nun einmal verschleppt ist – warum, soll nicht weiter untersucht werden – aufs schnellste zu klären. – Sie sind frei, Herr Senator! Sie führen, genau wie andere Beamten, unter dem Kommando der preußischen Besatzung Ihre Dienstgeschäfte weiter. Erwarten Sie in den nächsten Tagen einen preußischen Beamten, der in meinem Auftrage die Untersuchung in der Mordsache von Poschacher in die Hände nimmt. Den Anordnungen dieses Herrn ist unbedingt Folge zu leisten. – Bin ich verstanden, Herr Senator?«
»Durchaus; Herr General beliebten sehr deutlich zu sprechen!«
»Umso besser!« erwiderte Vogel von Falckenstein etwas gallig.
»Guten Morgen, Herr Senator!«
Dr. Schultheiß verbeugte sich und verließ das Zimmer.
»Das ist ja ein netter Grobian!« murmelte er draußen auf dem Gang. Dann beeilte er sich, in die Katharinenpforte einzubiegen, und schlug den Weg nach dem Polizeiamt ein.