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Der Apfelbaum an Liebchens Fenster
Herr Trick kam eben von einer geheimen Beratung aus Stubborns Zimmer, wo die Heiratsangelegenheit oder vielmehr die Mittel, eine Mitgift zu umgehen, verhandelt wurden.
Trick hatte dafür gestimmt, daß Stubborn von der Mitgabe einer Million Mark sprechen, die Trauung vorübergehen und die Million dann vergessen, oder wenn er gedrängt würde, nur als Erbteil erst nach seinem Tode hergeben sollte, »denn man muß nichts herausgeben, solange man die Augen noch offen hat, außer an die, die es mitverdienen«. Das war der Rat, den der würdige Trick seinem Prinzipal gab und wobei er sich bedeutungsvoll an die Nase klopfte und hinzusetzte: »Jeder Stubborn eine Million und ich eine Million. Dies wird gerade eine richtige Bilanz machen. – Was mich betrifft, so möchte ich aber doch bitten, mir etwa hunderttausend Mark noch vor der Erbschaft auszuzahlen. Ich brauche sehr nötig Geld.«
»Sind Sie verrückt?« schrie Stubborn. »Sie haben an dreißigtausend Mark bekommen!«
»Zieht nicht. Habe ich rein in Boltjes vernascht. Ich muß nächstens die hunderttausend haben«, sprach Trick, indem er die Spitzen seiner Haare wie ebenso viele Giftpfeile nach Stubborn hinstrich.
»Es ist nicht möglich«, schrie Stubborn, mit dem Fuße stampfend.
»Oh, sehr gut«, bestätigte Trick freundlich. »Ich erspare Ihnen jetzt durch meinen Rat eine Million. Eigentlich müßte ich fünfmalhunderttausend haben, denn Sie wissen doch unser Abkommen – halb und halb!«
Stubborn drehte ihm den Rücken zu.
»Gut«, sprach Trick. »Jetzt werde ich unten mit den Kassendieben reine Wirtschaft machen. Ich brauche Ihre Anweisungen nicht dazu. Müller nach Neuyork. Der andere vorderhand nach Stade. Ha! Diese Spitzbuben, die Helgoländer. Unsere Ochsenhäute!« rief der ehrliche Trick in großer Entrüstung. Er ging nach dem Kontor, an der Tür zu Stubborns Kabinett kehrte er jedoch um, trat zu Müller an das Pult und sprach:
»Ich habe jetzt für den Prinzipal einige wichtige Briefe zu schreiben. Der Kassierer ist nach Altona und kommt erst spät wieder. Nehmen Sie deshalb einstweilen die einlaufenden Gelder an und notieren sie.«
Dann nickte er dem Kommis freundlich zu, nahm eine Papierrolle aus dem eigenen Pult und verschwand im Kabinett.
Hier wickelte er vor allen Dingen eine Portweinflasche aus dem Papier, holte ein Gläschen aus der Tasche und probierte die Sorte. Als er fand, daß sich Laarsen nicht vergriffen, setzte er sich an die Tür und legte sein Auge an ein kleines Loch im Vorhang, durch das er das Kontor übersehen konnte.
»Ah, du Spitzbube«, flüsterte er nach etwa zehn Minuten.
Dann wartete er ruhig eine halbe Stunde, worauf er Müller leise mit dem Titel »Halunke« beehrte, um ihn einige Zeit darauf wieder »verdammter Langfinger« zu nennen.
»Oh, oh«, murmelte er dann. »Das geht ja vortrefflich. Von sieben Posten vier in die Tasche und drei notiert, nee, mien Jung! Halb und halb, das wäre doch noch christlich, aber – – ei, so hol' dich doch der Deubel, du Lips Tullian!« schnaubte der ehrliche Trick. »Da schiebt er schon wieder einen Posten beiseite. Lauter Zahlungen für Speicherwaren, die bar gemacht werden. Nur weiter so, mein Junge. Hernach rechnen wir ab.«
Herr Trick hatte etwa zwei Stunden auf seinem Posten gesessen und kam in die unangenehme Lage, trocken sitzen zu müssen, da seine Flasche leer war. Aus dieser Klemme half ihm jedoch die Ankunft des Kassierers, bei dessen Erscheinen er in das Kontor trat und sich etwas zu tun machte. Dann ging er hinaus, klopfte im Vorbeigehen Müller auf die Achsel und bat ihn, auf einige Augenblicke mitzukommen, um einen kleinen Auftrag entgegenzunehmen.
Der junge Mann, welcher keine Ahnung davon besaß, daß er so scharf beobachtet worden, sprang dienstfertig von seinem Bock und folgte dem Buchhalter. Er wunderte sich einigermaßen, wie dieser den Weg nach seinem Privatzimmer nahm und ihn ersuchte einzutreten.
