Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

siehe Bildunterschrfit

An den Butenkajen

Siebentes Kapitel
Im Keller

Wenn der Mai mit seiner ganzen Pracht in unser Vaterland einzieht, und der Winter hinwegging, ohne Nachzügler zu hinterlassen, so ist der Frühling nirgends schöner als im sogenannten Norden, und besonders an der Unterelbe. – Sowohl in Wien wie in München, welche Orte doch am äußersten südlichen Ende Deutschlands liegen, gibt es auch in der schönsten Frühlingszeit viel kalte Nächte und Tage, die an den Winter erinnern. Dies hat seinen Grund in den großen Gebirgen, von denen der Schnee nicht oder doch sehr selten weggeht.

Ganz anders ist dies in der Gegend von Hamburg. Die Nähe des Meeres mildert das Klima, und ein Frühling dort dauert in ganzer Schönheit nicht selten von Mitte April bis Mitte Juni, während wir oben nur zu oft auf den langen Winter sogleich den Sommer haben.

Der Mai war eigentlich schon mit dem halben April angekommen und trat nur am Ersten seines Namens offiziell auf. Bis auf die hartnäckigsten Bäume fand er bereits alles grün. Die Nachtigallen sandten ihr Lied in der warmen Nachtluft über den Strom. Der Wonnemond hatte nicht einmal die Blätter herauszutreiben und brauchte sich nur in die sonnige Landschaft zu lagern.

Das tat er denn auch in vollem Maße. Er lag auf dem Strom und ließ sich Himmel und Wolken lustig darin spiegeln. Er lag auf den Ufern und in den Gärten. Er hatte sich über die alte Handelsstadt gelegt und sah von oben über die alten Giebel in die engen Straßen, wo die gefangenen Linden seiner warteten und gar nicht daran dachten, daß er so nahe sei. Sie standen noch in träumerischem Schlummer, während ihre Schwestern draußen schon längst erwacht waren. Jetzt kam ihnen der Mai nun plötzlich über den Hals, und sie machten, noch ganz verschlafen, ein Knospenauge nach dem andern auf, aber hübsch langsam und spät, wie das die faulen Stadtbewohner nun einmal gewohnt sind.

Jan Laarsens Keller, der auf der Sonnenseite an den Kajen lag, ließ den Winter eigentlich gar nicht herein, denn schon der permanente Dampf der Groggläser jagte ihn von der Schwelle. Bei Laarsen war alles zu finden, was das Herz nur verlangte. Nur mit Champagner und indianischen Vogelnestern ließ er sich nicht ein. Aber vom besten Portwein bis zum Kümmel konnte der Durstige sich durchkosten und konnte Sorten finden, die er »auf der hohen Schule«, d. h. in den teuersten Weinkellern, vergebens suchte.

Das wußten auch seine Kunden, die meistens aus Leuten bestanden, die, die Wassertreppe vom Binnenhafen heraufsteigend, ein paar rote Eimer vor der Kellertür abhakten und stehen ließen, ehe sie zu Laarsen untertauchten, um den Grogkessel in einen verzweifelten Paroxysmus zu bringen. Es waren die Milchleute, deren siegelrote Eimer sich gegen Mittag so bedenklich vor dem Keller ansammelten, daß es das Ansehen gewann, als sei die Straße versiegelt worden.

Die Hamburger Milchleute sind nicht wie im Binnenland Milchweiber, sondern in der Regel Milchmänner. Ein harter, derber Menschenschlag, der sich unter allen Umständen nach der Stadt durcharbeitet, um die Milch zu bringen und – Grog zu trinken. Sie müssen sich sehr viel mit dem Wasser herumbalgen und können es deshalb nicht leiden, wenigstens im Grog nicht mehr als eben gerade nötig ist, während man ihnen boshafterweise nachsagt, daß sie es für die Milch sehr zuträglich halten. Auch die Milchleute waren in der schönsten Frühlingslaune und hatten aus Freude über das schöne Wetter gerade so viel Grog getrunken, wie dies im Winter aus Ärger über die Eisschollen geschah, mit denen sie sich herumschlugen.

Herr Laarsen saß oben auf der Kellertreppe neben einem holländischen Käse, der aussah wie sein jüngster Sohn, und zählte die Häupter seiner Lieben, d. h. die Schillinge, die die abziehenden Milchleute in seine fette Hand zählten. Die Stellung auf der Mauer der Treppe war sehr vorteilhaft, denn er konnte von dort die Viktualien in der Nähe, den Keller, das Wasser und die Straße zugleich übersehen und war, so oft es das Wetter erlaubte, dort zu finden.

