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Neumühlen
Da Zeit und Flut einem alten Sprichwort nach auf niemand warten, so ist der Elbspiegel Sonntags ebenso belebt wie an den Wochentagen, und die großen Seeschiffe ziehen mit ihren ausgespannten Segeln wie Riesenschwäne auf und ab.
Gibt es nun eine Menge Leute, die froh sind, wenn sie Sonntags der Elbe den Rücken kehren können, weil sie die ganze Woche auf ihr herumhantieren müssen, so warten andere wieder auf den Sonntag, um sich zum Vergnügen auf dem Wasser halbtot und beide Hände voll Blasen zu arbeiten und dabei den Schiffsleuten zu erbarmungslosem Spott zu dienen.
Dies war dem Meister Wöllers so oft passiert, daß er samt Krischaan dagegen gänzlich abgehärtet erschien, während andere über Witze, die sie im Vorbeifahren von Schiffern einstecken mußten, außer sich geraten wollten.
Herr Wöllers hatte, als ein vorsichtiger Mann, in Altona angelegt, um einige Viktualien zu besorgen, denn er wollte dem Strandrecht nicht verfallen, das damals die Gastwirte am Elbufer an den Hamburgern auszuüben pflegten, die Sonntags in ihre Hände geraten. Er hatte sein Boot am Fischmarkt zwischen zwei Kartoffelewer geschoben und war mit Krischaan hinaufgegangen, indem er die weibliche Besatzung mit der Versicherung zurückließ, daß er in fünf Minuten wieder da sein werde.
Es vergingen jedoch zehn Minuten. Es verging eine halbe Stunde, und kein Wöllers ließ sich sehen. Dagegen krochen aus allen Schiffsluken struppige Köpfe hervor, die die Damen anglotzten und dazu aus kurzen Tabakspfeifen rauchten. Wohin Madame Wöllers auch blickte, überall stierten sie ein paar wasserblaue Augen an, über denen ein strohgelbes Haardach zu sehen war. Es schien ihr, als sei sie unter eine Herde Seehunde oder andere stumme Ungeheuer des Meeres geraten, die stillschweigend berechneten, ob es sich auch der Mühe verlohnte, sie zum Frühstück zu verspeisen.
Und das nannte Wöllers ein poetisches Vergnügen? Hier zwischen teerstinkenden Schiffen zu sitzen und sich von solchen Bestien anglotzen zu lassen?
»Na wart' nur! Ick krieg' dich schon«, murmelte die Meisterin mit unheilvollem Kopfschütteln vor sich hin.
Endlich erschien Krischaan, der mit einem halben Dutzend Weinflaschen, einer Mettwurst und verschiedenen anderen guten Sachen beladen war.
Der arglose Jüngling stieg in das Boot, kletterte an Madame Wöllers und der Verwandtschaft neben den jungen Damen vorbei und legte seine Schätze neben dem Steuer nieder, worauf er wieder nach vorn wollte. Der Unvorsichtige, er hatte diesmal die Meisterin ganz vergessen, die nur den Augenblick erwartete, wo er die Flaschen los war, um dann einen Hauptskalpierungsversuch zu machen. Der Arme mußte die Suppe für Wöllers ausessen, der ihn hinterlistigerweise vorausgeschickt hatte.
Die Meisterin hatte ihn nicht sobald bei den Haaren geentert, als sie ihn auch mit einem großen blechernen Löffel zu bearbeiten anfing, der ihr gerade in die Hand gekommen war und zum Ausschöpfen des Bootes diente, für Krischaan jetzt aber in der Tat zum Prügelsuppenlöffel wurde.
Die Seeungeheuer rundum schmunzelten vergnügt über die Szene und die Gewandtheit, mit der Krischaan eine Rudertolle auszog und damit die Hiebe parierte, wobei er es geschickt einzurichten wußte, daß sich die ergrimmte Meisterin einigemal auf die Hand schlug.
