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Man sagt von einem weisen Leun, als er war alt,
Hatt' er zween Söhn', gab jedem einen grünen Wald,
Thät ihnen auch drei guter Lehren geben:
»Zum ersten, rath' ich, kämpft mit keinem Menschen nit.
Weit seine Stärk' der Thiere Stärke übertritt;
Mit euren Nachbarn sollt ihr friedlich leben;
Zum dritten habt den Wald in Ehr',
Auf daß die Thierlein Junge drin aufziehen;
Und so ihr folget meiner Lehr',
So könnet allem Unglück ihr entfliehen.«
Darauf der alte Löwe starb.
Sein ält'ster Sohn that, wie der Alt' gerathen,
Und Gunst und Ehr' und Gut erwarb.
Der junge Löwe übt' muthwill'ge Thaten,
Mit seinen Nachbarn zankt' und balgt',
Niemand konnt' um ihn wohnen;
Auch würgt' er Thiere ohne Zahl
Durch Berg und Thal,
Mehr, als zur Nothdurft nöthig ihm,
Und keins thät er verschonen.
Die Thierlein flohen: darvon ward der Wald gar öd'
Und seine Nahrung in die Länge schmal und spröd';
Er kam zum Bruder, ihm sein Leid zu klagen.
Sein Bruder sprach: »Ich folge unsres Vaters Lehr';
Du wüthest, daß um dich kann niemand bleiben mehr,
Drum mußt du haben Noth in alten Tagen.«
Er führte ihn in seinen Wald:
Den sah er springen voll der wilden Thiere.
Der junge Leu sah einen Waidmann alt
Sein Garn ausstellen in des Walds Reviere;
Er sprach: »Den Jäger reiß' ich todt;
Er will die Thiere in die Netze jagen.«
Er sprach: »Der Vater uns gebot,
Wir sollten uns mit keinem Menschen schlagen;
Denn stärker sei er und voll List.«
Der junge sprach vermessen:
»Was geht des Alten Lehr' mich an?
Den Jägersmann
Zerreiße ich durch meine Kraft
Und will ihn darnach fressen.«
Der junge Leu lief unvorsichtig in den Strick,
Der Jäger schlug mit einem Stocke sein Genick;
Der Leu sprach: »Weidlich schlag' mir Herz und Ohren.
Weil ich des Vaters Lehr' geschlagen in den Wind,
Deshalben recht und billig deine Streiche sind.
Mit Kolben muß man lausen solche Thoren!« –
Die Fabel hat dreifache Lehr':
Zum ersten sei ein Mann niemandem feindlich;
Zum andern zeig' er Zucht und Ehr'
Der Nachbarschaft, sei milde ihr und freundlich;
Zum dritten acht' er auf sein Gut,
Daß er es mehr', doch mit gerechtem Handel.
Und wenn er also leben thut,
Friedlich und mild in allem seinem Wandel,
Dann schafft's ihm Ehr' und Gut und Gunst
Bei jedermann auf Erden;
Wer aber hadert, zankt und greint,
Dem wird man feind,
Daß jedermann ihn scheucht und fleucht:
So muß er fremde werden. |