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Klüverbaum und Wanten
Es gibt viele Ehemänner, denen nichts Schlimmeres einfallen kann als »ihre Frau«.
Wöllers gehörte, wenn es die Nautik betraf, zu ihnen, obgleich er sich sonst nicht besonders über seine Hälfte beklagen konnte. Sie wollte im gewöhnlichen Leben, wie jene Fischersfrau im Märchen und alle anderen in der Wirklichkeit: nur gern Papst sein und war ein kleiner Lindwurm. Dem Seemann Wöllers gegenüber schwoll sie jedoch stets zum grüngeschuppten, feuerspeienden Höllendrachen an; denn er entzog sich auf dem Wasser aller Kontrolle, ohne die ein guter Ehemann seiner Gattin gegenüber doch nimmermehr sein kann und darf. War ihr ein offenes Boot schon als ein höchst verderbliches Emanzipationswerkzeug erschienen, was konnte dann erst mit einem verdeckten Fahrzeug geschehen, mit zwei Kajüten, Ofen, Schlafstellen und Provianträumen, worin leichtsinnige Ehemänner sich wochenlang in unbestimmten Gegenden ohne jede Beaufsichtigung herumtreiben konnten! – An diesen Punkt hatte der gute Meister bisher noch gar nicht gedacht und bereute nun fast, den Handel mit dem »Seehund« bei Marbs abgeschlossen zu haben.
Seine Frau durfte vorderhand nichts von seiner Stellung als Reeder und Kapitän erfahren, das stand fest. Er mußte ihr die Sache erst nach und nach beibringen. In dieser Verlegenheit tauchte an seinem Horizont ein bekanntes Schiff auf, bei dessen Anblick er sofort wußte, auf welcher Höhe und Breite er sich befand und wohin er seinen Lauf zu richten hatte. Gevatter Schünnemann war es, der beim Winde dahergesegelt kam und sofort beilegte, als er Wöllers in Sicht bekam.
»Wie geiht dat, ohl Jung?« fragte er.
Der Kutterbesitzer rief dem Gevatter jene Zeit ins Gedächtnis, wo seine Selige noch lebte und er, Wöllers, manchmal den Sündenbock gemacht und ihm aus der Patsche geholfen habe. Nach dieser Einleitung kam er auf die Antipathie der Meisterin gegen die Schiffahrt und auf seinen Kutterhandel und verlangte schließlich von Schünnemann, daß er vor der Welt und der Meisterin als Besitzer des »Seehund« auftreten und aus Gefälligkeit, und weil Wöllers die Führung verstände, an diesen verborgen solle.
Schünnemann war gern bereit, die Maske als Kutterbesitzer vorzunehmen, und versprach, bei Wöllers zu erscheinen und ihn nebst der Familie für nächsten Sonntag zu einer Spazierfahrt einzuladen, wobei er alle Vorteile des Kutters herausheben und die Meisterin schon gewinnen wolle.
Vorläufig beschloß man, für morgen eine geheime Probefahrt zu unternehmen, und versprach, sich bei Eintritt der Ebbe am Pferdeborn Pferdeborn. Es gab in Hamburg mehrere Pferdeborne, einen in der Stadt an der Stadthausbrücke, den andern in der Vorstadt St. Pauli (Circusweg). Reinhardt meint bald den einen, bald den anderen. zu treffen.
Wöllers trug indessen den Kompaß zu einem Klempner und ließ ein Nachthäuschen nebst Lampe dazu machen, damit er nicht genötigt war, sich in finsterer Nacht wie die alten Phönizier nach den Sternen zu richten. Dann ging er nach der Werft und bat, den Kutter am nächsten Tag ins Fahrwasser hinauszulegen und segelfertig zu machen.
Mit derselben Sehnsucht wie Meister Wöllers erwartete Schnepfe den Anbruch des nächsten Tages. Befand sich Wöllers in der Lage, als Kapitän aufzutreten, so ward Schnepfe an diesem Tage Schiffsdoktor, welche Würde er vertragsmäßig bis Cuxhaven behielt, wo sein Amt zu Ende war, da die Auswanderer dann auch ohne ihn auf dem Meer gesund werden oder sterben konnten, und Herr Senator Eiskuhl auf diese Art einen Doktor gewann, ohne seinen Barbier einzubüßen.
Der junge Mann freute sich weniger über seine Anstellung, als die Gelegenheit, eine kleine Reise bis zur Mündung der Elbe zu machen. Da Schnepfe, wie alle Binnenländer, ungeheuer begierig auf den Anblick der See war, so stieg er einmal auf den Süllberg bei Blankenese, indem er die Meinung hegte, daß man von da aus die See sehen müsse. Als er aber auch dort nichts als Fluß entdeckte, schöpfte er den Verdacht, daß Hamburg sich den Namen einer Seestadt unrechtmäßigerweise angemaßt habe und daß Dessau dies mit gleichem Recht tun könne, wenn die Elbe nur tief genug wäre, um die Schiffe hinaufzulassen. Er hatte unter solchen Umständen schon die Hoffnung aufgegeben, die See in der nächsten Zeit zu sehen, und war nun um so erfreuter über seine Stellung.