Endlich kam Wöllers und mit ihm ein magerer Herr, der es bei dem warmen Wetter riskiert hatte, sich ganz in Nanking zu kleiden, wozu er einen Panamahut trug. Da sein Gesicht auch genau die Nankingfarbe zeigte, so sah er aufs täuschendste einem großen Bambusstock ähnlich, der unten gespalten ist. Es war Gevatter Schünnemann, ein Freund der Familie, den Wöllers »zufällig« im Weinkeller getroffen und der jetzt an der Partie teilnehmen wollte. Er trug, wie auch Wöllers, noch vier Flaschen in seinen Armen, so daß der Durst, der Feind der Schiffer, vorderhand nicht zu fürchten war.
Man fuhr ab, um ins Freie zu kommen, da jedoch die Flut eben im stärksten Auflaufen war, und der Meister mit Krischaan das schwere Boot nicht gegen den Strom bringen konnte, so ruderten beide nach dem Schiffspavillon zurück, wo man erst einmal Kaffee trank und die Ebbe abwartete, die gegen acht Uhr eintrat.
Der gute Kaffee und ein paar Stücke noch besserer Kuchen besänftigten die Meisterin einigermaßen; denn Kaffee ist ein Wunderbalsam, der seine beruhigende Wirkung beim schönen Geschlecht selten verfehlt, obgleich von einigen Naturforschern behauptet wird, daß er die weibliche Zunge in Damaszenerstahl umwandeln könne.
Sobald Totwasser eingetreten war, ruderte man wieder stromab und hatte nach kurzer Zeit das Vergnügen, die Windmühlen von Neumühlen zu erblicken.
In den Lotsenhäusern am Flußufer, die meist mit kleinen Gärten versehen sind, beziehen viele Hamburger Geschäftsleute ihr Sommerlogis. Andere haben dort eigene kleine Miniaturlandsitze und bringen ihre Abende außerhalb des Geschäftstrubels der Stadt, auf dem Wasser fahrend, am Strande oder in den Lauben ihrer Gärten zu.
So schön der Aufenthalt hier ist, so hat er für die Hamburger doch eine große Unannehmlichkeit. Dies sind die Zollscherereien, denen Wein, Zucker, Kaffee sowie überhaupt alles, was von Hamburg oder Altona kommt, unterliegen.
So fleißig sich nun die Hamburger durch fortwährendes Schmuggeln dagegen wehrten, ebenso unverdrossen lagen die dänischen Zollbeamten auf der Lauer in dem Schilf und den Weidenbüschen am Ufer versteckt, um auf die des Weges oder vom Wasser kommenden Leute Jagd zu machen.
Außer den Sommerbewohnern war es besonders ein alter Lotse und Bootbauer, Nielsen genannt, auf den sie es abgesehen hatten, und von allen Zöllnern ein Inseldäne mit Namen Jörs, der Tag und Nacht auf dem Platze und eine wahre Plage der Bewohner Neumühlens war.
Auch an diesem Sonntagmorgen spionierte Jörs schon seit Sonnenaufgang am Strand herum und stand mit Eintritt der Ebbe hinter einem Baum auf der halben Berghöhe. Er hatte ein Fernrohr in der Hand, das er vor sein Auge brachte, sobald sich ein Fahrzeug auf dem Wasser sehen ließ.
Jörs war ein großer starker Mann, dessen Bauch stets ein Lager von verschiedenen Spirituosen und Weinen enthielt, denn was er im einzelnen konfiszierte, lieferte er des schnelleren Geschäftsganges wegen nicht erst an das Zollamt in Ottensen ab, wie es eigentlich sein Dienst erforderte, sondern deponierte es sofort in dem erwähnten Keller. Sein aufgedunsenes Gesicht zeigte die Röte, die der Spiritus hervorbringt. Ein paar graue Augen, von roten Lidern halb verdeckt, standen neben der Stumpfnase so weit aus dem Kopf hervor, daß eins das andere sehen konnte und Jörs deshalb wie ein Frosch aussah, der in einem Teich von Rum lebt. Außerdem zierte ein borstiger, strohartiger Schnurrbart dieses bösartige Gesicht, wodurch es noch abstoßender ward.
Jörs war ein rücksichtsloser, boshafter Mann, dem es Vergnügen machte, jemand ins Unglück zu bringen, und den selbst seine Kameraden mieden, wo sie konnten. Seine Trunksucht spornte ihn an, Tag und Nacht auf der Lauer nach Konterbande zu liegen, an den Fenstern zu horchen und um die Häuser und Gärten zu spionieren, ob sich ein Fang machen lasse. Er hatte dabei allerdings oft mehr Prügel als Beute erwischt und zeigte auch jetzt eine mit Blut unterlaufene Wange, die er dem Lotsen Nielsen verdankte, der ihn am vergangenen Abend mit einem Bootshaken in das Gesicht gestoßen hatte, als er unter den Weidenbüschen vor seinem Hause versteckt lag.
