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Ein starrköpfiger General.

Vor dem Oberkommandierenden General Erwin von Manteuffel, der ebenfalls sein vorläufiges Hauptquartier im Hotel Englischer Hof aufgeschlagen hatte, stand der Adjutant.

»Die Forderung von 25 Millionen hat wie eine Bombe eingeschlagen, Exzellenz!« meinte er.

»Gut so!« erwiderte Manteuffel mit grimmigem Auflachen. »Wir handeln nach Kriegsrecht, und gerade der Frankfurter Pöbel soll und muß die harte Faust des Siegers spüren.«

»Ob die Forderung nicht doch zu hoch ist?« meinte der Adjutant ein wenig bedenklich. »Frankfurt wird unter allen Umständen annektiert werden. In wenigen Wochen ist es eine preußische Stadt, und wir dürfen den Bogen schließlich nicht überspannen!«

Manteuffel strich seinen breiten, graumelierten Vollbart, den er ähnlich trug wie das große Vorbild aller höheren preußischen Offiziere, der allseits verehrte Kronprinz. Der General legte die Hände auf den Rücken und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab. Plötzlich blieb er unmittelbar vor dem Adjutanten, Hauptmann von Dietrich, stehen.

»Mein lieber Hauptmann Dietrich!« sagte er ruhig, aber hart. »Das Geld muß beigetrieben werden. Ich lasse keinen Kreuzer nach. Die Frankfurter sollen froh sein, daß ich diese 25 Millionen in ihrer Währung, also in Gulden, fordere und nicht unsere Thalerwährung als Einheit annehme; dann hätten die Geldsäcke nämlich 43 Millionen Gulden blechen müssen.«

Der Adjutant lächelte.

»Wir dürfen aber nicht vergessen, Exzellenz, daß schon rund sechs Millionen Gulden zuzüglich zwei Millionen für Naturalien gezahlt wurden, und zwar anstandslos, und daß die Summe nur auf die Frankfurter Bürger und nicht auf die zahlreichen hier wohnenden Fremden umgelegt werden kann. Das gibt auf den Kopf einer Bevölkerung von vielleicht 50 000 Seelen eine ganz erhebliche Summe.«

Manteuffel fuhr ärgerlich auf.

»Ich verstehe nicht, wie gerade Sie dazu kommen, sich zum Anwalt der Frankfurter aufzuwerfen?«

»Tue ich ja gar nicht, Exzellenz!« erwiderte Hauptmann von Dietrich. »Aber draußen sind schon wieder die beiden Regierungsbevollmächtigten, der ehemalige Bürgermeister Fellner und der Senator Dr. Müller, und bitten dringend, nochmals in der Angelegenheit Kontribution empfangen zu werden. Die Herren erklären, daß die Zahlung dieser Summe einfach unmöglich sei und wollen eventuell bis zum König von Preußen gehen.«

»Aha!« meinte Manteuffel bissig. »Die Burschen wagen zu drohen?! Nun gerade nicht! Nun müssen sie erst recht bezahlen!

Hier kommandiere ich, und meine Befehle müssen befolgt werden, unter allen Umständen und ohne jede Gegenrede! Ich lehne es überhaupt jetzt ab, diese Herren zu empfangen.

Veranlassen Sie, daß auf dem Mühlberg, drüben auf der anderen Mainseite, eine Batterie Zwölfpfünder aufgepflanzt wird – Mündung der Kanonen nach der Stadt. Das wird, wie ich hoffe, den nötigen Nachdruck schaffen.

Ich handele, was Kriegskontributionen und deren Berechtigung anbelangt, ganz nach den Grundsätzen Friedrichs des Großen, der ein noch weiteres Gewissen hatte – –.«

»Das war eine andere Zeit, Exzellenz, und auch andere Verhältnisse. Später, viel später als der große Fritz wurden die deutschen Kleinstaaten auch von Napoleon gebrandschatzt, und Exzellenz werden kaum den Ehrgeiz haben, den französischen Vorbildern nachzueifern?!«

Manteuffel schwieg einen Moment, dann entgegnete er:

»Herr Hauptmann! Sagen Sie den Frankfurter Regierungsbevollmächtigten, daß ich keine Zeit habe, sie in der bewußten Angelegenheit zu empfangen. Die Herren kennen meinen Befehl. Wenn ein französischer Marschall die Kontributionen gefordert hätte, wäre das Geld in zwei Stunden gezahlt worden. – Die Sache ist für mich erledigt! – – Gibt es sonst noch etwas, Herr von Dietrich?«

»Jawohl, Exzellenz! Der Kriminalkommissarius Dr. Weberstädter ist draußen. Exzellenz haben ihn auf 9 Uhr zum Bericht befohlen. Auch der Premierleutnant von Sartorius ist bestellt worden!«

»Richtig! Ja! – Das ist doch eine tolle Sache, dieser Mord an dem österreichischen General. Was sagen Sie dazu? Erst nehmen die Frankfurter den Premierleutnant fest wegen Mordverdachtes, verschleppen die Geschichte, arbeiten nur auf die Überführung unseres Offiziers hin, und die Chose sieht für den armen Sartorius mehr als mulmig aus. Dann kommt auf Befehl des Armeekommandos einer unserer tüchtigsten Kriminalbeamten nach Frankfurt, um eine neue Untersuchung einzuleiten. Diese endet damit, daß Sartorius' Unschuld glatt erwiesen wird; dafür entdeckt man den Mörder in der Person einer Schauspielerin, die als Sartorius Braut gilt. – Toll, Herr von Dietrich!«

»Ja, Exzellenz! Ich weiß auch nicht, was ich von der Sache halten soll.«

»Ich lasse den Premierleutnant von Sartorius und den Kriminalkommissarius bitten!«

Sartorius und Weberstädter traten ein.