Herr Laarsen setzte sich jetzt rittlings auf die Treppenmauer, steckte die Hände in die Hosentaschen und blickte dem Milchewer nach, wie er, einem großen Käfer gleich, durch die Schiffe kroch. Es ist 'n Käfer, dachte der Wirt. 'n Käfer, der Milch bringt und Grog mitnimmt. Ha, ha, ha. Wenn ihn jetzt 'n großer Fisch verschluckte, der sollte sich 'n guten Rausch holen. Herr Laarsen mußte bei diesem Gedanken so lachen, daß ihm die holländische Pfeife aus dem Munde fuhr, und da er nicht gleich den Entschluß fassen konnte, die Hände aus den Hosentaschen zu ziehen, gewiß zerbrochen wäre, hätte sie nicht ein Mann aufgefangen, der eben den Fuß auf die Kellertreppe setzen wollte.

»Danke, Herr Trick«, sagte der Raucher, indem er den Mund hinhielt, um sich die Pfeife wieder hineinstecken zu lassen, ohne die Hände zu rühren. »Danke! Was bringt Sie denn an die Kajen?«

»Habe ein Geschäftchen bei Wolf und denke, Sie haben doch noch von dem alten Portwein, dem kupferfarbigen. Will mich erst kupfern, ehe ich zum alten Wolf in die Höhle krieche.«

»Tun Sie wohl dran«, bemerkte Laarsen, indem er von seinem Sitz stieg und sich die Treppe hinabrollte wie ein großes Geneverfaß. Im Keller angekommen, verschwand er in einer Ecke und holte aus einem versteckten Schrank eine kurzhalsige Flasche, aus der er den verlangten Wein in ein rundes, dickes, geschliffenes Glas goß, wo er, von Trick gegen das Licht gehalten, wie flüssiges Kupfer glänzte. Nachdem sich Trick am Anblick des kostbaren Rebensaftes gelabt hatte, brachte er ihn unter die Nase und zog prüfend den Geruch ein, worauf er die Lippen spitzte, um ihn auf die echte Weintrinkerart zu saugen und so mit allen Sinnen zu genießen. Er setzte jedoch das Glas wieder unberührt nieder, indem er sich besann, daß er den Genuß noch bedeutend auf die Spitze treiben könne, wenn er vorher etwas Kaviar zu sich nähme.

»Geschwind een bischen Kaviar mit Zwiebeln«, rief er dem aufschauenden Wirt zu.

Dieser hatte schon geglaubt, es sei etwas an seinem Wein auszusetzen; der Zögerungsgrund erschien ihm jedoch so gerechtfertigt, daß er nach der Küchentür stürzte und mit solcher Hast Kaviar und Zwiebeln bestellte, als brenne das Haus und der Gast müsse erst noch sein Frühstück haben, ehe man an das Löschen denken könne.

Herr Trick saß indes in einer Sofaecke hinter einem Pfeiler und sah sein Glas an, wie die Katze eine Maus, die ihr nicht mehr entgehen kann. Er dachte daran, dem Wirt den ganzen Vorrat dieses Weines abzukaufen, der nicht leicht so alt und gut zu finden war. Er hatte ja eben dreißigtausend Mark verdient, und er war auf dem Wege, wiederum so viel »zu machen«. Vorderhand behielt er deshalb die ganze Flasche und verzehrte den Kaviar, um einen prächtigen Durst zu bekommen.

Die Kellertreppe ward währenddem von einem Schatten verdunkelt, den ein heruntersteigender Mann verursachte.

Der Mann blieb am Eingang stehen und sah sich im Keller um. Da er niemand erblickte, denn Herr Trick war vollständig vom Pfeiler verdeckt, so fragte er den Wirt:

»War noch kein Neumühlner Lotse hier?«

Herr Trick zog beim Klang dieser Stimme seine Beine sehr schnell auf das Sofa, wodurch er vollständig unsichtbar wurde, und spitzte dann seine Ohren, die er dadurch noch zu schärfen suchte, daß er seine Frisur à la Stachelschwein herstellte.