Jörs blickte nach Altona zu. Plötzlich machte er seine halbgeschlossenen Augendeckel ganz auf, sah nochmals durch das Fernrohr, schob es dann eilig zusammen und lief den Berg hinab zum Strand, wo er in den Weidenbüschen verschwand, die am Flutrande hinliefen.
*
Es lag eigentlich in Meister Wöllers Plan, seinen Kurs direkt nach Blankenese zu steuern, um dort den Süllberg zu besteigen, wo nebst der weiten Aussicht auch noch ein Paar Stiefel von Gustav Adolph, dem Schwedenkönig, zu sehen waren.
Um jedoch das Geduldstau der Meisterin nicht zu sehr zu spannen, beschloß er, in Neumühlen anzulegen und einen Besuch bei einer Familie zu machen, mit deren Oberhaupt er in Geschäftsverbindung stand.
Er steuerte deshalb das Boot hier nach dem Ufer zu und ließ es mit der Spitze auf den Sand laufen.
Dabei bemerkte er nicht, wie ein Mann eilig am Strand daherlief und ihm zuwinkte, wieder in den Fluß zu steuern, weil ein anderes Boot, das von den Schilfbrüchen herüberkam, seine und seiner Begleiter ganze Aufmerksamkeit durch einen vierstimmigen Gesang in Anspruch nahm, der aus ihm über das Wasser erklang. In dem Boot saßen lauter junge Leute, die sich Kränze von dem frischen Grün, das sie drüben gefunden, geflochten und aufs Haupt gesetzt hatten.
Die hoffnungsreiche, lebensfrohe Jugend feierte den jungen Frühling, der nach langen Wintermonden mit aller Pracht hereingebrochen war.
Was gleicht von allem Erschaffenen der Schönheit eines jungen Mädchens? Wir haben auf dieser Erde nichts, was darüber hinausgeht.
Dies mochte auch der junge Mann denken, der, einen Weidenkranz mit Silberschäfchen auf dem schwarzen Haar, schwärmerisch auf eine Mädchengestalt blickte, wie sie nur jemals der Pinsel Tizians hervorgezaubert hat. Die Glut blauer Augen, mit denen sie wiederum auf den Jüngling sah, war jedoch kein Maler der Welt imstande, wiederzugeben.
Um das reiche blonde Haar, das sich in kleinen Wellen an einen üppigen Nacken schmiegte, hatte sie gleichfalls einen grünen Kranz gewunden, während den halb entblößten reizenden Arm ein Armband von jenen grauen Samtschäfchen schmückte, wie sie die Weiden im Frühling tragen. Der Wuchs des Mädchens, das etwa achtzehn Jahre alt war, streifte die volle Form weiblicher Schönheit und wurde durch eine höchst gewählte Toilette in ein Licht gesetzt, das auf jeden jungen Mann sinnverwirrend wirken mußte, da ein Gesicht den Zauber unterstützte, über dessen zarte Linien ein inneres Feuer der Liebessehnsucht ausgebreitet lag.
Neben ihr saß eine Dame, die einige Jahre mehr zählen mochte. Sie zeigte eine ganz andere Schönheit, denn ihr Haar glänzte in tiefstem Schwarz, von welcher Farbe auch die Augen waren, die, von langen Wimpern halb bedeckt, an die Heineschen Worte: »zwei schwarze Sonnen«, erinnerten. Eine tiefe Glut strahlte daraus hervor, wenn sich die Wimpern hoben und die dunklen Sterne dahinter auf den ihr gegenübersitzenden Ruderer blickten, der sie wie seinen Kompaß unverwandt ansah. Dann hoben sich ihre Lippen in leisem Lächeln, und es ward eine glänzende Perlenschnur dahinter sichtbar.
Der Schiffer war offenbar der Bruder des anderen jungen Mannes, während die Dame, die Schwester der Blonden, kaum dafür erkannt werden konnte. Beide hatten ebenfalls Kränze auf dem Haar.
