Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

siehe Bildunterschrfit

Hafenbild

Vierzehntes Kapitel
Aus dem Hafen

Durch das Gewimmel von Schuten und Ewern, das die Hamburger Hafengassen füllte, arbeitete sich Stubborns Schutenführer Wilm mit einem Boot, in dem bei verschiedenem Gepäck Adolf Schwarz saß und teilnahmlos auf die lebendige Umgebung sah.

Wilm suchte an und unter den Schiffen nach etwas umher, bis er endlich zwischen den Hinterteilen zweier Briggs das Ende eines Bootes erblickte, das seine Aufmerksamkeit erregte.

»Bücken Sie sich 'n bißchen«, rief er Schwarz zu, indem er sein Fahrzeug unter zwei Ketten wegtrieb, die so tief auf das Wasser hingen, daß sie einen sorglosen Passagier unzweifelhaft abgeräumt hätten.

Da sich Schwarz jedoch gehörig bückte, so schoß das Boot ohne Aufenthalt durch die Ketten und lief zwischen die Schiffe, wo Wilm das andere Boot packte und hervorzog.

»Wat sall dat?« fragte der darin sitzende rotnasige Bootsmann, indem er seinen Haken ergriff.

»Legg dienen Haken weg, Kerl, oder du warst vitzliputzlit. Ick segg di, Takel-Jan, maak keen Flautusen und segg mi, ob du wat von unse Schuut wertst«, sprach Wilm.

»Jo'n Schuut?« entgegnete Takel-Jan verwundert. »Wat is dormit?«

»Wat dormit is? Na weetst du warraftig nix dorvon af? Se is siet gestern von den ›Gebrüder‹ weg.«

»Soll mi de Düwel halen; ick weet nix dorvon!« beteuerte der Rotnasige. »Aber teuf! Gestern abend trieben ein paar Finkenwärder mit der Ebbe neben einer Schute hinunter. Es war bei Altona. Jetzt fällt mir erst ein, daß ich dachte, was wohl der Schutenführer mit den Fischern zu tun hat und so weit unten will; denn es war ziemlich bei Rainville Rainville, ein ehemaliger französischer Oberst, kam als Emigrant 1794 nach Hamburg, wo er in dem ehemaligen Schimmelmannschen Palais in der Mühlenstraße eine Wirtschaft aufmachte; er errichtete dann westlich von Ottensen die nach ihm benannte Gartenwirtschaft an der Elbe, die lange Zeit im 19. Jahrhundert der Sammelpunkt der guten Gesellschaft von Hamburg-Altona war.. Düwel nochmal! De Kerrels hebbt wohrschienlich de Schuut stahlen. Oh, de verdammten Spitzbooben! Die Waterrumdriebers! De na baben kahmt un hier rumstehlt un alles wegsnappt! Versuupen sull man de Halunken!« rief in gerechter Entrüstung der redliche Takel-Jan, dem die Finkenwärder schon manchen Bissen vor der Nase weggeschnappt hatten, wenn er ihn abends holen wollte.

Da Takel-Jan schon lange eine Pike auf die Finkenwärder hatte, so versprach er, sich auf die Lauer zu legen, fragte aber als guter Geschäftsmann sogleich, was es trüge, wenn er die Schute auskundschaftete, denn »Vor nischt is nischt« war sein Grundsatz.

Wilm glaubte, daß Herr Trick gern fünf Taler daransetzen würde, vielleicht auch zehn, wenn die Schute wieder herbeikäme. Er selbst aber versprach, extra sechs Flaschen Rum zu geben, wenn die Diebe »gevitzliputzlit« werden könnten. Sechs Flaschen Rum! Takel-Jans Nase begann förmlich von innerem Freudenfeuer zu leuchten, und die Aussicht auf diesen »Tropfen«, wie er es nannte, bewog ihn, sofort aus seinem Versteck zu kriechen, wo er auf die Mahlzeit der Mannschaft lauerte, um von den Schiffen irgendein Tau zu entführen.

