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Dr. Weberstädter saß am kommenden Morgen gerade beim Frühstück, als sich kurz nach 8 Uhr Fastenrath melden ließ.
»Nanu!« fragte Weberstädter. »Sie sind ja früh auf den Beinen. – Nehmen Sie Platz, und leisten Sie mir noch etwas Gesellschaft. Was bringen Sie?«
Fastenrath griff dankend in die Zigarrentasche des Kollegen. »Zuerst bringe ich die Analyse des Chemikers Dr. Lühr. In dem Wasserglas war kein Gift sondern eine ganz harmlose Hoffmannstropfentinktur.«
»Mit einem Gift habe ich auch gar nicht gerechnet, aber – – Hoffmannstropfen? – Damit kann ich eigentlich nichts anfangen! – Haben Sie sonst noch etwas erledigt?«
»Nein! – In das Modeatelier und zur Bank wollten wir doch nachher gemeinsam gehen. Ich schlage vor, wir suchen zuerst das Bankhaus Roth auf und gehen dann in den Steinweg ins Atelier Moderne.«
»Einverstanden! Ich wollte den gleichen Vorschlag machen.«
»Ist Ihnen die Unruhe in den Straßen aufgefallen, Herr Doktor?« fragte Fastenrath.
»Nein, ich habe heute morgen noch keinen Blick auf die Straße geworfen. – Ist etwas Neues passiert?«
»General Vogel von Falckenstein ist abgerufen worden. Ganz plötzlich versetzt!« Fastenrath verzog bei diesem Wort den Mund. »Strafversetzt!«
»Das verstehe ich offen gestanden nicht ganz!«
»Es stimmt schon! Der General war in Berlin die ganze Zeit ein bißchen, na, wie soll ich sagen, so ein bißchen schlecht akkrediert. Die erste Niederlage bei Langensalza kam auf sein Schuldkonto, und dann klappte auch, trotz schließlicher Erfolge, der Mainfeldzug nicht ganz. Er ist jedenfalls von Frankfurt abgerufen worden und kommt als Gouverneur oder so etwas Ähnliches nach Böhmen. Die Frankfurter sind froh, ihn los zu sein; hier hat er wenig Sympathien.«
Weberstädter lächelte.
»Das Pfund Fleisch und die acht Zigarren können ihm die Frankfurter wohl nie vergessen?«
»Das ist's nicht allein; aber der Mann war zu rigoros! – Der Nachfolger ist übrigens schon gestern angekommen.«
»Wer ist's denn?«
»General von Manteuffel.«
»Oh weh!« Weberstädter pfiff leicht durch die Zähne. »Ich befürchte, da kommen Ihre Landsleute vom Regen in die Traufe. Manteuffel geht mit dem Kopf durch die Wand. – Aber lassen wir die Politik! Mich bewegt im Augenblick viel mehr der Fall Feldmarschalleutnant Poschacher, und ich muß sagen, daß ich seit drei Stunden über den Akten und Aufzeichnungen grüble. Ich bin bereits um 5 Uhr aufgestanden. Der zuerst anscheinend so klare und einfache Fall hat durch unsere gestrigen Ermittlungen ein ganz anderes Gesicht bekommen und gibt uns Rätsel über Rätsel auf. – Ich glaube einigermaßen sicher zu sein, wenn ich nochmals betone: hier spielt eine Frau die ausschlaggebende Rolle!«
»So halten Sie eine Frau für den Mörder?«
Weberstädter antwortete nicht sofort; nach einer Pause meinte er: »Ja, nach langem Nachdenken bleibt mir keine andere Annahme. Rekapitulieren wir das Ergebnis der gestrigen, wie gesagt vollkommen neuen Ermittlungen:
»Der Feldmarschalleutnant, ein noch verhältnismäßig junger Offizier und forscher Mann, Witwer und lebensfroher Österreicher, war ein großer Frauenfreund. Das steht fest! Fest steht auch, daß er mit Frauen Beziehungen hatte, die – na sagen wir mal – nicht immer ganz salonfähig waren: Theaterdamen, Chansonetten und Ähnliches. Das wußte ich übrigens schon, bevor ich gestern mit Ihnen in die Bleichstraße ging, wo wir zu diesem Punkte nicht einmal viel Positives erfuhren; aber die Tatsache kann als richtig unterstellt werden.