Hinter dem Ruderer, dessen ganze Gestalt schon die herkulische Kraft vermuten ließ, mit der er das Boot durch das Wasser trieb, saß im Bug des Bootes ein dritter junger Mann mit gänzlich blasiertem Gesicht. Auch er hatte sich dem Frühling zu Ehren mit Grün geschmückt, doch um seinem eigenen Geschmack nachzukommen und zugleich die anderen zu verhöhnen, auf andere Art, indem er zwei Zweige wie Eselsohren in seine Krawatte steckte, die ihm zu beiden Seiten über den Kopf herausstanden.
Man konnte nichts Schöneres sehen als die beiden Paare, die hinter der Eselsgallion im Boot saßen, das jetzt neben dem Wöllersschen auf den Strand lief. Noch in den Anblick der beiden Mädchen versunken, fühlte der Meister plötzlich einen Ruck, der ihn und Gevatter Schünnemann beinahe über Bord geworfen hätte.
Er sah sich verwundert um und erblickte das rote, höhnische Gesicht des Zollbeamten, das ihm nach dem unmittelbaren Anschauen der Mädchenköpfe um so häßlicher vorkam.
Jörs hatte die Kette des Bootes gepackt und es mit einem kräftigen Ruck noch höher auf den Strand gezogen, worauf er sie um einen Pfahl schlang, an den die Fischer gewöhnlich ihre Netze hängen, und sie schnell und zum unbegrenzten Erstaunen des Meisters befestigte.
»Dübel noch mal! Mann! Hest en lüttjen Knall?« schrie Wöllers, ans Land springend und an der Kette zerrend.
»Stopp!« sagte Jörs grinsend. »Szie wollen sgmuggeln! Bringen Szie mal die Flasgen da 'raus, und die Wurst und den Käse. Lassen Szie mal sehn – drei, sechs, szehn«, zählte er, indem ihm die Froschaugen beinah aus dem Kopf kollerten und er mit den Lippen schmatzte.
Die ganze Verwandtschaft stand starr vor Schreck.
»Sie können ruhig gehen«, sagte Jörs zu der anderen Gesellschaft, indem er sich auf den Steven des Bootes setzte, um die Entfernung der unwillkommenen Zuschauer abzuwarten, denn er dachte Weitläufigkeiten zu sparen und dem Zollamt keine unnötige Schreiberei zu verursachen.
Der junge Mann, der das Boot gerudert hatte, war indes nicht geneigt, den Platz zu räumen, sondern fragte etwas ärgerlich: »Was haben Sie da mit den Leuten vor, Herr Jörs? Ich hoffe doch, daß Sie keinen Unsinn machen und sie als Schmuggler ansehen wollen?«
»Bekümmern Sie sich gefälligst um sich, Herr Sgwarz!« sagte Jörs, ihm den Rücken zudrehend. »Sie sind Sgmuggler! Basta!«
»Wahrhaftiger Gott!« schrie Wöllers, »er ist duhn! Es fällt uns gar nicht ein, zu schmuggeln, wir wollen hier nur einen Bekannten besuchen!«
»Wird Ihnen nicht viel helfen«, fiel hier der Mann ein, der ihnen gewinkt hatte und nun herbeikam. »Was der in den Klauen hat, gibt er nicht wieder her.«
»Sehn Sie!« sagte Jörs grienend, als sei ihm das größte Kompliment gesagt worden, »sehn Sie, er versteht das! Weg da!« fuhr er jedoch fort, als der alte Nielsen, denn dies war der Warner, heimlich mit Wöllers sprach. »Sie dürfen nicht mit den Sgmugglern spreechen!« Hierbei drängte er sich vor Wöllers und wollte Nielsen wegstoßen.
Der alte Lotse war magerer, als es anständig ist, und es schien, als würde ihn der dicke Jörs wie eine Feder in das Schilf werfen. Wer jedoch gewöhnt ist, einen Menschen nach seinem Bau und nicht nach der Fleischmasse zu taxieren, der würde sich beim Anblick seiner breiten Schultern und Fäuste wohl gehütet haben, mit ihm anzubinden. Nielsen packte den dicken Zöllner mit seiner sonnverbrannten Klaue bei der Brust und warf ihn ohne die geringste Anstrengung, wie ein Kind von vier Jahren, in die Weiden, daß nur noch seine Beine heraussahen.
