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siehe Bildunterschrfit

Aus Carl Reinhardts Leben

Statt einer Vorrede

Carl Reinhardt bezeichnet sein vierbändiges Werk, das 1866 bis 1868 bei Carl Wigand in Leipzig erschien, als einen humoristisch-satirischen Roman. Es ist viel mehr! Es ist ein überaus scharf gezeichnetes Kulturbild aus dem Hamburg nach der Befreiung von der Franzosenherrschaft, als die alte Zeit mit Pauken und Trompeten wiederkehrte und die Hamburger unter der glücklichen Verfassung von 1712 weiterlebten, als ob es nie eine französische Besetzung gegeben hätte. Das war jene Zeit, in der die allmächtigen Senatoren das überkommene patriarchalische Regiment stark ausbildeten und ihre Hamburger Bürger wie Kinder behandelten, die am Gängelband geführt werden mußten. Das war jene Zeit, in der Wilhelm Locker seine Gedichte von der Mohren-Republik schrieb und dafür auf dem Bürgergefängnis, dem Winserbaum, mehr als einmal büßen mußte. Jene Zeit, als Heinrich Heine, spöttische Lieder ersinnend, durch die Gassen der alten Stadt wandelte. »Der fünfte Mai« ist ein Schlüsselroman. Reinhardt sagt an einer Stelle selbst, daß alle die Persönlichkeiten, die er geschildert hat, wirklich gelebt hätten, nur, daß er natürlich die Freiheit des Dichters gebraucht und seine karikierten Figuren stark übertrieben habe. Das ist ihm auch schon in der Kritik seiner Zeit, insbesondere von De Robert Heller, entgegengehalten worden, und Reinhardt hat diese Kritik, wie aus der Vorrede des zweiten Bandes seines Werkes in der älteren Auflage hervorgeht, auch ruhig hingenommen. Dem ersten Bande hat er folgendes Gedicht vorangeschickt:

Weg mit Pinsel und Palette,
Die nur den Moment gebannt,
Während der Momente Kette
Durch die Feder schafft die Land.
Tief aus der Erinn'rung Walten,
Wie aus naher Gegenwart,
Führ' ich vor euch die Gestalten
Komischer und ernster Art. –
Manchem will es nicht behagen,
Wird sein eignes Bild gebracht,
Während bei des Nachbars Klagen
Er sich still ins Fäustchen lacht.
Allen kann man's recht nicht machen,
Ein'ge brummen sicherlich.
Doch, wenn nur die meisten lachen,
Geb' ich ganz zufrieden mich
!

Was den Roman »Der fünfte Mai«, der jetzt seine sechste Auflage erlebt, wertvoll gemacht hat, ist nicht etwa nur die lose geschürzte, aber doch fesselnde Handlung, sondern die Absicht, in der er geschrieben ist, nämlich die innere Verderbtheit gewisser Kreise der alten Hansestadt zu schildern, die Reinhardt als »Deminoblesse« bezeichnet. Er schildert ihr üppiges Leben, ihre nur auf Verdienst ausgehende geschäftliche Handlungsweise, ihre Vernachlässigung von Kunst und Wissenschaft und führt mit starken Strichen die Katastrophe, die schreckliche »flammende Verjüngung« vom 5. Mai 1842 herauf. Sie ist der Untergrund seines Gemäldes; der Leser fühlt das Unglück nähen, empfindet den kommenden Zusammenbruch von Kapitel zu Kapitel stärker und sieht schließlich über die rauchenden Trümmer der Stadt hinaus die Zukunft eines reineren Hamburg, das wie ein Phönix aus der Asche emporsteigen soll.