»Es kommen verschiedene Neumühlner Lotsen her. Da kommen zum Beispiel Lüddemann, Somm, Nielsen –«

»Richtig, Nielsen, der ist's, den ich hier treffen soll. War er schon da?«

Herr Laarsen stieg statt aller Antwort so weit die Treppe hinauf, daß er über die Straße sehen konnte; nachdem er einen Blick nach den Flaggen der Schiffe geworfen, stieg er wieder hinab und sah in einen Kalender, der in der Fensternische hing.

»Nielsen wird in ein paar Minuten kommen«, sagte er dann zuversichtlich.

»Sehen Sie das aus dem Kalender? fragte der Gast lächelnd.

»Allerdings, junger Mann!« entgegnete Herr Laarsen etwas streng. »Und wonehm seh ick dat ut den Kalender? He? Weil kein Segelwind ist, un weil Nielsen nicht der Narr ist, gegen die Ebbe heraufzurudern, sondern die Flut abwartet, die seit zwanzig Minuten eingetreten ist. So, mien Jung! Auf die Art sieht man was aus dem Kalender«, schloß der Wirt seine Belehrung, die er dem Gast angedeihen ließ, weil er nicht unbedingt an die Versicherung von Nielsens Ankunft glaubte.

Er hatte recht prophezeit, denn der Gast hatte sich kaum niedergesetzt und ein Glas Rotwein erhalten, als Nielsen die Treppe herunterstieg. Er trug die Arme voll Flaschen, die ihm der Wirt sofort abnahm.

»Nun, da sind Sie ja schon, Herr Schwarz«, sagte der Lotse, indem er sich zu dem Gast setzte und ihm die Hand schüttelte.

Das Stachelschwein in der Sofaecke lag zusammengekauert und sperrte die Ohren weit auf.

»Ich konnte am Sonntag draußen nicht mit Ihnen sprechen, deshalb ließ ich Sie heute hierher bestellen, wo wir ungestört sind. Haben Sie einen Brief von Kern aus Neuyork erhalten?«

»Nicht eine Zeile.«

»Sonderbar. Kern schreibt mir, daß jemand aus dem Stubbornschen Hause kommen wird, und daß ich ihm geben soll, was er verlangt, wenn es Ernst ist. Sie heißen doch Ernst?«

»Freilich, freilich. Aber ich habe kein Wort erhalten. Es liegt ein Ge – – – –«

Hier trat Herr Laarsen an den Tisch und verdrehte die Augen auf eine Art, daß die beiden Gäste glaubten, er habe einen epileptischen Anfall.

»Ja ja!« platzte er hierauf heraus. »Kucken Sie nur nach dem Windfisch und lachen Sie. Ich weiß, Sie wollen jetzt behaupten, wir hätten Westwind? He? Wollen Sie etwa?« Dabei blinzte er sie geheimnisvoll an und zeigte verstohlen mit dem Daumen über seine Schulter nach dem Pfeiler, hinter dem Trick auf der Lauer lag.

Schwarz sah verwundert bald auf Nielsen, bald auf den Wirt und war sehr geneigt, diesen für etwas verrückt oder betrunken zu halten.

»Und wenn ich nun sage, wir haben Westwind«, schrie Nielsen, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug und mit der anderen Hand Schwarz ein Zeichen gab, das andeutete, daß jemand im Keller sei, der ihr Gespräch nicht zu hören brauche.

»Wenn Se dat seggen, denn maken Se gliek, dat Se rut kahmt«, schrie Herr Laarsen, wieder geheimnisvoll nach hinten zeigend.

»Oh! das können wir gern«, sprach Nielsen aufspringend. »Wo ist denn mein Hut?« Hierbei lief er im Keller umher, um ihn zu suchen und trat dabei hinter den Pfeiler, um zu sehen, wer Herrn Laarsen zur Warnung veranlaßt habe.

Auf dem Sofa lag vor seinen erstaunten Blicken Herr Trick im tiefsten Schlaf.

»Kommen Sie«, sprach der Lotse leise. »Wir wollen hier aus dem Wind gehen und eine Leeseite suchen.« Hierbei faßte er Schwarz mit eisernem Griff am Arme und zog den höchst erstaunten jungen Mann, der jetzt geneigt war, auch ihn für verrückt zu halten, aus dem Keller.

»Ich will euch wohl zeigen, wo der Wind herkommt«, schrie ihnen der Wirt nach, indem er die Treppe hinaufstieg und dabei fortwährend nach unten zeigte.