»Machen Sie es so, wie ich Ihnen sagte, dann ärgert er sich wenigstens«, raunte er hierauf Wöllers zu und wollte dann ruhig am Strande fortgehen.
Jörs war indes wieder auf die Beine gesprungen und zog seine Büchse aus den Weiden hervor, welche er auf den Lotsen anschlug, denn der Zorn von gestern abend brach jetzt los. Sein Gesicht war dunkelrot, und man hörte den Büchsenhahn knacken.
Der junge Mann, den wir Schwarz nennen hörten, hatte ihm jedoch in das Schloß gegriffen, ehe der Hahn noch ganz aufgezogen war, und ihm ebenso schnell die Büchse aus der Hand gerissen.
Die Damen erhoben in diesem Augenblick ein Zetergeschrei, und der junge Mann mit den grünen Eselsohren machte einen Seitensprung von etwa zwei Klaftern, wobei er kalkweiß wurde, obgleich er vielleicht vier Schritt aus der Schußlinie stand.
»Was tun Sie da!« sagte Schwarz. »Sie haben den Mann angepackt und wollen nun gar noch auf ihn schießen? Ein Mord fehlte Ihnen hier nur noch – schämen Sie sich!« Damit zog er den Hahn der Büchse auf und schoß sie auf den Fluß ab, wo die Kugel über das Wasser hintanzend nach dem anderen Ufer zu flog.
Der alte Lotse kam jetzt langsam zurück und sprach, Jörs grimmig anblickend: »Du hast also nicht genug daran, daß du die Leute hier quälst und um das ihrige bringst? Du Hund willst uns auch noch ans Leben? Ihr seid alle Zeugen, daß er mich hat erschießen wollen!« wandte er sich an die Umstehenden, deren Zahl sich mit jeder Minute vergrößerte, denn der Schuß hatte den Strand alarmiert. »Wenn mir etwas passiert, so braucht Ihr den Täter nicht weit zu suchen. Ich denke aber, wir rechnen schon einmal miteinander ab, ehe du mir ankommst, du – du – du Schuckelmeier.« Mit diesem Schlußwort drehte er sich wieder um und ging den Strand entlang nach seinem Haus.
Es konnte den Dänen nichts mehr ärgern als das Wort Schuckelmeier, ein Spottname, den die Hamburger dieser Nation gaben, weil sie die Franzosen nach Hamburg geschuckelt (geschmuggelt) hatten, und der erst im Jahre 1848 dem Spitznamen »Hannemann« wich. Jörs hätte nochmals mit dem Lotsen angebunden, sobald er aber keine Kugel im Haus wußte, hatte er auch keinen Mut.
Sein Ärger stieg indes noch mehr, als er die Menge Leute sah und dadurch die Gelegenheit verlor, die Weinflaschen in seinem Keller unterzubringen. Er war viel zu boshaft, um Wöllers loszulassen, und bestand nun erst recht darauf, daß die männliche Besatzung des Bootes die Flaschen nehmen und ihm damit nach dem Zollamt folgen solle, wohin man eine gute halbe Stunde gehen mußte.
Wöllers, der sich nach der Familie Kühnemann erkundigte, die hier ein Landhaus besaß, mußte zu seinem Verdruß erfahren, daß sie in Blankenese war. Als er im Kreise umherblickte, ob er nicht vielleicht ein bekanntes Gesicht sähe, das sich für ihn verwendete, kam der Kaufmann Stubborn zum Strande herab, der Vater der beiden schönen Mädchen, mit dem er mehrfach Geschäfte gemacht hatte.
Er wandte sich an ihn und bat ihn, doch um's Himmels willen Bürgschaft für ihn zu leisten, damit er aus den Händen des Zollbeamten käme.
»Ich leiste für niemand Bürgschaft«, sprach Stubborn in kaltem Ton, wobei er die Gruppe verächtlich überblickte.
»Und ich nehme keine Bürgschaft an«, entgegnete ihm Jörs grob.
»Es ist am besten, Sie gehen ruhig mit. Auf dem Zollamt sind sie vernünftiger als dieser Mann!« sprach der ältere Schwarz.