Der Verfasser Carl August Reinhardt ist kein geborener Hamburger, sondern hat am 25. April 1818 in Leipzig das Licht der Welt erblickt, und zwar als Sohn des Kupferstechers Karl Chr. Reinhardt. In seinem Elternhause verkehrten viele Künstler, wie Straßberger, Geißler, Geyser, der Kupferstecher Gock, Ramberg, namentlich aber der Genre- und Porträtmaler Georgi, der großen Einfluß auf den Heranwachsenden hatte. Wie aus seinen gelegentlichen Bemerkungen hervorgeht, hat er eine Lateinschule besucht und sich dann nach Besuch der damals unter der Leitung Schnorr von Carolsfelds stehenden Kunstakademie zu Leipzig als Landschafter auf Reisen in Norwegen, Tirol und Italien gebildet. In Dresden war er Schüler des Landschaftsmalers Prof. Dahl, in München nahm sich Prof. Albert Zimmermann des jungen Künstlers an. Später ging er zum Zeichnen von Karikaturen über, und die Bilder, die er zu den einzelnen Kapiteln seines Romans gezeichnet hat, zeugen von seiner Vorliebe für Karikaturen. Es liegt in ihnen ein starker Zug zur Übertreibung, der auch seinen Schilderungen eigen ist. Der Leser muß daher dies immer im Auge behalten und stets daran denken, daß Reinhardt durch den Humor seiner Figuren wirken will. Wann Reinhardt nach Hamburg gekommen ist, wissen wir nicht, wahrscheinlich am Ende der dreißiger Jahre. Er hat hier wohl sein Brot durch Zeichnen und Malen verdient und dabei vielleicht jene traurigen Erfahrungen gemacht, die er in seinem Roman niedergelegt hat, denn seine Zeitgenossen waren gerade nicht sachverständige oder begeisterte Kunstfreunde. Sehr lange scheint er nicht in Hamburg geweilt zu haben, denn er hat niemals als Oberdeutscher die plattdeutsche Sprache beherrschen gelernt. Davon zeugt das Plattdeutsch seiner Erzählungen; denn er verstand wohl die Sprache der Hamburger, die damals noch bis in die Kreise des Senats hinein, insbesondere bei den Gerichtssitzungen der Prätoren auf der Diele und im Verkehr mit Dienstboten Plattdeutsch war. Er vermochte aber nicht, in diesem Idiom zu erwidern, und konnte natürlich in ihm auch nicht schreiben. Diesen Fehler soll die vorliegende Bearbeitung, soweit es möglich ist, zu verbessern suchen, ohne sich dabei irgendeiner niederdeutschen Rechtschreibung anzuschließen. Auch soll da, wo der Verfasser das offenbar gewünscht hat, das Hochdeutsche und das Missingsch stehenbleiben.

Bis zu welchem Jahre Reinhardt in Hamburg geblieben ist, steht nicht fest. Nach einem Gedenkartikel in der Illustrierten Zeitung, dem auch das diesen Zeilen vorangesetzte Bildnis entstammt, zog er bald wieder nach Dresden, wo er an dem im Verlag von Georg Wigand erscheinenden Volkskalender mitarbeitete. Dort entstand auch sein erstes Druckwerk humoristischen Inhalts »50 Mittel gegen böse Gläubiger«, das freundlichen Anklang fand. Der bewegliche Geist Reinhardts hatte nirgends lange Zeit Ruhe; auf der Rückkehr von einer Reise nach Oberitalien 1845 wurde er in München mit den Verlegern der »Fliegenden Blätter« bekannt und entschloß sich, seinen Wohnsitz in der bayrischen Hauptstadt zu nehmen, wo er mit seiner Familie seit 1847 wohnte. Lier entstand neben zahlreichen Illustrationen manches gute Bild, wie das seinerzeit Aufsehen erregende ›Die Wetterhexe‹. Reinhardts liebster Aufenthalt war das bayrische Gebirge, wo er fleißig Studien machte und mit Liebe und feinem Sinn die frische Gebirgsnatur beobachtete.

Anfang der fünfziger Jahre kehrte er nach Hamburg zurück, wahrscheinlich veranlaßt durch die hier erfolgte Gründung eines humoristischen Blattes, nach dessen Eingehen es hieß, daß es eine längere Lebensdauer gehabt hätte, wenn der Redakteur ebensogut gewesen wäre wie der Zeichner. Hier entstanden verschiedene Bilder, so ein Blumenstück, das 1853 der Hamburger Kunstverein erwarb, »Der alte Kran in Hamburg« und »Am Ostseestrand«, die von der Kunsthalle angekauft wurden, und endlich 1855 eine Lithographie vom Blockhaus in der Nacht, die noch kürzlich im Überseejahrbuch 1927 aus dem Besitz des Staatsarchivs wiedergegeben wurde und Reinhardts Fähigkeit zeigt, seine Stimmungen von Lasen und Elbe wiederzugeben. Das Museum für Hamburgische Geschichte besitzt das Bild »Die brennende Nikolaikirche«, der Verein für Hamburgische Geschichte das Gemälde »Auf dem Eise«, das in etwas veränderter Gestalt auch in unserm Roman wiederkehrt. Von Hamburg aus entwickelte Reinhardt eine fruchtbare Tätigkeit als Maler und Schriftsteller; er war Mitarbeiter der »Gartenlaube«, der »Illustrierten Zeitung«, des »Kladderadatsch« und des »Dorfbarbier«.