Herr Laarsen war, wie gesagt, eine ehrliche Haut und hatte deshalb eine natürliche Abneigung gegen Trick, die hauptsächlich dadurch entstand, daß dieser sich immer den verstecktesten Winkel zum Trinken suchte. Da er stets die besten und teuersten Weine trank, so hielt er ihn im Anfang für einen Spitzbuben, der sein gestohlenes Geld im Winkel verzehren wolle. Dann kam er auf den Verdacht, daß er ein geheimer Polizist sein müsse, der den Milchleuten auf die Finger sehen und seine Ansichten über den Senat ausspionieren wolle, bis er endlich den Hausknecht auf seine Spur nachschickte und herausbekam, daß er Buchhalter bei Stubborn sei. Er wollte dies im Anfang gar nicht glauben, denn ein so borstiger, schäbiger, winkelkriecherischer Buchhalter war ihm noch nicht vorgekommen. Als Trick aber im Kontor die Proviantlieferung für den verlorenen ›Komet‹ mit ihm abschloß, mußte er wohl die Sache anerkennen.

Sein heutiges Benehmen war durch Trick veranlaßt worden, den er auf das Gespräch der beiden Gäste lauschend fand und der ihm ein Zeichen gab, daß er unbemerkt bleiben wolle. Herr Laarsen, dem der Lotse ein viel zu guter Kunde war, als daß er ihn von jemand hätte belauschen lassen, von dem er wußte, daß durch ihn alles, was in die Flaschen kam, nach Neumühlen geschmuggelt wurde, und der ja durch einen Horcher an die Zollbeamten verraten werden konnte, Herr Laarsen verstand also das Zeichen Tricks falsch und nahm an, er solle die Gäste hinausschaffen, was er denn sofort ausführte, und zwar zum größten Ärger Tricks, dessen Borsten und Katzenaugen er jetzt hinter dem Pfeiler vorrücken sah.

»Das ist also der Freund«, flüsterte Trick, indem er ein Glas Portwein langsam hinabsog. »Teufel, wer hätte an den gedacht! Hm, hm. Nun, warte nur, Freundchen. Dich wollen wir wohl bald haben.« Er sog wieder ein Glas aus – »hm, hm, ja, so wird's gehen. Machen wir ihn nur segelfertig.«

Der Lotse schleppte den verwunderten Schwarz, ohne ein Wort zu sagen und sich mehrmals umschauend, beim Brodschrangen und Neuen Krahn vorbei, über die Brooksbrücke und dann am Kehrwieder entlang, wo er endlich zu sprechen begann.

»Wissen Sie, wer im Keller auf dem Sofa lag und schlief oder horchte?« sagte er zu Schwarz.

»Auf dem Sofa?« fragte dieser, jetzt erst das Wesen des Lotsen und Wirtes begreifend.

»Nun, wer anders als Ihr Buchhalter Trick. Sehen Sie,« fuhr Nielsen fort, indem er die Blicke des erstaunten Schwarz über das Wasser lenkte: »Sehen Sie, dort kommt er aus dem Keller und sieht sich nach uns um. Er sucht auf dem Wasser. Stellen Sie sich hinter die Fässer, denn er hat scharfe Augen. Ha, jetzt geht er weiter. Sehen Sie! Er steigt in den Keller zum Lumpenhändler. Was mag er dort wollen?«

»Kann's nicht sagen«, sprach Schwarz kopfschüttelnd.

»Ich will's schon 'rauskriegen,« murmelte Nielsen hinüberdrohend, »Keller um Keller, mien Jung. Nun kommen Sie aber. Wir wollen nach dem Blockhaus Blockhaus und Baumhaus. Am Ende des Kehrwieder lag die Bastion Georgius, vor ihr das »hölzerne Wams«, eine Bastion, die 1568 mitten im Wasser zum Schutze des Hafens erbaut und 1655 durch ein Blockhaus Neptunus verstärkt wurde, wohin eine schmale Brücke, die Neptunusbrücke führte. – An der Ecke des Steinhöfts und des Baumwalls stand am Wasser das Baumhaus, das 1662 von Hans Hamelau erbaut und 1859 abgebrochen wurde. (Wichmann, Heimatkunde.) hinübergehen, wo es auf der Brücke keine versteckten Sofas gibt. Sie haben also keinen Brief von Kern?«

»Ich sage Ihnen, nein. Sie fragten mich schon am Sonntag danach. Was ist's mit Kern? Welches Geheimnis steckt hinter dem Mann, dessen ich mich von früher aus unserem Geschäft erinnere und der als durchgegangener Betrüger angesehen zu werden scheint?«

Der Lotse blieb auf der Brücke zum Blockhaus stehen und ließ einen langen, leisen Pfiff durch die Zähne erschallen.