»Wären Sie geneigt, einen Tropfen Portwein zu trinken, mein lieber Müller?« sprach Trick freundlich grinsend, indem er eine Flasche hervorzog und die geleerte aus seiner Tasche in einen Winkel stellte.
Der verwunderte Kommis akzeptierte das Anerbieten dankbar und setzte sich auf den dargebotenen Stuhl.
»Sie sind«, begann Trick, »ja wohl Mitglied einer fidelen Gesellschaft von jungen Leuten – die fidelen Hunde, glaube ich.«
»Bitte, die fidelen Seehunde«, ergänzte Müller.
»Seehunde, richtig! Lustige Kerle – he?« forschte Trick weiter.
»Äußerst lustig«, bestätigte der Kommis.
»Können Sie mich wohl einmal einführen? Möchte gern eine solche Wasserpartie mitmachen. Will auch was Nasses dazu geben. Sind doch lauter anständige Kerle, unter denen man sich sehen lassen kann? Wer ist alles dabei? Nennen Sie doch mal die ganze Bande Störtebekers her!« sagte Trick lachend, indem er wieder einschenkte.
Der durch solches Vertrauen geschmeichelte Müller begann nun sämtliche fidelen Seehunde aufzuzählen, wobei er jedesmal die Firma, der sie angehörten, hinzusetzte. Trick rieb sich die Hände vor Vergnügen und zeichnete die Namen auf ein Papier, wobei er ausrief: »Prächtig! Herrliche Kerle! So, das gibt eine famose Seehundsjagd«, lachte er, als das Verzeichnis vollständig war. Dann betrachtete er Müller schmunzelnd, klopfte bedeutungsvoll mehrmals an die Nase, wobei er ihm bis nahe vor das Gesicht rückte, und fragte leise:
»Wieviel muß denn jeder von euch monatlich aus der Kasse seines Prinzipals stehlen?«
Der junge Mann fuhr vor Schreck in die Höhe und warf sein Weinglas um. Er ward erst rot und dann kreideweiß, wobei er Trick mit solchem Entsetzen anstarrte, als sei dieser ein plötzlich aus der Erde aufgestiegenes Gespenst. Ehe er sich noch von seinem Schreck erholen konnte, war der Buchhalter nach der Tür gegangen, hatte abgeschlossen und den Schlüssel in die Tasche gesteckt.
»Also 'raus damit! Wieviel muß jeder von euch monatlich stehlen, um ein ehrenwertes Mitglied zu sein?« sprach er höhnisch.
»Aber Herr Trick! Wie können Sie – – –«
»Wie ich kann?« schrie Trick. »Oh, ich werde gleich noch mehr können! Wenden Sie mal gefälligst alle Ihre Taschen um!«
»Aber Herr Trick!«
»Wenden Sie um, Müllerchen! Wenden Sie hier um! Oder wollen Sie lieber auf der Polizei umwenden und dann ins Zuchthaus spazieren? He? Ich denke, Sie machen die Sache lieber privatim mit mir ab, das ist immer besser, als wenn wir noch die Polizei als Kompagnon dazunehmen«, sprach Trick mit größter Ruhe.
Müller sank halb ohnmächtig auf einen Stuhl und klapperte vor Angst mit den Zähnen.
»Wenden Sie um«, fuhr Trick unerbittlich fort. »Sie haben uns um einige tausend Mark bemaust. Ich erwischte Sie beim letzten Posten und habe die Wahl, Sie ins Zuchthaus zu bringen oder Sie das Geld abverdienen zu lassen!«
Der Kommis sah überrascht auf.
»Also Zuchthaus oder abarbeiten! Oh, ich bin nicht so schlimm, wenn man nur tut, was ich verlange«, lachte Trick. »Also vorderhand umwenden, Müllerchen.«
Hier begann der Buchhalter selbst dem widerstandslosen Kommis die Taschen auszuleeren und legte alles, was er darin fand, auf den Tisch.
»So, da hätten wir ja den heutigen Nebenverdienst! Im ganzen fünfhundert Mark. – Sieh mal an, Sie haben Talent, Müllerchen! Sie können es noch zu etwas bringen!« sprach Trick, ihm freundlich auf die Achsel klopfend. »Was machen wir aber nun? Wollen Sie ein paar Jährchen Zuchthaus genießen oder privatim für mich arbeiten?«
Müller gab sehr kleinlaut zu, daß er das letztere vorziehen würde.