Leider zeigten sich hier schon die Anfänge seines schmerzhaften Gichtleidens; im Sommer 1855 war er gezwungen, eine Badekur in Teplitz durchzumachen, die leidlichen Erfolg hatte. »Das Anerbieten, an einem von Saphir in Wien geleiteten Witzblatt teilzunehmen, nahm Reinhardt mit der Hoffnung an, daß der Aufenthalt im Süden für seinen Gesundheitszustand von heilsamem Erfolg sein werde. Dies war leider nicht der Fall, das Leiden ergriff seinen Körper immer mehr. Trotzdem unternahm er im Sommer 1856 von Wien aus auf einem sogenannten Schinakel eine Donaufahrt nach den Schüttinseln, deren poetische und humorvolle Beschreibung sich des ungeteilten Beifalls der Leser zu erfreuen hatte.

Im Jahre 1860 kehrte der Ruhelose nach Dresden zurück; trotz großer Schmerzen entwickelte er eine ungewöhnliche Tätigkeit. Das berühmte Holzschnittblatt »Der Löwe kommt!«, eine Reihe urkomischer Bilderbogen und endlich auch unser Roman entstanden in jenen Jahren, in denen Reinhardt an den Rollstuhl gefesselt war. Auch das Witzblatt »Der Calculator an der Elbe« redigierte er in Dresden. Die Distanz von den Persönlichkeiten und den Ereignissen in Hamburg wird ihm auf jeden Fall bei der Abfassung seines Romans zum Vorteil gereicht haben. Ein Erscheinen des Romans um jene Zeit in Hamburg wird auch kaum möglich gewesen sein; denn die von ihm karikierten Personen waren ja zumeist noch am Leben. Er selbst hat das empfunden; denn er schreibt in einer seiner Vorreden, daß er sein Werk weder Rothschild widmen konnte wegen des in der vorliegenden Ausgabe übrigens gestrichenen Kapitels Judenverfolgungen, noch den Finkenwärdern und Helgoländern, denen er in den vier Bänden bös mitgespielt habe. Sein Ausweg, das Werk den Hamburger Millionären zu widmen, ist daher wohl mehr als ironisch gemeint. Es wird vielfach behauptet, daß sein Werk vom Hamburger Senat verboten gewesen sei – eine Maßregel, die zweifellos seine Popularität gefördert haben würde –, aber für diese Behauptung ließen sich bisher Unterlagen nicht finden. Das Staatsarchiv hat auf Anfrage freundlichst mitgeteilt, daß in den Senatsakten sich nichts über ein Verbot vorgefunden habe.

Reinhardt scheint noch weitere Schriften verfaßt zu haben, so erschien in Hamburg 1854 »Punsch-Kalender«, ein humoristisch-satirischer Almanach, 1860 in Berlin »Schultze und Müller auf Helgoland und in Hamburg«, endlich die »Reisen des Malers Kohle« und »Tintenklexe«, humoristische Erzählungen, die im Jahre 1869 herauskamen. In Dresden hat er zu den Operetten seines Bruders, des Komponisten Reinhardt, die Librettos geschrieben. In seinem Nachlaß fand sich der Text zu einer komischen Oper »Midas«. In seinen letzten Jahren befand sich Reinhardt öfter in einer Notlage, doch hat er sich, wie sein Sohn damals an die Kötzschenbrodaer Zeitung und Anzeiger schrieb, immer wieder wie Münchhausen am eigenen Zopf gepackt und selbst aus dem Sumpf gezogen. Auf jeden Fall ist die Sage unrichtig, daß der Eisenbahnkönig Dr. Strousberg dem kranken Reinhardt »die größte Überraschung seines Lebens erwiesen habe«, indem er ihm ein eigenes Leim schenkte. Reinhardt hat vielmehr wenige Monate vor seinem Tode das Lehmannsche Restaurant »Zum goldenen Faß« bei Kötzschenbroda selbst käuflich erworben. Er taufte das freundliche Besitztum nach seinem letzten Witzblatt zum »Calculator an der Elbe« und dort ist er am 11. August 1877 gestorben. Seine feierliche Beisetzung fand unter lebhafter Beteiligung am 14. August statt; in den Nachrufen wird seiner ehrend gedacht und betont, daß der Heimgegangene auch in der schwersten Bedrängnis den Humor nicht verloren habe. In seinem Roman spielt er als Professor Bernhart eine Rolle. Alle Talente, die seine Nachrufe an ihm preisen, vereinigt er in glücklicher Weise in dieser Figur. Auch das kleine Besitztum an der Elbe kommt darin vor, und das Zusammentreffen der Hauptpersonen der Erzählung auf dem Gütchen schließt die Erzählung harmonisch ab. »Der fünfte Mai« hat dann noch mehrere Auflagen erlebt. Die zweite Auflage ist 1888 in Hamburg bei Gustav W. Seitz Nachf. Gebrüder Besthorn erschienen und die anderen Auflagen wohl erst nach der im Jahre 1907 abgelaufenen Schutzfrist für seine Werke. Eine bei Kramer, St. Pauli, Paulinenplatz, 1914 erschienene Auflage bezeichnet sich als fünfte Auflage. Da seitdem der Roman nicht mehr erschienen ist, trotzdem mehrfach der Wunsch ausgesprochen wurde, daß er schon aus rein hamburgensischem Interesse wieder herausgegeben werde, weil die früheren Auflagen vergriffen waren, so würde die vorliegende Bearbeitung die sechste Auflage sein. Der Verleger, Herr Kurt Broschek, hat geglaubt, sich den vielfachen, namentlich aus Buchhändlerkreisen an ihn herangetretenen Wünschen, eine Neuauflage des »Fünften Mai« zu veranstalten, nicht entziehen zu dürfen. Durch die Wiedergabe der eigenhändigen Holzschnitte Carl Reinhardts, die auch die früheren Auflagen zierten und Gegenden aus Hamburg wiedergeben, die nur selten im Bild erschienen sind, glaubt die Verlagsbuchhandlung eine Hamburgensie weiteren Kreisen der Gegenwart zugängig zu machen, die seit langen Jahren nicht mehr zu erhalten war. Die Einschaltung des Bildes Reinhardts »Der alte Kran«, dessen Wiedergabe wir der Leitung der Kunsthalle verdanken, beweist, daß der Dichter auch als Maler größeren Aufgaben gerecht werden konnte.