Die Brigg Stubborns, die »Gebrüder«, lag schon seit einigen Tagen bei Steinwärder segelfertig und wartete nur auf ihren Kapitän.

Nielsen war am Abend zuvor an Bord gekommen und hatte sich in der Kajüte einquartiert. Sein Boot lag an der Inselseite, während er selbst seit Tagesanbruch auf Deck stand und mit seinem Fernrohr jedes Fahrzeug beobachtete, das von der Stadt herüber- oder von unten heraufkam.

Er entdeckte Wilm, den er kannte, und sah dann mit Verwunderung den jungen Schwarz samt seinem Gepäck an Bord steigen.

»Was bringen Sie denn da?« fragte er nach den ersten Begrüßungen.

»Mich selbst«, entgegnete Schwarz mit trübem Lächeln.

»Sie selbst?« fragte Nielsen erstaunt. »Ja, was wollen Sie denn zur See?«

»Vor drei Tagen dachte ich noch nicht daran. Man kann aber nicht wissen, auf welchen Weg einen das Schicksal über Nacht wirft«, sprach Schwarz seufzend.

»Ja, ja, mein guter Junge. Man kann nicht wissen, wohin es einen über Nacht wirft!« flüsterte der Lotse kummervoll, indem er wieder das Wasser überblickte.

»Wo ist der Kapitän?« forschte Schwarz.

»Weiß nicht«, bemerkte Nielsen, aufmerksam nach St. Pauli hinsehend. »Sie können es jedoch sogleich erfahren, denn dort kommt Herr Stubborn in einer Jolle.«

»Und dort drüben kommt Herr Trick in einer andern«, bemerkte Wilm, nach dem Hafen zeigend.

Beide Fahrzeuge legten bald am Schiff an, worauf Stubborn und sein Buchhalter an Bord stiegen.

»Wo ist der Lotse?« forschte ersterer. Er ging in die Kajüte, als man ihn dorthin wies.

»Wie steht es?« wurde er hier gefragt.

»Schlecht! Sehr schlecht! Der Däne ist mausetot«, sprach Stubborn achselzuckend. »Er wurde noch in der Nacht gefunden, und man glaubte, er habe sich vielleicht aus Versehen selbst erschossen. Ich dachte schon, es würde so abgehen; da kam aber der Mann zu mir, der vorbeiging und Sie erkannte. Es ist ein Hamburger, der draußen wohnt. Ein verdorbener Kaufmann. Er fragte mich, ob ich in die Sache verwickelt sei, und ob er schweigen solle, bis Sie sich beiseite gemacht hätten. Ich habe ihn für acht Tage mit vierhundert Mark gekauft. So lange haben Sie Zeit, sich davonzumachen. Ich will jedoch noch mehr für Sie tun, damit ich nur nicht in die fatale Geschichte verwickelt werde. Ich biete Ihnen die Kapitänstelle auf diesem Schiff an. Heute und morgen haben Sie vielleicht noch Zeit, alles dazu Gehörige in Ordnung zu bringen, und dann sind Sie lange in See, wenn die Geschichte aufkommt.«

Herr Trick steckte seinen Kopf zur Tür herein. »Machen Sie sich davon, lieber Freund«, flüsterte er. »Heute hat schon ein Kamerad von Jörs bei mir draußen die Meinung ausgesprochen, daß er Sie im Verdacht habe. Ich sagte ihm jedoch, daß Sie seit Nachmittag auf unserem Schiff seien, um da verschiedenes in Ordnung zu bringen, und daß der Schuß erst in der Dunkelheit gehört wurde. Gehen Sie mit der ›Gebrüder‹ ein bißchen in See, als Speckschneider vielleicht, denn besser ist besser.«

»Ich habe ihm eben die Stelle als Kapitän angeboten«, bemerkte Stubborn.