»Dahin läßt man also den Kurs anliegen?« sprach er, mit der Faust in die Luft drohend.

»Nun, ich sage Ihnen, daß Kern weder durchgegangen noch ein Betrüger ist. Er ist ein ebenso ehrlicher Mann wie ich!«

Schwarz konnte in diesem Augenblick ein Lächeln nicht unterdrücken und sprach: »Das ist ganz gut, wenn es nicht vom Ottensener Zollamt aus betrachtet wird.«

Nielsen ward vor Zorn rot und sagte: »Sie als Kaufmann sind doch nicht der Narr, der im Schmuggel ein Unrecht sieht? Was ist denn ehrlicher? Ihnen eine Flasche Wein oder den Zucker und Tee billig zu verschaffen, oder Ihnen die Hälfte davon wegzunehmen, ehe Sie es ins Haus bekommen? Was ist denn ehrlicher? An der Grenze herumzulungern, um die Leute auszurauben, oder an der Grenze herumzulungern, um den Leuten etwas zu bringen? Doch lassen wir das. Ich kann nichts weiter sagen, als daß mir Kern vor neun Jahren ein versiegeltes Paket übergeben hat, als er im Auftrage Stubborns nach Amerika hinüberging, und daß ich dies Paket jemand aus dem Stubbornschen Hause geben soll, wenn er einen Brief Kerns vorzeigt, in dem alle näheren Verhältnisse erklärt sind.«

»Kennen Sie die Verhältnisse?«

»Leider nicht, denn als Kern vor seiner Abreise zu mir kam, war ich nach zehnjähriger Abwesenheit von den Südseeinseln heimgekehrt, wo ich ein halber Wilder und mehr Fisch als Mensch ward. Ich mußte Kern von meinen Reisen erzählen und erhielt erst im letzten Augenblick das Paket zur Aufbewahrung. Seitdem war er verschollen und kommt erst vor wenigen Tagen durch seinen Brief wieder zum Vorschein, in dem er mich mit einigen Worten wegen seiner Schicksale an den verweist, der das Paket abholen wird. Ich erinnerte mich dunkel, daß er von Ihnen und Ihrem Bruder gesprochen hat. Wenn Sie aber keinen Brief haben, kann ich Ihnen auch das Paket nicht geben, obgleich ich bestimmt glaube, daß es für Sie ist.«

»Hm. Wenn nun der Brief etwa unterschlagen wäre und Trick käme damit?«

»Trick wird sich hüten, da er uns im Keller belauscht hat. Und wenn Trick mit dem Brief käme, würde ich nichts von einem Paket wissen. Ich bin überzeugt, daß es nichts für ihn ist«, sprach Nielsen bestimmt.

»Nun, wissen Sie was? Ich komme hinaus und wir öffnen das Paket miteinander. Ist es nichts für mich, so machen wir's wieder zu. Ich hoffe, Sie halten mich für einen ebenso ehrlichen Mann wie Sie selbst sind«, sagte Schwarz lächelnd.

»Darüber müssen wir erst das Zollamt in Ottensen fragen, wenn die zehntausend Zigarren voll sind, die Sie durchgeschmuggelt haben«, erwiderte Nielsen laut lachend. Dann fuhr er fort: »Wenn Sie in ein paar Tagen keinen Brief erhalten, so kommen Sie. Wir wollen dann sehen, was im Paket ist. Jetzt leben Sie aber wohl. Ich will mich wieder nach den Kajen übersetzen lassen und meine Flaschen holen, auf die Jörs draußen lauert, die er aber ebensowenig kriegen soll wie die vorigen.« – Bei diesen Worten stieg Nielsen die alte wacklige Holztreppe hinab, die vom Blockhause nach dem Wasser führte, und ließ sich von einem vorbeifahrenden Jollenführer aufnehmen.

siehe Bildunterschrfit

Das alte Blockhaus

Ernst Schwarz blieb auf dem Balkon des Blockhauses stehen und sah gedankenvoll in das Treiben auf dem Wasser, das sich hier sehr lebhaft entwickelte.