Der Südostwind, der Wöllers Anlaß zu verwegenen Plänen gegeben, stand am Morgen des folgenden Tages immer noch und machte es möglich, daß das Auswandererschiff langsam gegen die Flut ansegeln konnte. Der Wind ward jedoch schon bei Altona so schwach, daß man kaum merklich vorrückte, und schlief bei Neumühlen ganz ein, wodurch man genötigt war, den Anker fallen zu lassen, um nicht wieder rückwärts zu treiben. Nach einer kurzen Windstille drehte aber der Wind gänzlich um und begann von unten herauf zu wehen, was das Schiff zwang, liegenzubleiben, da man der Sandbänke wegen nicht zu treiben wagte.
Meister Wöllers hatte sich nach dem Frühstück von zu Hause gedrückt, nachdem er Krischaan einen geheimen Wink hatte zukommen lassen, auf den dieser gleichfalls unsichtbar wurde. Am Pferdeborn fanden sie Gevatter Schünnemann auf einem umgekehrten Boot sitzen und warten. Der gute Mann hatte vorsorglich gedacht und einige verheißungsvolle Flaschen nebst einer Papierrolle neben sich liegen, in der sich sehr schlecht eine Mettwurst versteckte. Krischaan wurde sofort zum Bäcker geschickt, um Rundstücke zu holen, und da Wöllers zwei Flaschen auf drei Mann für lächerlich, ja geradezu unnatürlich hielt, so mußte er auch noch einige Flaschen Wein mitbringen.
Draußen bei den Torfewern lag indes der »Seehund« vor Anker und wurde von Wöllers mit Entzücken betrachtet. Sobald Krischaan alles Nötige herbeibrachte, stieg man in ein Boot und ließ sich hinüberrudern.
Es war ein Mann von der Werft an Bord, der die Segel angeschlagen und alles zur Abfahrt eingerichtet hatte. Da der Wind noch nach unten stand, so glaubte Wöllers allein fertig zu werden und schickte ihn an Land, nachdem er ihm ein gutes Trinkgeld gegeben.
Der Anker wurde nun aufgeholt, der Klüver aufgezogen, und Wöllers steuerte mit wichtiger Miene an den Ewern vorbei, wobei er nur zweimal anrannte und in Anbetracht der Umstände, für das Wasser, ziemlich wenig Grobheiten erhielt, was jedoch beim dänischen Wachtschiff nachgeholt wurde, dem er näher kam, als es die Besatzung für nötig fand. Die Komplimente fielen hier so reichlich aus, daß er mit Entsetzen daran dachte, was wohl geschehen sein würde, wenn er so unglücklich war, dagegen zu treiben.
Sobald dies Hindernis passiert war, wuchs ihm der Kamm, und er wollte das große Segel aufgezogen haben. Indes Schünnemann und Krischaan die dazu gehörigen Taue zu erraten suchten, trat die Windstille ein, und Wöllers legte sich vorsichtig an den Eisbrecher, der am Ende des Altonaer Hafens stand und an den der »Seehund« vom Strom geführt wurde. Er wollte hier den Eintritt der vollständigen Ebbe erwarten.
Es war schon sehr erfreulich, daß man so gut bis dahin kam. Wöllers fand die Unterbrechung ganz geeignet, um sie mit einem kleinen Frühstück auszufüllen, und befahl, die Gläser zu bringen.
»Meister! Wir haben keine Gläser«, schrie Krischaan aus der Kajüte.
»Nun, das ist lange nicht so schlimm, als wenn wir keine Flaschen hätten«, meinte Schünnemann. »Trinken wir aus der Flasche.«
»Krischaan,« schrie Wöllers, »komm auf Deck, ich will dir mal was sagen.«
Krischaan kam aus der Luke und sah seinen Meister fragend an.
»Jetzt merke dir ein für allemal«, sprach Wöllers sehr ernst. »Solange wir an Bord sind, nennst du mich nicht mehr Meister, sondern, wie es sich gehört, Kapitän!! Versteihst du mi? Oder soll ich dir von wegen bessern Merkens eine Ohrfeige geben?«
»Och nee, Mei – – Kapitän! Ick will mi dat woll marken. Aber wie is dat to Huus?« fragte Krischaan zweifelhaft.
»Hm«, brummte Wöllers. »Mir wird das nicht viel schaden, wenn du mich zu Haus Kapitän nennst. Wenn deine Haare zu dicht werden, denn man zu!«
Als die Ebbe eintrat, holte man nach vielem vergeblichen Ziehen an unrechten Tauen die Segel auf und trieb weiter, bis der Wind von unten kam und der Kapitän erklärte, es müsse gegen den Wind gekreuzt werden.