Poschacher dürfte in guten Verhältnissen gelebt haben; Genaues werden wir wohl nachher auf der Bank erfahren. Am Morgen des Mordtages hebt er eine erhebliche Geldsumme ab und nimmt das Geld mit in seine Wohnung. Dafür haben wir allerdings noch keinen Beweis, das ist nur eine Vermutung. Am gleichen Tage erwartet er den Besuch einer Frau, einen Besuch, den er geheim zu halten wünscht, denn er schickt den Burschen fort und gibt dieser Frau den Schlüssel zum Garten, damit sie auch vom Posten nicht bemerkt werden kann. Die Frau muß also eine gute Bekannte gewesen sein, und der Besuch war bestimmt nach Lage der Dinge nicht unwichtig. Er war für Herrn von Poschacher sogar derart wichtig, daß er ihn auf jeden Fall vor seinem Personal und anderen Militärpersonen verbergen wollte. – Das alles scheint erwiesen.
Die Frau kam, sie muß am Mordtage in der Wohnung gewesen sein, denn wir fanden Reste eines verbrannten Kleides, des Kleides – der Mörderin.«
»Stimmt!« warf Fastenrath ein. »Die Haushälterin hat vor der Abreise den Ofen wie immer gereinigt; aber warum hat die Frau ihr Kleid verbrannt? Und wie kam sie aus dem Hause?«
»Auf diese beiden Fragen werde ich auch antworten, aber bleiben wir einmal schön in der Reihe! Suchen wir die Sache Punkt für Punkt zu behandeln und zu klären. Wir müssen uns zuerst die Frage vorlegen: was ereignete sich in der Bleichstraße kurz vor dem Morde? – Bei der Beantwortung sind wir vorerst nur auf Vermutungen, auf Hypothesen angewiesen; aber ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich mir den Vorgang etwa folgendermaßen zurechtreime: Der Krieg stand vor der Tür, war am Mordtage de facto schon ausgebrochen, und Poschacher wollte in seine privaten Verhältnisse Ordnung schaffen. Er hatte eine Geliebte, die entweder ständig in Frankfurt lebte oder ihn kurz vor Kriegsausbruch aufgesucht hatte. Die Geliebte war möglicherweise eine Dame der Gesellschaft, vielleicht eine in Frankfurt allgemein bekannte Persönlichkeit, und er traf gewisse Maßnahmen, die das Inkognito der Geliebten wahren sollten. Die Frau kam durch die Gartenpforte, von den Posten ungesehen ins Haus; sie kam zu einer Aussprache, die Poschacher wohl selbst als ernst, schwerwiegend und vielleicht auch gefährlich voraussah; denn er hatte seinen geladenen Lefaucheuxrevolver griffbereit auf oder in dem Schreibtisch am Fenster liegen. Dort lag auch das Geld, die Summe von 20 000 Gulden, die sicher als eine Art von Abfindung für die Geliebte gedacht war.
»Was sich zwischen den beiden, Poschacher und der Frau, abgespielt hat, wissen wir nicht, bestimmt kam es zum Krach. Vielleicht genügte ihr die Summe nicht. Der Feldmarschalleutnant ließ sich vielleicht in seiner Wut, seiner Erregung hinreißen, zog die Pistole, schoß zuerst und erhielt jetzt den tödlichen Stich. – Vielleicht griff auch die Mörderin an, und Poschacher schoß zu seiner Verteidigung. Jedenfalls fiel der Schuß, und der tödliche Dolchstich ist auch nicht wegzuleugnen. Die Mörderin muß eine sehr energische Frau mit fast männlichen Charaktereigenschaften gewesen sein; denn nach begangener Tat arbeitete sie sehr zielbewußt. – – Ihr seidenes Kleid wurde mit Blut befleckt. Sie durfte sich deshalb damit nicht auf die Straße wagen. Sie verbrannte daher das Kleid, reinigte sich an der Waschtoilette im Schlafzimmer und nahm zur Nervenberuhigung Hoffmannstropfentinktur. Das Glas hat zwei verschiedene Fingerabdrücke. Die größeren dürften von Poschacher herrühren, der das Glas wohl regelmäßig benützte. Die kleineren aber sehr gut ausgeprägten Abdrücke dürften von der Frau stammen.