Das alte Blockhaus war ein komisches Ding und stand auf unzähligen Pfählen, wie eine Amphibie, die auf Beute lauert, im Wasser. Es erhaschte auch seinen Fang Tag für Tag von den Vorüberfahrenden, denn eine schwarze Tafel neben der Tür machte bekannt, daß sich Zoll und Akzise hier befänden. Eine Anzahl Akzisebeamte stand auf dem Floß am Fuße des Hauses und gab scharf acht, daß ja kein Pfund Fleisch oder kein Brot unversteuert in die freie Stadt gelange, während oben neben der hanseatischen Schildwache ein sogenannter »Meister« auf Handwerkserzeugnisse vigilierte. Dieser Meister fand sich an allen Toren und war meistens ein Handwerksmann, der wenig Auftrag oder Lust zur Arbeit hatte und von den Gewerken hergestellt ward, um darauf zu sehen, daß ja nichts von den Vorstädten hereinkäme und dadurch den Meistern in der Stadt ein Verdienst entginge. Die Handwerker in St. Georg und St. Pauli hatten zwar ganz dieselben Lasten zu tragen wie die in der Stadt und wären in andern Städten der Knechtschaft nicht gehindert worden, ihre Arbeiten für Stadt und Vorstadt zugleich zu liefern. Eine freie Stadt mußte jedoch das Vorrecht haben, möglichst viel und auf mannigfaltige Weise aus ihren Bürgern herauszupressen. Dies scheint nun einmal mit dem republikanischen System zusammenzuhängen und hat sich wahrscheinlich von der französischen Republik weiterverpflanzt, die nicht nur eine erhöhte Steuer aus dem Geldbeutel, sondern auch noch eine Abgabe von Köpfen verlangte und zu diesem Zweck jene bekannte gemütliche Maschine in Tätigkeit setzte, die man mit dem Scherznamen »der Nationalbarbier« oder das »Nationalfensterchen« benannte.

Dergleichen Betrachtungen stellte Schwarz freilich nicht an. Ihm waren Senatorenhoheit und Torsperre Dinge, die er seit seiner Jugend als natürliche Einrichtungen betrachtete. Er sah die Schuten unten anlegen und die Zollzettel abgeben, er sah die Torf- und Gemüseewer durchsuchen und die Jollen anhalten und blickte über das ganze Getriebe hinweg, weil er in unbestimmter Ferne nach einem Zusammenhang zwischen sich und dem so lange verschollenen Buchhalter suchte. Es war ihm, als habe er einmal gehört, daß das Stubbornsche Haus seine Eltern besessen und der Buchhalter Kern Näheres darüber wisse. Er konnte aber nichts erfahren, da im Geschäft niemand aus früherer Zeit existierte. Nur so viel war ihm bekannt, daß sein Vater von den Franzosen erschossen wurde, als er kaum ein Jahr alt und sein Bruder noch nicht geboren war. Die Geburt hatte der Mutter das Leben gekostet.

Er stand und grübelte noch, als er sich aus einem Boot anrufen hörte. Ein bekannter Schiffbauer winkte ihm, herabzukommen und ließ das Boot anlegen.

»Wollen Sie Ihr neues Schiff einmal mit ansehen?« fragte er Schwarz.

»Neues Schiff?« sprach dieser verwundert.

»Nun ja! Herr Stubborn hat eben Besitz davon genommen und mir Auftrag gegeben, es seetüchtig zu machen, damit es die Kommission besichtigen kann. Sie haben das Schiff um ein Spottgeld gekauft, weil Kapitän Groth, dem es gehört, an der Gicht leidet und es gern so schnell wie möglich los sein wollte. Das Malheur des einen ist immer der Vorteil des andern«, bemerkte der Schiffbauer, indem er für Schwarz die Steuerbank abwischte.

»Wie heißt denn das Schiff?« sprach dieser, sich in das Boot setzend.

»›Die Gebrüder‹. Eine schöne Brigg. Wird außer ein bißchen Malen und Verproviantieren nicht viel zu tun geben. Bin neugierig, wen Herr Stubborn als Kapitän anstellen wird. Dort liegt sie.« Bei diesen Worten zeigte der Mann auf eine große Brigg, an deren Seite das Boot bald lag, worauf er und Schwarz das Fallreep hinaufkletterten.

Auf dem Deck fanden sie einen Herrn, der die Takelage mit kritischem Blick betrachtete, das Steuerrad und den Kompaß besah und dann mit den Händen auf dem Rücken kopfschüttelnd umherging.