»Denke ich auch«, sprach Trick. »Also bilden Sie sich ein, Sie verschreiben sich dem Teufel, denn Sie müssen jederzeit bereit sein, alles zu tun, was ich Ihnen auftrage.«
»Wenn es nicht zu gefährlich ist, dann – – –«
»Sie verdammter Spitzbube, wollen wohl auch noch bloß Austern dafür essen?« fuhr ihn Trick grimmig an. »Sie spazieren ins Zuchthaus oder sind mein Sklave und müssen einen Mord begehen, wenn ich es verlange. Entschließen Sie sich zu einem oder dem andern. Schnell, damit Ihre Mutter noch heute abend das Vergnügen haben kann, Ihre Staatsanstellung zu erfahren.«
Der junge Mann zuckte zusammen und senkte den Kopf. »Ich will Ihre Aufträge ausführen«, sprach er kleinlaut.
»Dann machen Sie mal gleich den Sekretär«, befahl Trick. »Schreiben Sie: Ich bekenne hierdurch, daß ich seit mehreren Monaten das Geschäft von Stubborn & Co., in dem ich mich befinde, bestohlen und auf diese Weise zirka dreitausend Mark bar entwendet habe. Hamburg, am 5. Mai 1840. Christian Müller. – Gut!« sprach der Buchhalter, indem er das Dokument wegschloß. »Nun schreiben Sie folgenden Brief:
Geehrter Herr Stubborn!
Ich erlaube mir, Ihnen eine Mitteilung von großer Wichtigkeit zu machen, denn ich kann nicht mit ansehen, wie Sie von Leuten betrogen werden, die in Ihrem Hause leben. Die Sache betrifft Ernst Schwarz, den Sie in Stade glauben, der aber die Gelegenheit benutzte, um mit dem Dampfer nach England zu gehen, weil er, wie ich weiß, große Eingriffe in Ihre Kasse machte und Sie das Defizit in der letzten Zeit merkten. Ich erfuhr seine Weiterfahrt von einem Lotsen vom Feuerschiff und melde Ihnen die Sache, damit Sie Ihre Maßnahmen treffen können. Zugleich zeige ich Ihnen an, daß gewisse Papiere in Ihre Hände kommen sollen, wenn ich die Kapitänstelle erhalte.
Neumühlen, am 5. Mai 1840.
Jacob Nielsen, Lotse.«
Müller sah erstaunt nach Trick, schrieb dann aber, was dieser diktiert hatte.
»Nun, es ist Ihnen doch recht, daß ein anderer die Suppe ausessen soll, die Sie und Ihr Kollege eingebrockt haben? – Ja, ja. Ich weiß, daß auch dieser ein Mausehaken ist wie Sie. Ich habe ihn gerade so sicher, befehle Ihnen aber, ihn nicht das mindeste merken zu lassen, daß ihr erwischt seid. Sie warnen ihn bloß, daß er jetzt keine langen Finger mehr macht, da die Sache gemerkt werde – verstanden? Es bleibt dabei, daß Sie mich morgen zu den Seehunden führen, ohne das geringste zu verraten. Da haben Sie von Ihrem Raub hundert Mark, die Sie in die See- oder vielmehr Mausehundskasse einlegen. Und nun gehn Sie, und lassen Sie sich hängen, wenn es Zeit ist«, schloß Trick, indem er die Tür öffnete und den verblüfften Kommis herausließ, der volle fünf Minuten am Treppengeländer lehnen mußte, um sich so weit zu erholen, daß er mit ruhiger Miene ins Kontor treten konnte.
Herr Trick steckte indes die übrigen vierhundert Mark ein und machte den Brief zu, um ihn zur Post zu geben. Dann klopfte er sich vergnügt an die Nase, daß es klang, und sprach: »Vortrefflich! Die Seehunde kann ich brauchen – daraus läßt sich was machen. Machen? Hahaha! Freut euch, ihr fidelen Seehunde!« Hierauf ging er in der besten Laune nach dem Kontor.
Indem er nach dem Kabinett ging, wohin sich Stubborn indes begeben hatte, fiel ihm Adolf Schwarz auf, der leichenblaß und mit verstörten Zügen an seinem Pult saß und auf einen Brief blickte, den er halb zerknittert in der krampfhaft geballten Hand hielt.
Herr Trick warf einen schnellen Blick auf Müller, denn er glaubte, dieser habe etwas über Ernst Schwarz fallen lassen. Als ihn Adolf sah, fuhr er sich mit der Hand über die Augen und fragte mit gepreßter Stimme: »Wissen Sie nicht, wie lange mein Bruder noch in Stade bleibt?«
»Wie – lange – Ihr – Bruder – in Stade – bleibt?« sprach Trick, sich rings im Kontor umsehend und bei jedem Wort geheimnisvoll an die Nase klopfend. »Er ist gar nicht dort angekommen, wie ich eben erfahren habe. Es ist höchst sonderbar! Wissen Sie nichts von ihm?«
»Er ist nicht in Stade?« fragte Adolf erstaunt.