Die Mörderin steckte dann die Schußwaffe des Feldmarschalleutnants und die große Geldsumme zu sich und versuchte jetzt, schnell und unerkannt das Haus zu verlassen. In den Unterkleidern konnte sie nicht gut auf die Straße gehen, und, als sie wahrscheinlich über den Fluchtweg nachgrübelte und ans Gartenfenster trat, mußte sie zu ihrem Entsetzen feststellen, daß die Gouvernante und die Kinder des Bankiers Hoff im Garten spielten, und daß ihr dieser Fluchtweg damit versperrt war. – Was nun – –?
Auf die Frage, wie kam die Mörderin unverdächtig aus dem Haus, muß ich die Antwort schuldig bleiben. Ich habe einen Verdacht, sehe eine Fluchtmöglichkeit; aber Sie werden mich auslachen, und vielleicht im Augenblick mit einem Schein von Berechtigung, wenn ich diesen Verdacht schon äußern wollte.
Nach unseren beiden Besuchen, die wir jetzt bald machen können, habe ich noch eine Zeugenbefragung vergessen. Vielleicht kann ich Ihnen dann auch den Fluchtweg der Mörderin angeben – –.«
Als Weberstädter geendet hatte, saß Fastenrath beinahe eine Minute stumm auf seinem Stuhl und zerkaute seine Zigarre.
»Herr Doktor!« sagte er schließlich. »Ihre Erzählung klingt wie ein Roman, aber ich muß selbst zugeben, daß nach dem Stand der jetzigen, neuen Ermittlungen sehr viel für Ihre Hypothese spricht. Es kann genau so gewesen sein, wie Sie sagten; es kann natürlich auch ganz anders gewesen sein.«
»Natürlich! Wir können uns irren, in Kleinigkeiten irren; aber daß eine Frau hervorragend in der Mordsache beteiligt ist, steht meines Erachtens fest, felsenfest!«
»Ja! Das glaube ich auch, obgleich manche Fragen noch offen stehen. Was bedeutet beispielsweise die Kompresse, die mit Kölnisch Wasser getränkt war, und die wir im Schlafzimmer gefunden haben?«
»Diesen Fund halte ich für ziemlich nebensächlich. Vielleicht hat die Mörderin versucht, dem Niedergestochenen einen Umschlag zu machen, und nahm nur deshalb davon Abstand, weil sie feststellte, daß der Stich sofort tödlich war. – – Vielleicht wollte sie sich den Kopf kühlen, denn, daß es sich um eine nervöse, exaltierte Person handelte, dafür sprechen die Hoffmannstropfen, die sie wahrscheinlich immer im Pompadour mit sich führte. Wir hätten sonst auch eine Flasche mit dieser Tinktur im Schlafzimmer finden müssen.
Aber, mein lieber Fastenrath, Genaues wissen wir noch nicht. Alles, was ich hier über den Hergang der Tat ausführte, sind natürlich nur Vermutungen. Vielleicht erfahren wir im Bankhaus etwas Neues. – Nehmen Sie Ihren Hut; wir gehen!«
Der Weg vom Hotel Russischer Hof bis an die Konstabler-Wache, wo das Bankhaus Paul Roth lag, war nur kurz. – Im Bankhause herrschte eine fieberhafte Geschäftigkeit, und es dauerte mehrere Minuten, bis ein Kommis nach den Wünschen der beiden Herren fragte.
Als sich Weberstädter legitimierte, wurde der Kommis sehr höflich, lud die zwei Herren ein in ein kleines Konferenzzimmer zu treten; und nach knapp einer Minute erschien auch schon der alte Heilmann.
Für Heilmann, der in Frankfurt so ziemlich jeden kannte, war der Polizeibeamte Fastenrath natürlich kein Fremder.
»Habe die Ehre, Herr Fastenrath!« sagte er etwas befangen. »Was wollen Sie hier bei uns? – Wenn Sie kommen, ist doch immer etwas faul!«
Fastenrath lachte und stellte Dr. Weberstädter vor.
»Haben Sie keine Angst, Herr Heilmann, wir wünschen von Ihnen nur eine kleine Auskunft!«
»Zu dienen, meine Herren! Bitte nehmen Sie Platz!«
Heilmann zog sich selbst einen Stuhl heran und schielte dabei ein wenig mißtrauisch nach dem Berliner Kommissarius.