Das war recht gut, wenn nur die Mannschaft einen Begriff von diesem Manöver gehabt hätte. Wöllers selbst wußte nur so viel, daß er so nahe wie möglich an den Wind halten und dann auf die andere Seite durchdrehen müsse, wenn das Fahrwasser dies nötig mache.
Auf der freien Wasserfläche, die er abwärts vor sich hatte, ankerten nur wenig Schiffe. Auf der hannoverschen Seite lauerte jedoch eine Menge boshafter Sandbänke unter dem Wasser. Diese Gefahr kannte jedoch Wöllers vollkommen, denn er war mit seinem Boot gar zu oft dort aufgesessen, weshalb Gevatter Schünnemann stets mit einer Stange »peilen« mußte, wenn der »Seehund« dort hinüberkam, so daß man zeitig wenden konnte. Freilich gab es dabei Ärger genug, denn der dickköpfige Kutter mußte jedesmal mit einer Stange vorn herumgetrieben werden, aus freiem Willen ging er durchaus nicht über Stag.
Auf der Neumühlener Seite ging es besser, denn dort kann man das Ufer bis auf zwanzig Schritte ansegeln und dann bequem wenden. Wöllers glaubte hier aus aller Gefahr zu sein und begann sich mehr und mehr als Kapitän zu fühlen. Der boshafte »Seehund« zeigte ihm jedoch bald, daß er noch nicht sein Meister sei.
Wöllers war eben wieder über Stag gegangen, und zwar unter einiger Verhöhnung der Neumühlener Eingeborenen, die bemerkten, daß Schünnemann den Kutter vorn mit der Stange herumtrieb. Er lief auf das andere Ufer zu und gab kaum auf das Auswandererschiff acht, das hier im Strom ankerte, denn er gedachte weit hinter ihm wegzukreuzen. Das Wasser wurde jedoch jenseit des Schiffes plötzlich so seicht, daß nur knapper Raum zum Wenden da war und man gerade auf das Auswandererschiff geriet, dessen Bord mit Hunderten neugieriger Köpfe besetzt war. Wöllers steuerte deshalb ein wenig mehr voll aufwärts, um oberhalb des Schiffes vorbeizukommen. Er bedachte aber den Umstand nicht, daß ihm der große Schiffsrumpf den Wind wegnehmen könnte und ihn dann der Strom trieb, was auch so glücklich geschah, daß der Kutter gerade auf das Schiff losschwamm, dessen Klüverbaum durch die Wanten des »Seehund« fuhr, worauf dieser daran hängenblieb wie ein großer, ungeheurer Strickbeutel am Arm einer Dame.
Für die Passagiere, besonders aber die Mannschaft des Schiffes, hätte auf diesem einsamen Ankerplatz nichts Angenehmeres passieren können, als die Sonntagssegler in einer solchen Verlegenheit an ihrem Klüverbaum hängen zu sehen. Ja, einige Matrosen konnten sich das Vergnügen nicht versagen, auf das Bugspriet hinauszukriechen und sich die Sache aus der Vogelperspektive zu besehen. Sogar der Kapitän und die Steuerleute kamen nach vorn und fragten, ob man vielleicht auf diese Weise mit nach Neuyork wolle, wohin das Schiff nächstens abginge.
Wöllers verlor indes kein Wort, sondern stieg, das rechte Mittel zur Erlösung aus dieser Lage kennend, in die Kajüte, von wo er eine Flasche Rum brachte, die er den Matrosen oben als Lösegeld anbot, worauf sie sich herbeiließen, den Kutter loszumachen.
Zu diesem Zweck nahmen einige den Anker des »Seehund« nebst einem großen Stück Kette in ihr Boot und ruderten damit stromauf, wo sie den Anker fallen ließen. Indes hatten sich zwei Mann auf dem Bugspriet auf den Rücken gelegt und strampelten mit den Beinen gegen den Mast des gefangenen Fahrzeuges, während die anderen es an der Kette nach dem Anker hinzogen und auf diese Art frei machten.
Der unglückliche Wöllers stand bei alledem wie ein Bild der Verzweiflung am Steuer und schaute wortlos nach dem Vorderteil des Auswandererschiffes, unter dessen vergnügten Zuschauern er jene beiden jungen Männer erblickte – Schnepfe und Bernhart –, die das Schicksal ausersehen zu haben schien, stets als Zeugen seiner Niederlagen, zu Wasser wie zu Lande, zu dienen.
Meister Wöllers war so ergrimmt über diese Zeugenschaft, daß er, den mäßigen Wind benutzend, sofort umkehrte, wieder aufwärts steuerte und wenigstens den Trost mitnahm, daß ihm diese »bannigen Kerrels« nun nicht mehr auf der Elbe begegnen würden, da er sie für Auswanderer hielt.
Er brachte den Kutter ohne Unfall wieder an die Werft, wo er bis zum nächsten Sonntag liegenbleiben sollte.