»Er soll mit dem englischen Dampfer weitergefahren sein, wie ein Lotse von unten erzählt hat. Sonderbar, und gerade jetzt, wo die Umstände eintreten, die seine Anwesenheit höchst nötig machten. Haben Sie vielleicht einen Brief von ihm?« bemerkte der Buchhalter, indem er lauernd auf das Papier in Adolfs Hand blickte.
»Weitergefahren?« sagte Adolf, ihn anstarrend. »Dann weiß ich nicht, an wen ich mich wenden soll. Haben Sie noch einen Platz für mich auf dem Schiff nach Singapore? Sie wollten mich ja letzthin so gern mit hinüber haben?« fragte er dann plötzlich. »Jetzt gehe ich mit – morgen will ich Ihnen Gewißheit sagen. Sie kennen ja mein Verhältnis. Hier lesen Sie.« Damit hielt er Trick heftig den Brief hin, den dieser mit großer Neugierde ergriff und las. Er war von Juliens Hand und lautete:
»Mein geliebter Adolf!
Ich habe Dir versprochen, heute zu schreiben, was hiermit geschieht. Nachdem ich mir den Schritt, den Du tun willst, um mich für immer an Dich zu ketten, reiflich überlegt habe, komme ich zu dem Schluß, Dich zu bitten, von einer Werbung um mich abzusehen. Ich liebe Dich wohl, so sehr es nur möglich ist, und könnte mir keinen schöneren und besseren Liebhaber wünschen. Deine Verhältnisse sind aber nicht danach, daß Du ebenso wünschenswert als Gatte wärest, und ich bin keineswegs gesonnen, der Liebe zuliebe alle jene Annehmlichkeiten zu entbehren, von denen ich jetzt schon viele vermisse, die ich aber von dem Manne verlange, der sich mein Gatte nennen will.
Ich finde es ganz reizend, sich einige Monate lang in ein kleines Landhaus zu setzen und zu schwärmen, wie wir dies jetzt tun. Aber um's Himmels willen nicht für immer in eine Hütte am Bach, dem Liebe nachfließt und neben dem man vielleicht zu Fuß nach der Stadt laufen muß.
Ich verlange von meinem künftigen Mann vor allen Dingen eine glänzende Equipage und Dienerschaft. Kannst Du mir beides bieten? Nein!
Ich verlange den ausgedehntesten Kredit bei Mode- und Putzhändlern sowie bei Juwelieren, um in jeder Mode der Saison mit den prachtvollsten Stoffen glänzen zu können. Kannst Du mir jährlich nur fünfzehntausend Mark dafür aussetzen? Nein!
Ich will jeden Sommer ein Bad besuchen. Kannst Du mir zehntausend Mark dafür anweisen? Nein!
Ich will eine glänzende Wohnung haben, die ich jedes Jahr bei meiner Rückkehr aus dem Bad neu eingerichtet finde und wo ich prachtvolle Diners und Soupers, Bälle und Konzerte gebe. Wo ich in einem Wintergarten die Gäste empfangen kann. Kannst Du mir dies bieten? Nein!
Ich will ferner eine Loge in jedem Theater und eine Villa an der Alster haben. Ich bedarf Summen zu verschiedenen Ausgaben, die mein Mann nicht zu wissen braucht. Kannst Du mir dies alles außer den Mitteln zum gewöhnlichen Haushalt bieten? Nein, und abermals nein!
Du kennst meinen Vater so gut wie ich und weißt, daß von dem nichts für meine Wünsche zu erwarten ist. Sollte ich aber vielleicht gar auf das warten, was mir als Erbteil zufiel? O nein! Ich habe die feste Meinung, daß die Jahre der Reife zum Sparen sind, nicht aber umgekehrt. Deshalb laß den unsinnigen Plan einer Werbung um mich fallen und begnüge Dich mit meiner Liebe, die Dir bleibt, wenn ich Dir auch schließlich sage, daß sich ein Mann gefunden hat, wie ich ihn brauche, und daß ich bereits die Verlobte des jungen Spickmann bin, dessenungeachtet aber bleibe ich
Neumühlen, am 5. Mai 1840.