Weberstädter ergriff jetzt das Wort: »Zu Ihren Kunden zählte, wenn ich nicht irre, auch der Feldmarschalleutnant von Poschacher, der vor etwa einem Monat ermordet wurde?«
»Jawohl – wir verwalteten das Vermögen des armen Herrn von Poschacher.«
»Danke, Herr Heilmann! – Ich muß jetzt eine Frage an Sie richten, deren Antwort Sie mir vielleicht unter Hinweis auf das Bankgeheimnis, das, wie ich weiß, in Frankfurt eingeführt ist, verweigern werden. Ich stelle natürlich die Beantwortung ganz anheim: War Herr von Poschacher ein vermögender Mann?«
Heilmann lächelte: »Herr Kriminalkommissarius, ich sehe wirklich keinen Grund, warum ich Ihnen diese Frage nicht bejahend beantworten sollte. Herr von Poschacher war sogar ein reicher Mann. Allein die Wertpapiere, die wir für ihn verwalten, und die vielleicht nit emal sein ganzes Vermögen ausmachen, repräsentieren ein sehr schönes Vermögen. Wenn wir Zwei zu teilen hätten, Herr Doktor, dann wäre uns beide geholfe!«
»Mehr will ich gar nicht wissen, Herr Heilmann! Nun aber noch eine ganz präzise Frage: Herr von Poschacher hat am 17. Juni morgens von seinem Barguthaben eine Summe abgehoben. Auf dem Sparbuch standen 31 000 Gulden. 20 000 Gulden sind davon abgehoben worden. Erinnern Sie sich an den Vorgang?«
»Selbstverständlich! Mein Gedächtnis ist trotz meiner 59 Jahr' unberufen noch wie das eines Jünglings. Poschacher reiste kurz vor seinem Tode nach Hannover. Vorher gab er uns den Auftrag, von seinem Depot einige näher bezeichnete Papiere zu verkaufen und den Erlös auf sein Sparbuch zu übertragen. Das taten wir. An seinem Todestag, gegen 10 Uhr, – es war kurz vor Börsenschluß – ich erinner' mich noch genau – kam Herr von Poschacher selbst, holte sein Buch und ließ sich 20 000 Gulden auszahlen.«
»Erinnern Sie sich an die Geldsorten?«
»Auch das, Herr Doktor. Es waren 20 ganz neue Hundertguldenscheine der Frankfurter Bank.«
»Es ist also festgestellt, daß sich Herr von Poschacher am Morgen 20 000 Gulden holte und am Mittag erstochen wurde. – Das Geld ist natürlich verschwunden, Herr Heilmann!«
»Ich wunder' mich über gar nichts mehr, Herr Doktor!« meinte Heilmann philosophisch.
»Sie sind aber ein Mann, der im Leben steht,« erwiderte Weberstädter. »Selbstverständlich nehme ich nicht an, daß Ihnen Herr von Poschacher erzählte, zu welchem Zweck er das Geld benötigte. Aber, Sie haben vielleicht dahingehende Vermutungen?«
»Nein, Herr Doktor. Da hätte ich viel zu tun wenn ich mir über jede Einzahlung oder Abhebung unserer zahlreichen Kunden Gedanken machen wollt'. Er hat das Geld gebraucht, hat's bekommen, und ordnungsgemäß darüber Beleg und Quittung gegeben. Was er mit dem Gelde gemacht hat, das geht mich wirklich nichts an!«
Weberstädter wechselte mit Fastenrath einen Blick.
»Ich glaube, wir können die Unterredung abschließen. Vielen Dank, Herr Heilmann, für die Auskunft!«
Aber Heilmann wollte nun seinerseits den immerhin interessanten Besuch nicht gleich wieder fortlassen.
»Einen Moment noch, Herr Doktor!« meinte er. »Tat man denn den Täter jetzt endlich? So ein klein bißchen könnten Sie mir schon erzählen. Was meinen Sie, was das meinem Renommée im Kaffeehaus nützt, wenn ich heute mittag mit meiner Weisheit renommieren kann.«
Weberstädter lächelte.
»Ich kann Ihnen leider im Augenblick noch nichts sagen; aber ich glaube, daß eine Frau in die Angelegenheit verwickelt ist.«
»Sehen Sie!« trumpfte Heilmann auf. »Das hab ich mir nämlich gleich von Anfang an gesagt. – Alles Malheur, Herr Doktor, kommt direkt oder indirekt von den Weibern! – Was bin ich glücklich, daß ich ledig geblieben bin!«
Die beiden Beamten lachten. Weberstädter ritt der Schalk,
»Sind Sie mit Ihrer Einquartierung zufrieden?« fragte er lächelnd.