»Nun, Herr Wöllers«, redete ihn der Schiffbauer an. »Gefällt Ihnen das Schiff nicht?«

»Oh! oh! Im Gegenteil. Ich ärgere mich, daß mir das Schiff durch die Nase gegangen ist, hätte es gern selbst gekauft, um einmal als Kapitän eine Spekulationsfahrt zu machen. Habe eben vom Kapitän erfahren, daß es weg ist«, entgegnete Meister Wöllers.

»Ist es Ihnen nicht ein bißchen zu groß?« bemerkte der Schiffbauer mit einem verschmitzten Zug um den Mund.

»O neeee – lüttje Brigg, die sich leicht führt«, sagte Wöllers, das Steuerrad ein wenig hin und her drehend. »Guter Segler?« fragte er.

»Ausgezeichnet! Geht auf acht Striche an den Wind«, beteuerte der andere.

»Auf acht? Ei, Ihnen soll doch der Teufel den Kompaß richten!« schrie Meister Wöllers. »Glauben Sie denn, daß ich nicht weiß, was auf acht Striche an den Wind gehen heißt, he? So segelt meine Frau, wenn sie nach meinem Kurs segeln soll! Dunnerslag! Ich habe gar nicht an sie gedacht. Was würde die zu dem Handel gesagt haben!«

»Ich dachte ja, daß es ein wenig zu groß sein würde. Ich wüßte aber was anderes für Sie«, tröstete der Spötter.

»Nun 'raus damit«, rief der Meister.

»Der Makler Kirsten will seinen lüttjen Kutter, den ›Seehund‹ verkaufen. Nettes Ding, mit zwei Kajüten.«

»Was verlangt er dafür?«

»Sechshundert Mark.«

»Wo liegt er?« fragte Wöllers begierig.

»Er liegt bei meiner Werft, und wird eben kalfatert. – Ah, guten Tag, Herr Trick!« sprach der Schiffbauer, sich nach einem Kopf wendend, der eben über der Reeling erschien und dem Herr Trick nebst einem Herrn folgte, der ein Assekuranzmakler war und das Schiff besichtigte, als wollte er eins danach machen.

Nachdem der Makler das Schiff genügend untersucht hatte, fragte er, worin wohl die Ladung bestehen werde.

»Wir werden diesmal eine klingende Ladung haben«, sprach Trick. »Es sind fünfundzwanzig große Konzertflügel nach Singapore bestellt. Dann ist auf Java großer Glasbedarf, feine böhmische Ware. Alles geschliffen und vergoldet. Kronleuchter, Spiegel und dergleichen.«

»Nichts Feuergefährliches?«

»Gar nichts«, beteuerte Trick.

»Fünfundzwanzig Konzertflügel! Gott erbarme sich über die Singaporer, wenn jeden Tag Tonleitern darauf gespielt werden!« schrie der Makler in komischer Verzweiflung. »Na, vielleicht wollen sie die Tiger damit vertreiben,« fuhr er fort; »denn ich kann Ihnen sagen, wenn ich ein Tiger und nicht an das Geschäft gebunden wäre, so lief ich zweihundert Meilen in einem Stück aus einer Gegend, wo sie Tonleitern spielen. In meiner Straße geht's rechts und links von mir den ganzen Tag die Tonleiter rauf und runter!«

»Hm – der Bedarf ist drüben da«, meinte Herr Trick. »Ich glaube, daß unser Prinzipal keine schlechte Spekulation machte, wenn er noch zehn Stück mehr schickte. Hm – hm – werde mit ihm sprechen. – Herr Schwarz!« wandte er sich an diesen, »sorgen Sie doch dafür, daß Wilm aufpaßt, damit die Kisten der Instrumente gut verpicht werden, sonst könnten die Saiten rosten. – Wie kommen Sie denn hier aufs Schiff?« fragte er plötzlich.

»Durch Zufall! Unser Herr Prinzipal betreibt seine Geschäfte so geheimnisvoll, daß ich gar nicht gewußt hätte, daß wir wieder ein Schiff haben, wenn mich Herr Marbs nicht vom Blockhaus mitgenommen hätte«, sprach Schwarz.

Herr Trick sah Schwarz mißtrauisch von der Seite an und bemerkte, daß er es ihn ein andermal vier Wochen vorher wissen lassen wolle, wenn Herr Stubborn ein Schiff zu kaufen beabsichtige.


 << zurück weiter >>