Deine liebende
Julie Stubborn.«
»Ein kluges Mädchen! Bei Gott, sehr klug«, murmelte Herr Trick nach Durchsicht des Briefes. Er ward von förmlicher Hochachtung für die Tochter Stubborns erfüllt und klopfte eine volle Minute lang an seiner Nase herum, als er den Brief zurückgab. Es war kein Zweifel, daß dieser Brief den jungen Schwarz über See jagen würde, wenn Julie Spickmanns Verlobte blieb. Den älteren Schwarz konnte er aber dann vor Adolfs Abreise nicht als durchgegangenen Langfinger hinstellen, was er bereits beabsichtigt hatte. Nielsen sollte und mußte zum Kapitän der seefertigen »Gebrüder« gemacht werden. Dies alles forderte Überlegung, eine Änderung des Planes und schnelles Handeln, weshalb Trick nur sagte: »Morgen mehr«, und in das Kabinett Stubborns trat.
*
Der glückliche Bräutigam und zukünftige beneidenswerte Gatte der schönen Julie saß in tiefen Gedanken am Jungfernstieg und sah sich wartend nach Schnepfe um, den er für einen Mann zu halten begann, der imstande war, ihm mehr Unterhaltung zu verschaffen als alle seine merkantilischen Bekannten.
Spickmann hatte bereits einige Stunden spekuliert und sich den Kopf zerbrochen, welche Aufmerksamkeit er seiner Braut erweisen könne. Er kam eben vom Fischmarkt, wo er einen großen Steinbutt erblickte. Ein Prachtexemplar, das fünfzehn Mark kosten sollte und das er kaufen wollte, um es seiner Zukünftigen zu verehren. Da der Fisch jedoch ziemlich stark roch, und zwar nicht so gut wie Mille fleurs, so erregte dies bei ihm einiges Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit des Geschenkes, und er verfiel auf ein paar Hummer, durch die er seine zarte Huldigung ausdrücken wollte. Aber auch dies paßte nicht recht, obgleich er die Idee gefaßt hatte, jedem einen Blumenstrauß in die Scheren zu stecken.
Spickmann zermarterte das wenige Gehirn, das ihm die Natur zukommen ließ, vergeblich, um etwas Originelles für Julie zu finden, und kam, da er sich durchaus nicht vom Tierreich losreißen konnte, endlich auf einen Affen. Er hielt dies für eine so ausgezeichnete Idee, daß er sofort zu einem Affenhändler ging und ein prächtiges Exemplar von der Größe eines zweijährigen Jungen erstand, das er sofort hinausschickte und dadurch unendliches Erstaunen hervorrief.
Fräulein Julie wußte nicht, ob sie sich über das Geschenk ärgern oder ob sie lachen sollte und ließ das Präsent in eine Ecke setzen, weil sie mit dem Klavierstimmer sprach, der gerade den Flügel zur Verlobungsfeier stimmte. Puck, welchen Namen der Affe führte, saß mäuschenstill und sah mit der größten Aufmerksamkeit und dem tiefsinnigsten Ernst dem Stimmer zu, wobei er jedoch die Zuckerdose ausfraß. Das meiste Vergnügen machte es ihm indes offenbar, wenn der Stimmer die Saitenstifte etwas festschlug, weil dann alle Saiten klangen, was ihm so ausnehmend gefiel, daß er die Augenbrauen bis mitten zum Scheitel hinaufzog.
Spickmann saß indessen am Jungfernstieg. Er glaubte nicht genug getan zu haben und wartete sehnlichst auf Schnepfe, der gewiß noch etwas Besseres wußte.
Der Bräutigam sah mit einiger Ungeduld unter den alten Linden auf und ab, denn es war Zeit zum Frühstücken für die höheren Kreise der Menschheit, da bereits das niedere Volk zum Mittagessen zu laufen begann. Es hatte zwölf Uhr geschlagen und das Glockenspiel, das am Petriturm wie Johann von Leyden in einem eisernen Käfig aufgehängt war, einen endlosen Choral mit verschiedenen fehlenden Intervallen abgehämmert, als Schnepfe erschien.
»Wie steht es, Doktorchen? Lust zum Frühstücken?« fragte Spickmann.
Schnepfe besann sich ernstlich, ob ihm in den zweiundzwanzig Jahren seiner Erdenpilgerschaft jemals die Lust zum Frühstücken gefehlt habe. Soweit er zurückblickte, er fand keinen Tag, an dem dies der Fall gewesen wäre. Es müßte denn in jener Zeit vorgekommen sein, wo man bewußtlos an der Mutterbrust frühstückt.