Heilmann machte ein dummes Gesicht.
»Wie komme ich zu Einquartierung?« fragte er. »Ich bin doch ledig, bin nur Chambregarnist. Awwer die Leut', wo ich wohn', die hawwe einen Soldaten.«
»Und die schimpfen natürlich auch feste auf das Pfund Fleisch und die 8 Zigarren?«
»Nein, Herr Doktor! Die nicht – die hawwe nämlich Glück! Dene ihr Soldat hat zwei große Vorzüg'. Erstens ist er reich und freut sich, hier emal widder im Restaurant gut esse zu könne. Also braucht er kei Verpflegung. Dann hab' ich abends, wenn ich daheim bin, Gesellschaft zum Kartenspiel. Im dritte Stock in der Uhlandstraße, wo ich wohn', ist noch ein anderer preußischer Soldat einquartiert, ein Schullehrer aus Detmold, auch ein ganz raffinierter Kartenspieler. Den holen wir uns abends oft als dritten Mann zum Skat. Was wollense, Herr Doktor! Mir tut's schon fast leid, wenn die Preuße widder abziehn. Ich bin mit meiner Einquartierung sehr zufrieden. So'ne Skatpartie krieg ich sobald net wieder. Ich will's übrigens nicht leugnen,« fuhr Heilmann ernster fort, »daß viel Frankfurter auf die Einquartierung schimpfe, und mancher nicht ganz zu unrecht; denn es gibt überall arrogante Leut', dene man nix recht mache kann. Aber, was die Unteroffiziere und Mannschafte anbelangt, so hört man wirklich selten eine Klag' – die betrage sich durchweg hochanständig und sind mir unter uns gesagt lieber als die Tscheche und Pollacke, die wir früher, als noch die Österreicher hier lage, in Frankfurt umherlaufe hatten.
Wir wolle uns nix weismache, meine Herren! Wir gehöre hier in unserer ganze Art und Kultur doch viel mehr zu Preußen als zu Österreich. Ich bin mir auch darüber im Klaren, daß wir nach Friedensschluß annektiert werden, und der Schlag vom Herrn von Manteuffel heute morgen, der war wirklich e bißchen heftig und auch überflüssig.«
»Wovon spreche Sie, Herr Heilmann?« fragte Weberstädter.
»Sie wisse das noch gar nicht?« rief der Bankbeamte überrascht. »Die ganze Stadt ist doch eine Aufregung, und Sie wisse nix?!«
»Verzeihen Sie, wir haben das Hotel vor einer halben Stunde erst verlassen und gingen auf dem nächsten Wege hierher.«
»Na, da werde Se Augen machen, was ich Ihnen jetzt erzähl'. Gestern abend bekam der Magistrat, kaum daß der neue Oberkommandeur Herr von Manteuffel im Hotel angekomme war, einen Brief, der nur folgende paar Worte enthielt:
An die Regierungsbevollmächtigten
Herrn Fellner und Dr. Müller, hierselbst.
Euer Hochwohlgeboren werden hierdurch aufgefordert, zu veranlassen, daß eine Kriegscontribution von 25 Millionen Gulden binnen 24 Stunden an die Feldkriegskasse der Main-Armee, hier, bezahlt wird.
»Haben Sie richtig verstanden, Herr Doktor? Jetzt noch emal eine Kontribution und gleich 25 Millionen Gulden! Der Herr von Manteuffel ist total verrückt. In ganz Frankfurt sind keine 25 Millionen Gulden aufzutreiben.«
Weberstädter schüttelte den Kopf.
»Das ist wirklich eine sonderbare Forderung!« meinte er. »Na – ja! – Das Militär! Das Militär diktiert, befiehlt!«
»Ja, aber wo das Gehorche net möglich ist, hört auch das Befehle auf. Unser Bürgermeister Fellner hat ganz den Kopp verlore: er verhandelt im Augenblick mit dem General, und hoffentlich kommen wir um diese neue Forderung herum. Sie ist wirklich unerfüllbar, und ich als Bankfachmann kann hier schon eine Ansicht äußern.