Aber die Erzählung Reinhardts beschränkt sich nicht auf Hamburg allein und verdient daher einen über Stadt und Umgebung weit hinausgehenden Leserkreis. Der Verfasser selbst hat seinen Roman eine Erzählung von der Unterelbe genannt, und in der Tat: Neumühlen wie Finkenwärder, Stade, Cuxhaven, Neuwerk und Helgoland sind Szenerien seiner Geschichte, ja sogar nach Dresdens Umgebung, nach Londons Hafen und in die Sundastraße führt er seine Leser. Auch aus Groß-Altonas dänischer Zeit wird man manch Wissenswertes kennenlernen. Endlich sei bemerkt, daß »Der fünfte Mai« sich keineswegs auf die Zeit um den großen Brand Hamburgs beschränkt. Die Erzählung hebt vielmehr an mit der Maienzeit 1813, als nach Tettenborns Rückzug die Franzosen wiederkehrten und nun Rache nahmen für den Freiheitsjubel der Hamburger; der fünfte Mai 1842 ist nur die fürchterliche Apotheose eines reaktionären Menschenalters, die mit einer Kraft aufgebaut ist, die zeigt, daß der Verfasser Dichter und Maler zu gleicher Zeit war.

Bei der Bearbeitung ist Grundsatz gewesen, das Werk Reinhardts möglichst zu schonen und nur die Stellen zu streichen, die entweder die Handlung nicht vorwärtsbringen oder Naturschilderungen enthalten, die für die Gegenwart nicht zutreffen und daher für die heutigen Leser kein Interesse haben. Schon die späteren Auflagen des Romans enthalten Streichungen gegen die erste Ausgabe. Auch sind viele starke Ausdrücke gemildert. Es fehlen in der Ausgabe von 1888 zwei ganze Kapitel, die schon dem damaligen Herausgeber nicht geeignet zu sein schienen. Dazu sind in der vorliegenden Bearbeitung einige weitere gekommen, die die Satire übertreiben und dem Geschmack der Gegenwart nicht mehr entsprechen, wie z. B. Judenverfolgungen und einige unsaubere Schmuggelgeschichten. Textlich ist eine Reihe von Unebenheiten, die im Stil der sechziger Jahre gang und gäbe waren, ausgemerzt; auch sind Übergänge geschaffen und einzelne Episoden etwas abgerundet worden. Daß der Roman dadurch etwas kürzer geworden ist, kann ihm nicht schaden; es ist zu hoffen, daß die Lesbarkeit nicht darunter gelitten hat und der urwüchsige Humor Reinhardts hinreichend zum Ausdruck gekommen ist. Den vielen Freunden der hamburgischen Geschichte wie überhaupt des ganzen Lebens und Treibens um die Mitte des vorigen Jahrhunderts an der Niederelbe bis nach Helgoland hin, die schon so oft eine Neuauflegung des alten Romans gewünscht haben, wird er in seiner verjüngten Gestalt hoffentlich willkommen sein.

September 1927.
Dr. Arthur Obst.


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