Schnepfe erstaunte nicht wenig, als ihm Spickmann erzählte, welche Auswahl von Geschenken er heute seiner Braut zugedacht. »Aber um Gottes willen!« schrie er, die Hände vor Verwunderung zusammenschlagend. »Wer in aller Welt außer Ihnen kann denn auf den Gedanken geraten, seiner Geliebten einen Fisch oder gar ein paar Krebse schenken zu wollen!«
»Äh!« sprach Spickmann verwundert: »Ein Fisch?« Bitte, lieber Freund! Es war ein Steinbutt! Wissen Sie, ein Steinbutt, womit einmal ein französischer Herzog so renommiert hat, weil er zwei Stück besaß, wo mit dem ersten der Diener beim Hereintragen hinfallen mußte, damit der Haushofmeister sagen konnte: bringen Sie schnell einen andern Steinbutt. Ha! Wenn zwei Steinbutte auf dem Markt gewesen wären, dann hätte ich sie ohne Zweifel gekauft, um die Geschichte selbst aufzuführen. Aber so? Man hat keine Gelegenheit, sich so auszuzeichnen und in die Weltgeschichte zu kommen.«
»Aber Sie hätten doch Ihrer Braut wenigstens einen Papagei statt des Affen schenken sollen«, bemerkte Schnepfe.
»Äh! Was Sie für eine verteufelte Idee haben. Das ist auch wahr! Weshalb ist mir das nicht eingefallen?« sprach Spickmann kauend. »Papagei – weiß Gott! – könnte sprechen lernen – ich liebe dich! – Haben sonst noch gute Idee, Doktorchen?«
»Hm!« sagte dieser, einen Hummer um sein Inneres bringend, »wie wäre es denn heute abend mit einem Ständchen? Einer Serenade?«
»Prachtvolle Idee!« rief Spickmann entzückt.
»Ich spiele gut Gitarre«, fuhr Schnepfe fort. »Ich werde den Sehnsuchtswalzer vortragen, das wird sich ausgezeichnet in der Frühlingsnacht machen. – Spielen Sie denn nicht irgendein Instrument, daß Sie mich begleiten könnten?«
»O ja – kleine Trommel – ausgezeichnet.«
»Geht nicht«, bemerkte Schnepfe kopfschüttelnd, »zum Sehnsuchtswalzer gar nicht – durchaus nicht!«
»Halt! Der junge Siemens bläst Trompete.«
»Ach, was denken Sie, zur Gitarre!«
»Hm – hm – ich habe es – der Makler Kirchhoff Kirchhoff, bekanntes Original, gestorben 1844, seines Berufes Leinenmakler. (Vgl. Borcherdt, Das lustige alte Hamburg, II, S. 5 ff.) Einen Streich Kirchhoffs schilderte Reinhardt in der ersten Auflage seines Romans, Kapitel 20: »Der Millionen-Eulenspiegel.« Dieser Abschnitt, der in den späteren Auflagen ausgelassen war, ist auch hier wieder gestrichen. spielt wundervoll Baßgeige – hat sich erst letzthin aufs Malergerüst zwei Treppen hoch vors Fenster von Madame Heine ziehen lassen und dort gespielt: O wärst du ganz mein eigen«, sprach Spickmann erfreut.
»Was denken Sie denn?« sagte Schnepfe lachend, »sollen wir etwa gar mit der Baßgeige nach Neumühlen rennen und im Garten 'rumbrummen? Ich dächte, wir nehmen lieber gleich die Orgel aus der Nikolaikirche mit. Lassen wir's bei der Gitarre – Sie können sagen, Sie hätten gespielt.«
»Gut«, nickte Spickmann beistimmend. »Ich gehe dann mit Ihnen, holen wir die Gitarre.«
Schnepfe erschrak und kam in große Verlegenheit. Er konnte Spickmann unmöglich in die Dachkammer führen, die er mit Bernhart bewohnte.
Er sah sich vorsichtig um und flüsterte: »Ich kann nicht gleich mit Ihnen gehen. Bin auf einer Spur. Nachricht von Berlin, daß einer nach Amerika will – Verräter – muß Auswandererschiff inspizieren. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie mich dort als Doktor finden. Wundern Sie sich überhaupt gar nicht, wie und wo und als was Sie mich finden. Den Verräter müssen wir haben.«
»Und wenn Sie ihn haben, machen Sie – Hut aus ihm?« fragte Spickmann, den vermeintlichen Freimaurer mit geheimem Entsetzen betrachtend.
»Ist nicht meine Sache. Wird an Loge in Berlin geliefert, die ihn verschwinden läßt«, flüsterte Schnepfe.
»Haben Sie schon einen – – –«, forschte das Kalb mit schreckhafter Neugier, sich scheu umsehend.
»Ist nicht meine Sache«, sprach Schnepfe abweisend. »Schweigen Sie hier, unvorsichtiger Don Juan!« Er sah sich mißtrauisch um. »Holen Sie mich bei Sonnenuntergang am Auswandererschiff, der Fähre gegenüber, ab.«
In Neumühlen saß indes seine Verlobte im Garten und blickte auf die Elbe hinaus. Sie betrachtete die Schiffe, die von unten heraufkamen und berechnete, welchen Wert sie über das weite Meer brachten und welche Summen übrigbleiben mußten, um der Verschwendung zu dienen. Sie dachte an Spickmanns Einkünfte, aber weder an ihn noch an sein sinniges Geschenk von heute.