Ich kann mir nur denken, daß die Preußen wirklich keine Ahnung hawwe, was 25 Millione Gulde bedeute. Als wir die erste Kontribution von beinahe 6 Millione Gulde zahlen mußte, verlangte der General Vogel von Falckenstein nur Silber, kein Papier. – Am nächste Morge fuhr ein preußischer Unteroffizier mit 5 Mann und einem Drückkarren vor die Frankfurter Bank und wollt' das Geld hole. Na – da hätte Sie aber mal das Gelächter höre müsse. Um 6 Millione Gulde wegzufahren, in lauter Silbersäck, dazu braucht man fünf oder sechs große Eisebahnwage, und die Preuße wollte den Draht auf 'nem Drückkarre abschiebe.«
»Die letzten Lacher waren aber in diesem Falle wohl doch die Preußen?« meinte Weberstädter schmunzelnd.
»Leider ja, denn einen Tag später fuhren se den schönen Draht nach Berlin ab, diesmal allerdings im Eisebahnzug.«
Weberstädter reichte dem alten Bankprokuristen die Hand.
»Ihre Erzählung hat mich sehr interessiert,« sagte er. »Wir müssen uns aber jetzt verabschieden! – Vielen herzlichen Dank für Ihre Auskünfte, Herr Heilmann.«
»Gern geschehen, Herr Doktor; und falls Sie noch irgend ebbes von mir wissen wolle, dann bitte ich jederzeit über mich zu verfüge. Guten Morgen, meine Herren!« – –
Eine Minute später standen die beiden Kriminalisten wieder auf der Straße und bogen in die Zeil ein.
Hier herrschte schon reges Leben; viele Spaziergänger, die sich in Gruppen über die neue Brandschatzung der Preußen mehr oder weniger laut und lebhaft unterhielten. Dazwischen marschierten geschlossene Kolonnen preußischen Militärs, rasselten Kanonen, kreischten die Räder der Transportwagen über das Steinpflaster. –
Das Modeatelier Moderne lag im ersten Stock eines Geschäftshauses am Steinweg, unmittelbar an der Hauptwache.
Weberstädter und Fastenrath ließen sich beim Inhaber, Herrn Steiner, melden und baten um eine kurze Unterredung in seinem Privatkontor.
Steiner kannte Fastenrath und war nicht gerade angenehm überrascht über den frühen Polizeibesuch. Aber Weberstädter, der aus seiner Praxis an zurückhaltende und ängstliche Gesichter gewohnt war, beeilte sich den Geschäftsmann zu beruhigen.
»Wir bitten Sie nur um eine ganz kurze Auskunft, wobei ich allerdings nicht verhehle, daß diese für die Untersuchung, die ich zu führen habe, von eminenter Wichtigkeit sein kann.«
Er legte die Stahlstäbe des Kleides auf den Tisch und holte vorsichtig aus einem kleinen Kästchen das brüchige Stoffrestchen, das der vollkommenen Verbrennung im Ofen in der Bleichstraße durch einen glücklichen Zufall entgangen war.
»Erinnern Sie sich an ein Kleid aus diesem Stoff?«
»Sehr genau, Herr Doktor!« erwiderte der Geschäftsmann. »Es handelte sich um ein Modell, das in unserem Atelier hergestellt wurde.«
Weberstädters Augen leuchteten auf.
»Ein Irrtum ist ausgeschlossen?«
»Ausgeschlossen!« bestätigte Steiner. »Die Taillenstäbe tragen ja auch meine Firma.«
»Dann bitte ich mir zu sagen, wer das Kleid bei Ihnen bestellt hat.«
»Der Herr Feldmarschalleutnant von Poschacher, der vor etwa einem Monat ermordet wurde.«
Weberstädters Augen bohrten sich fast in das Gesicht des vor ihm stehenden Geschäftsmannes.
»Lieferten Sie das Kleid an den Feldmarschalleutnant direkt ab?«
»Nein! An die Dame, für die Herr von Poschacher das Kleid gekauft hatte!«
»Und – – den Namen – – dieser Dame – –?«
Ruhig erwiderte der Kaufmann:
»Es war die bekannte Sängerin Marquisette Villars. – Das Kleid wurde ihr ins Hotel zum Englischen Hof gebracht, wo sie wohnte.«
Weberstädter schloß für einen Augenblick die Augen. Dann sagte er äußerlich ruhig und geschäftsmäßig kühl:
»Ich danke Ihnen, Herr Steiner!«