»Nanu?! Was wollen Sie mehr?« rief Trick erfreut. »Greifen Sie zu, lieber Freund, und drücken Sie sich so schnell wie möglich. Gehen Sie gar nicht erst wieder nach Neumühlen, denn ich fürchte, die Zollbeamten verhaften Sie. Es liegen wenigstens ein Stücker sechs um Ihr Haus auf der Lauer.«

»Nun denn zum Kuckuck, ich will Ihren Vorschlag annehmen, um aus dieser Klemme zu kommen«, sprach Nielsen. »Machen wir die Sache so schnell wie möglich ab, damit ich das Revier verlassen kann, denn ich fürchte nichts mehr, als eingesteckt zu werden. Wie steht's um das Schiff?«

»Das kann noch diese Stunde in See gehen«, sagte Trick.

»Gut denn. Kommen Sie, Herr Stubborn, zur Admiralität. Dann will ich mir einiges besorgen, um die nächste Minute darauf abzusegeln. Doch was wird mit meinem Haus draußen?«

»Ich werde es an jemand vermieten«, sprach Trick.

»Daß aber nichts ruiniert wird. Es ist mir jeder Baum und jeder Nagel lieb. Teufel!« sagte Nielsen, sich vor den Kopf schlagend. »Beinahe hätte ich vergessen. Ich muß noch einmal hinaus.«

»Was wollen Sie holen?« fragte Trick lauernd. »Gehen Sie nicht. Es steckt alles voller Grenzjäger.«

»Ich muß! Ich muß!« sprach Nielsen.

»Nun, dann nehmen Sie sich in acht!« raunte Trick, indem er Stubborn ansah.

»Ich rate Ihnen auch, lieber wegzubleiben. Es wäre mir leid um meinen guten Kapitän«, riet dieser.

Nielsen schüttelte mit dem Kopf. »Gehen wir und machen alles ab«, wandte er sich an Stubborn.

Auf dem Verdeck angekommen, rief der Reeder die beiden Steuerleute und die Mannschaft, um ihnen ihren Kapitän vorzustellen und zu sagen, daß sie sich zu sofortiger Abfahrt bereit machen sollten. Trick übergab Nielsen ein Verzeichnis der Vorräte und bat ihn, es durchzusehen, um etwaige Mängel noch auszugleichen. Dann stiegen alle drei in das Boot, um die Papiere in Ordnung zu bringen.

Als Stubborn über die Reeling stieg, fiel sein Blick auf Adolf Schwarz, der traurig nach der Stadt hinüberblickte, die er eben verlassen wollte. Der Blick des Kaufmanns blieb einige Sekunden an ihm haften, bis er endlich leise fragte: »Haben Sie noch einen Wunsch, Schwarz?«

Es war eine Frage, so leise und zögernd, wie man sie an einen Sterbenden richtet.

Schwarz schüttelte mit dem Kopfe.

»Gar nichts?«

Wiederum Kopfschütteln.

Stubborn warf noch einen langen Blick auf Adolf, dann stieg er langsam in das Boot und sah nicht mehr nach dem Schiff zurück, als er zur Stadt hinüberfuhr.

Plötzlich sah Schwarz auf und griff an seine Brusttasche.

»Ich hätte ihm den Brief für meinen Bruder geben sollen. Doch nein. Ich weiß nicht, was mich davon zurückhielt. Aber ich muß ihn jemand hier übergeben. Der arme Ernst, er wird sich wundern, wenn er mich nicht mehr findet. Wie muß das mit der Fahrt nach London zusammenhängen?« sprach der junge Mann für sich. »Aber der Brief! – Der Brief!«

Er sah wieder nach dem Hafen hinüber und überlegte, ob er nach der Stadt fahren und den Brief an seinen Bruder bei einem Bekannten niederlegen sollte. In diesem Augenblick kam ein Boot vorbei, in welchem er den Meister Wöllers erblickte.

»Boot ahoi!« rief er.

Meister Wöllers fand es schmeichelhaft, von einem Schiff angerufen zu werden und schloß daraus, daß er sehr seemäßig aussehen müsse. Er hob deshalb und um die gute Meinung zu rechtfertigen, beide Hände an die Backen und brüllte nach der Brigg hinüber: »Schipp ai ai!« worauf er dem Bootsführer an die Fallreep zu legen befahl und diese dann flink hinaufkletterte.