Plötzlich schreckte sie ein höllischer Lärm im Salon auf, während gleichzeitig ihre Schwester herbeilief. Der Lärm kam offenbar vom Klavier her, das auf eine unerhörte Art gespielt ward. Als die Schwestern in den Salon traten, sahen sie den Affen wie wahnsinnig auf den Tasten umherspringen, wobei er mit einem Hammer aus allen Kräften auf die Stimmstifte loshieb und diese in den Stimmstock schlug, wie er es vom Klavierstimmer gesehen hatte. Dabei griff er nach den Hämmern, die durch das Spiel seiner Beine gehoben wurden, und kreischte vor Entzücken über seine musikalischen Leistungen.
Die Schwestern wollten ihn verjagen und ergriffen deshalb ihre Sonnenschirme. Der musikalische Vierhänder setzte sich aber auf die Tasten, zog die Augenbrauen in die Höhe und zeigte eine Reihe glänzender Zähne, die von einem Ohr bis zum andern gingen und mit der Schnelligkeit eines Mühlwerks gegeneinander klapperten. Die Damen rannten schreiend davon, und der Lärm begann von neuem, bis der Gärtner den Musikanten mit einem langen Besen vom Flügel verjagte, der freilich total ruiniert war.
»Dieses infame Vieh!« rief Julie erzürnt. »Ein so dummes Geschenk!«
»Es hat dir genau die Harmonie vorgespielt, die du von einer solchen Verbindung zu erwarten hast. Dein Herz wird dann ganz dem Flügel drin gleichen«, sprach Bertha und blickte mit trübem Lächeln der Schwester nach, die sich achselzuckend entfernte. Dann sah sie stromabwärts und suchte die schmalen Landstriche, die in der äußersten Ferne das Wasser vom Horizont schieden; dort war die Gegend von Stade, und wie sie glaubte, der Aufenthalt von Ernst Schwarz.
Die Sonne schien sehr geneigt, nach des Tages Last und Mühe ein Bad in der Elbe zu nehmen, als Spickmann die Hafentreppe hinabstieg und einen Jollenführer engagierte, der ihn und Schnepfe nach Neumühlen und zurück fahren sollte.
Spickmann stand an Bord des großen Dreimasters, der die Europamüden über das Meer zu schaffen bereit war, und hielt eine in Papier eingepackte Gitarre in der Hand, mit der er dann in das Boot hinunterkletterte.
Der Jollenführer trieb sein Fahrzeug mit einigen Ruderschlägen in den Strom hinaus und wollte eben im freien Wasser nach Altona rudern, als Spickmann sich vor den Kopf schlug und rief: »Halt! Ich habe was vergessen – wahrhaftig, total vergessen – das erste Mal in meinem Leben!«
»Was denn?« fragte Schnepfe.
»Ich habe nicht zu Mittag gespeist! Denken Sie, Doktorchen, um's Himmels willen, das zu vergessen!«
»Teufel! Sie erinnern mich daran. Ich habe es wahrhaftig auch vergessen«, sprach Schnepfe lachend.
Spickmann sah sich verzweifelt rundum. Plötzlich erheiterte sich sein Gesicht.
»Dort hinüber, Jollenführer,« rief er, »durch die Kohlenschiffe und bei London-Tavern London-Tavern. Gemeint ist wohl die 1826 unter diesem Namen in St. Pauli bei den Tranbrennereien Nr. 11 angelegte Wirtschaft; Wirte: Heidmann, später Louis Pudey. Außerdem gab es noch New-London-Tavern in der Poststraße, ein Wirtshaus, das 1850 nach englischem Geschmack eingerichtet wurde, zuerst gut ging, sich aber dann nicht lange halten konnte. (Wichmann, Heimatkunde, S. 140.) angelegt, – auf uns warten.« Dann stieg er mit Schnepfe die Treppe hinauf, um seine unverzeihliche Nachlässigkeit wieder gutzumachen, an der entweder die Liebe oder, was wir eher glauben, das Frühstück schuld war.
Als man das Versehen erschöpfend gesühnt hatte, stieg man wieder in die Jolle und trieb langsam nach Neumühlen hinunter, um dort bei ziemlicher Dunkelheit anzukommen.