Manteuffel hatte einen Bericht des Kriminalkommissarius von seinem Schreibtisch genommen und überflog ihn.

»Na – Herr Premierleutnant!« sagte er ernst, aber nicht unfreundlich. »Das ist ja eine nette Überraschung! Was sagen Sie zu der Entwicklung, zu der Wendung, die die Sache Poschacher genommen hat?«

Sartorius stand trotz seiner bürgerlichen Kleidung in militärisch strammer Haltung vor seinem Vorgesetzten.

»Exzellenz!« sagte er. »Als mir Herr Dr. Weberstädter gestern abend diese neue Wendung mitteilte, war ich zuerst wie vor den Kopf geschlagen. Ich habe während der ganzen Nacht über diese fürchterliche Mitteilung nachgegrübelt und komme heute zu dem Ergebnis, daß sich Herr Dr. Weberstädter irren muß.«

»Sehr nett, Herr von Sartorius! Aber welche Beweise können Sie vorbringen?«

»Beweise, Exzellenz? Beweise habe ich nicht – nur meine feste Überzeugung!«

»Ihre Gefühle in allen Ehren, Herr Premierleutnant; aber kein Gericht der ganzen Welt wird sich mit Ihrer ›Überzeugung‹ zufrieden geben können.«

»Exzellenz! Ich für meine Person habe mit der Sache überhaupt nichts zu tun. Ich versichere nochmals auf Parole d'honneur, daß ich den Feldmarschalleutnant von Poschacher überhaupt nicht gekannt habe, daß ich ihn in Frankfurt nicht aufsuchte und die Wohnung in der Bleichstraße mit keinem Fuß betrat.«

»Von Ihnen ist auch gar nicht die Rede!« warf der General ein. »Aber Fräulein Villars muß eine Bekannte Poschachers gewesen sein. Eine Frage! Wie stehen Sie zu dieser Dame –?«

»Wir betrachten uns als Verlobte, Exzellenz. Ich stehe zu Fräulein Villars, selbst wenn ich eine Sängerin nicht heiraten kann und meinen Abschied nehmen muß.«

Manteuffel machte eine ärgerliche Handbewegung.

»Auch dann, wenn sich die Richtigkeit der Behauptungen des Kriminalkommissarius herausstellen sollte – –?«

»Nein, Exzellenz! Dann nicht! – War Marquisette Villars die Geliebte des österreichischen Generals, oder hat sie sich gar noch schlimmere Dinge zu Schulden kommen lassen, dann – – – ist sie für mich erledigt.«

»Gut, Herr von Sartorius; diese Antwort will ich gelten lassen. Noch fehlt uns ein Geständnis der Beschuldigten.«

»Ich wiederhole, Exzellenz, daß ich Fräulein Villars auch noch nicht für schuldig halten kann. –«

»Und ich wiederhole,« antwortete Manteuffel mit erhobener Stimme, »daß für mich weder die Behauptung des Herrn Dr. Weberstädter noch Ihre Überzeugungen irgendwelche Bedeutung haben. Ich muß ganz klare Beweise beziehungsweise das Geständnis der genannten Dame besitzen. Wo hält sich Fräulein Villars zur Zeit auf?«

»In Zürich, Exzellenz!«

»Gut! – Herr Dr. Weberstädter fährt noch heute in die Schweiz, nimmt an Ort und Stelle die weiteren Ermittlungen auf, und veranlaßt die Dame gegebenenfalls zu einer Reise nach Deutschland, das heißt nach Preußen; natürlich nur dann, wenn sie in irgendeiner Form in die Sache verwickelt ist. Ich werde die nötigen Pässe sofort ausstellen lassen.«

»Würden Exzellenz gestatten, daß ich mit nach Zürich reise?« fragte Sartorius.

Manteuffel überlegte kurz.

»Wenn Sie Wert darauf legen, – ich – ich habe nichts dagegen. – Wie stellen Sie sich zu der Begleitung des Herrn Premierleutnant von Sartorius, Herr Weberstädter?«

»Ich würde um diese Begleitung bitten,« erwiderte der Kommissarius. »Und ich bitte außerdem noch um einen Paß für den Frankfurter Polizeidiätar Fastenrath.«

»Soll dieser Esel auch mitfahren?« fuhr Manteuffel auf.

»Fastenrath hat die Sache hier bearbeitet; er kennt den Fall von Anfang an; er – – kennt auch Fräulein Villars, während ich diese Dame nie gesehen habe.«

Manteuffel schien endlich zu verstehen.

»Ach so!« meinte er. »Na gut! Ich habe gegen eine Begleitung dieses Diätars nichts einzuwenden. Aber – halt! Einen Augenblick! – Wer zahlt den ganzen Zimmt? Die Reise ins Ausland für drei Leute kostet eine ganze Stange Geld.«

»Für die Kosten kommt natürlich die Stadt Frankfurt auf!«

»Das ist etwas anderes!« meinte Manteuffel. »Dann können Sie meinetwegen noch ein halbes Dutzend Begleiter mitnehmen.«

»Wir Drei dürften genügen, Exzellenz!« meinte Weberstädter lächelnd.

»Gut, meine Herren! Die Pässe sind in zehn Minuten fertig. Ich erwarte sofort nach der Rückkehr Ihren Bericht. – Guten Morgen, meine Herren! – – Herr Hauptmann von Dietrich, lassen Sie die beiden Frankfurter Regierungsbevollmächtigten jetzt in Gottes Namen eintreten, aber bleiben Sie hier im Zimmer! Ich will einen Zeugen in dieser Kontributionssache haben.«


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