»Sie spielen hier wohl Komödie?« fragte diesen jetzt Stubborn, indem er einen spöttischen Blick nach dem Kranz auf seinem Kopf warf, den Schwarz abzunehmen vergessen.
Der junge Mann wurde rot und riß den Kranz vom Kopf, den er in das Wasser schleuderte. Die schwarze Dame hatte den ihrigen schon bei der Ankunft des Vaters heruntergenommen. Auch der jüngere Schwarz hatte den Haarschmuck still entfernt und hinter dem Rücken gehalten. Der blasierte Bruder der Damen beseitigte, sobald er seinen Vater erblickte, die Eselsohren. Die Anwesenheit des fischkalten Geschäftsmannes hatte alle Frühlingsluft wie ein wiederkehrender Winterfrost ertötet. Nur Julie, seine jüngere Tochter, behielt ihren Kranz auf. Sie ließ sich niemals durch die Blicke des Vaters einschüchtern und tat immer, was sie Lust hatte.
Da sich niemand des unglücklichen Wöllers annehmen konnte, ja sogar einige neu Hinzugekommene über ihn und Schünnemann schlechte Witze machten, so nahm er mit diesem und Krischaan die Weinflaschen in den Arm und trat den Trauerzug, der von Jörs eskortiert wurde, an.
Wer beschreibt aber seinen Grimm, als er nach einigen Schritten abermals die beiden jungen Leute stehen sah, die ihn heute morgen bereits beim ersten Unfall durch ihr Mitleid so geärgert hatten.
Sie waren eben angekommen und nicht wenig verwundert, den Meister schon wieder in einer anderen, aber nicht besseren Situation zu finden, die ihre Teilnahme verdiente, die sie mimisch auszudrücken nicht ermangelten.
Wöllers sagte kein Wort. Bernhart und Schnepfe waren jedoch in ihrem Leben nie so nahe daran gewesen, einige Flaschen an den Kopf geworfen zu kriegen, wie in diesem Augenblick.
Der Zug der Gefangenen kam eben in ein steiniges Terrain, und da Wöllers leise mit Schünnemann und Krischaan sprach, so übersah man eine Kette, die nach dem Wasser hin lag, und alle drei stolperten darüber, wobei die sämtlichen Weinflaschen ihren Händen entfielen und klirrend zerbrachen.
Jörs war einige Schritte hinter ihnen geblieben, denn ein von Hamburg heruntersegelnder Ewer, der auf den Strand zuhielt, hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Er erkannte ihn als Nielsens Fahrzeug und wußte genau, daß er ein ganzes Kolonialwaren- und Rumlager enthielt. Es verblüffte ihn, daß das Fahrzeug am hellen Tage und nicht, wie er erwartet hatte, in der Dunkelheit ankam. Er faßte den Verdacht, daß die paar Weinflaschen, die er eben ertappt hatte, ihn wegzulocken bestimmt waren, und wußte nicht, was er jetzt anfangen sollte, als ihn ein Gelächter und Klirren von Glasscherben aus dem Nachsinnen riß.
Da lag seine ganze Beute am Boden, und Krischaan klopfte noch mit einem Stein alles klein, was nicht zerbrochen war.
Zur Verwunderung der Zuschauer tat der Zollbeamte weiter nichts, als daß er einige dänische Flüche hervorstieß und dann zu Wöllers sagte, »er solle sich zum Teufel scheren«. Seine Aufmerksamkeit war viel zu sehr auf den Ewer gerichtet, der jetzt nahe beim Strand vor Anker ging, als daß er sich noch länger mit den Hamburgern beschäftigt hätte, wo es doch nichts mehr zu trinken gab.
Darin hatte er sich jedoch geirrt; denn als Wöllers nebst seinen Begleitern wieder in das Boot stieg, streifte Krischaan seine Hosen herauf und watete in das Wasser, aus dem er vier Flaschen hervorbrachte, die er über Bord geworfen hatte. Sobald sie herausgefischt waren, machte er das Boot mit flott und sprang hinein. Das Fahrzeug verließ den ungastlichen Strand, und Krischaan zeigte dem ergrimmten Zöllner die Flaschen mit Triumphgeschrei, sobald er zehn Schritt vom Lande war.