Der Troubadour hatte während der Fahrt sein Instrument ausgepackt und gestimmt. Etwas oberhalb von Stubborns Landhaus stieg man ans Land und ließ den Bootsführer warten. Die beiden Nachtmusiker waren indes kaum einige Schritte auf dem Strande gegangen, als plötzlich Jörs aus dem Gebüsch huschte und Schnepfe packte, jedoch gleich wieder losließ, als er die Gitarre bemerkte, welche er in der Dunkelheit für eine Flasche gehalten haben mochte.
Die beiden Abenteurer lachten und krochen dann durch den Zaun in Stubborns Garten, wo sie ein geeignetes Plätzchen für ihr Konzert suchten, das doch möglichst unter dem Schlafzimmer der Geliebten abgehalten werden mußte.
Sie hatten sich dem erleuchteten Fenster genähert, dort im Gebüsch gut versteckt und wollten eben beginnen, als Spickmann Schnepfe beim Arm packte und nach dem Apfelbaum zeigte, den eben eine männliche Gestalt erstieg, die aus den Fichten hervorkam. Beide duckten sich schnell unter die Zweige und sahen lautlos hinauf, wo sich die dunkle Figur nach dem Fenster hin bewegte.
Spickmann glaubte erst einen Dieb zu erblicken und wollte schon ein Hilfegeschrei erheben. Da der nächtliche Wanderer jedoch leise an das Fenster klopfte und dies sofort geöffnet wurde, so blieb ihm bloß der Mund stehen wie er war, die Ohren standen ebenfalls weit offen und seine Augen traten aus dem Kopf, denn er faßte den Gedanken, daß er eine Entdeckung machen würde, die ein wenig zu zeitig und unerwartet kam. Es war, als hätte ihm jemand einen Eimer kaltes Wasser über den Leib gegossen.
Am Fenster erschien Julie.
»Bist du da, Adolf? – Das ist recht, mein Närrchen. Ich sehe, daß du ein kluger Junge bist, der sich in die Umstände schicken wird. Habe ich recht?« flüsterte sie.
»Bist du wirklich meine Julie? – Hast du wirklich diesen Brief heute an mich geschrieben?« sprach Adolf kummervoll.
»Ich glaube, du willst den Sentimentalen spielen«, scherzte Julie. »Sei kein Narr! Komm herein und sitze nicht wie ein Eichhörnchen auf dem Ast – sei vernünftig und überlege die Verhältnisse. Sieh, ich nehme diesen Wechselbalg von Bräutigam (hier duckte sich Spickmann, als hätte ihn jemand auf den Kopf geschlagen), weil er bis über seine langen Ohren (Spickmann fiel ganz zu Boden) im Gelde sitzt. Ich heirate nur sein Geld, um es zu verschwenden, und du bleibst nach wie vor mein Geliebter, der die gute Eigenschaft besitzt, sich nie in einen mürrischen Mann zu verwandeln.«
»Ist dies dein wahrhaftiger Ernst, Julie?« fragte Adolf schmerzlich.
»Ganz gewiß – komm herein, Närrchen«, antwortete diese lachend, indem sie die Arme nach ihm ausstreckte.
»Dann leb' auf immer wohl, du furchtbares Trugbild eines liebenden Weibes«, sprach Adolf zornig, indem er sich umdrehte und mit einem Sprung in dem Fichtendickicht verschwand.
»Adolf!« rief Julie leise – »Adolf! – Sei kein Narr!«
Keine Antwort.
Endlich sah sie, wie eine dunkle Figur wieder am Baum in die Höhe stieg. Adolf kommt wieder, dachte sie. Die Gestalt kam näher – sie streckte die Arme nach ihr aus, schlug aber dann das Fenster mit einem Schrei zu. – Es war der Affe, dem es im Garten zu kühl wurde und der nun zähneklappernd vor dem Fenster saß.
Jetzt erst sah sich Schnepfe nach seinem Gefährten um. Er fand ihn mit einem jammervollen Schafsgesicht am Boden kauern und fühlte Mitleid mit ihm. Er nahm seine Gitarre und winkte zum Fortgehen. Spickmann blieb sitzen. Da packte ihn Schnepfe beim Kragen und zog ihn gewaltsam fort durch den Zaun, schleppte ihn dann am Strand hin und in das Boot, das kurz darauf nach Hamburg hinaufruderte.
»Was haben wir heute für einen?« fragte Spickmann nach einer Weile den Bootsführer.
»Den fünften Mai«, antwortete dieser.
»Fünften Mai! – schöner Tag – schöner Tag«, murmelte Spickmann zwischen den Zähnen.
»Fünfter Mai. Schöner Tag«, sprach Herr Trick zu derselben Zeit, lachend in den Kalender sehend.
»Verdammt schöner Tag!« fluchte Müller grimmig beim sechsten Glas Grog in der Gesellschaft der fidelen Seehunde.