Er war etwas verwundert, den jungen Schwarz hier zu finden. Seine Verwunderung steigerte sich indes, als er erfuhr, daß dieser nach Indien wolle und ihn mit dem Auftrag an seinen Bruder beehrte, den er mit Vergnügen annahm und treulich zu Lande oder zu Wasser auszuführen versprach.

»Wissen Sie nicht, wann Ihr Bruder von England zurückkommt und mit welchem Schiff?« fragte Wöllers, den Finger an die Nase legend.

»Nein«, sprach Schwarz.

»Hm – hm. Tut mir leid. Wäre ihm dann ein Stück entgegengesegelt. Bin eben im Begriff, einen Kutter zu kaufen. Hätte ihm Ihren Brief noch in See übergeben. Tut mir wirklich leid«, sagte Wöllers, bedauernd, daß ihm ein so sportmäßiges Unternehmen entging.

»Ich bin schon beruhigt, den Brief in so guten Händen zu wissen«, erklärte Schwarz. »Geben Sie ihn nur meinem Bruder persönlich und überbringen Sie ihm meine herzlichen Abschiedsgrüße.«

»Soll geschehen«, sprach Meister Wöllers, ihm die Hand schüttelnd, worauf er wieder in sein Boot stieg und dem Jollenführer befahl, nach Marbs Werft zu fahren, wo er ein Schiff besichtigen wolle.

Nielsen war bald mit seinen Geschäften fertig, da Stubborn ohne sein Wissen schon vorgearbeitet hatte.

Nachdem der Lotse noch von Laarsen Abschied genommen hatte, ließ er sich nach seinem Schiff rudern und übernahm dort sofort das Kommando.

Man hörte nach einer halben Stunde das »Kling, Kling« der Ankerwinde, die den Anker unter dem monotonen Gesang der Matrosen hob, worauf das Schiff abwärts zu treiben begann. Als der Anker über dem Wasser hing, ward ein Klüver aufgezogen. Der Mann am Steuer fühlte, daß es in Fahrt kam, und die Szenerie des Hafens, der Stadt und Vorstadt St. Pauli zog an den Blicken der Reisenden vorbei. Dann kamen Altona, Rainville und endlich Neumühlen, wo die Brigg mitten im Strom den Anker nochmals fallen ließ, um bis zur nächsten Ebbe liegenzubleiben.

Nielsen ging auf dem Verdeck hin und her, bis die Sonne hinunter war. Dann stieg er in das Boot und ließ sich nach dem Strand rudern. Er beabsichtigte in sein Haus zu schleichen und dort das ihm von Kern anvertraute Paket zu holen, um es dem jungen Schwarz zu übergeben, da er dies für besser hielt, als es zurückzulassen.

Er wußte nicht, wie sehr es Stubborn betraf und Trick interessierte, und hatte nur die Ahnung, daß es nicht dort bleiben dürfe.

Als er sich durch die Büsche schlich, um sein Haus zu erreichen, bemerkte er, wie es von Zollbeamten umstellt und es unmöglich war, unbemerkt hineinzukommen. Er mußte zu seinem großen Verdruß wieder in das Boot steigen, wollte er seinen Feinden nicht in die Hände fallen.

Nielsen ging auf seinen Ewer und hielt eine lange Konferenz mit seinem Matrosen, den er beauftragte, nach dem Paket an einem gewissen Ort zu suchen und es dem Ernst Schwarz zuzustellen, sobald er zurückkäme. Dann nahm er Abschied von seinem treuen Mann und ließ sich nach der Brigg zurückrudern.

Hier traf er Stubborn und Trick, die ihn zur Eile mahnten, da die Ebbe eben eingetreten war. Die Ankerwinde schickte ihren taktmäßigen Klang wieder über den stillen Strom, das Schiff trieb hinab und verschwand im Abenddunkel, wie eine verbleichende Erinnerung.

Stubborn und Trick saßen stumm in ihrem Boot und sahen ihm nach.


 << zurück weiter >>